Mittwoch, 13. Juli 2016

Marios Bericht vom Folk Club Nr. 71 am 1. Juli 2016


Ladies, Hounds and Gentlemen


Ja, ihr habt richtig gelesen. Es hat den Anschein, als müsse der musikalische Schlachtruf unseres Masters of Folkclub erweitert werden – obwohl, noch laufen die Untersuchungen, ob sich der anwesende Hund erschrocken hat und deshalb bellte oder ob seine Stimme einen Protest gegen die ständige Unterdrückung der Rechte des Hundes am musikalischen Werk des Volkes ausdrücken sollte. Nun denn, sei es wie es sei – der altbekannte Ruf von John Harrison brachte sowohl Ruhe wie auch Spannung auf den Abend in das Publikum. Dieses war wieder zahlreich vertreten und so zeigte sich, dass ein Folkie, abweichend vom gewöhnlichen Homo Sapien, mehr ist als ein Gewohnheitstier. Schon zum zweiten Termin hat sich die FCB Gemeinde an das neue Domizil gewöhnt und in einer „orientierenden Abfrage“ sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, den neuen Veranstaltungsort beizubehalten.

Ein wenig „blamed“ ob des Brexits kommentierte John die Abstimmung seiner Landsleute und erläuterte. dass er nicht nicht mit abstimmen durfte, da er bereits seit über 15 Jahren nicht mehr im Königreich lebt – bei der Knappheit des Ergebnisses wäre es wahrscheinlich anders ausgefallen, wenn alle, die die Vorteile einer Einheit Europa kennengelernt haben (so wie John) mit hätten abstimmen dürfen. Aber, was nutzt es „Wenns“ und „Hättes“ aufzuzählen... Viel wichtiger ist es doch, dass die Musik bereits viel weiter ist. Hier reden wir nicht über Europa, sondern schon lange über Weltmusik – hier erfreuen wir uns auch im Folkclub regelmäßig internationaler Künstler mit zollfreier Musik. Und so fing es denn auch direkt mit Musik aus Übersee an. Edward Kennedy Ellington besser bekannt als Duke Ellington komponierte das Stück „Rocks in my Bed“ welches John nicht nur metaphorisch nutzte (die weggenommene Geliebte Europa oder GB aus Europa legt  ihm Steine aufs Gemüt und lässt in nicht mehr schlafen), sondern ihm auch die Möglichkeit gab, sein Können am Klavier zu zeigen. Fast schon selbstverständlich, dass Paolo Pacifico ihn auf seiner Mundharmonika unterstützte. Ob es spontan geschah (wegen der Showeinlage des anwesenden Hundes bei der Begrüßung) oder ob es geplant war, wird sich dem Zuhörer wohl nie erschließen, auf alle Fälle brachten John und Paolo als nächstes Stück den 200 Jahre alten „Hunting Song“ von John Clare, der davon erzählt wie ein „schlauer“ Fuchs zu lange in der Nacht gejagt hat und deshalb am nächsten Morgen noch nicht in seinem Versteck war, sondern direkt in eine Jagdgruppe lief – ob die Hunde in erlegten oder nicht, bleibt dem Geschmack des Zuhörenden zu happy oder unhappy Ends überlassen.

Als nächstes erklomm ein „Back officer“ die Bühne des Folkclubs. Gerd Haug, seit dem ersten Folkclub der Folkclubidee verschrieben und treu, ist eine „Gelingensbedingung“ im Hintergrund der monatlichen Veranstaltung. Gerd sorgt sich um das Klavier, in dem er es regelmäßig stimmt und kleinere Reparaturen  direkt durchführt – aber er kann nicht nur technisch mit diesen Musikinstrumenten umgehen, sondern beherrscht auch seine Bedienung, was er eindrucksvoll mit den Liedern „Memories“ und „Misty“ unter Beweis stellte. Gerd ist ein weiteres Beispiel, dass zusammenwachsen und Zusammengehörigkeit und gegenseitige Verantwortung ein Erfolgsmodell ist – und nicht Abspaltung (aber ich will das Thema Brexit nicht schon wieder aufnehmen).

