Folk Club im Mai 2025 – Hail, Hail The First Of May!
„Vorstellungsvermögen” lautete das Motto des Folk Clubs Nummer 157 am 2. Mai 2025. Welch ein Thema! Dazu passt eigentlich jeder Beitrag, denn die Autoren der Lieder und Gedichte brauchen viel von diesem Vermögen, um ihre Werke zu ersinnen. Zudem verlangen viele der Texte den Zuhörern einiges an Fantasie ab, um das Gemeinte nachzuvollziehen. Ganz augenscheinlich (auch dieses Wort sollten wir einmal unter die Lupe nehmen) ist das Vorstellungsvermögen das größte Vermögen, das Menschen haben können. Kein Wunder, dass bei unserem Häuptling John Harrison dieses schöne deutsche Wort ganz oben in der Beliebtheitsskala angesiedelt ist. Im Vergleich zu den englischen Entsprechungen stammen die deutschen Begriffe des Bereichs der sinnlichen Wahrnehmung aus unserem althergebrachten, unmittelbar nachvollziehbaren Wortschatz, während sich die englische Sprache in diesem Bereich fast ausschließlich auf Wörter lateinischen bzw. französischen Ursprungs stützt. Leider neigt die schreibende Zunft mehr und mehr dazu, die meist bildhaften deutschen Wörter durch Anglizismen zu ersetzen, die zwar modisch klingen, gegenüber dem deutschsprachigen Leser die Natur des Beschriebenen aber eher verschleiern.
Jetzt aber genug von altväterlichen Sprachbetrachtungen und hinein ins pralle Leben. Nicht allzu viel Vorstellungsvermögen war gefordert bei John Harrisons Einstieg in den Abend. Wie beinahe jedes Jahr im Mai-Folk-Club startete er mit der a cappella gesungenen Lobpreisung des Wonnemonats: „Hail, Hail, The First Of May“ lautet der Titel des Liedes, das wie ein altmodisches Volkslied daherkommt, aber tatsächlich eine Komposition des zeitgenössischen englischen Folkmusikers Dave Webber ist. Der Musiker soll einst sehr erstaunt gewesen sein, als man ihm beim Maiansingen in Padstow vorwarf, mit dem Mailied das traditionelle Padstow-Lied zu spielen. Dave musste die versammelte Truppe erst über den wahren Ursprung des Liedes aufklären. Aber eigentlich war dieser Vorfall für Dave der Ritterschlag.
Gut zum Thema passte Johns immer wieder leicht verändertes Lied „Albert McTavish’s Brand New Frigidaire“. John erzählt dabei die Geschichte eines Mannes, der allein mit seiner Frau auf einer einsamen Insel im Norden Schottlands wohnt. Eines Tages soll er einen Kühlschrank beschaffen, weil die Frau auch im Sommer gern Aal in Aspik essen möchte, für den Kühlung erforderlich ist. Als er das Gerät mit Mühen aus Edinburgh herbeigeschafft hat, stellt sich heraus, dass er statt des elektrischen einen mit Gasbetrieb erworben hatte. Die handwerklich begabte und sehr kräftige Frau hatte nämlich inzwischen ein Windkraftwerk gebaut. Die Geschichte geht anschließend tragisch aus. Albert und der Kühlschrank ruhen seither auf dem Grunde des Meeres. Die anschließende musikalische Variante des Stückes ist rein instrumental, und man darf sich die Geschichte bei der Musik noch einmal am geistigen Auge vorbeiziehen lassen.
Tatsächlich aus alter Zeit, nämlich aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, stammt das Lied „Hard Times Come Again No More” von Stephen Collins Foster. Der als Vater der amerikanischen Musik bekannte Komponist (u.a. „Oh! Susanna“, „Swanee River“), erinnert darin die Wohlhabenden, sich der Notlage der weniger Glücklichen anzunehmen. An das Vorstellungsvermögen der Zuhörer wendet sich das schöne Lied über die Beerenpflücker im schottischen Blairgowrie „The Berry Fields Of Blair“. Das Lied von Belle Stewart aus dem Jahr 1947 beschreibt das sommerliche Beerenpflücken in der genannten Gegend in vergangenen Zeiten. Arbeiter aus den Industriegegenden verdienten sich dort etwas Zubrot in den damals unbezahlten Betriebsferien und haben dabei neben der Arbeit auch einigen Spaß.
