Folk Club Nr. 47 im April – Volles Haus und
Konzertstimmung mit Astatine
Ein volles
Haus beim Folk Club ist schon fast keine Meldung mehr. Und dennoch reibt sich
der Chronist immer wieder ungläubig die Augen, wenn der Saal wie dieses Mal
erneut Beulen bekommt wegen des Andrangs. Mit rund 90 Gästen ist die
Kapazitätsgrenze des Raums ungefähr erreicht. Wird der Folk Club vielleicht
bald von seinem eigenen Erfolg erdrückt?
Das Konzept
der Veranstaltung – Jeder darf auftreten, keine Verstärker, Musik und andere
Beiträge jeder Art sind willkommen, und alles nur aus Spaß an der Freud’, wie
der Kölsche sagt – scheint mehr als aufzugehen. Mittlerweile zerbricht sich die
Organisationscrew die Köpfe, wie die zahlreichen Anmeldungen untergebracht
werden können, ohne die Abende zu sprengen und ohne die Musiker zu weit in die
Zukunft vertrösten zu müssen. Der Wunsch vieler Hobbymusiker, vor einem recht
ansehnlichen Publikum spielen zu können, ist offenbar riesig. Hinzu kommen auch
veritable Profis, die die formidable Atmosphäre des immer konzentrierten
Publikums und die Zuwendung, die die Zuschauer und –hörer dem Musikern geben,
schätzen und die teilweise sogar zum wiederholten Male die Bühne betreten.
Es bleibt
spannend und vor allem unterhaltsam und immer wieder überraschend – vor allem
im positiven Sinne.
Wie die
meisten Folk Club Abende startete auch dieser nach John Harrisons markerschütterndem Weck-Schlachtruf (der Chronist
wundert sich, dass dabei noch nie vor Schreck ein Tablett oder zumindest ein
Glas zu Boden gegangen ist) mit leisen Tönen. John eröffnete den Abend mit
einem schönen Gedicht mit dem Titel „Magnolia“, passend zum Thema „Frühling und
Blumen“. Die Magnolien haben es in unseren Breiten einfach schwer. Meistens
beginnen sie vorwitzigerweise etwas zu früh zu blühen, und bekommen dann durch
den einen oder anderen Frost „eins auf die Mütze“. Das an sich prachtvolle
Blütenkleid der Bäume sieht dann leicht angeknackst aus. Auch in diesem Jahr
wagten sich die Blüten, angestachelt durch den milden Winter zu früh aus der
Deckung und konnten sich wegen der noch recht kühlen Nächte nicht richtig
entfalten. Nur in wirklich wenigen Jahren kann die Magnolie mal so richtig
zeigen, was in ihr steckt. John hat dieses Thema wunderbar mit seinen
poetischen Worten umrissen.
Ebenfalls
passen zum Frühling und immer wieder gern gehört ist das Lied „Bee’s Wing“ von
Richard Thompson, das aber nicht wirklich von Bienen handelt, sondern von einer
Frau, die so zart ist wie ein Bienenflügel, aber mit unbändigem
Unabhängigkeitswillen ausgestattet. John begleite das Lied mit feinem
Fingerpicking. Weiter ging’s mit Unterstützung von Paolo Pacifico, Johns kongenialem Partner, der immer wieder kleine
Zauberdinge auf der Mundharmonika vollbringt. Diesmal spielten sie das
schottische Liebeslied „Black is the Colour of My True Love’s Hair“ – besonders
schön Paolos zarte Mundharmonikabegleitung und die Instrumentalsoli.
Zwischendurch präsentierte John noch ein Gedicht mit etwas schwierigem
Hintergrund „Blue ist the Colour“ lautet der Titel. Es geht um eine Beerdigung,
die er nicht aufsuchen konnte.
Wieder beim
Thema waren John und Paolo mit dem Lied von Altmeister Champion Jack Dupree
„Bring Me Flowers, When I’m Living“. Das Lied knüpft aber auch eine Verbindung
zum zuvor gehörten Gedicht – der Titel sagt alles. John wirft bei diesem
schönen Lied seine gesamte Liebe zum Blues in die Waagschale, und Paolo
unterstützt ihn dabei mit einfühlsamer Mundharmonikabegleitung im Hintergrund.
In die Welt
des Jazz wagte sich John, jetzt begleitet von Paolo auf der Mundharmonika und Steve Crawford auf der Gitarre.