Ein weiteres Beispiel für Erfolg durch Zusammenwachsen haben uns Thomas Monnerjahn und Werner Krotz-Vogel vorgeführt. Im Folkclub kennengelernt und musikalisch ähnliche Stilrichtungen vertretend, haben sie sich bereits mehrfach zusammengetan und den Zuhörern den besonderen Genus der nicht nur begleitenden, sondern der aussagenden Gitarren nahe gebracht. Es ist faszinierend zu erleben, wie Töne ohne Worte Geschichten erzählen können, wenn sie zusammengehören und durch ihre Harmonie Brücken bauen, aber auch mit Dissonanzen das alltägliche Leben beschreiben. Eine Hochzeit (bitte erste Silbe mit langem „o“ aussprechen) dieses Genres außerhalb der Klassik waren die mittleren 60er bis späten siebziger Jahre mit Namen wie Leo Kottke oder dem Duo Kolbe und Illenberger. Die Musik des letztgenannten Duos brachten Thomas und Werner dem FCB Publikum dar. Und wer gedacht hätte, dass Geschichten aus Gitarrenmusik erst langsam verstanden werden müssen, wurde durch den schon fast frenetisch zu nennenden Applaus eines besseren belehrt. Thomas und Werner verstehen es nicht nur alleine eine perfekte Gitarre zu spielen, sondern harmonieren im Zusammenspiel sehr gut und bringen so die Inhalte der wortlosen Kunst rüber. Wen verwundert es da noch, dass nach den geplanten Stücken „Opening“, „Sommerabend“ und „Veitstanz“ noch eine Zugabe her musste. Auch hier bewiesen die Beiden ihr Gespür für das Publikum und wählten den allseits bekannten Beatles Song „Norwegian Wood“ aus, der allerdings nicht zum „Mitgrölen“ anregte, sondern die Tonführung in den Vordergrund stellte. So wurde die Melodie mitgesummt und das Gitarrenspiel blieb der Mittelpunkt.

Was tut man, wenn man für längere Zeit liebe Freunde verlässt? Man verabschiedet sich – und das taten auch 2Sunny (namentlich als Ralf und Tatjana bekannt). Natürlich ließen sie als Gruß das zurück, wofür sie geliebt werden – Musik zum zuhören und mitmachen. Da die Zwei sich in ein europaweites, musikalisches Sabbatical begeben, um mit vielen, neu kennenzulernenden Menschen Musik zu machen, haben sie für ihren Abschieds FCB Lieder ausgesucht, die sowohl ihrer Reise entsprechen, als auch die Gemeinsamkeit (das gemeinsame Musizieren) betonen. Mit „Heute hier, morgen dort“, „Life“ und „You've got a friend“ brachten sie Klassiker der Mitsingtradition mit und schafften es eine ausgewogene Balance zwischen reiner Lebensfreude und musikalischem Anspruch herzustellen. Glücklicherweise ist der Abschied nur auf Zeit ausgelegt und ich bin mir sicher, dass wir im nächsten Juli, spätestens September ein fulminantes Willkommenskonzert von ihnen hören werden – natürlich mit vielen neu entdeckten Liedern.

