Dienstag, 25. Oktober 2016

Sabine Büttners Fotos vom Folk Club 73 am 7. Oktober 2016



Das Banner des Folk Clubs anlässlich der 50. Auflage am 5. September 2014
John Harrison

John Harrison und Paolo Pacifico

Carol Atwel


Die Gruppe Passionate Penguins

Pinguin Nick Nuttall

Pinguindame Maria Martinez

Pinguin John Hay

Pinguin Christian Schuster

Pinguin Thomas Monnerjahn

Tom Kannmacher


Jutta Mensing

Daniel Bongart

Daniel Bongart und Janero del Rosario


"Zwei von Zwei" plus Sebastian Landwehr

Ulrike Hund

Stephan Weidt


Bluegrass Guerilla mit Tobias, Simone, Clemens und Hendrik



Sonntag, 16. Oktober 2016

Marios Bericht vom Folk Club Nr. 73 am 7. Oktober 2016



Olle Kamellen


Bonn liegt im Rheinland – das Rheinland ist bekannt für seinen Karneval – und wer kennt im Karneval nicht den Ausruf „Kamelle“? Und da liegt natürlich der Schluss recht nahe, dass eine „olle Kamelle“  etwas auf der Straße liegen Gebliebenes ist (sei es nun Bonbon, oder Mensch, welcher anstelle von Kamellen denn doch den kleinen Schnapsfläschchen zugesprochen hat). Aber weit gefehlt. Olle Kamellen gibt es nämlich nicht nur im Rheinland, sondern überall und, wer hätte das gedacht, bezeichnen sie eine Kamille (Heilpflanze), die durch zu langes liegen ihre Heilkräfte ganz oder teilweise eingebüßt hat.
Nicht so in der Musik, dort sind olle Kamellen oft gerade die, die durch langes Liegen (hoffentlich meist auf dem Plattenteller), einen Bekanntheitsgrad erreicht haben, der es Jedem erlaubt mitzusingen. Da aber jedes Land eigene olle Kamellen hat und ebenso jede Region in den verschiedenen Ländern, sind olle Kamellen auch immer wieder Quellen, um Neues kennenzulernen.
Die erste olle Kamelle im Folk Club 73 kannte aber jeder – trotzdem erschrecken sich immer wieder einige, wenn John Harrison mit seinem dezenten Hinweis „Laaaaadiiiiiieeeeees and Gentlemen....“ zum Einstellen der persönlichen Gespräche auffordert und auf den sowohl künstlerischen wie auch gemeinschaftlichen Genuss des Zuhörens und Mitsingens hinweist. Mit seinem ersten á capella gesungenen Lied „A Begging He Can Go“ eröffnete er auch den musikalischen Reigen. Es beschreibt das Leben eines Bettlers, welcher doch eher ein König ist, darf er doch selbst entscheiden, wann er arbeitet (bettelt) oder wann er ruht. Die olle Kamelle verbarg sich hier weniger im Lied (zumindest ich kannte es noch nicht), als in der darin enthaltene Weisheit  – sei mit dem glücklich, was du hast und nicht mit dem unglücklich, was du haben möchtest. Für das folgende „Wee Midnight Hour“ stieg – inzwischen schon Gewohnheit – Paolo Pacifico mit auf die Bühne. Resonatorgitarre und Harp, so soll Blues sein, und wenn dann auch noch mit dem Lied auf Johns wahre Identität (der englischsprachige Nachtwächterführer der Stadt Bonn) hingewiesen wird, bedeutet dies Kultur im Hier und Demnächst. Aber vom Thema natürlich wieder eine olle Kamelle – enttäuschte Liebe, schwere Herzen und das alles zur kalten, nassen Mitternacht. Auch beim dritten Stück blieben John und Paolo der instrumentalen Bluesbesetzung treu und interpretierten „Creole Belle“ in bravouröser Art. Mississippi John Hurt hätte, wie auch andere, die dieses Lied gespielt haben, seine Freude daran gehabt.
Nach seinem Vortrag rollte John das Klavier auf die Bühne und kündigte mit Carol Atwel, eine hervorragende Pianistin mit einer tollen Stimme, an. Schade, dass immer wieder entweder das Klavier zu laut, oder die Stimme zu leise war. Aber mit ein wenig Konzentration konnte die Zuhörerschaft einen Genuss erleben  - mit gutem Klavierspiel und einer Stimme, die es intonationssicher schaffte, auch großen Sprünge in der Melodieführung zu folgen. Mit einem „alten Lied“ von Joni Mitchell begann ihr musikalischer Reigen. Mit dem Prince Lied „How Come You Don't Call Me“ setzte sie ihren Vortrag fort und der ein oder andere aus dem Publikum sang leise mit. Als Abschluss bediente sich Carol aus dem Film Nashville. Der Oscar preisgekrönte Song „Due“ wurde von ihr sehr schön interpretiert.
