Mittwoch, 17. August 2011

FC 18 - Detlefs Bericht

Macht ein Folk Club auch im August Sinn?

von Detlef Stachetzki

Ferienzeit und Barry Roshto verreist, bestes Biergartenwetter mit Aussicht auf Regen am folgenden Samstag, dazu noch die Eröffnung der Bundesligasaison mit dem Knüllerspiel HSV gegen Dortmund – beste Voraussetzungen also für einen leeren Saal im Schützenhaus. Aber weit gefehlt, die echten Folk-Fans zieht es am ersten Freitag im Monat mit magischer Kraft in die Estermannstraße in Graurheindorf – und sie wurden nicht enttäuscht. Ein hochklassiges Programm und viele Gelegenheiten zum Mitsingen sind einfach unschlagbar.

Master John Harrison startete diesmal mit dem a Capella gesungenen Gedicht „If“ des Nobelpreisträgers Rudyard Kipling, einem Beitrag aus der Kategorie „Weiterbildung in englischer Literatur“. Dem Publikum blieb aber nicht viel Zeit, um über die poetische Umschreibung des Wesens eines wirklichen Mannes nachzudenken, als bereits der irische Gassenhauer über die üppige Fischhändlerin Molly Malone („the tart with the cart“) zum Mitsingen einlud. Zum Andenken an den Club der 27er, der erst kürzlich mit Amy Winehouse prominenten Zuwachs bekommen hat (langsam wird’s eng da oben), sang John wiederum a Capella das bekannte Lied der Alt 27erin Janis Joplin „Mercedes Benz“. Vielleicht gefällt ihm das Lied so gut, weil er selbst einen Mercedes besitzt, für den Ihn die Untertürkheimer Autobauer vermutlich eine Prämie für einen Lebensdauer-Test gewähren. Uns hat es jedenfalls auch gut gefallen (auch ohne eigenen Benz). Nochmals recht nachdenklich ging es dann bei Johns letztem Lied „Siege of Sarajevo“ zu. Die Eigenkomposition aus dem Jahre 1995 beschäftigt sich anhand der erschütternden Vorkommnisse bei der Belagerung Sarajewos im jugoslawischen Bürgerkrieg damit, wie dünn das Eis zwischen Zivilisation und brutaler Barbarei ist.

Nach den zahlreichen Gedankenanstößen heiterte uns Andreas Nick zuerst mit einer kleinen kunstvollen Gitarrenetüde („so vertreibe ich mir oft die Zeit, wenn ich auf dem Sofa sitze“) auf und rockte danach mit dem Stones Lied „Jumping Jack Flash“ los. Auch die folgende kleine selbstkomponierte Ballade handelte nicht von den Widrigkeiten der Welt, lediglich bei Hendrix’ „All Along the Watchtower“ (leicht abgewandelt – „an dem Lied kann man sich die Finger verbrennen, daher lieber eine eigene Version“) war wieder die kleine Anspielung auf den Club 27 präsent.

Mit eher positiven Inhalten ging es dann bei den Liedern von Daniel Mennicken und Andrea Wilmes („ZweiZeit“) zu. Mit Andreas tragender, intonationssicherer und variabler Stimme und Daniels professionellem und versierten Gitarrenspiel war es eine Lust, den drei selbstkomponierten Liedern „Es ist so schön, bei dir zu sein“, „Blue Sting“ und „Already Made“ zuzuhören. Beim letzten Lied bewies Daniel, dass er nicht nur exzellent Gitarre spielen sondern auch vorzüglich singen kann. ZweiZeit im Duett, ein Genuss!

Als ob uns nicht schon genügend schwere Kost an diesem lauen Sommerabend geboten wurde, beglückte uns anschließend unser guter alter Bekannter Thomas Steffens mit dem todtraurigen, aber dennoch wunderschönen Lied „And the Band Played Waltzing Mathilda“ von Eric Bogle, mit dem die Gräuel bei der Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg besungen und beklagt werden („never knew there were worse things than dying“). Einen kleinen Sonnenstrahl bekamen wir dann mit „My Irish Molly“ serviert, bevor das traurige Lied „Liverpool Lullaby“ uns wieder beinahe zu Tränen rührte. Kompliment aber an Thomas, der zwar nicht ganz so sexy daherkommt wie weiland Cilla Black, aber dem Lied über die Armut und die Aussichtlosigkeit eines Kindes in einem deprimierenden Säuferhaushalt in Liverpool eine viel eindringlichere Stimmung gab als die junge Cilla im Minirock-Outfit der 60er Jahre. Heitere Erlösung gab’s dann beim Lied über die Irish Pubs, die es überall in der Welt gibt, sogar in Honolulu und Moskau. Dabei konnte das Publikum dank reichlich verteilter Refrainzettel kräftig mitsingen. Die Achterbahn der Gefühle blieb uns erhalten, dank des traurigen Liedes über den Untergang des „Lifeboat Mona“, das Thomas aber wunderschön vortrug und bei dem das Publikum wieder aus voller Kehle mitsang.