John machte sich danach zusammen mit Holger Riedel einen musikalischen Spaß. Holger, der immer gut ist für etwas schräge Auftritte, hatte Jimi Hendrix‘ Lied „Hey Joe“ leicht abgewandelt zu „Hey John“ („what are you doing with your thing in your hand“). Zu Holgers etwas abenteuerlicher Klaviermusik und holzschnittartigem Gesang improvisierte John recht gekonnt die Hendrixschen Gitarrenriffs, so dass das Gesamtwerk einen durchaus ansehnlichen Gesamteindruck bekam und in jedem Fall einen netten Jux darstellte – Der Applaus dokumentierte, dass es dem Publikum gefallen hatte
Ganz seriös bediente danach Hans Ihnen das Thema des Abends mit Ozzy Osbornes „Dreamer“ und dem unsterblichen „Über sieben Brücken musst Du gehen“ von Karat – beides sehr schön am Klavier gespielt und gesungen und mit herzlichem Applaus bedacht.
Wolfgang Schriefer, der mittlerweile zum Hauspoeten des Folk Clubs avanciert ist, hatte ein Stück nachgeholt, das eigentlich für den Folk Club im April bestimmt war. Wolfgang konnte vorigen Monat nicht kommen. Wir erinnern uns: es ging um Frauennamen. Wolfgang hatte hierzu eine Hymne auf seine Frau Brigitte gedichtet und sich für die Musik diverse Melodien geklaut. „Viele Frauen, viele Namen“ lautete der Titel und auf die Schnelle identifizierte ich als Melodien unter anderem „Nights in White Satin“ von Moody Blues und „Kathrin“ von den Bläck Fööss. Am wichtigsten war letztendlich die Aussage: „Frauen haben viele Namen, doch nur eine willst Du wirklich haben!“ Wunderbar, lieber Wolfgang, Deine Frau hat Dich jetzt nochmal so lieb.
John Harrison, der ebenfalls ein Hauspoet des Folk Clubs ist, präsentierte anlässlich der Jahreszeit eine seiner Oden an den Löwenzahn: „Dandelion II“ lautet der Titel. Die II sagt, dass es nicht die einzige Lobpreisung aus seiner Feder ist. So schön, wie das Gedicht auch ist, Euer Hofberichterstatter hat zum Thema Löwenzahn doch eine leicht andere Auffassung – die eines von hartnäckigen Wildkräutern geplagten Gärtners eben. Es ist wie im richtigen Leben: Schönheit ist wichtig, aber nicht alles.
Shay McVeigh, der Featured Artist des Abends, kommt
aus Nordirland und wohnt seit Jahren in Endenich. Neben der Musik widmet er
sich auch der bildenden Kunst. Einige schöne Exemplare seiner Arbeit hatte er
mitgebracht und ausgestellt. Die Auswahl seiner Musikstücke führt uns immer
wieder in die weite Welt der schier unerschöpflichen Kompositionen jenseits des
Bekannten. „Boston“ des irischen Liedermachers Mick Flannery dürfte nur Spezialisten
bekannt sein. Man fragt sich, warum man so etwas nicht auch im Radio zu hören
bekommt. Oder höre ich die falschen Sender. Vielleicht bin ich ohnehin zu
altmodisch: Wer verschafft sich sein Musikwissen heutzutage noch über das
Radio? Das Lied, das Mick Flannery original am Klavier begleitet, hatte Shay
schön für die Begleitung mit der Gitarre abgewandelt. Auch in die Kategorie
„sollte häufiger gespielt werden“ gehört das Lied „Agony“ der englischen Gruppe
Ezio. Auch bei Nennung dieser Gruppe kam aus dem Publikum kein Zeichen des
Erkennens. Immerhin ist die Gruppe 2011 schon einmal in der Bonner Harmonie
aufgetreten. Ja, lieber Shay, auch wenn Du dich darüber augenscheinlich
wunderst, die Welt ist zu vielfältig, als dass man alles kennen und wissen
könnte. Aber wir haben ja Dich, um Lieder zu entdecken. „Walk Away“ von Tom
Waits dürfte hingegen größere Bekanntheit haben. Shay hat zwar nicht die
heisere Stimme von Tom Waits, aber seine Interpretation klingt nicht weniger
überzeugend. Auch sein Fingerpicking ist vom Feinsten. „Picasso“ von Citizen
Cope ist wieder ein Beitrag aus dem Entdeckermilieu, eine anrührende Geschichte
über einen Obdachlosen, der sich in die schöne Dame auf dem Plakat in seiner
Nähe verliebt: „The woman that I love, is forty feet tall“ lautet eine Zeile.
