von Detlef Stachetzki
(for an English version goto 3 Songs Bonn Website)
Der Glanzpunkt im November: Ein besonderer Gast aus Schottland.
Folk Musik aus Schottland? Da denkt doch jeder gleich an Dudelsäcke und Kilts (Donald, Where’s Your Troosers?), oder zumindest an Texte, die von Highlands, Whiskygelagen, an die Engländer verlorener Selbständigkeit oder von lustigen oder traurigen Begebenheiten handeln. Das mit den traurigen Texten kam schon hin, aber alle anderen Klischees durften getrost in der Schublade bleiben. Simon Kempston, der „Special Guest“ des Graurheindorfer Folk Club Abends vom 4. November 2011 machte Musik, die so ganz anders als erwartet daher kam.
Aber hübsch der Reihenfolge nach. Master John Harrison eröffnete die November-Session mit dem gewohnten markerschütternden Ruf (Laaadies and Gentlemen!!!!) und präsentierte uns danach eine Reihe von Liedern, die wir im Folk Club bislang noch nicht gehört hatten: Den Anfang machte „The Folker“, ein witziges Spottlied über einen unfähigen Folk-Musiker von Fred Wedlock auf die bekannte Melodie des Simon and Garfunkel-Stückes „The Boxer“. Mit dem Instrumental-Stück Anji von Davey Graham durften wir nach eigener Aussage Johns öffentliche Erstaufführung erleben. John spielte das vituose Fingerpicking-Stück zum Andenken an den Gitarristen Bert Jansch, den Musiker, der das Stück in den sechziger Jahren bekannt gemacht hatte und der kurz zuvor, Anfang Oktober 2011 verstorben war.
Nach dem Blues „I Will Turn Your Money Green” von Altmeister Furry Lewis gab’s dann die langsam fällige Bildungseinlage: Mit dem schaurigen Lied “Close the Coal House Door” von Alex Glasgow über die gefährliche Knochenarbeit der Bergarbeiter („there’s bones inside“) erinnerte John an das grässliche Bergwerksunglück im walisischen Bergwerksdorf Aberfan („there’s bairns inside“; bairns = Kinder; gibt es hier etwa eine Verbindung mit „Pänz“?). Dabei war am 21. Oktober 1966 eine unsachgemäß angelegte Abraumhalde nach tagelangem Regen in Bewegung geraten und hatte mit einem gewaltigen Erdrutsch mehrere Häuser und eine Schule unter sich begraben. Bilanz: 144 Tote, darunter 128 Kinder. Das Unglück entwickelte sich zudem zu einem unwürdigen und beschämenden Hickhack um die Verantwortlichkeit und um die Verwendung von Geldmitteln, die insbesondere aus Spenden herrührten, bei dem den betroffenen Familien ein Teil des ihnen zugesprochenen Geldes vorenthalten wurde.
Mit dem „Lemon Street Blues“ beendete John seinen Auftritt und übergab die Bühne der Gruppe um Siegfried Königsfeld (Gitarre, Gesang und Mundharmonika), der mit seinen Mitstreitern Marianne Mallmann (Gesang), Wolfram Mallmann (Gesang und Rassel) und Ronan Sevellec (Cajon) ein paar kurzweilige Stücke zum Munterwerden spielte. „The River“ von Bruce Spingsteen, „Hallelujah“ von Leonhard Cohen und „Take me Home Tonight” von Eddie Money waren auch etwas zum Mitsingen und das Publikum kam langsam in Wallung – gute Vorbereitung für den nächsten Auftritt, den besonderen Gast des Abends, Simon Kempston aus dem schottischen Edinburgh.
Simon präsentierte dem Publikum ungewöhnliche, aber hörenswerte Kost. In bester britischer Singer-Songwriter-Manier singt und spielt er auf höchstem technischen Niveau mit virtuosem und transparentem Gitarrenspiel und einer raumfüllenden, variablen und intonationssicheren Stimme, die auch im Pianissimo wunderbar tragend ertönt. Alle seine selbstkomponierten Lieder haben einen sehr persönlichen Bezug oder handeln von geschichtlichen Ereignissen mit einem überwiegend leicht bis stark melancholischen Unterton. Der Start hätte mit „To the Wilderness“, einem Lied über die fast ausweglosen Irrungen und Wirrungen des menschlichen Lebensweges („And into the desolate wilderness we’d go“) kaum bedrückender sein können. „Careless Interventions“, „Ladies Lookout” (ein Lied über den brillanten, aber unglücklichen schottischen König Jakob IV.), „Strangled“, „Barricade“ (über die Unabhägigkeitsbewegung im Baltikum) und „To See The Lights“ (über den Aufstieg und Niedergang des Kriegshafens in St Margaret’s Hope auf den Orkneys) bildeten den ersten Teil seines Auftritts. Mucksmäuschenstille während der Stücke und tosender Applaus waren der Lohn für den ersten Teil.