Nach Carol wurde die Gruppe Grateful Gerbels angekündigt (großartige Beller?) – nur hatte John wahrscheinlich den kurz vor dem Folk Club stattfindenden Mailverkehr nicht mit bekommen. Nick Nutall und Friends haben sich nämlich kurzerhand zu „Passionate Penguins“ benannt. Einer der  Penguins ist John Hay, der mir wahrscheinlich beweisen wollte, dass ich in meinem letzten Bericht nur die halbe Wahrheit gesagt habe, beschrieb ich ihn doch als Gitarristen und er stellte sich diesmal als Cajon Spieler vor. Die Stücke der Passionate Penguins forderten von Anfang an zum Mitsingen auf. Mit dem Richard Thompson Lied „Missunderstood“ wurde der floor spot begonnen und Nick verstand es, die Stimmung durch seinen kraftvollen und emotional vorgetragenen Gesang anzuheizen.  Mit zwei Fairport Convention Stücken ging es weiter und so kam die Besetzung mit zwei Gitarren,  Stimmen und Schlagwerk als Cajon und Tambourin bei dem Lied „Who Knows Where the Time Goes“ gut zur Geltung. Richtiges Gemeinschaftsgefühl kam aber bei „Percy's Song“ auf - durften doch alle mindestens bei den wiederkehrenden Zeilen „turn, turn, turn again“ und „turn, turn to the rain and the wind“ ihrem musikalischen Bewegungsdrang nachkommen und lauthals (und teilweise auch mehrstimmig) mitsingen.
Als nächster Act kamen dann schon die ersten featured artist des Abends auf die Bühne. Die „Bluegrass Guerillas“. Heißt es zwar Nomen est Omen, bedurfte es bei diesem Namen den doch einer kleinen Erklärung, die dann jedoch so logisch war, dass ich mich fragte, warum ich nicht gleich darauf gekommen bin. Mit kurzen, spontanen Auftritten in der Rheinaue, als Bandproben getrant, begeistern sie hin und wieder jeden der vorbei kommt. Da diese Konzerte so kurz sind, dass sie auch die Strassenmusikantengebühren zu umgehen verstehen, erscheinen sie wie eine Guerilla Taktik und deshalb....... Mit dem Song „Friend of the Devil“ begann das blauschimmernde Gras zu blühen (Der Name Bluegrass entstand aus einer der ersten Bluegrass Gruppen – Bil Monroe and the Blue Grass Boys – was nichts anderes bedeutete, als dass Bill Monroe mit einigen Musikern aus dem Blue-Grass State Kentucky zusammen gespielt hat (vor allem mit Earl Scruggs, der den unverkennbaren, schnellen drei Finger Style des Bluegrass geprägt hat). Und der fruchtbare Boden von Kentucky bringt nun einmal das mit blaugrünen Blättern versehene Wiesen-Rispengras hervor). Noch immer allgemeiner nach Country als speziell nach Bluegrass klang danach das Johnny Cash Stück „Further up on the Road“, bevor es dann mit „Take Me on Your Life Boat“ so richtig abging Nun blieb niemand mehr ruhig und neben dem unwiderstehlichem Drang mitzusingen wippten auch fast alle Füße im treibenden Takt mit. Um es vorweg zu nehmen – die Bluegrass Guerillas kamen in der zweiten Folkclubhälfte wieder auf die Bühne und machten dort weiter, wo sie aufgehört hatten. Ich hatte sogar den Eindruck, dass der Applaus der ersten Hälfte ihnen weiteren Antrieb gegeben hatte – denn, dachte ich bei den ersten beiden Stücken noch „mmh son bisschen mehr drive könnte schon noch dazukommen“, so ging es nun so richtig ab. Ob reiner Bluegrass, ob eher Oldtime Contry Schnulze, weder die Guerillas noch das Publikum waren zu halten. Bei „Rolling in My Sweet Baby's Arms“ (ein Stück von jenem bereits erwähnte Earl Scruggs) wurde nicht nur mitgesungen, sondern – echt country like – es kamen auch neue Stimmen, terz- und oktaveversetzt, hinzu. Dann ein Stück mit weiten Instrumentalpassagen „Country in My Genes“ und  zur Beruhigung das schnulzig angehauchte „If I Needed You“ - die Guerillas hatten ihr Publikum in der Hand. Trotzdem kam noch eine Steigerung. Das barber shop like begonnene „Over in The Glory Land“, welches sich dann wieder zu einem fulminanten Bluegrass auswuchs, kann getrost als ein Höhepunkt bezeichnet werden. Wen wundert es, dass das Publikum eine Zugabe verlangte, die dann mit den Worten „noch 'ne Schnulze“ angekündigt und mit dem Song „Sweet Carolina“ wahrgemacht wurde. Ich kann nur jedem empfehlen, sich auf der E-Mail Liste der Guerilla einzutragen, um bei Gelegenheit ein Guerilla Konzert am Rhein mit zu erleben.  
