Es fühlt sich richtig an –
What a wonderful world – Folk Club 122 im April
Riesig hohe Inzidenzen, Ukraine-Krieg, Leichen im Fernsehen,
unglaubliche Kriegsverbrechen – kann/darf es in dieser Situation einen Folk Club
geben? Kann/darf es eine fröhliche Runde von Menschen geben, die sich einfach
an der Musik und der Gemeinsamkeit freuen?
Ja, es kann/darf nicht nur, sondern es muss.
Was sonst gibt uns die Möglichkeit, unsere Hilflosigkeit
wenigstens in gemeinsame Solidarität umzuwandeln, was sonst gibt uns die Kraft
solche Situationen überhaupt weiter auszuhalten, was sonst gibt uns die
Hoffnung, dass es auch wieder anders wird, was sonst begründet die notwendige
„Endurance“? Endurance (Durchhaltevermögen) lautete die spontane Anregung für
das Motto des Abends von David Blair, dem besonderen Gast des Abends. Er formulierte es mit den Worten: “Die Gräuel,
die zurzeit in der Ukraine passieren, sind höchstens vergleichbar mit
Deutschland im 2. Weltkrieg, und trotzdem ist am Ende eine Chance daraus
erwachsen. und Deutschland ist heute eines der reichsten Länder Europas.“
Zurück zum Folk Club – lenken wir uns einen Abend ab, ohne
den hilfsbereiten Blick auf die grausame Situation zu verlieren – und das in
klirrender Kälte. Na ja, geklirrt hat höchsten die Anlage, die auch diesmal
genutzt wurde, weil auf dem Balkon des Dotty‘s die Akustik nun doch nicht ganz
so gut ist. Abgeschirmt von der schlimmsten Kälte durch Plastikwände, ein wenig
erwärmt durch Infrarotstrahler hat uns der Landlord Roland ein feines
Ausweichquartier zum Saal hergerichtet. Der riesige Kamin wurde nicht
angefeuert – zum einen, weil er dann alles verraucht – zum anderen, um die
vielen Instrumente, die mitgebracht wurden, nicht in Gefahr zu bringen, indem
sie eigenständige Lagerfeuerknistermusik machen :-).
Nachdem John Harrison
auch auf dem Balkon seinen Schlachtruf den Anwesenden entgegen geschmettert
hatte, trug er eben jenen seine Bluesballaden vor. Mit „Rambling“
beschrieb er die Unstetigkeit, die sich gerade bei Musikern einstellt, wenn
längere Zeit kein Publikum da ist und man loszieht, um seine Kunst leben zu
lassen. Nun, diese Interpretation ist sicher frei erfunden, jedoch weiß man ja
nie, warum die Figur im Lied unfreundlich behandelt wurde und sich zum Gehen
entschlossen hat – ich denke, weil er zuhause einfach zu viel und zu
unzufrieden Musik gemacht hat.
Es wäre nicht John
Harrison, wenn er nicht im Angesicht einer ihn berührenden Schönheit
sofort ein Gedicht aus sich herauslassen würde. Und so trug er sein „Mangnolia
Poem“ sowohl auf Deutsch wie auch auf Englisch vor. Eine sehr kurze
Schönheit, denn auch ohne plötzlich zerstörerischen Frost blüht die Magnolie
nur wenige Tage, um dann wieder in einen für das nächste Jahr vorbereitenden,
grünen Schlaf zu fallen.
„Nobody Knows You (When You're Down and Out)“ erzählte in
wunderbarer Bluesmanier die verklärende Bedeutung von Geld – haste es, haste
Freunde; haste es nicht – sind alle weg. Wie schön ist es echte Freunde zu
haben, die ohne Wenn und Aber, ohne Geld oder mit Geld sich im Folk Club
regelmäßig beweisen, dass Musik zusammenschweißt.
Mit „Come
On In My Kitchen“ beendete John seinen Gig. Dieses Lied besingt –
wie jeder Blues – den Blues, der sich einstellt, wenn die Frau wegläuft – warum
genau wird nie gesagt, is halt so, aber gleichzeitig hat der Blues auch immer einen
Neuanfang in sich (komm besser in meine Küche, es wird gleich regnen) und gibt
dem Down neue Hoffnung – ist das nicht eine gute Antwort auf die oben
angesprochene Frage, ob wir in diesen Zeiten einen Folk Club machen sollen?