John machte die überraschende aber auch beglückende Feststellung, dass es ungeplant eine Verbindung zwischen seinem Auftritt und dem von Simon gab: Johns am Anfang gespielte Hommage an Davey Graham und Bert Jansch („Anji“) galt zwei Musikern, die eine spezielle Gitarrenstimmung entwickelt und kultiviert hatten, die sogenannte DADGAD-Stimmung. Dabei werden die sechs Saiten in den Tönen D A d g a d’ gestimmt anstelle der überwiegend üblichen Stimmung in E A D G h e. Wikipedia schreibt hierzu: „Das Ergebnis ist, dass sich wichtige Grundakkorde bereits mit einem Finger greifen lassen, etwa ein modaler D-Akkord, indem die G-Saite im zweiten Bund gegriffen wird. Charakteristisch ist der „offene“ und voluminöse Klang, der dadurch entsteht, dass auch Saiten, die nicht gegriffen werden, oftmals als Bordun mitschwingen“. Tja, Simon hatte seiner Gitarre just diese Stimmung verpasst – und wir haben wieder etwas für die Bildung getan!
Nach der Pausenerholung verschaffte uns Co-Master Barry Roshto mit zwei ungewöhnlichen a capella-Liedern Erheiterung. Mit gekonntem Wechsel zwischen extrem hohem Falsett und voluminösem Bariton trug er „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ vor und sang danach das alte Spottlied „Es saßen die alten Germanen zu beiden Seiten des Rheins“. Beide Lieder sind Teil einer von Barry und seiner Musikschullehrer-Kollegin Ursel Quint geschaffenen musikalischen Installation „Hydrophonix“. Dabei stehen beeindruckende und überraschend klingende Unterwasser-Tonaufnahmen des Rheins im Mittelpunkt und werden garniert mit witzig interpretierten Rheinliedern.
Als Überraschungsgast und „Walk-in“ steuerte Theo „Seitan“ (? Die „Danke schön“ e-mail kamm leider zurück) zwei schöne Lieder bei, darunter „Last Night I Had the Strangest Dream“ von John Denver.
Steve Perry, ein mittlerweile alter Bekannter trat diesmal zusammen mit Bernd Wallau auf und sang und spielte (auf seiner brasilianischen Viola Caipira) für uns die zwei bekannten amerikanische Country-Lieder „Scarlet Ribbons“ (bekannt vor allem durch die Interpretation von Perry Como) und Teenage Queen, das Johnny Cash populär gemacht hat. Auch hier gab es eine schöne Überraschung: Steve und Bernd hatten ihren Fanclub mitgebracht, der gekonnt und mehrstimmig vom Tisch aus die Begleitstimmen (huuh hooh, huuh hooh!) beisteuerte – super! Natürlich gab’s von Steve auch wieder etwas Brasilianisches: Das Lied von der Geschichte, die gar nicht ausgeht – na, so was, aber trotzdem schön.
Den krönenden Abschluss des Abends bildete dann das zweite Set von Simons Liedern, die ebenso traurig, nachdenklich und melancholisch, aber wunderschön und melodiös daherkamen wie im ersten Teil: „Mad Dog“, Carefree Prisoner“, „Cast Iron Guarantee“, „In the Lord I Trust“, „Full of Regret“ und „Derry Walls“ lauteten die Titel des zweiten Durchlaufs, der ebenfalls tosenden Applaus erntete.
Wer mehr von Simon wissen und hören (und vielleicht auch etwas erwerben) möchte, dem sei Simons Website
http://www.simonkempston.co.uk/
wärmstens ans Herz gelegt.
Die Melancholie von Simons Stücken setzte sich abschließend fort in der traurigen Mitteilung an die Folk-Gemeinde, dass der Folk-Club nach der Session im Januar 2012 seine Heimat im Schützenhaus verlieren wird. Die Gaststätte wird aller Voraussicht nach ihre Pforten schließen.
Der Folk Club ist somit auf der Suche nach einer neuen Bleibe. Wichtig dabei sind: Gemütlicher und nicht zu kleiner Saal (wie im Schützenhaus), nette Bewirtung zu zivilen Preisen (wie im Schützenhaus), gute Erreichbarkeit auch mit Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln (wie beim Schützenhaus), Parkmöglichkeiten (wie beim Schützenhaus) und gaaanz wichtig: Ein Klavier! (auch wie im Schützenhaus).
Tipps an die Folk Club-Mannschaft (John, Barry, Ingrid und Detlef) sind herzlich willkommen.
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