Was macht Musik so interessant – selbst innerhalb nur eines Liedes. Es sind die Breaks, die unerwartetes bringen und Spannungen immer wieder neu aufbauen. So auch beim Folk Club. Mit Tom Kannmacher kam ein Break der es in sich hatte. Aus treibendem Country wurden ruhige professionell vorgetragene Balladen aus deutscher Geschichte. Volkslieder in reinster Kultur zu einem alten Instrument, welches als Kreuzung der deutschen Laute mit Harfe und weiteren Instrumenten vorgestellt wurde, erinnerten uns alle an Zeiten, in denen noch kein TV den Abend verkurzweilte und  die Menschen noch gezwungen waren sich gegenseitig Geschichten zu erzählen und/ oder bei gemeinsamen Liedern zu träumen. Mit dem Auswanderungslied „Nun ist die Zeit und Stunde da“ aus der Eifel griff Tom ein brandaktuelles Thema auf. Nur, dass heute aus unserer Sicht die Auswanderung eine Einwanderung anderer zu uns ist. Aber gleich bleibt, dass die Vorstellung vom besseren Leben oft anders als die Realität ist. Mit dem Stück „Ich steh' auf hohem Berge“ kehrte er sich wieder dem  ebenso emotionalen wie auch am meisten in der Musik genutztem Thema, der Liebe, zu. Wie martialisch so manches Liebeswerben zuging beschreibt in diesem Lied die Zeile „und schickst du die Nonne nicht heraus, so brenne ich das Kloster ab, dann kommen alle raus“ (na ja, ist nicht genau der Text, aber sinngemäß schon). „Es hat ein Frost gedrücket“ ist ein Wanderlied, dass, wie Tom erläuterte, voller Symbole der deutschen Liedkunst steckt. Die Eiche, der kühle Brunnen oder der singende Vogel, alles Metaphern für Bedeutungen, die einerseits Liebe andererseits Gemeinschaft oder Ehre beschreiben. Das Lied hat in seiner Überlieferung keine Melodie, weshalb Tom eine Moritat hernahm, auf die der Text passte. Mit der gesungenen Geschichte „Es reiste eine Jungfrau“ beendete Tom die erste Hälfte des Folk Cclubs und entließ das Publikum für eine Pause an die frische Luft. Auch hier springe ich in die zweite Hälfte. Tom kam nach den Bluegrass Guerillas auch ein zweites Mal auf die Bühne und gab offenherzig zu, dass er es nun wohl schwer hätte, mit seiner eher ruhigen Musik das kochende Publikum wieder einzufangen. Jedoch wäre Tom nicht Tom und ein langjähriger Profi, wenn er das nicht schaffen würde. Außerdem ist der Folk Club Bonn nun mal der Folk Club Bonn und deshalb möchte ich es nicht versäumen, an dieser Stelle dem Publikum ein wiederholtes Lob auszusprechen – ihr seid wirklich ein wertvolles, dankbares und diszipliniertes Publikum, das nicht nur unterhalten werden will, sondern echtes Interesse zeigt.
Angefangen hat Tom seinen zweiten Teil mit der „Ballade vom Wassermann“, die es in vielen Versionen über ganz Deutschland verteilt gibt. Doch immer ist es das gleiche Thema, nämlich, wie ein Wassermann eine Sterbliche freit und die Liebesgeschichte in der Tragödie des Ertrinkens der Maid endet. Ähnlich fatal der Inhalt des nächsten Liedes in dem der „König und Marquise“ zusammentreffen und dem König die wunderschöne Frau des Marquises gefällt, dieser, da nur Marquise, dem König selbige zur Verfügung stellt. Na ja, ob das das richtige Frauen- oder Obrigkeitsbild ist? „Ich will mich umschauen nach Tint und Papier“ beschrieb als nächstes Lied den nicht sehr diplomatisch gestalteten Abschied eines Mannes von seinem Schatz. Einfach einen Abschied aufs Papier geschrieben und an die Tür geheftet, ist ja nun nicht die feine Art, sich zu trennen. Ob das wohl der Marquise gewesen ist, der nun seine eigene Frau verschmähte? Ebenfalls vom Abschied – aber nur vorübergehend -  berichtet die Ballade „Schönster Schatz auf dieser Erde“, beschrieben auch als „Abschied mit Versicherung der Treue“. Ja, damit wollte Tom von der Bühne gehen, jedoch wie sehr er Profi ist und es verstand das Publikum nach Bluegrass wieder zurück zu gewinnen, zeigte der vehemente Wunsch nach einer Zugabe. Diese gab Tom auch mit einem seiner Lieblingslieder „Das Mädchen, das ich liebe“. Wenn ein Abend von soviel Liebe erzählt, dann fragt man sich schon manchmal, warum die Welt oft nur grausam ist. Versinken wir also immer wieder in die Umarmung von Musik und versuchen wenigsten eine kurze Zeit allem Kummer zu entfliehen.
