Folk Club Nr. 60 am 3. Juli 2015 – Hitze pur
Manchmal haben die
Widrigkeiten auch ihr Gutes wie an diesem Abend: Die Hitze war zwar nahezu
unerträglich und das Publikum dementsprechend weniger zahlreich, aber es
entwickelte sich dadurch eine wunderschöne Intimität im Saal, mit der Musiker
und Publikum noch stärker als sonst zueinander rückten. Euer Chronist möchte
zudem auch wegen einiger vielleicht nicht so vorteilhafter Bilder um Nachsicht
bitten. Der Schweiß floss bei den Musikern in Strömen.
John Harrisons Einstiegslied „St. James’ Infirmary“ – wunderbar
gesungen und toll selbst begleitet auf seiner Tri Cone Resonator-Gitarre –
hatte somit vielleicht auch programmatischen Charakter, hätte sich doch
angesichts der Hitze manch einer gern in ein klimatisiertes Sanatorium verzogen
– aber eins, in dem kühles Bier serviert wird – über diesen kleinen Umweg
steuerte das Lied auch etwas zum Thema des Abends „Fernweh“ bei. So komfortabel
ging es allerdings in dem besungenen Spital einst nicht zu – dann doch lieber die
Demse im Folk Club. Da der Saal nicht so vollgepackt war, lief auch der
Getränkenachschub erheblich flüssiger als sonst.
„Swift“ ist Johns bezauberndes
Gedicht über die geheimnisvollen Mauersegler (der Vogel heißt auf Englisch
„swift“), die mit ihrem Schrieeeek, Schrrieeeek den Städten die akustische
Charakteristik des Sommers verleihen. Sie kommen Ende April oder wie dieses
Jahr erst Anfang Mai in unsere Städte, beginnen sofort mit dem Brutgeschäft und
verschwinden – Mama, Papa und so rasch schon flügge Kinder – Ende Juli, Anfang
August wieder gen Süden. Wer als Städter noch nicht ganz die emotionale
Verbundenheit mit Fauna und Flora verloren hat, der empfindet dieses spezielle
Kribbeln, wenn das charakteristische Geschrei am Himmel ertönt und spürt auch
sofort, wenn es eines schönen Morgens nicht mehr da ist – dann neigt sich der
Sommer dem Ende zu. Geheimnisvoll an den akrobatischen Jägern ist, dass sie
quasi ihr gesamtes Leben in der Luft verbringen. Lediglich, wenn sie das Nest
herrichten, die Eier bebrüten und danach die Jungen füttern, fliegen sie nicht.
Sollte eines der Tiere versehentlich am Boden landen, kommt es nicht mehr in
die Lüfte. Ein Wunder der Natur ist auch, wie ein solcher Vogel es vermag, im
Flug ein Insekt zu erhaschen – und sie erhaschen viele. Wer einmal versucht
hat, eine fliegende Fliege zu schnappen, weiß Bescheid. Mit herrlichen
Wortspielen, Alliterationen und gekonnter Versrhythmik würdigte John diese
auffälligen Sommerboten. Zudem passte es auch gut zum Thema „Fernweh“, denn wer
reist schon so oft und so weit wie diese Zuvögel.
Hernach ging’s wieder zurück
zur ach so schönen Melancholie mit Altmeister Robert Johnsons Blues „Love in
Vain“.
Bob Marabito
unterstützt von Mario Dompke heizte der Gemeinde mit Lou Reeds Klassiker
„Take a Walk On The Wild Side“ ein. 1972 war das Lied eine Provokation wegen
seiner Anspielungen auf Transsexualität, Drogen, homosexuelle Prostitution und
sonstige Sexpraktiken. Heute würden sich die Moralwächter eher an dem politisch
unkorrekten kleinen Einwurf vor dem doo, dooo doo-Refrain „And the colored
girls go“ reiben. Das Publikum hatte jedenfalls keine moralischen Vorbehalte
und sang den Refrain begeistert mit.
Immer ein besonderes Ereignis
– na, ja euer Chronist darf sich schließlich auch ein paar Vorlieben erlauben –
sind die Auftritte von Tatjana Schwarz und Ralf Haupts alias 2Sunny.
An diesem Abend machten sie auch ihrem zweideutigen Künstlernamen alle Ehre –
ein wenig weniger Sonne und Hitze hätten auch gereicht. Von 2Sunny hingegen
kann man gar nicht genug kriegen. Tatjanas geschmeidige Altstimme und Ralfs
gekonnte Gitarrenbegleitung zauberten eine elektrisierte Stimmung in den warmen
Sommerabend. „Ich brauch Tapetenwechsel“ passte gut zum Thema des Abends und
„Summertime“ zur Jahreszeit. Bei diesem Lied kam auch Tatjanas Altsaxophon zum
Einsatz – herrliche Wechsel zwischen Gesangs- und Instrumentalteilen, besonders
schön kombiniert mit effektvollen Tempiwechseln. Wunderbar im Hintergrund hielt sich Ralf mit sparsamen und genial
verzögerten Gitarreneinsprengseln – wunderbare Mollakkorde und kleine Riffs.
