Folk Club im November – mit Frost in den Winter
Draußen sind die Temperaturen zwar noch mild, aber im November darf man durchaus Kälte erwarten. Einige Beiträge des Abends haben das Thema "Frost" dann auch aufgegriffen.
John Harrison eröffnete den Abend denn auch mit Liedern, die zwar nicht direkt Schnee und Eis zum Gegenstand haben, deren Texte aber doch ein leichtes Frösteln erzeugen. Der gute, alte Blues, den John so liebt, beschäftigt sich nun einmal hauptsächlich mit großen und kleinen Katastrophen des menschlichen Zusammenseins (oder des Auseinanderseins). Altmeister Robert Johnson hat hierzu vor rund 100 Jahren etliche Werke geschaffen, von denen John drei Lieder vorstellte und das nicht zum ersten Mal. „Love In Vain“ beschreibt den Abschied von der Geliebten am Bahnsteig. Bei „Come On In My Kitchen“ wird einer Dame ein Platz in der warmen Küche angeboten. Letzlich handelt es sich um zerbrochene Liebe, Liebesbetrug und Diebstahl. Auch im Lied „Rambling On My Mind“ geht es um Liebesleid. Der Erzähler klagt, dass die Frau, die er liebt, ihn schlecht behandelt, und er kommt nur unter Tränen von ihr los – auch kein erfreulicher Zustand.
Kai Hofstetter interpretiert den Blues auf eigene Art mit Liedern über Schicksale und Begebenheiten in seiner unterfränkischen Heimat und dazu in seiner unterfränkischen Sprache. „Des Büchle“ handelt von Kälte und Not. Es geht um ein Tagebuch eines Dorfschullehrers, in dem viele auch recht unerfreuliche Begebenheiten in seinem Umfeld vermerkt sind, auch dass hin und wieder ein Kind verschwand. Das Buch ist aber am Ende des Tages beim Brand der Schule mit verbrannt. Und so braucht sich manch einer, der darin erwähnt wurde, keine Gedanken mehr zu machen.
„Derrennt“ (zu Tode gefahren) thematisiert Unvernunft auf der Straße, die letztlich zu Unfällen verbunden mit viel Leid führt – auch hier „Frösteln pur“ angesichts von vier kurz hintereinander tödlich verunglückten jungen Männern. Zuletzt geht es in „Der Fluss“ um Kais Vater, der im Main bestattet werden wollte, ohne „das ganze Getue und heuchlerische Reden“. Obwohl es nicht gestattet war, konnte ihm dank fränkischer Schlitzohrigkeit am Ende der Wunsch doch erfüllt werden. Danke Kai, für Deine immer wieder spannenden Geschichten.
Wenn sich Holger Riedel ans Klavier setzt – Thema hin oder her – ist zumindest bei Eurem Hofberichterstatter leichtes Frösteln angesagt. Welche schräge Melodie bekommen wir diesmal zu hören? Aber Holgers Beitrag aus seiner Reihe „Holger lernt Klavier“ war gar nicht schlecht: „Die Melodie von „Child In Time“ von Deep Purple ist ein Klassiker mit hohem Wiedererkennungswert und sorgt für eher wohliges Kribbeln.
Eine kleine Hommage an einen Altmeister, der in diesen Tagen seinen 80. Geburtstag begehen durfte, hatte Hans Ihnen vorbereitet. Unfassbar, dass Neil Young schon mit 25 Jahren so viel Geld verdient hatte, dass er sich eine Ranch für damals (1970) stattliche 350.000 Dollar kaufen konnte. Das fand auch der damalige Verwalter der Ranch, ein älterer Mann, dem Young darauf das Lied „Old Man“ widmete. Jetzt ist Young selbst ein alter Mann, aber seine Lieder sind noch immer jung. Zum Thema „Frost“ passte sehr gut das Lied „The Needle And The Damage Done“, nicht wegen der Temperaturen, aber wegen des Inhalts, der Gänsehaut erzeugt. Schlichtweg ein unsterblicher Klassiker ist „Heart Of Gold“, bei dessen Einfachheit man sich fragt, warum dieses Lied so unglaublich erfolgreich war und noch immer ist. Vielen Dank an Hans, und viel Beifall für das kleine Geburtstagsständchen für den Jubilar Neil Young.