Nun aber ein Sprung zurück in den tatsächlichen Ablauf des FCB Abends. Gefühlt kaum begonnen war die Pause schnell vorbei und Jutta Mensing stimmte in gewohnter Animationsabsicht einen gemeinsamen Kanon an „Hejo, spann den Wagen an“ ist zwar ein Erntelied, aber viele kennen es doch besser als Protestlied der AKW Bewegung. Daniel Bongart übernahm das nun wieder auf Singen eingestellte Publikum und spielte, begleitet von seiner Mandoline, den Glen Hansard Song „Lowly Deserter“. Die treibende Mandoline fand ich ganz toll, stellte sie doch als Begleitinstrument alleine gespielt mal etwas ganz anderes als das bekannte Gitarrenspiel als Begleitung dar. Mit einem eigenen Lied „Where Are You“ bewies Daniel, dass er nicht nur covern kann, sondern selbst ein guter Komponist und Texter ist. Bei seinem eigenen Lied kam dann doch wieder die gute alte Klampfe zu Ehren. Der Text zu dem Lied ist erst kürzlich fertig gestellt worden, weshalb umso mehr zu bewundern war, dass das Lied sehr professionell vorgetragen wurde. Einen Höhepunkt für den Folk Club – wenngleich einem eher traurigem, allerdings mit gutem Hintergrund – bot das letzte Lied von Daniel – denn hierfür holte er sich unseren Kameramann (und kontinuierlichen Musiker) Janero del Rosario zu sich. Beide interpretierten dann Bob Dylans „Forever Young“, bei dem das Publikum lautstark mitsang. Ach ja, Janero war vorläufig zum letzten Mal beim Folk Club, da er beruflich nach Darmstadt geht – wir wünschen ihm alles Gute und viel Glück – wissen wir doch auch, dass er am ersten Freitag des Monats sicher oft den Abstecher nach Bonn machen wird.
Als letzter Berichtspunkt kommt wieder einmal Sebastian Landwehr zu Ehren. Sebastian kündigte selbst an, dass seine „ollen Kamellen“ noch gar nicht so oll sein können. Spielt er doch fast ausschließlich eigene Lieder und die können halt höchsten 28 Jahre alt sein. Also begann er mit seinem ersten selbstgeschriebenem Lied „Die Wogen“, in dem er den Verlust von Idealen bzw. die Traurigkeit über nicht realisierte Ziele besingt – aber Sebastian hat ja glücklicherweise noch viel Zeit in seinem Leben, um neue Ziele zu setzen und zu verwirklichen (hoffentlich gehören dazu weitere so tolle Lieder). Der Folk Club, ich habe es schon oft gesagt, ist auch ein Ort der Gemeinsamkeit und immer wieder finden sich neue musikalische Freundschaften zusammen. So holte Sebastian schnell die Freunde der Gruppe „Zwei von Zwei“ mit auf die Bühne (Ulrike Maria Hund und Stephan Weidt) und spielte mit den beiden seine Song „Ganz bei dir“, welcher auch wieder die Liebe beschreibt, nämlich die Aussicht, dass er nach noch einigen Erledigungen in seinem Leben bald ganz bei ihr sein wird. Sehr schön, wie hier die zwei Gitarren sich Melodieführung und Rhythmus teilten und der Gesang durch die Querflöte unterstrichen wurde. Mit seinem letzten Lied  „Die kleine Feder“ griff Sebastian noch einmal in seine eigene Vergangenheit. Es ist ein Lied, das er ursprünglich für seine Irish Band geschrieben hat. Natürlich forderte dieses Lied wieder zum Mitsingen auf und das ganz einfach – nur ein Vokal mit Melodie musste gesummt oder gesungen werden. So wurde es auch ein richtiger Spaß für alle Zuhörenden.
Tja, nachdem ich die folgenden featured artists bereits oben beschrieben habe, bleibt nur noch zu sagen, dass der Patron des Folk Clubs diesmal á capella den Ausklang des Clubs einläutete. Jock Stewart ist und bleibt das Wahrzeichen des Folk Clubs Bonn und macht Appetit auf den nächsten Club – also, wir sehen uns wieder am 04. November 2016 im Sträters.