Das Lied war einer der Favoriten des Abends für euren Berichterstatter.
Bei Donovans „Catch the Wind“
konnten beide mit Bravour zeigen, dass sie auch wunderschön zweistimmig singen
können. Schade nur, dass es nur drei Beiträge von den beiden zu hören gab. Es
dürfte aber sicherlich nicht der letzte Auftritt von Tatjana und Ralf im Folk
Club gewesen sein.
Einige Kostproben seiner
zahlreichen Lieder bot Mario Dompke. Witzig war das Lied über die
kosmopolitische Thüringer Bratwurst, nach deren grillbrauner Haut Mario
schmachtete. „Lokalteil Seite drei“ handelte von Menschen, die an ihrem
Idealismus zugrunde gehen und dafür noch im Tode getadelt werden. Ebenfalls
schwerere Kost war das Lied „Afrika“, das zwar schon vor 15 Jahren entstanden war,
aber durch die derzeitigen Flüchtlingsdramen einen ganz aktuellen Bezug
bekommen hat. „Die neue Welt“ war danach Marios Aufruf zu mehr Gemeinsamkeit.
Mit einem Reigen wunderbar
vorgetragener Gedichte wartete Dieter Faring auf. „Die zwei Ameisen“ von
Joachim Ringelnatz wollten zwar nach Australien, gaben aber schon nach kurzer
Wegstrecke auf. Ebenfalls von Ringelnatz stammt die hintersinnige
Abschiedsreise eines Liebenden mit dem Titel „Ich hab dich so lieb“. Ringelnatz
hat auch das Gedicht vom armen Sauerampfer am Bahndamm geschrieben, der nur
Züge zu sehen bekommt aber nie einen Dampfer. Vom Altmeister Heinz Erhardt
stammt das Gedicht über das Gewitter, das mit einer unerwarteten Wendung der
Stilebene endet, als die Jungfrau aus der Tür tritt und dann ganz
unjungfräulich über das Sauwetter schimpft. Nach den Werken der großen
Verseschmiede präsentierte Dieter Einiges selbst Gedichtete: Im Katzengedicht
geht es um einen liebestollen Kater und seinen ebenfalls katerigen aber etwas
kleineren Freund, der die Sache zwischen Kater und Katze noch nicht so ganz
versteht. Die armen Düsseldorfer bekommen ihr Fett weg, als der liebe Gott
lieber die Kirchensteuer zurückgibt als einen Düsseldorfer in den Himmel lässt.
Zu guter letzt sang Dieter das Klagelied über den PC („Oh, mein PC!“) auf die
Melodie von „Oh, mein Papa“, der uns viel Geduld mit seinen Macken abverlangt.
Dieter, du hast ein besonderes komödiantisches Talent und
tolle Gedichtideen obendrein – ein Superspaß!
Zum Abschluss des Abends
warteten Stephan Weidt und Ulrike Hund mit ihren nachdenklichen
und geheimnisvollen Liedern auf. „Licht lag auf dem See“ stammt aus Stephans
Feder und beschreibt zwei Menschen, die sich beim Schwimmen von den anderen
entfernen. „Wir schreiben keinen Abschiedsbrief, wir sind nicht zu fassen“
lautet eine Zeile. Wohin die Reise gehen soll, erzählt uns das Gedicht aber
nicht. Es scheint aber kein zuversichtlicher und optimistischer Weg zu sein.
Wunderbar bei dem Lied waren Ulrikes Querflötensolos zur besonderen Melodie des
Stückes. „Ma Liberte“ von Georges Moustaki beschreibt den Weg zurück aus der
Freiheit in die Abhängigkeit einer Liebesbeziehung. Bei „Ein schöner Tag“ einem Lied wieder aus dem eigenem Fundus,
wechselte Stephan seine Gitarre gegen das Klavier ein. Das Lied wurde an einem
Vorfrühlingstag geschrieben und schildert die wunderbare Atmosphäre der ersten
belebenden, warmen Sonnenstrahlen und ihre Wirkung auch im übertragenen Sinne
auf die Beziehung zweier Menschen. Zum Schluss gab es mit „As Tears Go By“
einen leicht sentimentalen Stones-Klassiker, bei dem Ulrike nochmals mit ihrer
Flöte glänzen konnte – großer Applaus für Ulrike und Stephan für diesen schönen
Beitrag.
Natürlich ging auch dieser
Abend nicht ohne den Rausschmeißer „Jock Stewart“ zuende, ein Abend wieder mit
vielen kleinen künstlerischen Edelsteinen.
Auf Wiedersehen am 4.
September mit den „features Artists“ Dan Walsh aus Großbritannien und Slack
Bird alias Dave Kras aus Finnland, die uns mit ihren Künsten am
Banjo einheizen werden.