John (Harrison) übergab das Mikrofon an John. Nicht, dass
ihr durcheinanderkommt, John (Hurd) war diesmal nicht dabei, aber dafür John
(Hay) :-). Also, John Hay heute Solo mit nagelneuer Gitarre (deshalb
auch kein Feuer) und nagelneuem Lied - oh, wie habe ich mitgelitten, als der
Text sich kurzfristig in den hintersten Winkel seines Kopfes versteckte, aber
nicht lange und so unterhielt uns John mit feinem Picking und Strumming gut,
aber ernsthaft, indem er über den Informationswirrwarr in Medien sang. „Searching
a Nugget of Truth“ beschreibt seine Suche während der Autofahrt nach der
Wahrheit in der Berichterstattung. Mit „Rosen im Dezember“, einem alten
Volkslied, welches Hannes Wader 1990 auf seiner LP Volkslieder veröffentlicht
hat, machte John mir eine große Freude. Diese Lied wollte ich schon immer
spielen, habe es aber immer vor mir hergeschoben. Jetzt habe ich einen neuen
Ansporn und ich bewundere dich, John, weil du es wunderbar gespielt und
gesungen hast. Und natürlich passte es wieder zum eingangs erwähnten Thema –
was kann es besser ausdrücken als die Zeilen „ja, auch so manches alte Lied
gehört zu meinem Leben. Half mir, wenn ich gefallen war, mich wieder zu
erheben!“ Und weiter gings in ruhiger Manier. „Horizons“ ist ein
Instrumentalstück von Steve Hackett, der von 1971 bis 1977 bei Genesis war. Hackman
hatte sich bei der Komposition nach eigenem Bekunden vom Präludium der Suite Nr.
1 in G-Dur für Cello von J.S. Bach inspirieren lassen. John Hay beendete damit seinen
Auftritt und bewies, dass er sowohl als Gitarrist in der Gruppe, wie auch solo
und als Komponist und Interpret tausende Qualitäten hat.
Hans Ihnen sowohl auf der Gitarre wie auf dem Klavier
bewandert, musste heute allein zur Gitarre greifen – denn das Klavier auf den
Balkon zu holen, wäre nicht nur für die tragenden Menschen, sondern auch für
die sich verstimmenden Saiten nicht so gut gewesen. Aber die Gitarre hat‘s auch
gebracht. Hans hauchte dem Abend eine Rock‘n‘Rollige Stimmung ein, in dem er
zuerst John Foggerty bemühte und mit „Deja Vu“ den Krieg in der Ukraine
verfluchte. Und, was liegt näher, als vom Frieden zu träumen, wenn man den
Krieg verflucht. So war der Weg zu Ozzy Osborne und dem „Dreamer“ nicht
weit. In beiden Songs bewies Hans, dass er viel Bühnenerfahrung mit einer
Rockband hat, aber diese eben auch in ein Soloprogramm wandeln kann – es
stimmte alles Dynamik, Intonation und Gefühl. Alles zusammen packte er noch
einmal in das Lied „Eiszeit“ von Peter Maffay, bei dem er das Publikum
zum Mitsingen einlud. So schaffte es Hans, eine gute musikalische Stimmung zu
verbreiten und gleichzeitig die unsäglichen Ereignisse des Krieges deutlich in
den Vordergrund zu stellen.
11 Jahre alt und davon sicherlich mindestens 15 geübt –
anders kann ich mir die Virtuosität von Yawen nicht erklären. Hat sie
sich im vergangenen Folk Club (März) noch mit der Gitarre und einer
wunderschönen Stimme bekannt gemacht, so spielte sie diesmal eine traditionelle
chinesische Wölbbrettzither mit der Bezeichnung „Guzheng“ (etwa vergleichbar
mit einer steirischen Zither – nur mindestens dreimal so groß und mit einer
völlig anderen Klangcharakteristik). Mit dem traditionellen Lied „The
Fisherman's Evening Song“ entführte sie uns in eine weite chinesische und
friedvolle Atmosphäre. Ich freue mich jetzt schon auf weitere Abende mit Yawen.
