Folk Club Bonn am 6. Januar 2017 – Jahreszeiten
Fast schon traditionell startet
der Folk Club ins Neue Jahr ohne besonders angekündigte „Featured Artists“ oder
„Special Guests“, also quasi mit Bordmitteln und natürlich einem Motto. Diesmal
lautete es „Jahreszeiten“. Dass der Folk Club jederzeit auch mit Bordmitteln
einen Abend zum Verlieben bescheren kann, ist das wirklich wunderbare an dieser
Institution, die nun in ihr achtes Jahr gestartet ist.
Wie üblich übernahm John
Harrison das Warm up, nicht ohne zuvor mit seinem markerschütternden
Begrüßungsruf die Aufmerksamkeit aller Quasselstrippen gnadenlos in Richtung
Bühne auszurichten. An dieser Stelle sei bemerkt, dass John in den sieben
Jahren des Folk Club keine einzige der inzwischen 76 Sessions versäumt hat.
Euer Chronist ist sich gewiss, dass er der Einzige ist, der das von sich behaupten kann – Chapeau!
Nun genug der Orden und Ehrenzeichen
und stattdessen hinein ins Vergnügen! Obwohl noch kein Schnee gefallen war,
interpretierte John das Motto des Abends gleich mit der Schneeschmelze: „The
Snows, They Melt the Soonest“. Das traurige Lied über die Vergänglichkeit sang John
zu eigener wunderbar sparsamer Gitarrenbegleitung.
Herzlichen Dank an John Hurd, 3SongsBonn, für das Foto |
Mit „Night Watchman Blues“ von
Altmeister Big Bill Broonzy machte John auch auf seine eigene Tätigkeit als Englisch sprechender Bonner Nachtwächter (Stadtführungen am Abend im Gewand eines
Nachwächters aus dem 17. Jahrhundert ausgestattet mit Laterne und Hellebarde) aufmerksam.
Er wurde dabei diesmal nicht von Paolo Pacifico sondern von seinem (deutschsprachigen)
Nachtwächterkollegen Christoph Thiebes auf
der Mundharmonika begleitet. Alle Achtung, es gibt noch mehr tolle Harmonikaspieler
in Bonn, als wir bislang gedacht hatten. Speziell für euren Chronisten stimmte
John dann das schöne Lied „Summertime“ von George Gershwin an, das zwar nicht
recht zur aktuellen Jahreszeit passte, aber voll und ganz zum Thema des Abends.
Simon beglückte uns
danach mit einem selbst geschriebenen Lied, in dem er einen gerafften Rückblick
auf das vergangene Jahr präsentierte. „Wir verlosen für das neue Jahr eine
Freifahrt für das Leben“ lautete am Schluss der Ausblick auf 2017. Eine schöne
Idee und wunderbar präsentiert.
Im Andenken an den kurz zuvor
verstorbenen Knut Kiesewetter sang Jutta Mensing sein gefühlvolles
plattdeutsches Lied „Fresenhof“. Damit hatte sie gleich auch einen Beitrag zum
Thema des Abends geliefert, denn im „Fresenhof“ geht es auch ums Wetter und
zwar vor allem um Herbst- und Winterwetter. „Komm aus den Federn, Liebste“,
auch von Kiesewetter, ist ein Scherzlied über eine Braut, die zu lang schläft
und zu spät zur Hochzeit kommt. Anders als es sonst ihre Gewohnheit ist, sang Jutta
diesmal nicht a capella sondern begleitete sich beim ersten Lied sehr schön auf
der Gitarre und beim zweiten auf einem kleinen Akkordeon. Jutta kannte den
Liedermacher persönlich. In den Siebziger Jahren hatte sie Kiesewetter kennen
gelernt, als sie mit der Folk Band „Moin“ auftrat. Kiesewetter verhalf ihnen zu
Auftritten und Plattenaufnahmen.
Eine andere Seite von
Kiesewetter beleuchtete Gerd Schinkel, der in dessen Fresenhof seine
beiden LPs aufgenommen hatte. Noch im vorigen Sommer habe er den Liedermacher
nach langer Zeit wieder besucht und leider einen verbitterten alten Mann
vorgefunden so ganz anders, als er ihn von früher gekannt habe, berichtete Gerd
betrübt. Traurig ist auch, dass Kiesewetters Tod kurz vor Jahresende 2016 den
Zeitungen nur eine Randnotiz wert war. Der Mann hatte immerhin vor vierzig
Jahren in Deutschlands Musikszene einen großen Namen. Wir freuen uns, dass Gerd
Schinkel nicht in Trübsal versunken ist und es versteht, seine Lieder stets
aufs Neue mit hintersinnigem Humor zu würzen. Sein schwungvolles Lied mit dem
Ausblick auf das Wahljahr 2017 jedenfalls ließ uns schmunzeln, obwohl uns der
Ausblick auf Manches das Lachen eher im Halse stecken bleiben lassen kann.
Mal etwas anderes bescherte uns Steve Perry, der uns mit Melodien auf
seiner Viola Caipira musikalisch um die Welt schickte und das Publikum raten
ließ, welche Länder er auf seiner Reise angesteuert hatte. Es war nicht ganz
einfach, das Ergebnis zu erraten, aber ein paar Länder wurden dann doch richtig
genannt. Der glückliche Sieger erhielt eine Schachtel Konfekt.
Ein musikalisches Glanzlicht
setzte der Auftritt von Heike Winkhoff, begleitet von Frank auf
der Gitarre. Mit ihrer glasklaren, variablen und schlichtweg berückenden
Altstimme interpretierte sie ein Stück, das eigentlich aus zwei Liedern
besteht: „Colder Month“ von Alpha Rev und „Peaceful Habor“ von Flying Colors.
