Folk Club Nr. 124 im Juni 2022 – Zurück zu alten Freuden?
Wie erfreulich: Mit weiter rückläufigen Corona-Zahlen wagt der Folk Club erneut die Rückkehr in den Saal – und das Publikumsinteresse wächst. Gut 50 Freunde des Folk Clubs fanden sich am Abend ein und wurden mit einem abwechslungsreichen Programm belohnt. Der Abend war Steve Perry gewidmet, der fast seit Beginn des Folk Clubs aktiv an der Gestaltung der Abende beteiligt war und seit seiner Erkrankung erstmals seit zwei Jahren wieder an einer Session teilnehmen konnte.
Wie üblich eröffnete John Harrison den Reigen, und spielte wie so oft zusammen mit dem Mundharmonika-Virtuosen Christoph Thiebes. Das Wiegenlied „Summertime“ aus George Gershwins Oper Porgy und Bess scheint wie gemacht für die beiden. John verband das Lied ohne Unterbrechung mit dem Gospel „Motherless Child“ – nette Idee. Johns gesangliche Interpretation der beiden Klassiker ist unnachahmlich, von Christophs Mundharmonika-Künsten ganz zu schweigen. „Stranger Blues" von Sonny Terry & Brownie McGhee beschreibt die Lage all derer, für die es schon reicht, in eine andere Stadt zu kommen, und schon sind sie Fremde.
Speziell auf Steve gemünzt war das Lied „Bring Me Flowers While I’m Living“. John hatte sich die Version von Champion Jack Dupree zu eigen gemacht. Wie wahr, und nehmt es euch zu Herzen!
Um das Warten an den stets geschlossenen Bahnschranken in Bonn und insbesondere an der Schranke an der Ollenhauerstraße dreht sich der Text von Holger Riedels Schranken-Blues. „Und wir warten, warten, warten auf den Zug“ lautet eine Zeile. Das ist mal ein Blues, der nicht von „kein Geld“, „keine Freunde“ oder „Frau mit bestem Freund abgehauen“ handelt, sondern von den ganz alltäglichen Sorgen der Menschen in Bonn. Holger beließ es bei der Kurzversion, denn die „Normalversion“ geht naturgemäß so lange, wie man üblicherweise an der Schranke zubringt, und das kann bekanntlich dauern.
John Hay hatte zwei kleine Mutproben mitgebracht, die er aber mit Bravour bewältigte. Bachs Instrumentalmusik ist immer eine Herausforderung, und dass man dabei feuchte Hände kriegen kann, ist sehr verständlich. Viel Applaus gab es für die auf Folk-Club-Format gekürzte „Toccata und Fuge, BWV 565“. Ebenfalls nicht zu verachten ist Isaac Albéniz‘ Stück „Asturias“. Nochmals herzlichen Applaus für John Hay.
Gänsehaut pur gab es von Hans Ihnen: „Heart Of Gold“ von Neil Young ist so einfach und doch so schwierig zugleich und ein wahrer Ohrwurm. Hans‘ Musik kroch förmlich ins Publikum hinein – bitte mehr davon!
Eine besondere Geschichte präsentierte uns John Hurd, der all das versuchte wiederzugeben, was ihm sein Vater über dessen Erlebnisse im Krieg nicht erzählt hatte. Johns Vater mochte über seine Erlebnisse in dieser Zeit einfach nicht reden. Man mag diese Verweigerung verstehen, aber das Problem setzt sich letztlich in den Kindern fort. Wie schön, wenn man es wie John macht und den Verlust musikalisch verarbeitet, als "Jack's Song."
Theo, der bereits vor Jahren regelmäßig im Folk Club auftrat, und dann nach Berlin umzog, war wieder im Lande und machte dem Rheinland gleich eine musikalische Referenz mit Willi Ostermanns „Heimweh nach Köln“. Wir nehmen an, dass er nicht zu Fuß nach Köln und auch nicht nach Bonn gekommen ist, aber singen darf man es, und der Saal sang fleißig mit. Bei „Hallelujah“ von Leonhard Cohen gab es ebenfalls vielstimmige Begleitung. Nochmals viel Gefühl bescherte uns Theo mit Roy Orbinsons „It‘s Over“. Viel Applaus für Theo und seine Lieder.
Standing Ovations gab es für Steve Perry, der krankheitsbedingt und wegen der Corona-Gefahren für zwei Jahre nicht am Folk Club teilgenommen hatte. Auf einen Abstecher vorbeigekommen präsentierte er zusammen mit John Harrison das witzige Lied „On Ilkla Moor baht `at“, auf „richtigem“ Englisch „On Ilkley Moor Without A Hat“. Das Lied gilt so ungefähr als die Hymne von Yorkshire. Es handelt davon, dass jemand, der einer jungen Frau den Hof macht, unvorsichtigerweise ohne Hut ins Moor geht. Dort erkältet er sich logischerweise heftig, er stirbt, er wird begraben und die Würmer machen sich über seine sterblichen Überreste her. Dann kommen die Enten und fressen die Würmer. Hernach jagen wir die Enten, servieren sie und futtern so schließlich um drei Ecken den unglücklich Verstorbenen auf – so geht Recycling! Eine kleine weitere Anekdote um das Lied: Die Melodie stammt gar nicht aus Yorkshire, sondern aus Kent. Sie wurde von einem Schuster aus Canterbury namens Thomas Clark geschrieben, der auch Musiker in seiner Methodistengemeinde war. Damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, war es die Melodie für eine fromme Hymne. Sie wurde dann aber später vermutlich bei Chorausflügen in die freie Natur für das Scherzlied um den unglücklichen Verliebten umgewidmet. Das vermutet jedenfalls Arnold Kellett, der über das Lied ein Buch geschrieben hat. Schaut euch dazu das Video von Arnold Kellett in Youtube an – sehenswert.
