Mittwoch, 1. Dezember 2021

Detlefs Bericht vom Folk Club im November 2021

Folk Club Bonn im November 2021 – endlich wieder an alter Stelle

Folk Club wieder im Saal bei Dotty’s vermittelt fast das Gefühl, es sei alles wieder beim Alten. Aber das Gefühl trügt, der Saal ist nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Immerhin, ein Anfang ist gemacht und die Hoffnung … Oje, zu dem etwas verspäteten Zeitpunkt, zu dem euer Hofberichterstatter dies schreibt, sieht die Konzertwelt schon wieder wesentlich düsterer aus.

Aber mit welcher Nummer müssen wir die Ausgabe vom 5. November 2021 versehen? John Harrison, der unermüdliche Verfechter der Kontinuität, gibt ihr die Nummer 119 und schließt dabei auch die, nun ja, nicht ganz rassereinen Veranstaltungen ein, die seit dem letzten „richtigen“ Folk Club im März 2020 stattgefunden haben. Wenn der Meister das so bestimmt, wollen wir nicht meckern.

Der Abend war aber aller Ehren wert. Dabei muss man im Hinterkopf haben, dass an eine ordentliche Planung von Auftritten nicht zu denken war, da im Vorfeld niemand überblicken konnte, was im November möglich oder nicht möglich sein würde. Eine Veranstaltung im Freien, wie noch im Oktober, konnte jedenfalls nicht ins Auge gefasst werden.

Wie üblich eröffnete John Harrison den Abend, aber nicht allein – Allzweckwaffe und Virtuosin an der Geige Eva Henneken und er starteten mit einem schwungvollen Instrumental, einem (oder heißt es einer?) Celtic Air. Wegen der Corona-Problematik sollte der Abend ohnehin im Zeichen von Instrumentalstücken stehen. Davon wichen die beiden aber beim folgenden Stück ab, das vom tragischen Tod von Johns damals fünfzehn Jahre alten Freund Flan handelte. Eva konnte ihre Virtuosität beim folgenden Ragtime von Blind Blake ausleben, bevor John euren Chronisten auf die Bühne zerrte, damit er die Geschichte von Albert McTavish und seinem Kühlschrank – Ihr wisst schon, die Sache geht übel aus, der Mann bringt das falsche Gerät nach Hause und wird dafür von seiner Frau, einem Riesenweib, schlicht und ergreifend im Meer ersäuft – dem Publikum vorstellt. Die Aufgabe war, die Geschichte etwas weniger ausufernd als von John üblicherweise erzählt, aber dennoch vollständig und anschaulich darzustellen. Im Ergebnis hat euer Chronist vermutlich kaum Zeit eingespart. Die erzählte Geschichte ist nur das – für die Stammgäste gut bekannte – Intro zu einem nachfolgenden Instrumental, das als Duo noch mehr Feuer hat als allein auf der Gitarre gespielt.

Auch Mario Dompke hatte einige Instrumentalstücke im Gepäck, zwei davon komponiert von Jens Komnick. Zu „Ann Kathrins Walzer“ gab Mario noch eine kuriose Geschichte zum Besten: Der Komponist und Gitarrenvirtuose hatte in einer Konzertpause in einem Ostfriesenkrimi eine Passage gelesen, in der sich die Kommissarin namens Ann Kathrin beim Warten im Auto eine CD von Jens Komnick angehört habe. Besagter Jens Komnick war darüber so erfreut, dass er gleich ein Stück zu Ehren der Krimi-Kommissarin komponierte, das Mario mit Bravour präsentierte. Nicht minder virtuos geriet die Vorstellung der Instrumentalversion von „Gabriellas Sång“ (ja, so schreibt sich das auf Schwedisch!) aus dem Film „Wie im Himmel“. Die bezaubernde Bearbeitung für Gitarre stammt auch von Jens Komnick. Ebenso wie die beiden vorigen Stücke spielte Mario noch eine „kleine irische Fingerübung“ (Old Dan Tucker) auf der Gitarre mit DADGAD-Stimmung. Für den „Katz Rag“ von Stefan Grossmann griff er zum „normal“ gestimmten (EADGHE – was ist schon normal?) Instrument – ein wahrer Hörgenuss.

Hans Ihnen blieb beim gesungenen Lied und stellte uns ein Lied vor, das zur allgemeinen Befindlichkeit passte: „One Horse Town“, ein Lied über die Stimmung in einem na, ja, verschnarchten Kaff, in dem es wenig bis kaum Perspektive für irgendetwas gibt. Mit schöner Gitarrenbegleitung und seiner ausdruckvollen Stimme gab Hans dem Lied den passenden Rahmen. Nach „St. Francisco Bay Blues“ von Jesse Fuller hätten wir gern noch mehr von Hans‘ Musik gehört, aber leider hatte er nur die beiden Lieder dabei – Lieber Hans, es gibt hoffentlich noch weitere Folk-Club-Abende.

Harfe und Geige bilden einen durchaus aparten Duoklang und das ganz besonders, wenn zwei wirkliche Könner wie Uwe Jendricke und Eva Henneken am Werke sind. Ihre Stücke werden insbesondere bei Tanzabenden gespielt, die als Bal Folk bezeichnet werden und eher im westeuropäischen Raum angesiedelt sind. Den Beginn machten sie mit dem gemütlichen schwedischen Stück „Claras og Fredriks Bröllops Vals“, also dem Hochzeitswalzer für Clara und Fredrik. Schon schwungvoller kam danach ein Schottisch oder Rheinländer bezeichneter Tanz mit dem Titel „Le Canal en Octobre“ daher. „Roter Himmel, blaue Wolken“ war der Titel einer bezaubernden Gavotte von Christoph Pampuch. Aus der Bretagne stammt das Lied „Tri Martolod“, ein Lied über eigentlich drei Seeleute, aber es geht auch um einen der drei, der sich beim Proviantkauf auf dem Markt in ein Marktmädchen verliebt. Eva singt das Lied in bretonischer Sprache im Wechsel mit Strophen, zu der sie die Melodie auf der Geige spielt – zusammen mit Uwes virtuosem Harfenspiel ist das Lied umwerfend schön.