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Marios Bericht vom Folk Club Nr. 72 am 2. September 2016


Protest ebenso – naja, zumindest den Teil der Menschen, die gemeinsam protestieren. Wenn das Protestieren zu dem Ergebnis führt, dass die Protestanten überzeugen können, doch mal etwas vorwärts Gerichtetes, anstatt des Bisherigen auszuprobieren, also etwas Neues (Unbekanntes) zu machen, dann hat der „Pro Test“ seine Wirkung erzielt und vereint vielleicht auch Alle (pro bedeutet nämlich als lateinisches Präfix „vorwärts, vor-, hervor, anstatt, für“). Und vom guten alten Test wissen wir alle, dass er für den Sinnbegriff „ausprobieren, versuchen, etwas Neues (Unbekanntes) machen“ steht.
So fing der 72. Folk Club denn auch für mich direkt mit einem Protest (im Sinne der Definition oben) an, denn ich dachte, dass der Folk Club sich diesmal den Raum mit dem Ausklang eines Kaffeeausfluges teilen würde (so nach dem Motto, lasst uns mal was Neues ausprobieren :-) ), sah ich doch bei meinem Eintreffen einen ganzen Tisch besetzt mit feierlich gekleideten Damen (zumindest für meine Verhältnisse feierlich, denn alle hatten eine weiße Bluse an :-) ). Aber nein, wie ich sehr bald erfuhr, war die Kleidung einfach die Dokumentation der Zughörigkeit zu einem Chor – aber davon später mehr.
Eröffnet wurde auch dieser Folk Club wie immer mit dem Signalruf: Laadiieees and Gentlemen.......
Zeremonienmaster John Harrison himself bat so wieder lautstark um Ruhe, um diese sofort zu nutzen, das Motto des Tages in einem ironisch angehauchten Protestlied gegen Protestlieder darzustellen. „Ring Around a Rosy Rag“ ist ein Lied von Arlo Guthrie, der nun wahrlich in einer protestschwangeren Umgebung groß geworden ist – sowohl in seiner Familie wie auch in der damals gegen Vietnamkrieg eingestellten Hippiebewegung. Mit dem selbstgeschriebenen „1001ten Protestsong“ zeigte John wieder einmal, dass er den Blues in sich nicht nur für Interpretationen nutzt, sondern auch, um Neues zu schaffen. Ebenso wie in seinem dritten Stück „Trouble and Strife“, in dem sich der Protest gegen das immer wiederkehrende Thema Krieg ausdrückt – diesmal gegen den Jugoslawienkrieg. Sind bei vielen Protestliedern zum Zeitpunkt ihrer Interpretation die Anlässe schon vorbei, so zeigt sich doch, dass der Inhalt universell ist und nur an immer neuen Beispielen aufgezeigt wird. Wann werden wir als Menschen endlich lernen, dass Stolz, Machtgier und Unterdrückung keine Mittel für ein Zusammenleben sind. Zum Auftritt von John sollte nicht unerwähnt bleiben – wenngleich auch inzwischen fast selbstverständlich - dass der Protest von John gegen das Alleinespielen (lasst uns doch mal was Neues ausprobieren) sich zwischenzeitlich in die neue Gesellschaftsordnung des Duos John Harrison & Paolo Pacifico gefügt hat. Aber, im Gegensatz zur Ehe sind in der Musik wechselnde Partnerschaften nicht nur akzeptiert, sondern erwünscht, reichern sie doch die musikalische Landschaft an und geben neuen Schwung für Proteste (lasst uns doch mal was Neues ausprobieren) – ein Schelm, wer jetzt weitere Vergleiche zur Ehe zieht.
