Folk Club (Nr. 30) im Oktober 2012 – Gelungenes Experiment (fast) ohne Instrumente
von Detlef Stachetzki
Wer glaubte, ein Folk Club Abend nur mit Gesang
ohne Begleitinstrumente sei fade und langweilig, musste sich nach dem Treffen
am 5. Oktober die Augen reiben (besser noch die Ohren). Die menschliche Stimme
fesselt die Aufmerksamkeit der Zuhörer um ein Vielfaches mehr als jedes
Instrument. Gesang geht direkt in die Seele. Der erste A Capella-Abend des Folk
Clubs wurde ein voller Erfolg. Selten stieg der Aufmerksamkeitspegel des
Publikums nach dem anfänglichen Getuschel und Geraschel so steil an.
Master John
Harrison eröffnete den Abend nach dem üblichen Schlachtruf (Ladies and
Gentlemen!“) mit einem kleinen selbstverfassten Gedicht mit dem passenden Titel
„Autumn Colours“ und schloss daran eine kleine Betrachtung über die Frage
„Verlängert Bewegung das Leben?“ an, die in der ernüchternden Erkenntnis aus
Beispielen aus dem Tierreich mündete: Das Tier mit der wenigsten Bewegung, die
Schildkröte, lebt am längsten! Vermutlich war John zu der Betrachtung animiert
worden, da ihn das Ableben seines langjährigen motorisierten Begleiters zu
neuer Bewegung auf zwei pedalbetriebenen Rädern veranlasst hatte.
Nach der Prosa folgte dann wieder gesungene
Lyrik mit dem Lied aus der tristen britischen Bergarbeiter-Szene „Close the
Coalhouse Door“ von Alex Glasgow aus dem Jahre 1968. Mit dem Gedicht „Little
Aggie“ wurde es nach dem zuvor gehörten, eher düsteren Lied wieder humorvoll.
Das Gedicht beschreibt die folgenreiche Wanderung von 15 Elefanten, die sich
jeweils mit dem Rüssel am Schwanz festhalten, über die Straße und eine
missglückte, aber einigermaßen glimpflich ausgegangene Überquerung eines
Bahnübergangs. Aggie hat aufgrund der unsanften Begegnung mit dem Zug künftig
keine Lust mehr, als Letzte in der Elefantenprozession zu gehen. Die Lehren aus der Geschichte: “An
elephant never lets go, an elephant never turns back, an elephant never
forgets“. John stellte die Frage, ob vielleicht auch Elefanten im Saal
seien. Die Elefanten hatten es John diesmal angetan, denn das nächste Lied
„Nellie the Elephant“ handelte von einem weiteren klugen Dickhäutermädchen, das
vielleicht bei der Fußpflege im Readers Digest geschmökert hatte und dabei
erfahren musste, dass man im Zirkus eher unterdurchschnittlich alt wird. Sie
beschließt daraufhin, den Zirkus zu verlassen und setzt ihren Beschluss auch in
die Tat um – sehr witzig.
John schloss seinen Beitrag mit dem Lied „Danny
Boy“. Obwohl es als irisches Lied gilt, wurde es 1910 von einem Engländer
(Frederick Edward Weatherley) geschrieben, der sich zu der Zeit in den USA
aufhielt und nie in Irland war. Populär wurde das Lied in Verbindung mit der
als „Londonderry Air“ bekannten Melodie. Der Warm up war ein perfekter Einstieg
in einen Abend, der dem Singen ohne Instrumentenbegleitung gewidmet war und der
noch einige schöne Überraschungen bieten sollte.
Auch Richard
Limbert, den wir mittlerweile zu den Folk Club-Routiniers zählen dürfen,
diesmal nicht mit Hut sondern mit Schiebermütze und ohne Brille, wagte sich an
das Singen auch ohne Gitarre und präsentierte Beiträge vor allem aus dem
Füllhorn seiner Eigenkompositionen. „Titanic Mantra“ lautete der Titel eines
Liedes, das von Zahnschmerzen handelte. Etwas deftiger (vielleicht ein wenig zu
deftig ?) war der Text von „The Whores of San Pedro“ von Dave van Ronk. Danach
musste Richard doch wieder seine Gitarre einsetzen bei der Eigenkomposition
„The Easy Way Out“, einem Lied darüber, den einfachen Weg zu finden. Ebenfalls
selbst geschrieben war „Hang me Higher“, bei dem die Gemeinde herrlich
mitsingen konnte und es auch tat. Richard erläuterte die Moral: Man kann an
seinem Idol hängen, aber dadurch auch daran scheitern. Richards Beiträge haben
immer etwas Geheimnisvolles.
