David Lübke im Folk Club am 3. Februar 2023
Langsam aber sicher kommt der Folk Club wieder sein
gewohntes Gesicht mit einem vollen Saal und featured Artists, die mit
glänzenden Augen ihre Tourneen fortsetzen, nachdem sie im Folk Club aufgetreten
waren. Diesmal war es David Lübke aus Hannover, der in bester
Liedermachermanier (das ist doch das deutsche Äquivalent zu Singer-Songwriter,
oder irre ich mich?) das Publikum begeisterte.
Aber die traditionelle Choreografie des Folk Clubs begann
wie immer mit John Harrison, der zum Einstieg und passend zum Thema des
Abends – Freundschaft – Lieder über Begebenheiten aus seiner Schulzeit
präsentierte. „Lady Jane“ beschreibt Johns Erlebnisse mit seiner ersten
Freundin, die rund 15 Kilometer entfernt von ihm wohnte. John musste die
Strecke für Besuche mit dem Fahrrad zurücklegen. Wir können froh sein, dass
John dieses Abenteuer überlebt hat. Denn wer die engen und kurvigen englischen
Landstraßen kennt, die nachts stockduster waren, mag sich nicht ausmalen, was
mit einem liebestrunkenen 16jährigen Radfahrer auf einem vermutlich miserabel
beleuchteten Fahrrad hätte geschehen können. Christoph Thiebes, die schnelle
Eingreiftruppe an der Mundharmonika, begleitete John wunderbar aus dem
Stehgreif. Weil es ins Thema passte, spielte John sein Lied „Flan“ über seinen
tragisch ums Leben gekommenen Jugendfreund Kieran Flannery einmal mehr. Getreu
seinem Motto „Ein Gedicht muss sein“ präsentierte John das Gedicht „Grief
(Trauer)“ von Elizabeth Barrett Browning, das in der traditionellen Form eines
Sonetts die wahre Trauer beschreibt, die sich in Stile und nicht in expressiver
Emotion äußere. Das Gedicht hatte die Autorin vermutlich im Zusammenhang mit
dem Tod durch Ertrinken des geliebten Bruders verfasst. Leider ist es für
nicht-Muttersprachler nicht einfach zu erfassen. Für alle, die sich am Original
versuchen wollen, hier nachfolgend der Text des Gedichts:
I tell you, hopeless grief is passionless;
That only men incredulous of despair,
Half-taught in anguish, through the midnight air
Beat upward to God’s throne in loud access
Of shrieking and reproach. Full desertness,
In souls as countries, lieth silent-bare
Under the blanching, vertical eye-glare
Of the absolute heavens. Deep-hearted man, express
Grief for thy dead in silence like to death—
Most like a monumental statue set
In everlasting watch and moveless woe
Till itself crumble to the dust beneath.
Touch it; the marble eyelids are not wet:
If it could weep, it could arise and go.
Von einem anderen Jugendfreund, Jonathan Ole Wales Rogers
stammt das Lied „Geoffrey“ über einen weiteren Schulkameraden der wegen seines
Glasauges (aber vielleicht auch nicht nur deswegen?) Schwierigkeiten bei den
Mädchen hatte. Trotz seiner Behinderung sei der Besungene immer lustig gewesen.
Ob er auch fröhlich war, wird uns niemand mehr verraten. Auch bei diesem Lied
spielte Christoph gekonnt den Mundharmonikapart. Vom selben Autor, der auch
viel zu jung gestorben ist, stammt das Lied „Angel In Disguise“, der damit den
für ihn unverständlichen Wandel seiner Freundin nach den Sommerferien beschrieb
– Liebesleid an allen Fronten!
Zum Thema „Freundschaft“ startete Mario Dompke seinen
Beitrag mit einem Lied in plattdeutscher Sprache über eine Frau aus dem hohen
Norden, die ihn während seiner Studienzeit mit ihrem Plattdeutsch aus der
Fassung gebracht und offenbar auch fasziniert hat: „Hey mien Deern“ lautet der
Titel. „Augenblick der Liebe“ beschreibt den Wunsch nach den Momenten, in denen
sich die Liebe in ihren unschuldigen und reinen Facetten präsentiert –
anrührend und gefühlvoll! Eine besondere Form der Freundschaft, nämlich die zu
sich selbst, beschreibt Mario im Lied „Blick in den Spiegel“. Dabei geht es
nicht um Narzissmus, sondern um die Reflektion der eigenen Person. Danke, Mario
für den schön verpackten Stoff zum Nachdenken!
Nun, wir befinden uns in der „Fünften Jahreszeit“, jawohl!
Und Trööt un Flitsch alias Erhard Schwartz und Hansjörg Schall
sorgten gekonnt dafür, dass Karneval im Folk Club nicht unter den Tisch fällt –
wär‘ ja noch schöner, Weihnachten wird ja auch nicht ausgeblendet! Für
nicht-Rheinländer: Trööt bedeutet ganz allgemein Blechblasinstrument. Erhard spielt
alles aus der Familie der besonders Dicken – er hatte aber nur eine seiner
Dicken mitgebracht. Eine Flitsch ist schlicht eine Mandoline.