Nach all den Molltönen über Liebe und Leid sorgten Saico Balde und Moustafa Osh für gute Laune mit rhythmischen Liedern zum Mitmachen. Den Anfang machte Saico mit einer kleinen Trommelübung, bei der das Publikum die versäumte Morgengymnastik nachholen konnte – gut für verspannte Schultern und Arme. „Mamma Africa“ hat Saico selbst geschrieben. Der Text ist nicht wirklich relevant, es kommt auf Rhythmus und Mitmachen („Mama eeeh“) an. Das Lied „Mustafa“ spielt auf den Namen von Saicos Kollegen an. Das Stück stammt aber nicht von Saico sondern von dem Ägypter Bob Azzam. Leo Leandros, der Vater von Vicky Leandros machte daraus eine Coverversion in deutscher Sprache, mit der er Anfang der 1960er Jahre in Deutschland Erfolge feierte – so international ist der Folk Club!
Mit Peter Bachmann kehrte das Programm wieder zu den Herbstfarben und den Molltönen zurück. Seine Lieder wollte Peter eigentlich schon im Oktober vorstellen, aber da hatte der Folk Club schon „die Hütte voll“. „Feinslieb“, eine Komposition des Liedermachers Hans-Eckardt Wenzel zieht eine Parallele zwischen dem zu Ende gehenden Jahr und einer Liebe, die nicht zünden will. „Autumn Leaves“ tut Ähnliches und bringt den Herbst mit den Blättern, die von den Bäumen fallen, in Verbindung mit einer geliebten Person, die wegging. Die englische Version ist aber lediglich eine Coverversion des französischen Originals „Les Feuilles mortes“, das 1945 von Joseph Kosma auf ein bestehendes Gedicht von Jacques Prévert (1900–1977) komponiert wurde. Das Lied wurde von Yves Montand im Film „Pforten der Nacht“ gesungen, entwickelte aber bald ein reges Eigenleben und wurde am Ende sogar zum Jazzstandard. Auch eine Eigenkomposition hatte Peter mitgebracht. Speziell für diesen Abend hatte er das Lied „Erster Frost“ ganz passend zum Thema geschrieben. Mit schönem Fingerpicking begleitete er sein Lied, das seine Gedanken zu den ersten richtig kalten Tagen am Ende des Herbstes und des Jahres zusammenfasst. Wie so oft bei dem Thema stellt auch in diesem Lied der Herbst eine Allegorie auf die Endzeit unseres Lebens dar – sehr berührend.
Wenn der Featured Artist kurz vor dem Folk-Club-Abend krank wird, bekommt das Organisationsteam Herzklopfen. So war es diesmal, denn das Duo Stereo Naked war eigentlich eingeplant. Aber gute Verbindungen zahlen sich aus, und kurzfristig sprang Pete Coutts ein, ein Schotte aus Aberdeen, der jetzt in Remagen wohnt und sich dort mit Freundin, Kind und Haus eingerichtet hat. Nach dem Auftritt fragten sich manche: warum war dieser fantastische Sänger, Gitarrist und Liedermacher noch nie hier? Es zeigt sich immer wieder, dass das Angebot an guten Musikern in unserer Gegend schier unerschöpflich ist. Pete eröffnete seinen Auftritt mit einem leicht bearbeiteten Lied des Engländers George Butterworth. „Come My Own One“ heißt das Original, und „The Saucy Sailor” (Der unverschämte Seemann) nennt Pete seine Version. Es geht in beiden Versionen um einen Seemann, der von einer langen Seereise zurückkommt und sich eine Frau wünscht. Die Angebetete weist ihn aber zunächst wegen seiner lumpigen Kleidung und seines strengen Geruchs zurück. Als er ihr aber erklärt, dass er reich sei, ändert sie ihre Meinung schnell. Jetzt aber ist er es, der sich zurückzieht und ihr erklärt, dass auch andere Mütter schöne Töchter haben. „Breathe“ ist eine Eigenkomposition, in der Pete sein neues Leben am Rhein besingt – sehr romantisch! Das Lied enthält aber auch eine komische Komponente, denn zum Zeitpunkt seiner Entstehung wusste Pete noch nicht, dass es „zum Soundtrack seines weiteren Lebens wurde“. Ein sehr gefühlvolles Instrumental ist das Stück „The Crow In The Sun“ der irisch-amerikanischen