Ebenfalls nicht ganz unbekannt im Folk Club, allerdings
nicht in dieser Konstellation war ein Trio aus drei jungen Damen, die sich mit
dem witzigen Titel „The Three Quarter
Pellas“ vorstellten. Anhänger des Zeit-Kreuzworträtsels „Um die Ecke
Gedacht“ hätten ihre Freude an diesem Wortspiel: Also, sie sind nur drei
Viertel einer normalen vierstimmigen A Capella Besetzung, und das drückt sich
im Namen aus. Zwei der Gruppenmitglieder waren bereits im Frühjahr in der
furiosen Show von „Ferner Liefen“ im Folk Club aufgetreten.
Trotz der drei Viertel nahmen sie gleich volle
Fahrt auf und gaben mit „Fly me to the Moon“
in bester Barbershop-Manier einen furiosen Einstand. Wunderbare
Gänsehaut-Harmonien gesungen von drei stimmsicheren Musikerinnen, die locker
die schwierige Melodieführung der im Jazz und Barbershop so beliebten „Close
Harmony“ beherrschten – ein Genuss und zum Weinen schön. Die drei, Elena Fricke, Jennifer Mösenfechtel und Ulrike Greiner, toben sich musikalisch
ansonsten im Jazz Chor der Universität Bonn aus, und das ist sicherlich keine
schlechte Referenz. Zudem haben zwei der drei Sängerinnen auch im Ensemble der
vielumjubelten Rock ‘n’ Rollator Show von Michael Barfuß mitgewirkt. Von dort
stammt das nächste Lied „Technicolor Dreams“ über die televisionären Highlights
im Altersheim – ein geniales Lied und wunderschön gesungen. Weiter ging’s mit
Aretha Franklins „I Say a Little Prayer for You“ – was soll der Chronist noch
an Steigerungen der Begeisterung beschreiben. Das Publikum verlangte die Zugabe
und bekam sie natürlich. „The Rose“ aus dem gleichnamigen Film aus dem Jahre
1979 und damals gesungen von Bette Midler, bekam durch das Trio einen ganz
neuen Ausdruck. Natürlich blieb es nicht bei der einen Zugabe und so folgte das
gefühlvolle „You’ve Got a Friend“ von Carole King. Die Zuhörer waren gerührt
und ganz leise war aus dem Hintergrund Stimmunterstützung aus dem Publikum zu
hören – eine zauberhafte Atmosphäre.
Jutta
Mensing, die ihrem Auftritt entgegensah, bekam angesichts des geballten
Harmoniegewitters massive Bedenken. „Kann man danach eigentlich noch
auftreten?“, lautete ihre bange Frage. Indes, sie wagte es, und siehe da, auch
die Einfachheit hat ihren Reiz. Bei ihrem ersten, in plattdeutscher Sprache
gesungenen Lied „Mien Jehann“ sprang sofort der Funke über. Mit klarer, und gut
artikulierter Stimme hatte sie das gerade noch von kunstvollen Klangteppichen
verwöhnte Publikum sofort auf ihrer Seite. Auch das alte Lied „Ich hab’ die
Nacht geträumet“ trug sie mit viel Gefühl vor – die Konzentration im Publikum
war zum Greifen spürbar. Auch bei diesem Lied gab es wieder ungeplante, aber
gekonnte Begleitung aus dem Publikum – herrlich. „Mit Lieb’ bin ich umfangen“,
das alte Madrigal aus dem 16. Jahrhundert von Johann Steurlein lebte durch
Juttas schönen Vortrag und die gebannte Aufmerksamkeit des Publikums auf.
Natürlich musste auch Jutta mit einer Zugabe ran, und sie spannte gleich das
Publikum als Refrainchor ein beim bekannten Volkslied „Ein Jäger längs dem
Weiher ging“.
Und noch einmal durfte Jutta singen, diesmal
zusammen mit Steve Perry und zwar
das von Ian Tyson geschriebene und als Ersatz-Nationalhymne Kanadas gehandelte
Lied „Four Strong Winds“. Zweistimmig mit der Frauenstimme als „Unterstimme“
klang das einfache Lied höchst apart.