Der Obdachlose wehrt sich am Ende erfolgreich dagegen, dass die Plakatschönheit
entfernt wird. An dieses Lied konnte sich Euer Chronist erinnern, denn Shay hatte
es bereits mehrmals im Folk Club gespielt.
Nach der Pause startete Andreas Kulik den Reigen, mittlerweile ein alter Bekannter im Folk Club. Seine Liebe gilt den Werken der polnischen Gruppe Stare Dobre Małżeństwo, zu Deutsch „Gute alte Ehe“ – krasser Name für eine Gruppe! „Zawieja w Michigan“ (Sturm in Michigan) lautet der Titel des ersten Liedes. Die Gruppe ist in Polen offenbar eine große Nummer, hierzulande aber nur unter polnischen Immigranten bekannt. Auch das Lied „Idz delej“ (Weitergehen) stammt von ihnen, eine berührende Ballade. Nicht aus Andreas‘ polnischer Heimat kommt „Autumn Leaves“. Die Melodie, die heute zu den sogenannten Jazz Standards zählt, wurde ursprünglich von Franzosen geschaffen – „Les feuilles mortes“ lautete der Titel der Komposition von Joseph Cosma auf ein Gedicht von Jacques Prévert. Die Übersetzung ins Englische durch Johnny Mercer machte das Lied weltbekannt und unsterblich, und wurde im Folk Club sehr einfühlsam von Andreas Kulik gesungen und gespielt. Den Abschluss machte Andreas mit einer Eigenkomposition in deutscher Sprache mit dem Titel „Menschheitsfamilie“ – ein nachdenkliches Werk in einer Zeit voller menschenverachtender und rücksichtsloser Auseinandersetzungen – viel Applaus für Andreas und seine hörenswerten Stücke.
Gibt es einen neuen Stern am Folk-Club-Himmel? Es könnte so sein, und es wäre dann sogar ein Dreigestirn. Iris Brück, Carsten Exner und Steffi Sawatzki heißen die Drei, die sich von der Arbeit in ihrem Verein „Motiviva“ für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe kennen.
Etwas schüchtern starteten sie ihren Auftritt mit dem bekannten Lied von Hal David und Burt Bacharach „Raindrops Keep Falling On My Head“. Ziemlich schnell merkte man, dass Schüchternheit völlig fehl am Platze war. Carsten spielte auf seiner Gitarre eine souveräne Begleitung mit schönem Fingerpicking, und die Stimmen der Frauen waren stark im Volumen, intonationssicher und ergänzten sich wunderbar in der Zweistimmigkeit. Ja, und dann mussten die Drei ein Lied ankündigen, das bereits zuvor von Andreas Kulik gespielt worden war. „Autumn Leaves“, wurde nun von einem Trio vorgetragen. Die Überraschungen sind das Salz in der Suppe des Folk Clubs – meist gibt es keine Absprachen, und so kommen gelegentlich Doubletten vor. Die Zuhörer durften für sich entscheiden, welche Variante ihnen besser gefallen hatte. Als drittes Stück hatten die Drei „Venus“ der niederländischen Gruppe Shocking Blue gewählt. Euer Chronist erinnert sich noch lebhaft an seine Schulzeit. Wir haben damals – supermodern – auch Popmusik im Musikunterricht. Unser fortschrittlicher Musiklehrer hatte als Klarinettist in den USA studiert und viel Sinn für neuere Töne. Die Klasse durfte sich ein Stück aussuchen, und die Wahl fiel auf eben jenes „Venus“. In Erinnerung geblieben ist mir, dass das Intro vom Lehrer sehr gelobt wurde, der hingegen den Text – höchst modern für die damalige Zeit – als eher frauenverachtend abqualifizierte: Die Frau, die nur aufgrund ihrer körperlichen Reize Wichtigkeit erlangt. Zudem machte die Sängerin Mariska Veres damals einen krassen Fehler im Text und das in der offiziellen Plattenversion: Sie sang „Godness“ anstelle des korrekten „Goddess“. Unser Musiklehrer gab auch Englisch, und somit durfte die Anmerkung nicht fehlen. Die Kritik tat aber damals wie heute der Beliebtheit des Liedes keinen Abbruch. Carsten, Iris und Steffi waren jedenfalls bei allen drei Liedern wunderbar, und wir hoffen, dass sie den Folk Club bald wieder beehren.
