Freitag, 1. Mai 2015

Detlefs Bericht vom Folk Club Nr. 57 am 27. März 2015


Folk Club Nr. 57 – Simon Wahl verzaubert den Saal
Vielleicht klingt der Reim der Überschrift wie ein angestaubter Reim-Werbespruch aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts (Wer erinnert sich noch an: „Wer kennt ihn nicht, den Mann mit dem Licht?“), er beschreibt aber die Stimmung bei unserem besonderen Gast des Abends ganz genau. Man konnte bei Simons Auftritt wieder die vielzitierte Stecknadel fallen hören und die Verzauberung spüren. Und das weist genau in die vom Folk Club Team beabsichtigte Richtung: Musik ohne elektrische Verstärkung sorgt ganz von selbst für eine besondere Aufmerksamkeits-Atmosphäre im Publikum, die selbst die erfahrensten Musiker immer wieder in Erstaunen und sogar in Entzücken versetzt. Um dieses Erlebnis bringen sich die meisten Musiker durch die bei jedem Konzert wie selbstverständlich aufgestellten Verstärker selbst.
Aber wie immer: der Reihenfolge nach. Am Anfang des Abends stand diesmal eine Schweigeminute für die Opfer des kurz zuvor in den französischen Alpen zerschellten Passagierflugzeugs. Den Besuchern des Folk Clubs war allerdings zu diesem Zeitpunkt noch nicht der volle schreckliche Hintergrund des Unglücks bekannt.
Das leicht melancholische schottisch-irische Volkslied „Wild Mountain Thyme“ (wilder Bergthymian), das John Harrison und Paolo Pacifico wunderbar zusammen sangen und spielten, passte sehr gut zur Stimmung und darüber hinaus zum Thema des Abends: „Landschaft“. Das Lied „Charlie, He’s My Darling“ mit dem Text des schottischen Nationaldichters Robert Burns bringt eine Referenz an den schottischen Volkshelden Prinz Charles, einem Stuart, der Mitte des 18. Jahrhunderts ein Heer gegen die Engländer führte und nahe daran war, den englischen Thron zu erobern.
Lieder über Landschaften haben meist etwas Melancholisches, da sie vielfach ganz tiefe Sehnsuchtsgefühle ausdrücken. Dies ist auch der Fall beim Lied „Ol’ Man River“ aus dem Musical „Show Boat“. Der alte Mann Mississippi steht als Symbol für den Rassismus und die Unterdrückung der Schwarzen, von denen das Musical handelt. Bob Marabito und Steve Perry hatten mit dem Lied eine gute Wahl getroffen und trugen es zusammen mit Steves Mandolinenbegleitung sehr gefühlvoll vor.
Mit Nick Nuttall aus England betrat ein neues Gesicht den Folk Club. „Rosie“ von Fairport Convention war sein Beitrag, den er sehr ansprechend interpretierte. Fairport Convention ist eine in den 60er Jahren gegründete Folk-Rock Band, die noch immer aktiv ist.
Uwe Gillert war schon im November mit Sohn Max und Freund Lye Rida im Folk Club zu Gast. Diesmal waren seine Begleiter Burkhard Bannach am Kontrabass und Ralf Heinzelmann am Bandoneon. Die Drei nennen sich Blues Boys und stellten Uwes Eigenkompositionen in deutscher Sprache vor: „So schnell vorbei“ beschreibt das Thema der Vergänglichkeit der menschlichen Existenz. Ungewollt hatte Uwe damit einen ganz intensiven Bezug zum aktuellen Geschehen hergestellt. „Rote Rose“ war ein schönes Liebeslied mit der Einladung zum Mitsingen des Refrains „Du bist für mich die Schönste auf der Welt“. Auch von Schönheit, aber diesmal von der unbekannten handelte das letzte Lied über das Leben einer blinden Frau: „Sie weiß nicht, dass sie schön ist“ – ergreifend.