Witzig, dass ausgerechnet zwei Zugereiste (Erhard aus
Sachsen und Hansjörg aus Schwaben) hier im Folk Club die Fahne des Rheinischen
Frohsinns hochhalten. Das diesjährige Bonner Karnevalsmotto mussten die beiden
dem Publikum auch erst einmal einimpfen: „Ob mit Pappnas‘ oder Höötche, mer
sitze all in einem Böötche“ verpackten die beiden in einen gelungenen Refrain,
der vorn und hinten an den Karnevalsklassiker „Heidewitzka, Herr Kapitän“
angepappt wurde – eine tolle Idee. Übrigens hat das Karnevalslied von Karl
Berbuer aus dem Jahre 1936 eine krasse staatsmännische Karriere hingelegt: Das
Lied diente den amerikanischen Gastgebern bei einem Besuch Konrad Adenauers im
Jahr 1953 als Ersatz für das noch nicht als Hymne der Bundesrepublik etablierte
Deutschlandlied. Tja, Karneval beim Staatsbesuch, das ist doch mal etwas. Ob
Adenauer den Text vom „Müllemmer Böötche (Mülheimer Schiffchen, ein
Textbestandteil des Liedes)“ damals mitgeschmettert hat, ist nicht überliefert,
aber das Publikum im Saal wusste Bescheid und sang begeistert mit. Auch eigene Kreationen
steuerten Trööt un Flitsch bei: „Dunn mer noch eine (Gib mir noch etwas zu trinken)“.
Wie für Karnevalslieder üblich gab es auch hier einen netten und einfachen
Refrain, den alle mitsingen konnten. Ebenfalls aus eigener Feder stammte die
geniale Vertonung der elf Artikel des Rheinischen Grundgesetzes, eine wahre
Hymne für das Rheinland. Wieder für nicht-Rheinländer: Die ersten drei Artikel
lauten: Et es, wie et es, Et kütt, wie et kütt, Et hätt noch emmer joot
jejange“. Weitere Artikel bitte bei Wikipedia anschauen oder gelegentlich bei
der Ankunft an Terminal 2 des Konrad-Adenauer-Flughafens an den Glaswänden vor
dem Zugang zur Gepäckausgabe studieren und auswendig lernen (wird im nächsten
Folk Club abgefragt!).
Als kleine Konzession an den internationalen Geschmack gab’s
dann noch Carol Kings unsterbliches Lied „You’ve Got a Friend“ – super passend
zum Thema des Abends. Großer Applaus für die beiden Frohsinnsbotschafter.
Vermutlich hatte auch der „Featured Artist“ des Abends aus
dem protestantischen Norden Deutschlands am bisherigen Programm seinen Spaß
gehabt, denn David Lübke ging gut gelaunt ans Werk und brachte gleich
mit dem ersten Lied das Publikum in, wie auch immer geartete Wallung. „Der
verlorene Sohn“ ist das Hohelied auf die elterliche Liebe, aber eigentlich ein
Lied auf die Liebe zu anderen Menschen schlechthin. „Von der Liebe“ lautet ja
auch der Titel von Davids aktueller CD – es hätte kaum passender sein können
für das Motto des Abends. „Du bist immer willkommen zu Haus“ ist die zentrale
Botschaft des Liedes mit der einprägsamen Melodie, die David zu seinem
unnachahmlichen Gitarrenspiel sang – zum Weinen schön!
Schön auch, dass David nicht nur seine fast allesamt selbst
geschriebenen Lieder in seiner Muttersprache verfasst, sondern seine Ansagen
und die Lieder mit lauter, gut artikulierter und verständlicher Sprache
vorträgt – kein unverständliches Genuschel wie bei vielen anderen Künstlern.
„Weit, weit weg“ erzählt von Davids Reisen mit der Gitarre
auf dem Rücken durch die nähere und fernere Umgebung seiner ursprünglichen
Heimat Lemgo in Ostwestfalen. Bei dem Lied begleitete er sich mit dem Banjo,
das er wie die Gitarre mit atemberaubender Schnelligkeit und Sicherheit
bediente. „Wann merkt Ihr, dass Ihr Brüder seid“ beschwört ganz allgemein den
Frieden und hat natürlich einen sehr aktuellen Bezug. Mit „Wie weit zum
Horizont“ thematisiert David wieder den Wunsch, über den eigenen Schatten zu
springen, und das zu einer Melodie, die sich tief ins Herz bohrt. Aus der Feder
des österreichischen Dichters Theodor Kramer (1897-1958) stammt das Gedicht
„Andre, die das Land so sehr nicht liebten“, mit dem der Dichter die Schmerzen
der erzwungenen Emigration beschreibt. Nach dem Kriege fast vergessen, wurde
das Gedicht zusammen mit anderen Gedichten Kramers in den Vertonungen von
Zupfgeigenhansel wiederentdeckt und stellt mittlerweile einen Klassiker für
deutschsprachige Liedermacher und Folkmusiker dar – berührend!