Schon fast zum Inventar des Folk Clubs gehört inzwischen Peter Bachmann, der aus seinem riesigen Repertoire schöpfen kann. Dazu gehören auch viele Lieder in deutscher Sprache. „Einfach sein“ von Willy Astor ist ein richtig gutes Lied, das unter die Haut geht und unser Vorstellungsvermögen beflügeln sollte. Zum Lied „A Friend for Life“ von Steve Harley hat Peter einen eigenen Text in seiner rheinischen Muttersprache verfasst „Vür et Levve en Fründ“ – eine schöne Variante und echter Folk! Bravo Peter und viel Applaus.
Nach so vielen Glanzlichtern durfte unser Featured Artist Shay McVeigh im zweiten Teil des Abends noch einmal auf die Bühne und führte uns weiter in die Welt der weniger bekannten Lieder ein:
Country-Liebhabern dürfte aber die herrliche Country-Schnulze “I Dream Of Highways” von Hoyt Axton durchaus geläufig sein. Aus Shays Version tropfte erheblich weniger Schmalz, und so wurde daraus eine richtig gute Interpretation der Road-Ballade. Von Damien Rice, einem irischen Musiker, stammt das ganz und gar nicht schmalzige Lied „Lonely Soldier“. Der Autor des Liedes blieb vor Jahren selbst die Antwort über die Bedeutung schuldig. Die Interpretationen reichen von der Aufforderung, den Krieg zu beenden bis zur Todessehnsucht. Einerlei, der Text ist eher verstörend. In einer Filmserie über einen dubiosen Motorradclub in Kalifornien (Sons Of Anarchy) wurde das Lied „Wish It Was True“ von einem Musiker namens „The White Buffalo“ alias Jacob Aaron Smith verwendet. Das Lied ist ein verzweifelter Ruf nach Aufrichtigkeit, die der Sänger bei der Welt, die ihn umgibt, schmerzlich vermisst – sehr eindrücklich von Shay interpretiert. Eine andere Problemwelt beschreibt das Lied „Carmelita“ von Fred Eaglesmith. Es geht um Wanderarbeiter und ihre Nöte. Den Anschluss seines beeindruckenden Auftritts machte Shay mit dem Lied „Dust“ von den Dead Tongues. Es ist ein Liebeslied und ziemlich melancholisch, weil die Liebe unerfüllt bleibt. Aber gerade die melancholischen Lieder haben es uns besonders angetan, nicht wahr? Viel Applaus für Shay für die Liedauswahl und die packenden Interpretationen.
Natürlich konnte auch dieser Abend nicht zu Ende gehen, ohne dass die Gemeinde Jock Stewart, dem Patron des Folk Clubs huldigte.
Auf Wiedersehen am 6. Juni bei der 158. Ausgabe des Folk Clubs. Das Motto lautet „Sonnenschein, Licht und Farben“. Nun, dazu sollte es doch möglich sein, musikalische Beiträge zu finden.
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