In diesem Sinne blieb Paolo auf der Bühne, und John wurde durch Steve Perry „ausgewechselt“, um das alte italienische Protestlied „C'era un regazzo“ von Mauro Lusini and Franco Migliacci vorzutragen. Auch dieses Lied ist, wie so viele, ein Protest gegen den Vietnamkrieg. Paolo blieb nach dem Lied bei der Urform des Protestes, in dem er etwas Neues vorschlug zu probieren, um gegen die Folgen von Naturgewalten anzukämpfen. Bei dem schrecklichen Erdbeben vor ein paar Wochen sind in Italien viele Menschen ums Leben gekommen und 40 Dörfer fast völlig verschwunden. Hierunter auch Amatrice. Amatrice ist in Italien bekannt für eine besondere Leckerei – der Pasta Amatrice; ein Nudelgericht mit einer besonders schmackhaften Soße. Paolo bietet nun an, ebendiese Soße für Partys, Familienfeiern oder auch Betriebsfeiern zu kochen und die für diese Dienstleistung gegebenen Spenden nach Amatrice weiter zu leiten. Ich bin sicher, dass das Essen dann auch mit dem einen oder anderen Mundharmonika Klang untermalt wird, was die Spendenbereitschaft noch erhöhen sollte. Eine klasse Idee.
Hatte ich schon von Macht und Unterdrückung gesprochen – natürlich, aber wie gewohnt spricht  Gerd Schinkel nicht nur darüber, sondern kleidet seinen Protest direkt in Lieder. Gesungenes kommt eben besser an, weil Gesang Inhalte besonders gut vermitteln kann. Durch die geschaffene Wohlfühlatmosphäre wird auch die Bereitschaft zur Aufnahme von Botschaften vergrößert. Der getürkte Putsch (so der Titel seines Liedes) braucht wohl nicht erläutert werden – jeder hat ihn mit Schrecken verfolgt (insbesondere, was unmittelbar nach dem Putsch passierte). Und auch, wenn das Zusammenzählen von 1 + 1 möglicherweise 2,5 oder auch nur 1,56 ergibt, so spricht die Kombination der sichtbaren Fakten bei dem Putsch in der Türkei doch eine eindeutige Sprache. Wusstet ihr, dass die Türkei das einzige Land auf der Welt ist, in dem Militärputschs zur Wiedergewinnung einer tief verwurzelten Demokratie dienten. Wenn diesmal der Erfolg ausblieb, so spricht das eher dafür, dass der Putsch halt getürkt war. Bliebe zu dem Vortrag noch zu erwähnen, dass Gerd Schinkel wieder einmal durch das gekonnte Bassspiel von GeWe Spiller unterstützt wurde.
Nun aber zu den bereits erwähnten weißen Blusen. La Bella Musica, ein Chor, der eine lange Tradition hat (gegründet 1954), aus Bad Honnef kommt und als Verein eigentlich Frauenchor Bröl e.V. heißt, hat bei einer Anfrage des Folk Clubs gerne zugestimmt, auch dort einmal zu singen.  „So fünf Chormitglieder werden wir schon für den Termin zusammenbringen“ war eine vorsichtige Aussage, die dann aber mit 25 anwesenden Damen mehr als übertroffen wurde. Was Chorgesang anbetrifft, bin ich ein lebender Beweis, wie die Bereitschaft zur Annahme von Protest (lass uns doch mal was Neues ausprobieren) eine Einstellung verändern kann. Ich war nie ein großer Freund von Chören, was mir aber in den letzten Jahren an Chorgesang, -zusammenhalt und -möglichkeiten vorgeführt wurde, hat mich überzeugt. So auch wieder beim 72. Folk Club Bonn, wo der Chor sich mit einem sehr weit bekannten Protestlied (Die Gedanken sind frei) vorstellte, um dann diesen Vorgeschmack an Vielseitigkeit, Intonationssicherheit und  Spaß an der Sache mit den Stücken „Über sieben Brücken musst du gehen“, „Aquarius“, „Let the Sunshine“ und „Hymne to Freedom“ zu verfeinern. Isch sach nur: Daumen hoch (wobei meine Meinung da völlig unerheblich ist, haben die Damen doch schon viele Preise gewonnen und sind mit dem Titel Konzertchor im Chorverband NRW beim Leistungssingen am 22. Oktober 2011 in Unna gekürt worden). Dass Chöre allein schon durch die Anzahl ihrer Mitglieder besonderen Rahmenbedingungen unterworfen sind, zeigte sich dann kurz nach dem fulminanten Auftritt in der Organisation der notwendigen Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr nach getaner Arbeit. Wenn 25 Personen mehr oder weniger gleichzeitig bedient werden, entsteht halt „ein wenig“ Unruhe.