Sparkling Lights“ nennen sich Karin Schüler (Gesang), Gerald Löhrer (Gesang und Gitarre) und Thomas Neuhalfen (Kontrabass), die noch ein Repertoire für das Thema des vorigen Folk Club Treffens im Gepäck hatten. Natürlich durften sie ihre Lieder mit Bezug zu Zügen, Schiffen und anderen Gefährten spielen. „Bus Stop“ von den Hollies war ihr Einstieg mit schönem zweistimmigen Gesang von Karin und Gerald. Bei „Slow Boat to China“ durfte Thomas Neuhalfen seine Klasse am Bass in einem Solo demonstrieren – super. Zu den Themen beider Abende passte das letzte Lied „Crawling Up a Hill“ von John Mayall, bei dem im Text neben einem Berg ein Zug vorkommt. Eigentlich geht es in dem Lied aber um eine Frau, die sich darüber beklagt, dass sich ihr Leben anfühlt wie ein Zug, der mühsam einen Berg hinaufschnauft - großer Applaus für die drei.
Chris Biederwolf aus Celle beglückte uns mit einem witzigen Lied über das unbekannte Deutschland. „Halt mal an“ besingt die Schönheiten des Landes Sachsen-Anhalt. Er hat uns nicht verraten, ob die Produktion des Liedes von der Magdeburger Staatskanzlei gesponsert wurde – das war mal ein originelles Lied! Nicht minder witzig und originell war das Lied über das Leben einer Stewardess „So weit weg“, bei dem das Publikum einen kleinen musikalischen Erdkundeunterricht bekam. Mit der Mandoline begleitete er sich dann beim Lied über das „Das Mädchen vom Ammerland“. Vielleicht ist Chris ja Erdkundelehrer, der seinen Schüler mit einprägsamen Liedern die bekannten und weniger bekannten Gegenden der Welt nahe bringen will. Bei uns hat er es jedenfalls geschafft.
Wie am Anfang schon verkündet durfte nun endlich Simon Wahl auf die Bühne , der Bonner Junge, der in Österreich lebt und spielt – hatten wir das nicht schon mal vor rund 200 Jahren? Damals bei Ludwig war es aber Wien und nicht das beschaulichere Linz von Simon. Wie dem auch sei, Johns bombastische Ankündigung des besonderen Gastes („einer der besten Gitarristen von Deutschland“) ließ auf Großes hoffen und niemand wurde enttäuscht. „Fernweh“ hieß der Titel von Simons Einstieg in sein Programm. Simon kombiniert höchst virtuos Percussion-Elemente die er mit seinen Händen auf dem Gitarrenkorpus hervorzaubert mit zum Teil gleichzeitig gespielter nicht minder virtuoser Saitenbearbeitung und kombiniert beides zu einem komplexen musikalischen Gebilde – grandios. Sein Können demonstrierte er hernach mit der Vorstellung seiner „Band“ bei der er nacheinander Bassist, Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger alles in einer Person auf seiner Gitarre in „Blue Moon“ einsteigen lässt – beeindruckend und berückend schön. Simons Interpretation von Django Reinhardts „Minor Swing“ hätte der Altmeister nicht besser spielen können – in höchstem Maße virtuos, präzise und transparent spielte Simon die rasanten Läufe und Verzierungen. Mit „Sangria“, einer Eigenkomposition von Simon ging es in die Pause, nach der Jutta Mensing das Publikum zum Kanon „Es tönen die Lieder, der Frühling kommt wieder“ passend zur Jahreszeit animierte.
Aus Paolo Pacificos Heimat, dem italienischen Veneto, stammt das gefühlvolle Lied „La Montanara“, das Paolo zusammen mit Steve Perry in italienischer Sprache vortrug. Ganz besonders schön fand euer Chronist die einfühlsame Solopartie von Paolo mit Steves Mandolinenbegleitung am Ende des Liedes.
Chris Biederwolf, der zuvor schon mit seinen Erdkundeunterrichtsliedern geglänzt hatte, durfte nun noch mal als Teil der „Kanuten“ ran. Die Kanuten sind neben Chris unsere treuen Gefolgsleute Gerd Schinkel, GW Spiller und Wolfgang Kassel. Die Kanuten hatten diesmal  auch einen Ruderer in ihren Reihen, der laut Gerd Schinkel immer rückwärts fahren will. Aber das wollen wir hier nicht vertiefen. Gerd verriet auch nicht, wer der Ruderer ist.