„Summertime“, das unsterbliche Lied aus George Gershwins Oper Porgy and Bess,
sangen und spielten die drei mit Hingabe und wunderbarer gegenseitiger
Ergänzung. Und auch hier sei auf den Motivzusammenhang ausgehend von Johns
Beerdigungsgedicht hingewiesen. In „Porgy und Bess“ weist das melancholische
„Summertime“ stets auf bevorstehende Todesfälle hin.
Nach diesem
länger als üblichen aber umso schöneren Warm-up Beitrag von John und Co.
stellte uns unser treuer Gefolgsmann Mario
Dompke seine reizende Mitakteurin Franzi
vor. Franzi sang mit ihrer schönen und intonationssicheren Stimme das
wunderbare Lied von Carole King „You’ve Got a Friend“. Mario erwies sich als
ebenso stilsicherer wie einfühlsamer Begleiter, und das galt auch für das
zweite Lied der beiden „Something in the Water“ von Brooke Fraser. Großer
Applaus für Franzi und Mario und hoffentlich ein Wiedersehen mit Franzi.
Mario
beendete seinen Auftritt mit dem witzigen Lied mit dem Titel „Das ungeschriebene
Lied“. Ein typisches Mario-Lied voller Ironie und Hintersinn – nochmals
Chapeau!
Nach so viel
Schönem zum Warmwerden ging’s dann in die Vollen mit unserer
Special-Guest-Gruppe. Einigen eisernen Folk Club-Freunden war Astatine
bereits von ihrem Spontan-Auftritt im Mai 2013 in guter und nachhaltiger
Erinnerung. Sängerin Ana Maria Leistikow (damals noch unter dem Namen
Cutac vorgestellt) brachte diesmal vier instrumentale Begleiter mit. Eigentlich
ist es eine Frechheit, diese hochkarätige Gruppe als „Begleiter“ in die zweite
Reihe zu setzten, denn jeder von ihnen könnte mit seiner Musik auch allein ein Publikum zum Schwärmen
bringen. Zusammen aber sind Ana Maria (Gesang), Simone Hans (Flöte), Frank-Olaf Nagel und Thomas Monnerjahn (beide Gitarre) und Thomas Neuhalfen (Kontrabass) eine
Wucht. Freunde von „Vintage Jazz“ kamen voll auf ihre Kosten. Ana Marias
sagenhafte Bühnenpräsenz und körperliche Ausdrucksstärke fügten dem
musikalischen auch noch einen optischen Glanzpunkt hinzu. Der Auftritt der Fünf
war zudem wie geschaffen für das Konzept des Folk Clubs – alles ohne
Verstärker. Ana Marias voluminöse und tragende Stimme hatte keine
Schwierigkeiten, sich im Raum zu verbreiten und von den Instrumenten
abzusetzen.
„A
Waste of Love“ und „Don’t Expect Me to Come Back at All” lauteten die Titel der
ersten beiden Lieder, die aus der Feder von Thomas Neuhalfen stammten. Mit
wunderbaren Soli führten sich hier Simone an der Flöte und die beiden
Gitarristen ein. In die Welt der Jazz-Klassiker entführte uns die Gruppe mit
Burt Bacharachs „Wives And Lovers“. Wie geschaffen für Astatine ist die Musik
von Django Reinardt. zu seinen unsterblichen Melodien hat Ana Maria Liedtexte
in ihrer rumänischen Muttersprache geschrieben. So wurde aus dem Instrumental
„Bouncing Around“ das wunderbare „Mi-ai promis“ (Du hast mir versprochen), und
aus „Nuages“ wurde „Printre Nori“ (Unter den Wolken). Zu Ana Marias
ausdrucksstarkem Gesang boten beide Lieder den Gitarristen die Möglichkeit für
ein Feuerwerk der Improvisation – einfach berauschend.
„Caravan“
von Duke Ellington und Juan Tizol mit seiner geheimnisvollen, orientalisch
anmutenden Melodie wurde von Ana Maria mit ebenso geheimnisvoller Stimme
vorgetragen. Den Abschluss ihres ersten Teils bildete Cole Porters „Get Out of Town“,
ein wunderbar zartes Lied, dem Ana Maria mit ihrer herrlichen variablen Stimme
die perfekte Stimmung gab – Riesenapplaus vor der Pause und gespannte Erwartung
auf den zweiten Teil.
Nach den
Erfrischungen eröffnete Barry Roshto den
Reigen mit einem kleinen Scherzlied „The Cat Came Back the Very Next Day“ über
die vergeblichen Versuche eines Mannes, seine nervige Katze loszuwerden. Witzig
vorgetragen von Barry und begleitet von John
Harrison und Paolo Pacifico.