Ein alter Bekannte, wenngleich durch seinen Umzug nach Leipzig selten gesehen, bestieg mit Richard Limbert die Bühne. Ich habe mit Richard eine Zeitlang das openmic in der Bonner Mausefalle organisiert und weiß deshalb recht gut über seinen Weg Bescheid, und der ist erstaunlich. Richard ist nicht nur musikalisch ein sich stetig entwickelnder Mensch, sondern er möchte auch musikgeschichtlich alles wissen. So erzählte er mit seinem Kurzprogramm beim Folk Club selbst eine Geschichte über die Musik und dokumentierte im ersten Stück (Folk is Coming), dass selbst in einer Stadt wie Leipzig, wo die Musikszene eher beim elektrisch unterstützten Rock tobt, der Folk weiter Einzug hält. Richard erzählte aber auch, dass  Legenden oft auch werbewirksam genutztes  Schubladendenken ist. Selbst hat er sich durch viele Gespräche in New York davon überzeugt, als er die Bedeutung von „The Village“ für die gesamte Folkszene untersuchte. Die Ergebnisse vermischt mit der Legende und in ein Lied gegossen trug er uns allen vor. Zum Abschluss seines Besuchgigs brachte er die Eigenkomposition „Rolling all My Dice“, was die Unwägsamkeit des Würfelergebnisses auf das Leben übertrug.
Nun kam Matthew Robb – hager and no glamour repräsentiert er den Inbegriff des musikalischen Straßenprotestes. Jeder der ihn sieht, verbindet sofort die Szenen der vielen Roadmovies in Bild und gelesenen Vorstellungen mit seinen Auftritten. Und genauso ist seine Musik. Unverschnörkelt, ehrlich und echt. Es bedarf keines in Perlmutt eingefassten Instrumentes und keiner Bühnenshow, um Ehrlichkeit, „Weisheit“ und Protest rüberzubringen. Authentisch wie Folk sein sollte, kam Matthew mit Band daher. Leider habe ich im allgemeinen Trubel den Titel des ersten Liedes nicht verstanden und bei Matthews Slang gelang es mir mit meinem Schulenglisch auch nicht während des Gesangs, diesen zu erahnen. Aber bei Matthew reicht es auch schon aus, sich auf die Musik zu konzentrieren, um ein Wohlgefühl zu erreichen. Mit den Titeln „Dead Man Has no Dreams“ und „Slaves“ unterstrich er weiter die Ehrlichkeit seiner Musik. Um es vorweg zunehmen, in der zweiten Hälfte des Folk Club kam Matthew mit Band noch einmal und brachte die songs „Past Time Book“, „I Don't Know Where it Began“, „The River“ und „Don't Lie to Me“. Und auch hier zeigte sich die Ehrlichkeit seiner Musik. Folk ist etwas, was gemeinsam gemacht wird, was verbindet. Matthew  unterstrich dies, indem er die beiden Ledermann Brüder und Lena Walbröl kurzerhand mit einbezog – aber zuviel will ich nicht vorwegnehmen, also lest weiter und lasst euch überraschen.
Bevor es also zu der musikalischen Verbrüderung und Verschwesterung kam, eröffnet Barry Roshto als Begleitung der mit einer erstaunlichen Stimme ausgestatteten Lena Walbröl den second set. Barry begleitete Lena am Klavier bei dem Stück „I'm Falling Fast“, um dann zur Seite zu rücken und mit Lena gemeinsam Klavier zu spielen und sie auch zweitstimmlich immer wieder in Refrainzeilen der Lieder „Gib mir nur ein Wort“ und „The Rose“ zu unterstützen. Das Publikum war hingerissen, was sich nicht zuletzt in einem tosenden Applaus, welcher unbedingt eine Zugabe forderte, ausdrückte. Diese zeigte das Folk keine Musikform, sondern eine unsterbliche Lebensform darstellt, denn Folk ist das, was das Volk singt – und wenn es eine Interpretation von Justin Biebers „Love Yourself“ ist.
Das 360 Grad Panorama der Lebensform Folk zeigte sich auch in dem nächsten Künstler John Hay. Uns allen bekannt als Sänger und Begleitgitarrist, stellte er sich heute solo und als Flamencogitarrist vor. Flamenco ist, genauso wie Tango, Blues und andere Musikformen, in sich bereits der Ausdruck von Protest. Eine Form, Lebensinhalte und Lebensarten in Musik und Tanz auszudrücken, ohne mit Worten bei Obrigkeiten Anstoß zu erwecken. Flamenco ist aber auch eine der schwierigsten Formen, die Gitarren zu spielen, und deshalb ziehe ich mit Ehrfurcht meinen Hut vor John  Hay. Mit den Stücken Soléa und Bulera brachte John uns Stimmung, Kunst und Können nah.