Etwas fürs Herz gab’s danach von Steve in walisischer Sprache: „Ar Hyd Y Nos (Die ganze Nacht)“ ist die – ebenfalls inoffizielle – walisische Hymne. Steve begleitete sich selbst auf seiner Waldzither bei dem Lied, das viele vielleicht in einer englischen Textfassung mit dem Titel „All Through The Night“ kennen.
Steve nutzte vor seinem Abgang noch die Gelegenheit, das Publikum zu ermuntern, Blut zu spenden. Er selbst benötige viele Blutkonserven und wisse um den Mangel an Spenderblut. Immerhin, so Steve, bekomme der Spender Kaffee und Kekse.
Steves Bruder Bill Perry, selbst begeisterter Musiker, war aus Vancouver Island ganz im Westen Kanadas angereist, um Steve zu besuchen. Die Gelegenheit war günstig, im Folk Club einige seiner Lieder zu präsentieren, die überwiegend von der Natur und den Bergen handeln. Steve und sein älterer Bruder waren in ihrer Jugend oft zusammen in den Bergen zum Wandern und Bergsteigen gewesen. „North Appalachian“ ist eines seiner Lieder zum Thema. Mit „Rabbit In A Log“ spielte er ein bekanntes „Bluegrass“ Stück mit einigen eigenen witzigen Ergänzungen. Viel Applaus für Bill!
Ganz auf Steve waren die Stücke gemünzt, die die Gruppe um Mario Dompke mit Manfred Möhlich, Uta Schäfer und Sonja vortrug. „Steve’s Polka“ aus Marios Feder ist ein hübsches, kleines Instrumental für Gitarren und Bouzouki. Vielfach von Steve vorgetragen und jetzt von der Gruppe, die sich auch Fomiander (Folk, Mittelalter und andere schöne Lieder) nennt, gespielt ist „Dim Lights, Thick Smoke And Loud, Loud Music“. Das ist ein echter Country-Klassiker, mit einem Text, der nur so von „traditionellen Werten“ des ländlichen Amerika trieft – schaurig schön! Nochmal schönen Schmalz gab es mit dem Lied „Village Lanterne“ von Blackmore’s Night. Sonja konnte mit ihrer schönen Stimme glänzen.
Den Abschluss ihres Auftritts machte Fomiander mit dem von Sonja geschriebenen Lied „Vollmondnacht“.
Auch John Harrison hatte noch einige Schmankerl auf Lager: Zusammen mit Franz-Josef Hunsänger sang er das witzige Lied vom verliebten Nilpferd, dem der Schlamm so behagt. Ein köstlicher Spaß von Michael Flanders and Donald Swann. „Mud, mud, glorious mud, nothing quite like it for cooling the blood” lautet eine Zeile aus dem „Hippopotamus Song“ über das verliebte Nilpferd.
Natürlich darf auch ein Gedicht nicht fehlen. „For Whom The Bell Tolls“ von John Donne ermahnt uns, dass wir als Menschen voneinander abhängig sind und dies immer berücksichtigen sollten.
Nach dem ernsten Intervall ging es wieder in die Komödienecke. Zusammen mit Elena führte John die kleine, in Gedichtform verpackte Geschichte vom Missverständnis zwischen der Frau des Pfandleihers und dem Bibliothekar vor. „The Librarian’s Lament“ beruht auf einem Wortspiel, das nur auf Englisch funktioniert. Der Pfandleiher heißt auf Englisch „pawnbroker“, und die Dame suchte zu dem Gewerbe Literatur, damit sich ihr Mann weiterbilden kann: „pawnography“. Da das aber genauso ausgesprochen wird wie „pornography“, könnt ihr euch den Rest des Wortverwechselungsspiels denken. Die Geschichte wurde von John Conolly, einem Bibliothekar aus dem nordenglischen Fischerort Grimsby verfasst. Offenbar hatte er viel Zeit und Fantasie, sich solche witzigen Geschichten auszudenken.
Erstmals seit Jahren trat auch Karin Schüler wieder im Folk Club auf. Bei dem schwungvollen Lied der französischen Sängerin Zaz „Qué vendrá“, dessen Text teils französisch und teils spanisch ist, begleitete sie sich auf dem Klavier. Dabei wurden wir daran erinnert, dass wir einmal wieder den Klavierstimmer kommen lassen müssten.
Zum Ende des Abends spielte „Fliege“ alias Hermann-Josef Wolf dem Publikum noch einen Rembetiko aus Kreta auf seiner irischer Bouzouki.
Aber wie immer ging der abwechslungsreiche und kurzweilige Abend nicht zu Ende ohne die Hymne auf unseren Schutzpatron Jock Stewart „A man you don’t meet every day“.
Auf Wiedersehen am 01. Juli 2022, diesmal wieder im Freien
hinter unserem Lokal Dotty’s. Leider hatten wir uns zu früh über sinkende Corona-Zahlen gefreut. Es geht wieder aufwärts.