Man hätte meinen können, dass es geplant war – Yawens
chinesisches Volkslied war schon fast eine Einleitung in mittelalterliche
Gefilde und in magischen Feenwälder. Diese kamen nämlich nun mit der Gruppe Fomiander
(Sonja, Manfred Möhlich und Mario Dompke) – doch Fomiander heißt „Folk,
Mittelaltermusik und andere schöne Lieder“. Ein Versprechen also, dass es zwar
eine generell Ausrichtung gibt, jedoch auch alles mitgenommen wird, was rechts
und links, hinten und vorne des Weges liegt und Spaß beim Spielen und Hören
verspricht. Mit dem ersten Lied „Tanzmädchen“ sprang Fomiander denn auch
gleich ins tiefste Mittelalter und dort in die Welt der Spielleute, die
umherzogen, um ihre Kunst darzubieten. Oft waren solche Darbietungen auch mit
mystischen Geschichten verknüpft und Magie nie fern. Dementsprechend
vervollständigte „Luna‘s Blocksbar“ von Brigitta Karin das Bild. Ja,
Hexen sind launische Dinger, die manchmal jeden Traum erfüllen, aber jederzeit
auch das Gift haben, um deine Adern starr zu machen. Eine ganz andere Magie
wurde mit der Eigenkomposition „Zähle doch nicht schon in jungen Jahren“
versprüht – nämlich die Magie des Glaubens an Sicherheit. Versicherungen werden
abgeschlossen, Verträge gemacht und ein Leben lang gespart – nur, um dann von
so einem frechen kleinen Kobold angestupst zu werden und zu sehen, dass alles
für die Katz war. Warum eigentlich für die Katz? Vielleicht weil diese
sprichwörtlich sieben Leben hat und deshalb immer wieder auf die Beine kommt?
Klappt das auch, wenn einem das Alter zunehmend die Frische der Jugend nimmt?
Ich glaube nein, und es muss auch nicht sein. Mit einer weiteren
Eigenkomposition zeigte Fomiander Mut zum Eingeständnis, dass nicht mehr alles
so klappt wie früher. „Alt werden“ ist somit keine Klage, sondern ein
positives Eingeständnis.
Fomiander musste wegen einer plötzlichen Erkältung ohne
Perkussionisten spielen (tolles Wort). Das hatte zur Folge, dass auch dessen
geplanter Sologig ausfiel, weshalb ein anderes Fomiandermitglied einsprang und
sich von Sonja und Manfred unterstützen ließ. Mit seinen Liedern „Blick in
den Spiegel“ und „Die neue Welt“ beschwor Mario Dompke alle
Menschen daran zu denken, dass wir nicht nur für uns, sondern auch für unsere
Mitmenschen aus In- und Fremdland da sein sollten. Ein erster Schritt, mal
darüber nachzudenken, wie es den Mitmenschen geht, kann schon sehr viel an der
eigenen Einstellung zu aktuellen Geschehnissen beitragen.