Als Walk-in
traten hernach Sascha und Janis auf, die sich als „Band ohne
Damen“ vorstellten. Normalerweise gehört zu ihnen offenbar noch weibliche
Verstärkung. „Carmen“ von BAP war ihr vielbeklatschter Beitrag, ein
hörenswertes aber weniger bekanntes Lied der Kölner Gruppe.
Helmut
Rennoch (Gitarre) zusammen mit Siegfried Königsfeld (Gesang und
Gitarre) und Ronan Sevellec (Cajon) starteten mit dem gefühlvollen „Now
and Forever“ von Richard Marx. Siegfried gab dem Lied die angemessene Stimmung,
Helmut steuerte wunderbare Gitarrensolos bei und Ronan unterstrich die Beiträge
mit einfühlsamer Perkussion. Besonders schön klangen die dreistimmig gesungenen
Passagen. Dem Publikum bestens bekannt war Ralph McTells melancholisches und
anrührendes Lied „Streets of London“. Entsprechend konnten die Zuhörer endlich
auch wieder mitsingen. Gleich vorgesorgt hatten Helmut, Siegfried und Ronan mit
Mitsingzetteln bei ihrem dritten Lied „Down by the Lagan Side“. Lieder wie
diese machen immer viel Freude – Herzlichen Dank und viel Applaus für die drei
aus Sankt Augustin.
Steve
Crawford aus Aberdeeen, der
bereits beim Warm-up John Harrison begleitet hatte, wurde nun selbst begleitet
von Sabrina Palm, die mit ihrem
Geigenspiel den Liedern die spezielle Note gab. „Oh my Lover“ lautet der Titel
des ersten Liedes. Wir nennen es aber „Oh my Liver“, war Steves Kommentar zum
Lied, das eine Ode an Mutter Natur darstellt. Stevens schöner kräftiger Gesang
und sein technisch und musikalisch hochkarätiges Gitarrenspiel harmonierten
vorzüglich mit Sabines virtuosen
Geigenklängen. „Lady Jane“ hieß das instrumentale irische Tanzlied (Kommentar
von Steve: „Das Lied hat normalerweise einen längeren Titel“), das ganz harmlos
und langsam beginnend sich allmählich zu einem furiosen Wirbelsturm
entwickelte. Wunderbar gespielt von den beiden – ein wahrer Edelstein des
Abends. „The Call and the Answer“ des Engländers Phil Colclough, das von irischen Musikern gern eingemeindet wird,
verströmte danach auch tatsächlich die leicht sentimentale irische Stimmung –
eine wundervolle englisch/schottisch/deutsche Koproduktion mit irischem
Anstrich. Herzlicher Applaus für die Beiden, die danach die Bühne freigaben für
den zweiten Auftritt von Astatine.
Herz, was
willst du mehr, so könnte man den Auftritt der Fünf der Gruppe Astatine zusammenfassen. Mit „Making
Whoopee“, „My Heart Belongs to Daddy“, “The Man I Love”, „How insensitive“,
„All of Me“ präsentierten sie
Klassiker, an denen sich schon andere Größen des Jazz wie Ray Charles, Ella
Fitzgerald und Billie Holiday erfolgreich versucht hatten. Die Vorstellung von
Astatine braucht sich nicht dahinter zu verstecken. Das laszive „Whatever Lola
Wants, Lola Gets“ präsentierte Ana Maria mit einer gehörigen Portion Erotik in
Stimme und Ausdruck. Bei „Imagine My Frustration“ der Jazz-Heiligen Duke
Ellington und Ella Fitzgerald konnte Thomas Neuhalfen mit einem brillanten
Kontrabasssolo glänzen. Den vielumjubelten Abschluss ihres Auftritts lieferten
die Fünf mit „Bei mir bist du schejn“, das Ana Maria in der Originalversion in
jiddischer Sprache mit einem kleinen Exkurs in die später entstandene englische
Textfassung sang. Der Dank des Publikums war
ohrenbetäubender Applaus.
Alle durften
mit dem Hochgefühl nach Hause gehen, einen grandiosen Abend mit großen und
kleinen Edelsteinen erlebt zu haben.
Auf Wiedersehen am 2. Mai mit „Los Pájaros del
Alba“ (Die Vögel der Morgendämmerung) aus Mexiko und Isaac Tabor aus Irland.