Als featured Artists kamen nun Gerd Schinkel mit Kanuten zum Zug. Sowohl in der Kanuten Kombination wie auch (zumindest teilweise) als Einzelkünstler bekannt, stellten sich Gerd Schinkel, Wolfgang Kassel, Frank Tschinkel und GeWe Spiller wieder einmal musikalisch mit Lieder von Gerd Schinkel vor. Gerd ist ein Vielschreiber, der es liebt, neben eigenen Melodien auch schöne Lieder anderer mit eigenen Texten neu zu gestalten und sie so in aktuelle Situationen zu übersetzen. Eine Tradition, die auch viele andere Liedermacher/ Singer- Songwriter pflegen, die Wert auf textliche Inhalte legen. Nicht nur mit ihrem ersten Lied, sondern auch als Erste des Abends griffen die Kanuten mit dem Lied „Der Papa backt“ das Motto des FCB 71 auf – Küchenlieder -. Wenngleich ich erst eine andere Assoziation mit Küchenlieder verband, so ist es doch folgerichtig, da das Handwerk des familiären Backens in der Küche betrieben wird und somit ein Lied darüber ein Küchenlied ist. Von der Küche paddelten die Kanuten aber ganz schnell wieder zu aktuellen, politischen Themen. Ich kenne Gerd schon sehr lange und so auch sehr viele seiner Lieder – ich darf sagen, dass er mit dem Lied „Paris“ das für mich schönste, ansprechendste und gleichzeitig aufrüttelndste Lied geschrieben hat. Es drückt einen emotionalen Protest gegen Terrorismus und Gewalt aus und versteht es diesen in ein mit der Stadt Paris verbundenes Gefühl zu verweben, so dass nicht nur Zorn gegen etwas erweckt wird, sondern auch viel Traurigkeit um den Verlust eines emotionalen Wahrzeichens (Paris als Inbegriff der Lebensfreude), aber auch, denn Liedermacher geben nie auf, die Hoffnung auf einen Sieg über Fanatismus, Terroismus und andere „-ismusmen“ erhält. Mit den nächsten beiden Liedern („Das Meer ist heilig“ - hier weiß ich nicht, ob der Titel richtig ist, aber die Zeile kommt im Text mehrfach vor, und „Dann bleib halt jung“) bewies Gerd, dass neue Texte bereits existierende Lieder neu beleben können. Mein Urteil steht fest – mit der erweiterten Instrumentierung (Bass, Mandoline, Mundharmonika) haben die Lieder sehr gewonnen.

So schön die neue Heimstatt des Folkclub auch ist, ein Raum gefüllt mit etwa 80 Personen an einem heißen Sommertag wird einfach sehr warm – so war es nicht verwunderlich, dass alle die anstehende Pause begrüßten und  sich mit frischer Luft für die zweite Hälfte versorgten. Diese (die zweite Hälfte) wurde mit der bekannten und geschätzten Kunst von Barry Roshto eingeläutet, in dem er durch Klaviertöne erst alle Zuhörer wieder auf ihre Plätze dirigierte und dann mit Annette Huismann und einem gemeinsam vorgetragenen Lied den Boden für die weiteren Künstler bereitete (leider war ich selbst noch an der frischen Luft, so dass ich nicht mitbekommen habe, welches Lied gesungen wurde).

Jutta Mensing, die Organisatorin der Folk im Feuerschlösschen Konzerte in Bad Honnef, hat früher mit der norddeutschen Gruppe Moin professionell Musik gemacht und tourt auch heute noch hin und wieder mit den alten Kämpen durch die Lande. Zum FCB 71 kam sie frisch aus dem Norden und hat uns das Gefühl des Meeres in Form eines vertonten Gedichtes von dem wohl bekanntesten norddeutschen Dichter Klaus Groth mitgebracht. Das „Heimatlied“ beschreibt den Himmel über dem Meer genauso wie die Luft am Meer und das Meer selbst. Jutta blieb mit dem nächsten Lied im Norden, wobei sie von dem Instrument Stimme (zart begleitet von einer Gitarre) zu ihrem zweiten Standardinstrument – der Geige – wechselte. „Pfingsten in der Probstei“ ist ein Tanzlied, welches alleine durch seinen Rhythmus das Bild eines Volksfestes mit Trachten, drehenden Tänzen und dörflichem Spaß entstehen ließ. Persönliche Traurigkeit kann einen in den Wahnsinn treiben – wie gut, wenn es dann Menschen gibt, die es verstehen die Kraft der Musik so zu lenken, dass neue Hoffnung geschöpft wird – so ist es Jutta geschehen und hieran wollte sie das Publikum teilhaben lassen, in dem sie das ihr geholfene Lied zum Besten gab. „Mach das Leben schön“ ist ein Lied, dass Lüül von den 17 Hippies Jutta mitgegeben hat, um ihren persönlichen Tiefpunkt zu überwinden.