War es das mit den traurigen und nachdenklichen Liedern? Mitnichten! John hatte nach der Pause offenbar sein melancholisches Pulver noch nicht verschossen (vermutlich weil er tags darauf in die Ferien nach Britannien fahren musste – drei Wochen lang nur lauwarme Cervisia, brrrrr!). Jedenfalls gehört das a Capella gesungene Gedicht „Danny Deever“ von Rudyard Kipling über die Exekution eines britischen Soldaten wegen heimtückischen Mordes an seinem – vermutlich sadistischen – Vorgesetzten zwar zu den eindrucksvollen aber nicht zu den heiteren Stücken englischer Dichtkunst. Abgerundet wurde die Session der Melancholie mit einer weiteren ergreifenden Hommage an den Club 27: Das Lied „Angel in Disguise“ von Johns Freund Jonathan Ole Wales Rogers, der im Alter von 27 Jahren nach dem Nachhausebringen des Babysitters mit dem Auto tödlich verunglückt war.


Steve Perry
, der Mann mit der brasilianischen 10saitigen Gitarre „Viola Caipira“ brachte ein wenig Erleichterung. Diesmal hatte er seinen brasilianischn Hut gegen eine der amerikanische Mütze vertauscht und war ab sofort total in seinem Element. Das Hillbilly-Lied von den „Martins und den Coys, the wreckless mountain boys“ trug er witzig und gekonnt vor. Steve verstand es dabei ausgezeichnet, die Bottleneck-Technik auf das südamerikanische Instrument anzuwenden. Bei aller Komik des Liedes, auch hier ging’s um was Grausiges, nämlich wie sich zwei verfeindete Familien gegenseitig bis zum zugegebenermaßen witzigen Ende massakrieren. Wen es interessiert: Es gibt dazu ein lustiges und klasse gesungenes Zeichentrickvideo (http://www.youtube.com/watch?v=XtyUycHvYls) aus der frühen Disney-Ära auf Youtube.
Mit „Sixteen Tons“ war aber auch er wieder in der Kategorie Melancholie angelangt. Das Publikum war gefesselt, denn es wurde bei dem sehr leise gesungenen Lied mucksmäuschenstill.

Als hätten sich alle Musiker abgesprochen, schlugen auch Lothar Heinrich und Peter Philips mit ihren Liedern in die Kerbe der Traurigkeit: Der Blues „Who’s been talking“ gehört wie die meisten Blueslieder natürlich auch eher in die traurigere Kategorie. Es ist aber richtig etwas für’s Gemüt, auch dank der schönen Interpretation von Lothar und Peter. Weiter ging’s hinein in den Herzschmerz mit dem bekannten Country-Lied „Lucille“ von Kenny Rogers über einen von seiner Frau verlassenen Bauern. Mit „Please Help Me I’m falling“ von Hank Locklin und „I’moving on“ von Hank Snow gab es danach zwei weitere vorzüglich gesungene und gespielte Klassiker des Country-Repertoires – Herzschmerz hin oder her, das Publikum war begeistert und sorgte gleich für den Begleitchorus.

Zum Abschluss des Abends sorgten Ellen Jeikner und Ralf Wackers für echtes Kelten-Feeling mit Musik aus und über Irland und Schottland. Ellen berückte mit ihrer schönen Stimme, der gefühlvoll gespielten Tin Whistle und Ralf steuerte die gekonnte Begleitung mit Gesang und der achtsaitigen Mandola bei. Sehr schön kam das selbstkomponierte Instrumental-Lied „Bilbos Song“ rüber, bei dem Ellen die Tin Whistle singen ließ. Grausig – wie könnte es anders sein – ging’s dann beim Lied über das unglückliche Schicksal zweier durch Zwangsrekrutierung des Bräutigams getrennter Liebender beim Lied „William Taylor“ zu.

Nach einer Zugabe in irischer Sprache trommelte John die noch verbliebenen Akteure zum traditionellen Schusslied über „Jock Stuart“ zusammen. Die Gemeinde ist inzwischen schon fast textfest und entsprechend vielstimmig ging der Abend zuende.

Auf Wiedersehen am 2. September!