Nun aber – Trommelwirbel – der Featured Artist des Abend – David Blair. Extra und nur für den Folk
Club aus Berlin angereist, versprühte er sofort seinen agilen Charme und ließ
vergessen, dass es ziemlich kalt war. Er selbst hätte ja am meisten unter
kalten Fingern leiden müssen, aber wie schon von anderen Konzerten gewohnt,
riss er das Publikum in seinen Bann. Geschichten erzählen, die aus dem Leben
direkt kommen und diese in Liedern ausklingen lassen, die wiederum die
Geschichten unterstreichen und Alltagssituationen plötzlich zu spannenden
Abenteuern des Miteinander werden zu lassen – das ist David Blair. Begonnen hat er mit „Stronger, Higher, Faster“
einem Lied, dass er zu den olympischen Winterspielen im kanadischen Calgary geschrieben
hatte – hier verriet er uns auch, dass seine Liebe zur Musik und zum Sport (am
Sonntag nach dem Folk Club ist er schon wieder den Halbmarathon in Berlin
gelaufen) ihn nie zu einem guten Studenten hat werden lassen. Sein
Bewegungsdrang war stets stärker, als sie Disziplin ruhig zu sitzen und zu
lernen. Mit „Let‘s Just Talk“ erinnert David daran, dass nur Gespräche
Lösungen beinhalten. Nicht Kriege und Gewalt – die können Veränderungen
bewirken, aber Lösungen……. Eine Lösung für fast Alles ist die Liebe. Eine
Lösung, die aber mit viel Arbeit verbunden ist und deshalb versteht David
nicht, weshalb viele Ehepaare bei der Hochzeit denken, sie wären am Ziel –
nein, sie sind am Start, denn ein Paar zu sein bedeutet, wie gesagt, viel
Arbeit. Genau hierüber berichtet sein Lied „Quietly Loving“. Wie tief
und unendlich Liebe sein kann, haben viele, so auch David, gespürt, als das
erste eigene Kind zur Welt kam. Kein Moment der Anstrengung und des
Schlafmangels (nächtliches Windelwechseln) und kein verzweifelter Gedanke (wie
schaff‘ ich das auch noch) können von der Liebe ablenken, die einen
durchströmt, wenn man in ein unschuldiges Babygesicht blickt. Liebe kann somit auch auf wundersame Weise
heilen und genau davon erzählt das Lied „Reconcile“. Heilen darf man
nicht nur im medizinischen Sinn verstehen. Das Leben bringt Situationen, die
dich herunterziehen, in denen du dich gefallen fühlst. Aber wer gefallen ist,
muss wieder aufstehen und weitermachen – davon erzählt der Song „Soundtrack Of
Our Conversation“. Langsam kam David nun zum Ende, was das Publikum gar
nicht erfreute, weshalb sofort ein weiterer Song eingestreut wurde. Ein Lied,
das als Co-Komposition während eines Musikbattles (Voice of Germany) entstand.
Mit die schönsten Erinnerungen von David Blair an seine Teilnahme ist die
Freundschaft, die sich unter den Teilnehmern breit gemacht hat. Viele sind auch
heute noch persönlich oder über Multimedia Gruppen miteinander verbunden. Und
so entstand zwischen David Blair und einer tollen Jazzsängerin der Song „Summer
Lights“ – eine Geschichte, die von der Entdeckung des musikalischen Talents
eben jener Sängerin erzählt. Einen quasi Höhepunkt hatte David noch auf Lager –
eine Eigenkomposition in deutscher Sprache. Wie in fast allen seinen Liedern
erzählt er auch hier von der Liebe – allerdings diesmal von der Liebe zu
Deutschland, von den Erfahrungen beim Ausprobieren der Tipps aus dem Buch 50
Empfehlungen ein guter Deutscher zu werden. Ein paar Auszüge: Bratwurst essen,
Apfelschorle und Bier trinken, Versicherungen abschließen und !Pantoffeln
kaufen und tragen! Wie könnte ein solches Lied sinniger heißen als „Liebeslied
für Deutschland“. Natürlich durfte David nicht ohne Zugabe gehen – nach
eigenen Worten war er darauf vorbereitet. Mit dem Titel „What a Wonderful
World“ rundete er den Abend echt gelungen ab und schaffte es, alle verzweifelten,
kritischen oder anklagenden Töne des Abends in die einzige Wahrheit
umzutauschen – die Liebe zur Welt, die sich gerade an den kleinen Gesten
festmacht. Raufen wir uns zusammen und tragen alle dazu bei, dass wir auch
morgen noch sagen und singen können „What a Wonderful World“.
Und wer sich in dieser wundervollen Welt mindestens einmal
im Monat fröhlich und trinkfest zeigt, ist unser Patron „Jock Stewart“,
dem auch diesmal wieder mit dem gleichnamigen Lied gehuldigt wurde.
Und nun bleibt mir nichts Weiteres zu sagen als
Out of the
bedroom am 6. Mai 2022 im Dotty‘s
Mario