Mittwoch, 5. September 2018

Detlefs Bericht über den Folk Club Nr. 93 am 6. Juli 2018


Folk Club Nummer 93 am 6. Juli – A capella
Die Erfahrung zeigt, dass die menschliche Stimme das „Instrument“ ist, das die Zuhörer am meisten fasziniert. Jegliches andere Instrument kann vom Publikum als Hintergrundkulisse empfunden werden, der Gesang steht immer im Mittelpunkt und fesselt unmittelbar. Daher ist es nur logisch, einen Abend diesem schönsten aller Musikinstrumente zu widmen. Der Zuspruch der Akteure war großartig. Unsere Cheforganisatoren hatten nicht die geringste Mühe, ein opulentes Programm zusammenzustellen, bei dem der a capella-Gesang im Mittelpunkt stand. Zwar nicht genau passend zum Thema aber nicht minder faszinierend und zudem außergewöhnlich für den Folk Club war eine Stepptanztruppe, die ein Feuerwerk der guten Laune abbrannte.

Aber wie immer, der Reihe nach. John Harrison eröffnete den Abend – ja natürlich wieder mit dem Urschrei – aber danach mit dem schönen Lied “The Berry Fields of Blair“, das die Atmosphäre der Beerenernte im schottischen Ort Blairgowrie schildert. Dorthin kamen früher zur Sommerzeit alljährlich zahlreiche Menschen aus allen Teilen Schottlands, um sich ein bisschen zusätzliches Geld mit dem Pflücken von Beeren zu verdienen. Belle Stewart schrieb dieses Lied und sang es auch unnachahmlich. Aufnahmen von ihrem Gesang kann man bei Youtube bewundern. John machte seine Sache aber auch sehr ordentlich, nur mit dem schottischen Dialekt haperte es etwas. Dafür braucht man nun einmal einen richtigen Schotten. Dialekte nachzuempfinden ist so eine Sache. Nicht jeder ist so talentiert wie Konrad Beikircher, aber selbst dessen Fähigkeit in Bezug auf die rheinische Mundart wird von Fachleuten angezweifelt. Richtigen Bonner Dialekt gibt es aber bei uns zu hören, dazu später. Bevor es im Programm weiterging, erinnerte John an unseren treuen Gefolgsmann Dieter Faring, der den Folk Club bei zahlreichen Auftritten mit dem Vortrag eigener Gedichte und Gedichten von deutschen Lyrikgrößen wie Ringelnatz, Morgenstern, Novalis und Rilke bereichert hatte. Dieter war einige Tage zuvor am 20. Juni 2018 für uns alle sehr überraschend einem Krebsleiden erlegen. Bei seiner Beisetzung am 10. Juli wurde ihm von einer Gruppe aus dem Folk Club ein musikalischer Abschiedsgruß dargebracht.

Speziell für Dieter war auch das Gedicht gedacht, das John danach rezitierte. „If“ von Rudyard Kipling gilt als eines der wichtigsten und meistrezitierten Gedichte in englischer Sprache. Es ist die Zusammenfassung der Wünsche eines Vaters an seinen Sohn auf dem Weg zum Manne.
Nach den etwas tiefsinnigeren Elementen durfte auch der Humor wieder zu seinem Recht kommen. „Molly Malone“ ist auch ohne Instrumentalbegleitung ein schönes Lied. Er wurde bei den Refrains tatkräftig vom Publikum unterstützt. Aber es zeigt sich, dass ein Instrument doch eine gute Stütze für die Tonalität ist. A capella-Gesang, und dann noch ganz allein, ist letztlich die hohe Schule, die John dann doch wunderbar meisterte. 

Gert Müller widmete sich im Anschluss daran seinem Lieblingsmetier: witzigen Gedichten in Bonner Sprache alias Bönnsch Plaat. Der Verfasser der Gedichte ist Ferdinand Böhm. Diesmal wurden Hoffmanns Erzählungen aufs Korn genommen – zum Piepen.