Was kommt nach erstem Erfolg? Nah klar, wenn es gut läuft, zweiter Erfolg. Ist dieser zweite Erfolg dadurch gekrönt, dass aus einem Erfolgsträger zwei Erfolgsträger werden, sind wir bei den Ledermann Brüdern. Dennis und Marvin haben sich dauerhaft zusammengetan und sich deshalb auch mit einem merkbaren Namen geschmückt: Bromo (warum auch immer – nach eigenen Angaben hört es sich gut an, hat aber keine tiefere Bedeutung). Angefangen haben sie mit dem Lied „Liar, Liar“ (Lügen ist oft auch nur ein Ausdruck hilflosen? Protestes), um dann in das Protestlied gegen Rechts der „Ärzte“ „Schrei nach Liebe“ überzuleiten. Bromo äußert Protest höflich, denn als erstes entschuldigten sie sich für den Ausdruck „Arschloch“ im Text (Interessant, war es doch lange eine definierte Unterscheidung zwischen Liedermachern und Liedermachings, dass die Ersten den Zeigefinger (nicht den Mittelfinger) in ihren Liedern hochhielten und die Zweiten als Ausdruck der Abgrenzung und des Lebensspaßes Fäkalsprache in ihren Texten haben mussten. Aber Bromo sind eben ernstzunehmende Musiker und weder Liedermacher noch Liedermachings :-) ). Aber zurück zum angesagten Protestlied. Der Schrei nach Liebe prangert an, versucht aber auch Erklärungen für das Abgleiten in rechtsradikale Szenen zu finden. Ob dies angesichts der momentanen Entwicklung von Ausländerfeindlichkeit und AfD noch angemessen ist, wage ich nicht zu entscheiden – richtig ist es jedoch immer, solche Themen öffentlich anzusprechen. Bromo kann aber auch selber!! Das Lied „Hunting Daemon“ ist aus eigenen Feder und zeigt, dass noch unwahrscheinlich viel von den Brüdern erwartet werden kann – und dies drückte sich in dem zweiten Ruf nach Zugabe an diesem Abend  aus. Schnell wurde beratschlagt und ein „zufällig“ im Repertoire befindliches Stück wurde ausgewählt – tatsächlich völlig ungeplant wurde gefragt, ob Lena dieses Lied auch drauf hat, worauf hin sich eine der wichtigsten Wirkungen von Musik einstellte – ungeplante aber intensive Gemeinsamkeit - Lena kam und aus dem Duett wurde ein Trio (erst eins, dann zwei, dann Name und jetzt.......). „I See Fire“ wurde zu einer eindrucksvollen Präsentation von Können, Wollen, Spaß und Spontaneität. Freuen wir uns auf noch viele Auftritte von Bromo und/ oder Bromo featured projects.
Jeder Folk Club geht irgendwann seinem Ende zu. Doch das Ende des 72. Folk Clubs brachte nochmals eine Steigerung. Bereits angesprochen, nahmen Matthew Robb und Band den Folk Club auch in ihrem zweiten Auftrittsteil mit on the road und zeigten wie nüchterne Sachlichkeit auch mit Spaß und stetem Klamauk verbunden werden kann – Fliege spielt in der Band mit. Aber sie zeigten noch mehr, denn was Dennis und Marvin angefangen haben, wurde von Matthew weiter getrieben und so kamen bei dem Song „The River“ nicht nur das Publikum allgemein zum Mitsingeinsatz, sondern die um Lena vergrößerten Bromos erweiterten die Matthew Robb and Friends Band.
Tja, jeder, der den Folk Club kennt und/ oder ihn seit Jahren begleitet, weiß was nun kommt: „Jock Stewart“ Patron des Clubs begleitete alle – Musiker wie Zuhörer – in den Heimweg. Jedes Ende ist aber auch ein Neuanfang und deshalb hoffe ich euch alle und noch viele mehr am 7. Oktober wieder im Sträters zu sehen. Um dies mit einem Wahlspruch des openmics zu sagen „Out of the bedroom – come to Folk Club“