Was wäre unsere Gesellschaft ohne soziales Engagement?  Und wenn dieses Engagement mit besonderen Begabungen verknüpft wird, entstehen wunderschöne Momente, die sowohl den gebenden wie auch den empfangenden Personen Lebensfreude bescheren. Günther Peters, selbst nicht mehr der Jüngste, beschert älteren Menschen solche Momente, indem er mit ihnen am Klavier neue und alte Lieder singt. Neue insbesondere, in dem er bekannten Melodien neue Gewänder verpasst (hatten wir das nicht schon bei einem anderen Künstler?). In diesem Sinne schenkte er der  „alten Folkclub Gemeinde“ einen neuen Text zu dem Lied „Auf der grünen Wiese“. Damit es schnell und gut zusammen gesungen werden konnte, brachte Günther auch gleich ausgedruckte Texte mit und so wurde aus Bühne und Publikum ein gemischter Chor. Eine kleine Ragtimeimprovisation leitete über zu einem Gedicht zur Verkündung einer wahren Lebensweisheit.  „Die Alten“ beschreibt den immerwährenden Kreislauf zwischen Jugend und Erfahrung, zwischen dem Suchen des eigenen Weges und dem Folgen (oder Verweigern) von Ratschlägen und dem Erkennen, dass ich nach Jahrzehnten plötzlich genauso geworden bin, wie die Alten in meiner Jugend waren.

Mit dem Duo Seltsam erklomm eine bisher im Folkclub noch nicht bekannte Formation die (virtuellen) Bretter, die die Welt bedeuten. Seltsam ist nicht nur Name des Duos, sondern auch Programm. Mit einer Mischung aus Rock, Balladen und Jazz, mit plötzlich auftauchenden Charakteren aus bekannten Musikgrößen wie beispielsweise Jethro Tull, aber insgesamt mit einem nur dem Duo eigenen Stil, bestehend aus Gitarre, Saxophon, Querflöte und einer Stimme, die mal kratzend bis  fast kreischend, aber immer intonationssicher daherkommt, verstanden die Beiden die Lust an mehr zu wecken. Ihre eigenen Stücke „Me and my Music“, „Rain in Paris“ und „Heart of the Warrior“ werden hoffentlich nicht die Letzten und Einzigen sein, die den Folkclub bereicherten.

Ja, die zweite Hälfte des Folkclubs geht irgendwie immer schneller voran als die erste, was auch daran liegt, dass die FCB Hälften nicht mathematisch definiert sind, und so waren schnell wieder die featured Artists, Gerd Schinkel mit Kanuten, dran. Mit den Liedern „On the road again“, „Zu den Eltern am Samstag“ und „The way we make a broken heart“ (natürlich mit neuem deutschen Text) zeigten sie erneut auf, dass Zusammenspiel und das gegenseitige Unterstützen von Stärken mehr schafft, als die Summe der Einzelteile – und hiermit rundet der Chronist den Bericht ab, indem die Brücke zum Ausgangspunkt gebaut wird. Menschen der EU haltet zusammen und macht mehr draus – der Beweis wird auch zum Schluss eines jeden Folkclub geführt, in dem der alles zusammenhaltende Patron Jock Stewart nie mehr als gemeinsam gesungenen Lied fehlen darf.

Ich freue mich, euch alle nach der Sommerpause am 02. September 2016 im Sträters wiederzusehen.

Euer Mario