Komponistin und Geigerin Liz Carroll. Nach anderen Quellen ist es von Dáithí Sproule, einem irischen Musiker, der auch mit Liz Carroll zusammengearbeitet hat. Das Stück ist ein Reel, also ein schottischer Volkstanz. Kurz und bündiger Kommentar: fantastisch gespielt mit Gänsehauteffekt! „Silver“ ist der Titel eines Liedes von Pete, das sich an den Titel „The Silver City“ seiner Heimatstadt Aberdeen anlehnt, die aus Granit gebaut ist. „Singing about today’s problems and no one is listening“ ist Petes Untertitel für das Lied. Einen Tag im Leben seines Großvaters beschreibt das Lied „Casting The Peat“ – Torfstechen. Der Text ist im lokalen Dialekt der Gegend, in der die Familie seinerzeit lebte. Verlangt bitte keine Inhaltsangabe! Aber ich vermute, es geht um viel harte Arbeit und viel Whisky. Über das Fischen geht es in Petes Lied „Sail And Oar“ (Segel und Ruder). Fischfang und Fischverarbeitung waren einst die wichtigsten Wirtschaftsfaktoren in Aberdeen. Davon ist aktuell fast nichts mehr übrig.
In die Liederkiste für Protestlieder anderer Folk-Autoren griff Pete dann bei den Stücken „Paths Of Victory“ (Bob Dylan), „I Didn’t Try Hard Enough“ und „Beads and Feathers“ von Kris Drever, einem schottischen Folk-Musiker. Zurück zum Nobelpreisträger Robert Zimmermann (Bob Dylan) ging es dann mit „The Times Are A-Changing“ ein prophetisches Lied, bei dem man das Frösteln bekommt. Den Abschluss seines Sets bildete das englische Volkslied „Billy Tailor (Was A Sailor)“, ein Seemannslied.
Vielen Dank Pete für den Einsatz und die wunderbare Musik!
Aber halt! Ich habe Petes Auftritte vor und nach der Pause zusammengefasst. Dazwischen gab es noch Darbietungen, die mindestens so hörenswert waren.
John steuerte ein Gedicht bei, bei dem zumindest der Name des Autors etwas mit dem heutigen Thema zu tun hat: „The Road Not Taken“ von Robert Frost. Im Gedicht geht es darum, dass wir mit jeder Entscheidung einen anderen Weg liegen lassen. Der Held entscheidet sich für den Weg, der augenscheinlich weniger begangen wurde, und das macht den Unterschied aus.
Stephan Weidt und Ulrike Hund (alias Zwei von Zwei) sind schon alte Bekannte im Folk Club. Stephan schreibt zarte, poetische und nachdenkliche Lieder. Zudem ist er ein wunderbarer Gitarrist und Sänger. Seine Frau Ulrike begleitet ihn auf ihrer Querflöte. „Ich schreib Dir ein Gedicht“ ist ein einfühlsames Liebeslied in einer Situation, in der alles grau in grau erscheint. Das Lied „Busbahnhof“ thematisiert den Trost. Nach Stephans Worten hat er das noch nie vor Publikum gespielt – eine Premiere also. Bei dem Lied geht es nur am Rande um eine Bushaltestelle. Das Eigentliche sind die Werbeplakate, die süße Speisen anpreisen und damit Trost versprechen. Schnell ausprobiert stellt unser Sänger aber fest, dass diese Art Trost nicht nachhaltig ist. Das kennen Viele von uns. Nachhaltig sind dann lediglich die Fettpölsterchen. Passend zum Thema entführt uns dann Ulrike noch in östliche, kältere Gefilde, in denen der Frost eine wesentlich größere Rolle spielt als bei uns. Oi, moros, moros (russisch Ой, моро́з, моро́з, [dt.: Oh Frost, Frost]) ist ein ukrainisch-russisches Volkslied, das wohl ursprünglich aus dem 19. Jahrhundert stammt und in einer Fassung von Marija Morosowa-Uwarowa aus dem Jahr 1956 in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten weite Verbreitung fand. Ulrike animierte das Publikum, mitzusingen und erntete viel Erheiterung. Immerhin, dank verteilter Liedblätter und einer kleinen Sprachstunde klappte es – zumindest beim Refrain „Oh Frost, Oh Frost“. Eine schöne Idee, liebe Ulrike, auch einmal ein ukrainisch/russisches Lied vorzustellen. Das Publikum liebt solche Schmankerl.