Frank lieferte die wundervolle Fingerpicking-Begleitung auf der Gitarre – das
Publikum war hin und weg. Es folgte Franks Eigenkomposition „Seventies“ über
eine Nacht und einen Tag in den Siebzigern. Von Emanuil Vidinski, einem
bulgarischen Musiker und Schriftsteller, der auch einige Zeit bei der Deutschen
Welle gearbeitet hat, stammt das Lied „Not for a While“. Wunderbar zart und
gefühlvoll wurde es von Heike und Frank interpretiert – zum Weinen schön. Als
Zugabe erhielt das Publikum dann das Lied von Stephan Sulke „Mein Lieber Onkel
May“ – irgendwie indirekt auch ein Beitrag zum Thema Jahreszeiten.
Ein kleines Feuerwerk zündete
danach Melchi Vepouyoum aus Kamerun.
Allein begleitet von einem Rhythmusinstrument bestehend aus zwei Kugeln, die an
Schnüren durch die Hände geschleudert werden (Niass) sang Melchi mit einer
Stimme wie ein Vulkan ein Lied aus seiner Heimat in mehreren Sprachen. „I Need
Someone, to Show Me the Way“ lautete eine Zeile auf Englisch. Das schwungvolle
Lied wurde hin und wieder begleitet von Entzückensschreien seines kleinen
Sohnes, der offenbar einer von Papas größten Fans ist. Am heutigen Abend hat
Melchis Fangemeinde aber mächtig Zuwachs erhalten. Ein weiteres Lied in seiner
Muttersprache Bamum befasste sich mit dem Heiraten (Lám). Die Eltern mischen
sich zu sehr in die Heiratspläne der Kinder ein. Melchi lieferte eine kleine
Zusammenfassung des witzigen Liedes, bei dem er sich auf der Gitarre
begleitete. Tolle Gitarrenbegleitung und noch tollere Stimme lieferten das
richtige Gänsehautgefühl bei „Hotel California“ von den Eagles – fantastisch!
Ohne Zugabe durfte Melchi natürlich nicht von der Bühne. Etwas zum Nachdenken
behandelt das Lied in Melchis Muttersprache Bamum: „Fomge“ (morgen) lautet der
Titel. Es geht darum, dass man über die Freude des schönen Augenblicks nicht
das Morgen aus dem Auge verlieren darf. Bravo, Melchi, wann kommst wieder in
den Folk Club?
Nach so viel herrlicher Musik
präsentierte uns Gert Müller in
Gedichtform die Siegfried-Sage auf Bönnsch Plaat. Das Gedicht von Ferdinand
Böhm aus Friesdorf offenbarte, dass die Dichter des Nibelungenliedes die Sache
mit dem Lindenblatt völlig falsch verstanden hatten. Das berühmte Blatt, das
die Schwachstelle in Siegfrieds Drachenblut-Panzerung verursachte, lag offenbar
an einer ganz anderen, wesentlich delikateren Stelle „Datt Blättche hätt janz
woanders jesesse“. Großer Applaus für Gert und den köstlichen Spaß.
Kurzentschlossen hatten sich am
Abend Günter Peters, der uns auch in
der Pause mit Melodien am Klavier unterhalten hatte, und Bob Marabito zusammengefunden. „I Can’t Give You Anything But Love“
ist ein Jazzstandard aus den Zwanziger Jahren, den beide mit Bravour meisterten.
Bravo Jungs, für euren spontanen Auftritt.
Zum Abschluss des Abends durften
drei junge Herren, Michael Daehnert,
Ramin Kazeni und Tilman Wehry, ans Werk. Nach einer kleinen
Anfangsnervosität erklang das schöne Lied „Follow the Heron“ der Schottin Karine
Polwart, mit dem der Frühling thematisiert wurde. Der Herbst bekam seine
Aufwartung mit „Autumn Leaves“, einem berühmten Lied mit bewegter
Vergangenheit. Komponiert von Joseph Kosma nach einem Gedicht von Jacqes
Prévert als „Les feuilles mortes“, wurde es von Johnny Mercer ins
Englische übertragen und erheblich
verändert. Zahllose Sänger und Instrumentalisten haben das Lied seither
interpretiert. Unsere jungen Künstler brauchen sich dabei keineswegs zu
verstecken. Michael lieferte dazu noch ein tolles Gitarrensolo. Auch der Sommer
kam dran mit „Summer of 69“ von Bryan Adams. Jetzt war die Truppe richtig
warmgelaufen, und auch das Publikum kam in Schwung. Im Publikum saßen
offensichtlich reichlich Damen und Herren, die sich noch lebhaft an den Sommer des
Jahres 1969 erinnern und die Textzeile „Those were the best days of my life“
nachempfinden konnten. Der Applaus war dementsprechend, und das Trio musste
noch eine Zugabe nachlegen. „Jumpin’ Jack Flash“ von den Stones war dann – rein
zufällig – ein Lied aus ebendieser Zeit mit dem gewünschten Erfolg beim
Publikum. Großeltern und Enkel vereint in musikalischer Verzückung, das ist
Folk Club Bonn. Auch diese drei Musiker sind hoffentlich nicht das letzte Mal
auf dieser Bühne gewesen.
Ja, mit soviel Wohlbehagen
vollgepumpt ging es dann nach Hause, nicht ohne zuvor noch den ollen Jock
Stewart besungen zu haben.
Im Februar begrüßt der Folk Club
dann seine treuen Gefolgsleute und natürlich auch alle neuen Gäste mit den
Auftritten von Gerd Schinkel mit Kanuten
und Zaiten-Pfeiffer. Natürlich gibt
es neben den beiden Featured Artists auch wieder Floor Spots. Und wie immer
werden wir sicherlich kleine Edelsteine entdecken dürfen.