Passend zur Jahreszeit hatte John Hurd Tom Waits‘ Lied „Last Leaf On The Tree” mitgebracht und mit viel Gefühl gesungen und gespielt. Aus seiner eigenen Feder stammt das kleine Lied „Easter Shunshine“, das John für seine Mutter vor vielen Jahren geschrieben hatte. Anders als der Titel vermuten lässt, geht es auch hier um eher traurige Gedanken. Aber bekanntlich sind gerade die traurigen Lieder die schönsten – danke John!

Als kleines Andenken an unseren vor über drei Jahren verstorbenen Freund Dieter Faring, der im Folk Club als begnadeter Gedichterezitator auftrat, trug John Harrison das schöne Gedicht von Rainer Maria Rilke „Herbsttag“ vor, das ich hier gern einmal wiedergeben möchte:

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren lass die Winde los.

 

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin, und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.

 

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

John hatte aber auch ein eigenes Gedicht zum Thema Herbst im Gepäck, das die graue Jahreszeit doch mit einem Schuss Farbe und Vertrauen in die Zukunft beschreibt:

Autumn Colours

 

Crisp golden coins

Tingle in the till

Swathes of auburn

Burn yonder hill

 

Bare scorched earth

No body

No wonder

No worth

 

Dust and ashes

Re-impregnate

Juvenile God’s

Earth

Nach so viel Erdenschwere und auch traurigen Gedanken kamen die beiden nächsten Musiker mit ihren Gitarren gerade recht. Thomas Monnerjahn traf vor etlichen Jahren als Begleitmusiker in Ana Maria Leistikows Band Astatine auf den Folk Club – er ist dem Folk Club treu geblieben und begeistert immer wieder mit seiner Virtuosität. John Harrison hatte ihn zwei Tage zuvor angerufen und gebeten, im Folk Club aufztreten – und Thomas hatte zugesagt. Das nennt man Selbstvertrauen! Diesmal griff er in die eher klassische Kiste: Rodrigo Rieras „Praeludio Criollo“ ist allerdings nicht etwas für so nebenbei – aber Thomas hat es sozusagen im Repertoire – fantastisch. Auch Bachs Präludium in d moll rief Begeisterung hervor. Warum Thomas es nach eigenem Bekunden möglichst vermeidet, in der Öffentlichkeit Bach zu spielen, begreifen wir nach diesem Vortrag nicht. Zum Abschluss seines Soloauftritts gönnte uns Thomas noch ein weiteres kleines Bachsches Präludium – ein Genuss. Was bekommen wir denn zu hören, wenn Thomas sich, wie angekündigt besser vorbereitet?

Als kleine Steigerung gesellte sich zum einen Virtuosen mit Werner Krotz-Vogel der nächste. Kleine Anmerkung: Die beiden haben sich im Folk Club kennengelernt und bilden nun ein geniales Gespann. Jetzt ging’s ab in die Jazz- und Lateinamerikaecke: „Bossa Dorado“, der Gypsy-Swing-Standard von Dorado Schmitt war genau das richtige für die Beiden, denen es offenbar vom Start weg einerlei war, wer nun die „Begleitung“ und wer das „Solo“ spielen sollte, sie wechselten sich einfach ab – und wie. Es war ein Feuerwerk der Spielfreude. „Black Orpheus“ von Luiz Bonfá and Antonio Maria aus dem gleichnamigen Film braucht in der Interpretation der beiden keinen Vergleich mit namhaften Künstlern zu scheuen. Wer heute nicht gekommen war, hatte etwas verpasst! Leider endete auch diese Session.

Werner versöhnte uns danach aber mit einem Soloauftritt und stellte uns das Stück „Become One“ von seiner neuen CD „Soul Kiss“ vor. Da er keine elektronische Unterstützung benutzen durfte, mit der er ansonsten die zweite Gitarre eingespielt hätte, packte er mal eben zwei Gitarren in sein Solospiel – so einfach ist das für einen Profi. Wir fragen uns: Wenn das so geht, und es geht fantastisch, was soll das ganze Gerummel mit der Elektronik dann? Die Zuhörer waren gebannt und genossen Werners wunderbare Komposition in der Unmittelbarkeit des rein akustischen Spiels. Einer ging noch zum Schluss: „Hot Chocolate“, ein Ragtime von Malvin Franklin und Arthur Lange von 1908 in einer Version für Gitarre, die ebenfalls auf Werners CD „Soul Kiss“ zu hören ist – Leute, die müsst ihr kaufen. Nun ja, ein bisschen Werbung für unsere Barden müssen wir schon machen.

Damit war der Abend natürlich nicht ganz zu Ende, denn dem ollen Schotten Jock Stewart musste noch – nicht ganz Corona-konform – mittels Gemeindegesang gehuldigt werden.

Wir hoffen auf ein Wiedersehen am 3. Dezember mit unserem treuen Gefolgsmann Simon Kempston aus Edinburgh.

 

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