Wen hatten wir noch? Ja, liebe Leute, ein weiterer Höhepunkt war der Auftritt des famosen Duos Grün und Hut bestehend aus Ursula Hoffmann und Stephanie Huthmacher. Stephanie und Ursula haben sich in Bonn in der Schule kennengelernt und machen seither – so rund 50 Jahre lang – gemeinsam Musik – sie sind sozusagen wie ein altes Ehepaar. Laut ihrer Website sind sie sogar verheiratet – aber nicht miteinander. Ursula hat einen Ehemann, Stephanie hatte mal einen. Aber schaut Euch auf der Website der beiden um, es gibt Einiges zu entdecken.
Die beiden begeistern immer wieder mit ihren witzigen und geistreichen Liedern über allzu menschliche Probleme, kleine Katastrophen des Alltags, aber auch schöne Begebenheiten und lustige Skurrilitäten.
„Die Elemente“ bedienen das Wissen der Chemiker unter uns. Wer das Periodensystem der Elemente herunterbeten kann, hat den Text schon drauf. Alle Achtung an die Beiden, dass sie bei der Aufzählung der Elemente nicht aus dem Tritt kommen. Offenbar hatten sie einen guten Chemielehrer. Eine besondere Referenz an Euren Hofberichterstatter gab es dann bei der Ankündigung des Lieds „Geldern“. Das ist eines meiner Lieblingslieder der Beiden, und ich hatte es mir tatsächlich gewünscht. Es ist schon ein besonderer Aha-Effekt, wenn man erfährt, dass die Freundin, die in die „Ferne“ zieht, letztlich in Geldern landet. „Es gab schon Lieder über Anchorage … doch was ist schon Anchorage, denn Du wohnst jetzt in – Geldern“ lautet der Refrain – köstlich! Aber ernsthaft, Anchorage ist zwar rund zehnmal so groß wie Geldern, aber vermutlich auch nicht sehr viel aufregender. Wer andere Informationen hat, möge sich bei mir melden. „Es geht halt nicht“ berichtet über die Inkompatibilität eines Paares, das sich trotz aller Geschmacksunterschiede zueinander hingezogen fühlt. Sie mag gern Sauerbraten, er lieber Salat, sie die Sonne, er Schnee, er die Berge, sie die See. Und so geht es weiter. Aber wenn‘s trotz der unterschiedlichen Vorlieben bei den Beiden klappt, dann ist ja alles in Ordnung.
Beim Folk Club war jedenfalls für diesen Abend wieder alles in Ordnung. Das Programm war höchst unterhaltsam, abwechslungsreich, witzig sowie musikalisch und poetisch auf hohem Niveau. Zudem sorgte das gastronomischen Teams von Dotty’s auch für gute Versorgung mit Speisen und Getränken.
Zum Abschluss gab es wie immer die musikalische Huldigung an Jock Stewart, den Patron des Folk Clubs.
Auf Wiedersehen am 5. Dezember mit Simon Kempston aus Edinburgh, der diesmal mit Paul Tasker einen Mitspieler ebenfalls aus Schottland mitbringt. Die beiden werden überwiegend Instrumentalstücke unter dem Thema „Songs Without Words“ aus ihrem neuen Album „Tangled Strings“ vorstellen. Lasst Euch wie immer überraschen.