Regine Perry-Mertens und Ihr Mann Steve spannten das Publikum bei Ihrem Kanon „I Like the Flowers“ ein. Und auch für die ganz frommen Sachen ist das Publikum zu haben. Jedenfalls klang das Taizé-Stück „Magnificat anima meum“ mit dem „Folk Club-Publikum All Stars Chor“ gar nicht schlecht. 

Die Altistin Schirin Partowi gibt in Bonn Gesangsunterricht in mehreren Gruppen. Zum Abschluss des Frühjahrskurses hatte sie sich mit ihren Schülern für einen Auftritt angemeldet, um einige der Lieder zu präsentieren, die im Unterricht geübt worden waren. Den Beginn machte das witzige Lied „La Marmotte“. Der Hintergrund für das Lied sind Kinder aus dem damals sehr armen Savoyen, die im 18. und 19. Jahrhundert von ihren Eltern zum Betteln nach Norden geschickt wurden. Mit dressierten Murmeltieren (marmotte) und Liedern versuchten sie dem Publikum einige Kreuzer zu entlocken. Das waren noch Zeiten, als man in der Schweiz so arm war, dass man Betteln gehen musste. Heute würde man eher in die andere Richtung zum Betteln wandern. Was uns das Lied nicht ohne Weiteres verrät, ist seine Urheberschaft. Keine Geringeren als die Herren Goethe und van Beethoven haben Text und Melodie geschrieben. Vielen bekannt dürfte das Lied „Greensleeves“ sein, ein englisches Liebeslied aus der Zeit der Renaissance. Die Person, die das Lied singt, hat es aber mit der angebeteten Lady Greensleves nicht leicht. Ebenfalls aus der Epoche um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert stammt das Madrigal „Come Again“ von John Dowland. Wunderbar ist darin die Schmachtpassage mit den sich gegenseitig jagenden Stimmen. Ebenfalls recht alt aber in modernerem Chorsatzgewand ist das schwedische Lied „Uti var hage“ (Draußen im Garten), ebenfalls ein Liebeslied. Der Satz von Felizitas Kuckuck, einer Schülerin Paul Hindemiths, ist nicht von 1914, wie Schirin verkündete. 1914 war das Geburtsjahr der Künstlerin, der Satz entstand sehr viel später. Die Stimmen sind sehr kunstvoll ineinander verschlungen und geben dem Lied etwas Schwebendes.
An Lieder von Gerd Schinkel ohne Gitarrenbegleitung muss man sich erst gewöhnen. Euer Chronist hatte den Eindruck, dass Gerd sich auch erst daran gewöhnen musste, ganz allein mit seiner Stimme und ohne die helfende Gitarre seine Lieder zu präsentieren. Aber alle Achtung, es ging wirklich gut. „Nichts ist ideal“ ist ein witziger Titel (aus den Namen der neue deutsche Welle-Gruppen „Nichts“ und „Ideal“ zusammengefügt), aber ernst gemeint und dem „Heimat Horst“ gewidmet. Beim Lied „Aneli“ über Gerds adoptierte Tochter, die aus Korea stammt, hat sich Gerd von einem Lied Tom Paxtons inspirieren lassen, das dieser über seine Tochter Katy geschrieben und gesungen hatte. Auch „geklaut“ ist das dritte Lied, das auf Doc Watsons „Mama Don’t like no Music in Here“ basiert. Gerd macht daraus „Papa will keinen Zigarettenqualm im Haus“. Ok, den will der Folk Club auch nicht, und damit waren wir sogar der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einen guten Schritt voraus.

Note für Note ein Genuss gab’s danach im Friseursalon von note-4-note. Die Damen des Quartetts haben sich der Barbershop-Musik verschrieben und hatten bereits im vorigen Dezember einen furiosen Auftritt im Folk Club. Miriam, Claudia, Regine und Monika sangen auf der Suche nach dem Märchenprinzen (mit dem Frosch hatte es nicht funktioniert) „Come Knock On My Door“. Bei solch einem Sirenengesang müsste es eigentlich flutschen, wer weiß. Der Klassiker „Dream a Little Dream of Me“ eignet sich perfekt für einen herrlichen Barbershop-Satz, den die vier mit Bravour meisterten. „Come Fly With Me“, bekannt unter anderem in der unnachahmlichen Version mit Frankieboy, geht auch als Barbershop-Version, und note-4-note braucht sich damit nicht hinter Herrn Sinatra zu verstecken (der war ja auch allein). Als Zugabe gab es danach eine kleine Lehrstunde über Kaffee- und Teesorten („I Love Coffe, I Love Tea“) – wunderbar. Wir hoffen auf eine weitere Expansion eures Repertoires, die im Folk Club getestet werden muss.