Musikalisch gab es von Gerd mit deutschen Texten versehene bekannte Lieder. Aus „Across the Borderline“ von John Hiatt und Ry Cooder wurde „Jenseits der Grenze“. Das Lied besingt das alte Thema vom Gras jenseits des Zauns, das viel verlockender erscheint. Die vier gaben dem eindringlichen Lied mit Gerds wunderbar klarer und intonationssicherer Stimme und der Kombination aus zwei Gitarren, Bass, Mandoline und Mundharmonika eine besondere Note, die zu Herzen ging. „Die Route“ basiert auf dem Lied von Graeme Allwright „La Ligne Holworth“. Es handelt eingangs von einem Schiffskapitän, der sein Geld mit Gefangenentransporten nach Australien verdiente. Gerd wandelt den Text des Liedes im zweiten Teil in eine Anklage gegen die Festung Europa um. Über die Nöte und Beklemmungen von Musikern auf Tournee mit eher mäßigem Erfolg handelt das Lied „Tournee“. Das Original „The Road“ stammt von Danny O’Keefe. Das traurige Lied haben die drei wunderbar schwebend mit leicht melancholischem Unterton instrumentiert. Gerds deutscher Text gibt die Stimmung sehr eindringlich wieder – toller Applaus für die Vier!
La Eostig (Die Nachtigall) nennt sich das Trio bestehend aus Ute (Gesang und Flöten), Genia (Akkordeon, Gitarre) und Nicola (Gitarre und Gesang). „Eostig“ kommt aus dem Bretonischen, und an bretonischen Klangvorbildern orientiert sich ihre Musik.  Den Anfang macht eine von Marianne Blau komponierte instrumentale Mazurka im ruhigen Dreivierteltakt – zum Entspannen, wie Ute ankündigte. Ein Lied mit Gesang war „Le beau rosier“ (Der schöne Rosenstrauch). „Le journal de Midrao“, ein flottes Tanzlied, stammt sogar aus der Bretagne und handelt von der bretonischen Natur. In der letzten Zeile gib es den Rat, nicht alles aufzuessen, bevor der Winter kommt – sehr guter Ratschlag. Die Drei sind mit ihrer keltischen Musik ein echter Edelstein im Folk Club Kaleidoskop – Chapeau!
Der Engländer Chris Knighton arbeitet in Bonn als Klavierlehrer. „I’m Going on a Journey“ ist der Titel seiner Eigenkomposition. Er sang das Lied, das von der Reise des Lebens handelt, natürlich zur Klavierbegleitung.
Zum Schluss des Abends verzauberte uns Simon Wahl erneut mit seinen Gitarrenstücken. „Auf geht’s“ ist eine von Simons Eigenkompositionen, die wir an diesem Ort schon einmal hören durften, die sich aber immer wieder überraschend, frisch und neu zeigt. Aus Simons klassischem Repertoire ist das wunderbar zarte und transparente Stück „Koyumbaba“ des italienischen Komponisten Carlo Dominiconi. Das Publikum und insbesondere die Gitarristengemeinde saß andächtig und mucksmäuschenstill da, und alle saugten Simons Virtuosität auf – grandios. John hatte bei der Einleitung zu Simons Auftritt nicht zu viel versprochen. In seiner Bachelor-Arbeit zum Abschluss seines Gitarrenstudiums im österreichischen Linz hatte sich Simon mit verschiedenen Gitarren-Techniken beschäftigt. Den Bum-Chick-Stil von Chet Atkins demonstrierte er am Beispiel von „Windy and Warm“. Tommy Emmanuels Komposition „Luttrell“ ist eine Reverenz an Atkins’ Geburtsstadt in Tennessee – wenn man ein Nest mit etwa 1.000 Einwohnern Stadt nennen darf. Tommy Emmanuels Kompositionen sind schon eine Herausforderung für jeden Gitarristen, aber Simon spielte das Stück in erhöhtem Tempo. Natürlich bekam das Publikum auch eine Zugabe. „A Language Called Music“ ist eine von Simons Eigenkompositionen mit zahlreichen Percussionselementen und verwobener Melodieführung. Es blieb nicht bei der einen Zugabe. Eminems Rap „Hip Hop“ interpretierte Simon unter anderem mit einer irren Mischung aus Perkussionsgeräuschen, die mit der rechten Hand erzeugt wurden bei Melodieführung mit der linken, der Greifhand – ein furioses Gitarrenfeuerwerk zum Abschluss. Der Dank war ein Riesenapplaus zum Abschied.
Der Abend ging natürlich nicht ohne den traditionellen Rausschmeißer „Jock Stewart“ zu Ende.
Auf Wiedersehen im Folk Club am 1. Mai mit den beiden Kanadiern Bill Perry, dem Bruder unseres Cheforganisators Steve Perry und Don Alder, einem weiteren begnadeten Fingerstyle Gitarristen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen