Dienstag, 27. Juni 2017

Detlefs Bericht über den Folk Club Nr. 81 im Juni 2017


Folk Club Nummer 81 im Juni 2017 – Am Wasser gebaut

Die Themen, die das Organisationsteam des Folk Clubs jedem Abend auf den Weg gibt, sind mehr als Inspiration denn als Befehl gedacht. „Seen und Meere“ ist aber auch ein Thema, das in vielfältiger Weise in Liedern aufgegriffen wird. Es gab also genug Material für unsere Barden.
Eine echte Herausforderung für das Organisationsteam war aber, dass gleich zwei angekündigte „Featured Artists“ u.a. krankheitsbedingt abgesagt hatten und nun mit „Bordmitteln“ ein abendfüllendes Programm zusammengestellt werden musste. Euer Chronist kann euch versichern, es ist mehr als gelungen. Es erfüllt uns zudem mit großer Freude (und auch etwas mit Stolz), dass der Folk Club inzwischen so viele musikalische Mitstreiter mit wunderbaren Qualitäten hat und zudem meist einige Interessenten in der Warteschleife lauern, dass ein solcher Ausfall abgefedert werden kann und trotzdem ein schöner Abend gespickt mit musikalischen Edelsteinen zustande kommt.
Nun, los ging’s wie immer mit John Harrisons Urschrei und anschließend einem zünftigen Blues, der auch richtig gut zum Thema passte. Zu Jesse Fulles „San Francisco Bay Blues“ setzte John diesmal auch ein Kazoo ein, mit dem er ein formidables Solo hinlegte. Dem schrecklichen Attentat im Stadion von Manchester am 22. Mai 2017, bei dem so viele ahnungslose Jugendliche umgekommen waren, widmete er ein leidenschaftliches Gedicht gegen Fanatismus, der über Leichen geht, um seine fragwürdigen Ziele zu erreichen. Nicht minder düster war sein selbst verfasstes Lied „Flan“ über seinen Jugendfreund, der mit 15 Jahren erhängt aufgefunden worden war, und dessen Todesumstände nie aufgeklärt wurden. Der Junge war zu schnell erwachsen geworden und hatte eventuell auch Feinde. Es wird immer ein Geheimnis bleiben. Ziemlich doppeldeutig ist der Text des Blues „Candyman“ von Reverend Gary Davis. Mit der Bezeichnung kann ein Drogendealer gemeint sein, und der Sänger wünscht, ihn zu finden, weil er einen Trip braucht.
Paolo Pacifico, die musikalische Allzweckwaffe des Folk Club, hatte diesmal seinen Freund Charley Deanesi mitgebracht. Die Beiden treten zusammen als  Duo „Dos Equis“ auf. Gleich bei den ersten Tönen war der Saal gefangen von der professionellen Musik in bester Blues-Tradition. „Long Way Home“ ist eine Eigenkomposition der beiden und gibt Paolo und Charley Gelegenheit, ihre famose Beherrschung von Instrumenten und Stimmen zu zeigen. Eine kleine Anleihe bei Folkgrößen darf nicht fehlen, und so präsentieren Dos Equis ihre Version von „Big Yellow Taxi“ von Joni Mitchell. Zwei weitere Bluesstücke aus eigener Feder („That’s the Very Last Time“ und „Rainy Day Cross the Blues“) rundeten das kleine Programm ab – Großer Applaus vom Publikum. Die Beiden mussten nach ihrem Auftritt rasch weiter, um in der Godesberger Musikkneipe ELPIs CoWiCo aufzutreten. Vielen Dank an Dos Equis für ihren Einsatz und Dank auch an Lothar Prünte alias ELPI, den Wirt des CoWiCo, dass er den beiden einen Auftritt im Folk Club ermöglicht hatte. Lothar hatte auf seiner Website mitgeteilt, dass er die Zeit bis zum Erscheinen von Paolo und Charley mit eigener Musik überbrücken wolle.
Passend zum Thema des Abends hatte unser Bönnsch Plaat-Spezialist Gert Müller die Geschichte aus dem Neuen Testament gewählt, in der beschrieben wird, wie Jesus über das Wasser des Sees Genezareth wandelt und sich die Jünger fürchten. Bei der nicht ganz ernst gemeinte Gedichtversion der biblischen Geschichte seines Freundes Ferdinand Böhm konnte Gert wunderbar zeigen, dass er noch ein echter Muttersprachler ist. Die Geschichte in Böhms Version geht etwas anders aus, als wir sie aus drei Evangelien (Matthäus, Markus und Johannes) kennen. Gert bekam zum Applaus für seine herrliche Gedichtrezitation noch einen Extrabeifall für seinen achtzigsten Geburtstag, den er just an dem Tage begehen durfte.
Dass Alter kein Grund für das Stillsitzen ist bewies auch unser unermüdlicher Günter Peters, der einen kleinen Impro-Chor zusammengestellt hatte. Zu Günters Begeleitung am Klavier brachte der Chor Günters Verse zu Beethovens Chormusik zur Ode an die Freude zu Gehör – herrlich!
Der Chor ging, Günter blieb und hinzu gesellte sich Bob Marabito, der gern aus dem Fundus der amerikanischen Jazzstandards schöpft. „Can’t Give You Anything But Love“ von Jimmy McHugh und Dorothy Fields ist so ein Klassiker, bei dem Günter und Bob so richtig ihren Spaß hatten – das Publikum natürlich auch.
Melanie und Matthew waren zwei neue Gesichter im Folk Club und sogleich eine echte Entdeckung. Begleitet mit Ukulele (Melanie) und Gitarre (Matthew) sangen und spielten sie Jack Johnsons Lied „Only the Ocean in You“ – passend zum Thema. Melanies bezaubernde Stimme wurde wunderbar von Matthew begleitet, und Matthew stieg gefühlvoll bei den zweistimmigen Passagen ein. Schade, dass es nur ein Stück von den beiden zu hören gab. Vielleicht gibt es ja von Melanie und Matthew bei zukünftigen Folk Club-Abenden noch weitere Kostproben.
Einen kleinen Beitrag aus ihrer norddeutschen Heimat steuerte Jutta Mensing mit dem deftigen Lied vom „Saalhund“ bei. Damit war nicht der süße Hund gemeint, der der Musik des Abends still und andächtig lauschte (siehe Sabines Bilder). Es ging um die Seehunde, die den Nordseefischern den Fang streitig machten und daher bekämpft wurden. „Hal mi den Saalhund ut´n Stranne to Lanne! He hett mi all de Fisch upfräten, hett mi´t ganze Nett terräten. Hal mi den Saalhund ut´n Stranne to Lanne!“ lautet die erste Strophe. Ja, mit heutiger politischer Korrektheit hatten die alten Fischer noch nix am Hut. Wenn der „Saalhund“ datt ganze Nett terräten hett, dann war er dran.
Gedichte waren an diesem Abend sehr stark vertreten. Peter Deteren, auch ein Mitglied der Goove & Grufties-Truppe, die mit großem Erfolg seit Jahren die Rock ’n’ Rollator Show aufführt, trug sein Gedicht über die Liebesträume eines Klosterschülers vor – wunderbar!
Zurück zur Musik brachte uns Mario Dompke mit seinem Bärenlied. Das hatte zwar vordergründig nichts mit Seen und Meeren zu tun, aber da die Bären gern fischen, gibt es dennoch eine Verbindung zum Thema. Außerdem leben die beschriebenen Bären in Kanada, und um dahin zu kommen, muss man über den Ozean, so Mario augenzwinkernd. Nun das Lied beschreibt die Widersprüchlichkeiten, denn die bösen Bären, die die Mülltonnen leeren, müssen weg, aber gleichzeitig müssen Hunde her. Mit dem Lied „Wenn ich denn gestorben bin“ stellt Mario witzige und nachdenkliche Überlegungen über den Weg ins Jenseits an: „Freunde hört, der Tod ist nahe, denn kurz ist nur das Leben“ – phantasievoll und musikalisch wunderbar umgesetzt. Damit das Publikum auch merkt, dass es nicht zum Vergnügen da ist, steuerte Mario das Lied „Sam Stone“ von Jon Prine bei, das eindrücklich und bedrückend das Schicksal von Vietnam-Kriegsveteranen schildert. Die Männer waren vielfach traumatisiert, konnten sich nach ihrer Rückkehr nicht mehr im Alltag zurechtfinden und waren oftmals drogenabhängig. Mario wählte einen Text in deutscher Sprache, denn John Hurd, der später auftrat, hatte sich zufällig dasselbe Lied ausgesucht. So bekam das Publikum das Lied zweimal in unterschiedlicher Sprachfassung zu hören – großer Applaus für Mario.
Steve Perry und John Harrison wandten sich nach der Pause noch einmal dem Thema „Manchester“ zu. In dem von beiden abwechselnd vorgetragenen Gedicht ging es um das Selbstverständnis der so stolzen Stadt, die viel geleistet und viel zu bieten hat und deren Bewohner sich nicht unterkriegen lassen wollen und sollen – eine wunderbare Hommage an eine weltoffene und standhafte Stadt. Das Gedicht trägt den Titel „This is the Place“ und stammt von dem aus Manchester stammenden Dichter Tony Walsh alias Longfella. Das Gedicht hatte Walsh bereits 2013 verfasst und nun bei einer vielbeachteten Gedenkfeier am 23. Mai 2017 auf dem Albert-Platz in Manchester passend zu den schrecklichen Ereignissen am Vortage vorgetragen.
Eher aus der Kategorie „heitere Muse“ waren die Beiträge von Regine Perry-Mertens und Steve Perry. Mit  „Ein Schiff wird kommen“, das in Deutschland in der Interpretation von Lale Andersen in Riesenhit war (nur nannte man es damals nicht so) trafen sie das Thema auf die Zwölf, und das Publikum hatte eine wunderbare Gelegenheit zum Mitsingen. Natürlich kamen auch zwei von Steves geliebten Country-Songs an die Reihe: Ian Tysons „50 Years Ago“ ist ein echter Klassiker. Auch hier bekam das Publikum Gelegenheit, Regine und Steve beim Refrain zu unterstützen:

„And the sighing of the pines
Up here near the timberline
Makes me wish I'd done things different
Oh, but wishing don't make it so
Oh the time has passed so quick
The years all run together now
Did I hold Juanita yesterday“
 
Die Beiden setzten mit „Navajo Rug“, ebenfalls von Tyson, noch einen drauf. Kitsch pur, aber herrlich.
John Hurd, der Berichterstatter-Kollege vom englischsprachigen Musikportal 3SongsBonn wagt sich nicht allzu oft selbst auf die Bühne, hatte aber diesmal sogar drei Lieder mitgebracht. „Still in Love With You“ von Phil Lynott (Thin Lizzy) ist schon ein dicker Brocken, aber John meisterte das anspruchsvolle Stück mit wunderbarer Stimmbeherrschung und klarer, akzentuierter Gitarrenbegleitung. Auf Bongos begleitet von seinem Arbeitskollegen Juan Isaza, wagte er sich an einen weiteren Klassiker: „Tower of Song“ von Leonhard Cohen kam herrlich sonor rüber, nur bei der Zeile „I was born with a golden voice“ musste euer Chronist doch etwas schmunzeln, immerhin, auch der Sänger selbst konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Zu guter Letzt kam nochmals das traurige Lied „Sam Stone“ zur Aufführung. John Hurd holte sich dabei die zusätzliche Unterstützung von John Harrison (Mundharmonika) und Mario Dompke (Banjo). Die Vier (John Hu, Juan, John Ha und Mario) gaben dem Lied den vollen instrumentalen Begleit-Sound, so dass es einen ganz anderen Charakter bekam als zuvor allein von Mario gespielt und gesungen – dickes Lob und viel Applaus für John Hurd und natürlich auch die Begleit-Crew.
Ein inzwischen treuer Gefolgsmann des Folk Club ist Hermann-Josef Wolf alias „Fliege“ aus Köln. Fliege merkt man an, dass die Musik sein Leben bestimmt, und dass seine Intensität die Zuhörer mitreißt. Rein instrumental war Flieges bretonischer Tanz, den er mit seiner Ziehharmonika spielte. Viel Freude bereitete er mit „Ruby Tuesday“, in der Version von Melanie, das er als sein Lieblingslied bezeichnete. Das Publikum stimmte ein, und zusammen ergab es einen wunderbare Band. Herzlichen Dank an Fliege für seinen Beitrag zu diesem Abend.
Als letzte Gruppe erschienen Junodori alias Judith Nordbrock und Sergii Chernenko. Ja, was soll man sagen, eurem Berichterstatter blieb schlicht die Spucke weg. Tolle, von Judith selbstgeschriebene und komponierte jazzige Lieder, Judiths virtuoses Klavierspiel (auf unserem leider nicht perfekt gestimmten Klavier, seufz!), Judiths volle, geschmeidige und groovige Jazzstimme und dazu ein Sergii, dem man das Tenorsaxophon offenbar in die Wiege gelegt hatte. Die Beiden spielten perfekt aufeinander abgestimmt, Sergii fügte sich mit seinem Instrument organisch in Judiths Gesang und brilliert dann in seinen Solopassagen mit atemberaubenden Tonfolgen und beeindruckender Technik. Ja, und die Stücke? „Du machst mich krank!“ von Judith kommt ganz langsam daher und beschreibt dann ganz eindringlich, dass die Frau sich fürchterlich ärgert, wenn ihr Geliebter nicht auf ihre Anrufe antwortet – hat das nicht schon mancher erlebt? „My Man’s an Undertaker“ ist nicht aus eigener Feder sondern von Leroy Kirkland. Bekannt ist die Version mit der legendären Dinah Washington, doch Judith kann es mit ihr stimmlich locker aufnehmen. Beim wunderbar melancholischen Stück aus eigener Produktion „Up to You“ begleitete Sergii mit der Querflöte, die er ebenso perfekt beherrscht wie das Saxophon – ein Genuss. „I Won’t Wait“ stammt ebenfalls von Judith. Auch hier brilliert Sergii und entlockt seinem Saxophon schlagzeugartige Perkussions-Elemente – genial. Der Applaus kam entsprechend mit Donnerhall, und die Beiden wurden nicht ohne eine Zugabe entlassen. „No Mistakes on the Dancefloor“ war dann die Belohnung für die Bettelei des Publikums – erneut ein Kracher. Ein Besuch der Konzerte von Junodori kann man wirklich empfehlen. Leider sind sie in der nächsten Zeit eher weiter weg tätig. Hier in der Gegend weist ihr Auftrittskalender erst im Oktober wieder Konzerte in Leverkusen auf. Vielleicht haben die beiden ja einmal wieder Lust auf ein kleines Gastspiel im Folk Club.
Nun, gut abgefüllt mit den obligatorischen Glückshormonen konnte sich das Publikum wieder auf den Heimweg machen, aber nicht ohne zuvor noch den traditionellen Rausschmeißer, den ollen Schotten Jock Stewart, besungen zu haben.
Auf Wiedersehen bei der 82. Ausgabe des Folk Club Bonn am 7. Juli 2017, diesmal ausnahmsweise im Club Galicia de Bonn e.V., Südstraße 124, Bonn-Bad Godesberg (Friesdorf). Euer Organisationsteam empfiehlt all denen, die einen Sitzplatz ergattern wollen, sehr zeitig zu kommen. Der Club Galicia macht bereits um 17.00 Uhr auf. Meist ist es kurz danach rappelvoll, denn die Küche des Clubs ist ausgesprochen beliebt.
Das Thema des Folk Club-Abends im Juli lautet „Kreis- und Additionslieder“.
Für alle, die sich fragen, was damit gemeint sei, folgende Erklärung: Bei Kreisliedern kehrt der Text am Ende wieder zum Anfang zurück. Ein bekanntes Lied dieser Art ist „Ein Loch ist im Eimer“.
Additionslieder zeichnen sich dadurch aus, dass jede Strophe das Vorige wiederholt und um ein weiteres Element ergänzt wird. Ein schönes Beispiel hierfür ist das italienische Lied „Come si pianta la bella polenta“, mit dem die Entstehung der beliebten Polenta aus dem Mais beschrieben wird, der gesät wird, der wächst, der geerntet, geschrotet, gekocht und gegessen wird und der zuletzt auch noch gut schmeckt. Die letzte Strophe ist naturgemäß meist ein wenig lang. Kinder lieben solche Lieder, aber vielleicht auch Erwachsene. Spaß kennt kein Alter.

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