An sich sollte es ja ein Abend werden, der ausschließlich dem Gesang gewidmet war. Dass man aber auch mit Füßen und Händen „singen“ kann, zeigte uns eindrucksvoll Petra Pickert mit ihrer Steptanzgruppe. Ohne sonstige Musik legte die Gruppe zwei fetzige und gekonnte rhythmische Tanzstücke hin. Die Titel lauteten „Shim, Sham“ und „Rhythm Tap“. Der Saal war begeistert. Beim dritten Stück, dem  bekannten „Cup Song“ von Pitch Perfect, gab es dann noch gesangliche Unterstützung. Zudem hexten drei Mädels im Hintergrund mit den Bechern – Riesenapplaus vom Publikum für Petra Pickert und ihre Tanztruppe.

Der Folk Club hat ja ein großes Herz, und deshalb war es natürlich erlaubt, dass an diesem Abend statt reiner Vokalmusik auch reine Instrumentalmusik erklang. John Hay (Gitarre), Eva Hennekens (Geige) und Thiline (Cajon) hatten sich für ein paar feine Instrumentalstücke zusammengetan. „Romance Anónimo“ auch bekannt als „Estudio en Mi de Rubira“ (Übungsstück in E von Rubira) ist schon eine Herausforderung für den Gitarristen. John meisterte es mit viel Fortune. Durch die Begleitung von Geige und Schlagwerk bekam das Stück eine ganz besondere Note. Bei „Roma“ von Vicente Amigo wechselten sich Gitarre und Geige in der Führung ab und bei „Pharaon“ von den Gipsy Kings stand die virtuos von Eva gespielte Geige im Vordergrund. Bravo, ihr drei, der Folk Club liebt euch!

John Harrison und Steve Perry sind schon kongeniale Herren. Steve liebt es, als nordenglischer Landmann aufzutreten und John ist einer. Da kann ja nichts mehr schief gehen. Den Beginn machten die beiden mit dem witzigen Lied von den verliebten Nilpferden (Hippopotami). Das ist ein Couplet von zwei ebenfalls kongenialen englischen Herren, Michael Flanders und Donald Swann. Die füllten in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit ihren kabarettistischen und parodistischen Liedern die Säle. John mutmaßte, dass die beiden, hätten sie später das Licht der Welt erblickt, bestimmt bei Monty Python’s Flying Circus gelandet wären. Beim Nilpferd-Lied gibt es einen rasanten Nonsens-Refrain: 

Mud, mud, glorious mud
Nothing quite like it for cooling the blood
So follow me, follow / down to the hollow
And there let us wallow in glorious mud

Ist das nicht herrlich? Nicht minder britisch nonsens-mäßig ging es beim schönen Lied über das Ilka Moor zu. Dieses Moor im rauen Yorkshire soll man lieber nicht ohne Hut betreten. Anderenfalls erkältet man sich, stirbt, wird begraben, die Würmer fressen die Überreste, die Enten fressen die Würmer, und wenn dann der Freund im Moor auf Entenjagd geht und mit geschossenen Enten heimkommt, dann liegst du letztlich bei deinem Freund im Topf. Willst du das? Also setz dir gefälligst einen Hut auf. Das Lied dazu – „On Ilkla Moor Baht 'at“ (On Ilka Moor Without Hat) – ist im schönsten Yorkshire-Dialekt geschrieben und für unsereinen nur streckenweise zu verstehen.
Nicht minder hintersinnig ist das Lied „The Librarian’s Lament“ von John Conolly. Conolly arbeitete in einer Bibliothek im englischen Fischereihafenort Grimsby und hat wohl seine zahlreichen schrägen Erfahrungen im Umgang mit Kunden in Liedform umgemünzt. Conolly war dort sogar ein früherer Kollege eures Folk Club Teams, denn er hat in Grimsby einen Folk Club ins Leben gerufen. Das Lied benutzt ein witziges Wortspiel, das aus der Aussprache von „pawnbroker“ (Pfandleiher) herrührt. Schnell ist eine unbeabsichtigte Verbindung zu „Porn“ hergestellt. Das Erkennungszeichen der Pfandleiher, drei goldene Kugeln an der Geschäftstür werden schließlich für die doppeldeutige Aussage „he is the man with three balls“ umgemünzt. Witzig auch Steve als Frau des Pfandleihers mit strubbeliger Perücke. Jungs, Ihr seid begabte Komiker!