Nach der Pause hatte Barry Roshto nach drei Monaten Folk Club-Abstinenz wieder Gelegenheit, die Gemeinde in
seinen Bann zu ziehen – und er tat es mit großem Genuss. Das Lied „Mama’s
Little Baby Loves Shortnin’ Bread” ist ein altes Plantagenlied, das wie eine
Litanei – aber mit wesentlich witzigerem Text – bei der Arbeit auf den Feldern
der Südstaaten gesungen wurde, um die Monotonie zu erleichtern. Die Arbeiter
saßen diesmal im Publikum – sehr amüsant. Und auch beim nächsten Lied, das
Barry in einem kleinen Büchlein mit Cowboyliedern gefunden hatte, war das
Publikum gefordert. „Roll on Little Dogies” (das ist kein Schreibfehler; Steve
Perry hat mich aufgeklärt: „dogies“ heißt Kälber) lautete der Refrain des
Liedes, dessen Melodie den meisten aus “My Bonnie Lies Over the Ocean“ bekannt
ist. Zu guter Letzt trumpfte er mit dem Spaßlied „The Cat Came Back the Very
Next Day“ auf.
Inzwischen zum zweiten Mal trat Alvaro Arango aus Kolumbien auf (das
erste Mal im vergangenen Juli). Für den speziellen Abend verzichtete er bei
seinem ersten Lied, „Walk Away“ von Tom Waits, beinahe auf seine geliebte
Gitarre. Durch stimmloses Anschlagen der Saiten mit der ganzen Hand diente ihm
das Instrument quasi als Schlagzeug – eine interessante Alternative. Zudem
begeisterte er mit seiner wunderbar klaren und tragenden Stimme sofort. Mit
dieser Stimme konnte er auch locker das schöne Lied von Joni Mitchell „Both
Sides Now“ (allerdings in der Version von Dave van Ronk) vortragen. Danach
verwöhnte er uns mit einer seiner Eigenkompositionen. „Sell my Soul“ lautete
der Titel. Natürlich kam auch er nicht ohne eine Zugabe weg. „The End“ lautete
der sinnige Titel auch dieser Eigenkomposition. Wir sind gespannt, welche
schönen Lieder wir von Alvaro noch in der Zukunft hören dürfen.
Mit Jörg
Bohnsack, auch ein Akteur aus der famosen Rock ‘n’ Rollator Show, konnten wir
einen weiteren Vertreter der plattdeutschen Sprache begrüßen. Jörg spielte und sang zusammen mit seinem Freund Walther Hundt aus Büsum in Dithmarschen das stimmungsvolle und zur Jahreszeit
passende Lied von Knut Kiesewetter „Fresenhof“ – wunderbar. Schade, dass wir
von den beiden nur ein Lied hören durften. Vielleicht gibt es ja bei anderer
Gelegenheit mehr.
Zum Abschluss gab es noch einen besonderen Gast
aus dem entfernten kanadischen Vancouver Island an der Pazifikküste: Bill Perry, der auf Besuch bei seinem
Bruder Steve war. Im Duett sangen beide die schönen, von
Bill geschriebenen Lieder über die Berge und die vielen Abschiede, die Bill
erleben musste. Bill, der in den Jahren 1965 bis 1967 als Soldat der US-Armee
in Bayern stationiert war, stellte sich und seine Lieder in bewundernswertem
Deutsch vor, obwohl er seit Jahrzehnten nicht mehr in Deutschland gewesen war.
„I’m Leaving the North Appalachians” hieß das gefühlvolle Lied über seinen
Abschied aus der Welt der Berge Neuenglands im Nordosten der USA, um nach
seinem Studium in den hohen Bergen im Nordwesten der USA zu klettern und an der
Westküste Kanadas seine forstwirtschaftliche Karriere verfolgen.
Auch das Lied „Farewell to Vancouver Island“
handelt von einem solchen Abschied. Eher humorvoll war die gesungene Geschichte
über die Reparatur von Bergstiefeln. Dabei glänzte Bill zudem mit einer
gekonnten Jodeleinlage. Vielen Zuhörern war dabei nicht klar, dass die
Jodeltechnik nicht nur „bei uns in Tirol“ zuhause ist, sondern auch in der
Volksmusik Nordamerikas, insbesondere der der Appalachen. Großer Applaus für
Bill und Steve. Den Abschluss bildete das Bluegrass-Lied „Rabbit in a Log“.