Als weiteres Lied zum Thema „Unterwegs“, das für Davids
Leben eine zentrale Rolle spielt, steht „Für die Liebe, für die Freiheit, für
das Leben“. Ein zartes Liebesbekenntnis an eine ferne Geliebte ist das Lied „Wo
und wann?“. Mittlerweile hing das Publikum fasziniert und fast atemlos an
Davids Lippen und natürlich auch an den berückenden Klängen aus seiner Gitarre.
Euer Hofberichterstatter gehört dazu. Jetzt wieder zum Banjo sang David „Wenn
ich wüsste, was der Morgen bringt“, ein philosophisches, humorvolles und
schwungvolles Lied über den Wunsch des Menschen, ein wenig in die Zukunft zu
blicken. Langsam steigerte sich der Jubel und Applaus ins Frenetische. Beim
Lied „Mein Apfelbaum im Garten“ durfte Mario Dompke dem Star des Abends
assistieren. Mit zwei Gitarren klingt das an sich schon bezaubernde Lied noch
schöner. Mit dem nächsten Lied machte David erneut eine kleine Anleihe bei den
Granden der deutschen Folkmusik: „Heute hier, morgen dort“, wer kennt das Lied
von Hannes Wader nicht? Das Publikum sang inbrünstig mit und tobte zum Schluss.
Das sollte eigentlich der Abschluss von Davids Auftritt
sein, aber ihr könnt euch natürlich vorstellen, dass er ohne Zugabe nicht von
der Bühne gelassen wurde. Mit dem Lied „Wo der Mond die Erde küsst“ hinterließ David
einen tiefen Einblick in sein Denken und
Fühlen und einen noch tieferen Eindruck bei den Zuhörern und der Beobachtung
eures Chronisten zufolge besonders bei den ‑innen. Jedenfalls war der Applaus
überwältigend – Standing Ovations!. Wir sind sicher, dass wir von David noch
Etliches hören werden, vielleicht auch noch einmal im Folk Club – alles Gute
für deine Tour, David!
Nun, nach diesem fulminanten Höhepunkt war der Abend
eigentlich zu Ende gewesen, aber der Bericht hat Davids Lieder vor der Pause
und am Ende des Abends in einem Rutsch behandelt. Zwischendrin gab es noch
andere Musiker zu hören, die nicht unerwähnt bleiben dürfen.
John Hay präsentiert im Folk Club gern Instrumentalstücke
auf der Gitarre. Steve Hacketts „Horizons“, ein Stück in Anlehnung an
Kompositionen von Bach ist schon eine echte Herausforderung für einen Solisten.
John Hay meisterte das schwierige Stück mit Bravour. Super, John, bitte mehr
davon!
Thomas Meier war schon mehrmals im Folk Club zu
hören, zuletzt im Februar 2019 mit dem Quartett Just 4 im Februar 2019. Diesmal
kam er allein und hatte drei Lieder im Gepäck: „Fix You“ von Coldplay
beschreibt, wie man wieder aufgebaut wird, wenn man einfach verzweifelt ist. In
„Chasing Cars“ von Snow Patrol sucht der Sänger nach einem Weg, seine Liebe zu
bekennen. Ein echter Klassiker ist „Wish You Were Here“ von Pink Floyd.
Wunderbare Lieder zum Thema des Abends. Danke Thomas und großer Applaus vom
Publikum.
Mit JerMexiCana enterten sechs Herren mit Gitarren,
Ukulele, Akkordeon, Mundharmonika, Schlagzeug und natürlich Gesang die Bühne.
Die Namen aller Musiker könnt ihr unter den Bildern lesen. „All Of It“, eine
Komposition des Bandmitglieds Dany Henry Carpintero, beschreibt eine
Liebesgeschichte mit einer irischen Frau, die aber am Ende irgendwie doch nur
geträumt war. „Y asi verás – un nuevo tiempo“ (Nun wirst du es sehen – eine
neue Zeit), ist der Titel des Liedes über eine Beziehung am Wendepunkt im
Zeichen von Liebe und Hoffnung. Text und Musik sind von Miguel Garcia
González, einem weiteren Mitglied der Gruppe. „Der Hafen“ basiert auf einem
Gedicht („Für Einen“) der Dichterin Mascha Kaléko, die als Jüdin durch
Emigration in die USA dem Nationalsozialismus entkam. Die Musik dazu
komponierte Walid Chaar. Es handelt vom Gleichgewicht zwischen der Nähe
und den manchmal so notwendigen Freiräumen in einer Freundschaft. „The Snows,
They Melt The Soonest“, ein Lied, dass wir schon des Öfteren von John Harrison
gehört hatten, gab es diesmal mehrstimmig. Das englische Volkslied beschreibt
einen Mann, der Frauen gleichzeitig begehrt und doch verachtet – traurig und
tragisch. Danke an die Sechs für ihre schönen Beiträge zum Thema des Abends.
Ja, irgendwann ist auch der schönste Folk-Club-Abend zu
Ende, aber natürlich nicht, ohne eine musikalische Huldigung an den Patron der
Veranstaltung, Jock Stewart, a man, you don’t meet every day.
Auf Wiedersehen am Freitag, den 3. März u.a. mit der Gruppe
Tangoyim aus Hückeswagen.