EmDo“, heißt der Freizeitchor bestehend aus sechs Sängerinnen und vier Sängern um Uwe Johann. Der bizarre Name des Chors ist eine Abkürzung für Ensemble am Donnerstag. Nun, EmDo hat ein schönes Repertoire, aus dem sie uns drei Stücke präsentierten. Vielen bekannt ist das französische Trinklied „Tourdion“, das mehrere Stimmen wunderbar ineinander webt. Die Stimmen haben nicht nur unterschiedliche Melodien, sondern auch noch verschiedene Texte, ungefähr wie ein Quodlibet. Ein kleines Rätsel war ein Lied mit vermeintlich lateinischem Text, der sich aber als ein Ulk herausstellte. Was Lateinisch klang („Situs vi latingis eta bernit“) war es aber nicht („süht us wie Lating, is et aber nit). Die Rheinländer im Publikum hatten den Spaß schnell durchschaut. „Ide were were“ ist ein westafrikanisches Lied, das von einer Liebesgöttin handelt. Mehrstimmig gesungen klingt es zugleich melodisch und geheimnisvoll. Vielen Dank für eure schönen Beiträge, ihr Donnerstagssänger.

Nun kam der Werbeblock für freie Straßenmusik in Bonn. John und Daniel Bongart setzen sich für die Abschaffung starren Reglementierung der Straßenmusik in Bonn u.a. mit einer Genehmigungsgebühr in Höhe von 25 € ein. Daniel hat einen Bürgerantrag geschrieben, der am 29.08.2018 im Bürgerausschuss der Stadt Bonn beraten wurde. Offenbar sieht es so aus, dass Daniels Antrag etwas bewegt hat. 

Eines von Johns Argumenten (muss man auch erst einmal darauf kommen) ist, dass Betteln keiner Genehmigungspflicht unterliegt, wenn man aber beim Betteln singt, dann muss man eine Gebühr in Höhe von 25 € entrichten – das kann doch nicht sein. Um das musikalisch zu umrahmen, gab es von John und Daniel das altenglische Lied „And a Begging I Will Go“. Das alte Lied aus dem 17. Jahrhundert preist das freie Leben eines Bettlers.

Gerd Schinkel hatte schon vor einigen Jahren ein Lied zu dem Thema geschrieben. „Beethovens Schock“ heißt das Protestlied, das Gerd zusammen mit John und Daniel sang.

Nach so viel ernster Kost setzte Daniel noch eins drauf mit dem irischen Abschiedslied „Parting Glass“. Das zu Herzen gehende Lied, das vielfach als Abschiedslied gesungen wird, handelt eigentlich vom endgültigen Abschied vom Irdischen. So weit wollten wir nun doch nicht gehen. Deshalb endete der Folk Club wie fast immer mit dem traditionellen Rausschmeißer Jock Stewart. So ging wieder ein wunderbarer, unterhaltsamer Abend mit vielen Glanzlichtern zu Ende.

Auf Wiedersehen nach den Sommerferien am 7. September mit dem Thema „Celtic Air“ und den Featured Artists „MacAukema and Friends“. Vielleicht singen wir dann ja Parting Glass noch einmal alle zusammen.