Sonntag, 19. Januar 2014

John Hurds Bericht vom Folk Club 44 im Januar 2014 ins Deutsche übersetzt


Neujahr beim Folk Club

„Es war der Folk Club nach Weihnachten, und im ganzen Haus machte niemand Musik, nicht einmal eine Maus“.

Es muss lange in John Harrisons Kopf herum gegangen sein, als er am Abend vor dem ersten Folk Club des Jahres 2014 im Bett lag und versuchte Schlaf zu finden. So viele Änderungen und Absagen hatte es gegeben, dass John sogar befürchtete, auch Jock Stewart könnte noch zuhause bleiben. Am Abend des Folk Club um 22:00 Uhr jedoch war John wieder wie üblich damit beschäftigt, sich Gedanken darüber zu machen, wie er die Musiker möglichst höflich dazu bringen könnte, ihre Auftritte doch ein wenig abzukürzen.
Voller Neujahrsfreude (oder doch eher voll des guten Bieres?) war ich doch ganz optimistisch, dass der Folk Abend erheblich mehr werden würde als ein „Sich durchmogeln“ trotz der Abwesenheit von Steve, Barry und Detlef, trotz der Auftrittsankündigungen, die gestrichen worden waren. Ich hatte John schon damit gedroht, dass, sollte er den Abend nicht mit Musik gefüllt bekommen, ich selbst in den Ring steigen würde. John nahm mich leider beim Wort und so bekam ich einen Auftritt vor der Pause. Vorgeblich wollte er mir damit ersparen, eine lange Zeit nervös rumzusitzen, aber in Wahrheit hatte er sicherlich im Sinn, zu verhindern, dass ich mich nach der Pause heimlich verdrücke.

Tatsächlich aber hat der Folk Club einen exzellenten Musiker, der noch nie einen Auftritt als Special Guest hatte, diesen Part aber locker ausfüllen kann – John Harrison höchstselbst. Regelmäßige Besucher wissen, dass er einen wunderbar authentischen Blues spielt, was er an diesem Abend mit Omar Dykes’ „Black Bottom“ unter Beweis stellte. Sehr geschätzt sind seine Ausflüge in die Poesie. Diesmal war Rudyard Kiplings Gedicht „If“ an der Reihe. Ein besonderes Vergnügen sind Johns eigene Lieder, selbst wenn es ein Lied über eine wahre und tieftraurige Begebenheit ist. „Flan“ handelt von einem Freund, dessen Tod durch Erhängen nie richtig geklärt bzw. erklärt wurde. Mir bleibt die Hoffnung, dass eines schönen Tages, und, um Johns Nervenkostüm zu schonen, nur einmal, John allein aufspielen würde und uns damit eine unerwartete Freude machte.

Ich tauschte nun meine Nikon gegen Johns Guild Gitarre und spielte „Let My Love“. von George Ross Watts: Es gibt eine wunderbare CD (die sogar umsonst ist) des Glasgower Ross Watt und seiner Band Big George & The Business, die mir immer wieder vor Augen führt, wie viel großartige Musik es da draußen gibt, die oftmals nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die sie eigentlich verdiente. Nach Georges tragischem Tod im vorigen Jahr gab es ein Gedächtniskonzert, zu dem unter anderem Ian Siegal kam – einer der besten Bluesmusiker in Großbritannien. Siegal sagte einst über George, dass er „außerordentlich einflussreich“ sei. Alan Nimmo von King King widmete ihm „Old Love“ bei einem Auftritt nahe Bonn im vorigen Jahr. Moral von der Geschicht’: Wenn du wissen willst, was man sich anhören sollte, konsultiere nicht die Hitlisten oder „Voice of Germany“, sondern frage besser einen Musiker.

Stephan Weidt hat eine sehr zurückhaltende und beruhigende Art, wenn er auftritt. Dadurch schafft er es wunderbar, die Zuhörer dazu zu bringen, sich auf seine filigran gespielten und gesungenen Lieder zu konzentrieren. Seine Musik eignet sich perfekt für die Mischung mit einer Flötenbegleitung, die von Ulrike Maria Hund geliefert wurde, und dies ganz besonders bei Stephans Eigenkomposition „König in deinem Reich“ und bei dem von Mary Hopkin bekannt gemachten Lied „Those were the Days“. Das Publikum ging gleich singend und 
klatschend mit.

Immer Verlass ist auf Mario Dompke, der gleichermaßen gut spielen und unterhalten kann. Mario hat einen riesigen Vorrat an exzellenten Eigenkompositionen. Einige sind witzig, einige eher traurig, aber alle sind wunderbar anzuhören. Heute tendierte er mehr zur traurigen Seite mit „Wenn die Seele Tränen trägt“ und „Klagelied“. Immer aber ist ein Zwinkern im Augenwinkel, das dir sagt, dass das Leben nicht nur weitergehe, sondern sogar Spaß machen könne.

Ein Glanzlicht des vorigen Folk Clubs war der Floor Spot des Engländers Oli Budd, der ruhige und melodiöse Lieder vortrug, die Appetit auf mehr machten. Diesmal hatten wir die Gelegenheit, mehr zu hören, als Oli sich mit einigen weiteren seiner Eigenkompositionen ohne Umschweife in die Herzen der Zuschauer spielte und hoffentlich auch auf die Liste der Stammmusiker des Folk Clubs. Sein Stil erinnert mich an einen meiner Favoriten, Jack Savoretti. Auch er hat die Fähigkeit recht ruhig zu singen und zu spielen und doch das Publikum dazu zu bringen, mucksmäuschenstill zu sein. „We Live On“ hatte einen zarten Refrain, der aber fest im Gedächtnis blieb, wie bei allen guten Folk Songs. Das Familienthema bemühte er mit „Just a Boy“, das davon handelte, fern von zu Hause zu sein (oder auf der Flucht, wie er es im Lied bezeichnete). „Call Me“ war seiner Schwester gewidmet. Aber auch hier geht es darum, dass jemand fern seiner Wurzeln ist: „I’m sorry for the distance“, heißt es da oder „Maybe I’ll come home“ an anderer Stelle. Oli ich hoffe, das trifft auf dich nicht zu, wir würden dich gern überreden, noch eine Weile in Bonn zu bleiben und beim Folk Club zu spielen.

Jutta Mensing brachte dann John Harrison gehörig ins Schwitzen, als er sie bei einem deutschen Volkslied begleiten musste, das von einer Frau handelt, die nach dem perfekten Mann sucht und sich dann doch nur mit dem örtlichen „Schinner“, dem Abdecker, verbindet. Der Zunft der Abdecker, die verendete Tiere noch enthäuteten und dann teils verwerteten (Seife, Leim) und den Rest durch Vergraben oder Verbrennen „entsorgten“, haftete in früheren Jahren der Makel des Anrüchigen an. Johns Unwohlsein war durchaus verständlich, da er das Lied an dieser Stelle das erste Mal gehört hatte. Ein hübsches Lied, Jutta, und gut gemacht, John, der die alte Weisheit für brenzlige Situationen beherzigte: „Ruhe bewahren!“

Auch wenn wir hauptsächlich Jock Stuart als einen nicht alltäglichen Mann kennen, so hatten wir an diesem Abend Gelegenheit, ein durchaus nicht alltägliches Instrument kennen zu lernen. Wann habt Ihr zuletzt eine Drehleier (engl. Hurdy Gurdy) gesehen oder gehört? Bedeutet diese Bezeichnung mehr für Euch als nur möglicherweise der Titel eines Liedes von Donovan („Hurdy Gurdy Man“) aus einer längst vergangenen Zeit? (und auch damals wusstet Ihr mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, worüber er sang). Auch für mich als regelmäßigem Konzertbesucher war es eine Premiere, als Alex Loch sich hinsetzte, um dieses doch recht merkwürdige Instrument zu spielen. Später fand ich etwas mehr über das Innenleben einer Drehleier heraus, aber man musste dabei gewesen sein, um sich das näher ansehen zu können. Das Instrument sieht auf den ersten Blick aus wie ein Akkordeon, klingt aber wie eine Kreuzung aus Violine und Dudelsack. In den richtigen Händen (und dort war es an diesem Abend) kann es im positiven Sinne gespenstisch klingen. Ich schloss meine Augen an einer Stelle, und es klang, als wenn ein Engelchor in die Musik einstimmte – und stellte dann fest, dass ein Dutzend von Alex’ Freunden (Steppenwind) sich mit einer russischen Melodie in die Musik eingeklinkt hatte („Ach ty step schirokaja“; Ах ты, степь широкая). Sie spielten Stücke aus einer musikalischen Welt, die mir nicht vertraut ist. Später fand ich dann heraus, dass es die Mazurka „Rose of Raby“ und die Bourrée „Last Chance“ aus der europäischen Bal-Folk-Bewegung waren. Ich verstehe vielleicht nichts von der europäischen Bal-Folk-Bewegung, aber ich erkenne gute Musik, wenn ich sie höre. Die Qualitätslatte im Folk Club wurde damit jedenfalls schon ziemlich hoch gelegt – und es ist erst Januar!

Der letzte Gast des Abends war ein Mann, der schon fest als Special Guest für den Folk Abend im kommenden März eingeplant ist, der aber schon einmal einige Kostproben seines Könnens zeigte – Gerd Schinkel. Auf seiner Website stellt Gerd fest, dass Musik ihm geistige Unabhängigkeit sichere. Er ist definitiv ein Liedermacher der 70er Jahre Generation mit einem feinen Gespür für die soziale Ungerechtigkeit und das politisch Kranke. Ich brauche dazu lediglich zwei Gegenstände seiner Lieder zu zitieren: „Der Bischof von Limburg“ und „Uli Hoeness“, um euch eine Vorstellung davon zu vermitteln, aus welchem Fundus von Inspirationen Gerd seine Inspirationsanreize holt. Als ich seine Website durchforstete, fand dich eine riesige Menge an Material, so dass wir uns sicherlich auf einen abwechslungsreichen Abend im März freuen dürfen.

Was war nun aus Johns Sorge darüber geworden, dass dem Folk Club eventuell schon vor 10 Uhr die Puste ausgehen könnte? Der Folk Club war noch munter unterwegs, als die Uhr 10 schlug, und als ich dann um 11 Uhr ging, war eine bunte Gruppe von Musikern noch fleißig damit beschäftigt, sich gegenseitig mit Flöten, Gitarren und Drehleier zu unterhalten.
Dazu ein kleines, absichtlich falsch wiedergegebenes Zitat von John Lennon: „MUSIK ist das, was geschieht, wenn du etwas Anderes geplant hast.“

Zu guter Letzt möchte ich euch mit dem Link noch auf eine der besten Interpretationen (und es gibt viele) des Klassikers „Rather Go Blind“ von Etta James, gespielt von Big George and the Business, hinweisen.

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