Mit einer liebevoll handbeschriebenen
und künstlerisch gestalteten Kreidetafel begrüßte der Gastgeber
des Folkclubs, das Haus Müllestumpe, die ankommenden Gäste. Mein
vorsichtig geäußerter Hinweis, dass es sich doch um den 50ten
Folkclub und nicht um 50 Jahre Folkclub handle brachte den Tafelmaler
zwar nicht um den Verstand, stellte ihn jedoch vor die
Herausforderung diese Tatsache in richtige Worte zu fassen.
Es hat geklappt, denn pünktlich um
18:00 Uhr stand eine wohlgeordnete Schlange von Musikern und Publikum
bereit, um den Jubiläumsmarsch zu starten. Tatjana und Ralf trugen
als große Menschen (sowohl als Musiker wie auch biologisch
betrachtet) das eigens für diese Gelegenheit von Emily handgemalte
Transparent; direkt gefolgt von den Galizischen Hornpipes, die mit
ihrem gleichzeitig melodischen und alles durchdringenden Ton jeden
Bewohner am Rande der Marschroute aus der beginnenden Feierabendruhe
aufschreckten. So wurde der Zug immer wieder von winkenden, lachenden
und fröhlichen Menschen gesäumt und der eine und die andere
schlossen sich dem Zug auch an, um weiter der Musik zu lauschen
(„verfolgt“ wurde der Zug von meist sehr disziplinierten
AutofahrerInnen, die im Schritttempo das Geschehen beobachteten).
Das erste Jock Stewart hörte
Graurheindorf aus der Gaststätte „Zum Schützenhaus“ – der
Geburtsstätte des FCB (GeneralAnzeigerFeb2010).
Das marschieren, singen und Kölsch trinken schwere Arbeit ist,
zeigten die verschwitzten Hemden, Blusen und T-shirts nach dem ersten
Kölsch – die Entlohnung der Arbeiten folgte frei nach Jock Stewart
unmittelbar: „and what ere’s the cost I will pay“ sagten sich
die Wirtsleute und übernahmen die Runde. Ein Ehrenplatz sei ihnen
hierfür wie auch als Gründerväter und –mütter in den Gedanken
aller Folkies gewiss.
Der nächste Marschabschnitt war nur
kurz und so wurde das nächste Jock Stewart mit Gruppenbild im
Rheindorfer Hof gesungen. In dem herrlichen Wintergarten versuchten
mittlerweile ca. 35 Stimmen gegen die Pipes anzusingen, was
naturgemäß den Hals austrocknen ließ. Aber die Kölsch standen
bereit und diesmal nannte sich John Harrison selbst Jock Stewart und
interpretierte die 6te Strophe des Liedes im Namen des Folk Clubs sehr persönlich, indem die
Rechnung nicht bis zu den Konsumenten gelang.
Bald darauf wurde es ernst. Erst 30,
dann noch einmal 20 Künstler nacheinander, ohne Pausen, ohne Ansagen
auf zwei Bühnen zu organisieren – eine Herausforderung. Der erste
Schock kam, als die Platzierungskarten und die Bühnen vertauscht
wurden. Da aber jeder gute Musiker (und Folkies sind gute Musiker)
improvisieren kann, war dieses Problem schnell gelöst. Die nächste
Herausforderung – das Einhalten der vorgegebene 2:36 Minuten pro
Lied – hatte Barry im Griff. Mit großer Uhr auf dem
Laptopbildschirm könnte jeder Künstler seine Zeit überwachen, und
tat er es nicht, so wurde ihm eine Erinnerung mit einem lauten Gong
als Ende seines Vortrages verpasst.
Hier alle Künstler aufzuzählen
und ihren Liedern eine Kritik zu äußern, würde einen Artikel
sprengen und eher ein Buch füllen; aber wer weiß, da wir ja in den
Reihen der aktiven Folkies auch Schriftsteller haben… (lieber
Stefan Weidt, fühle dich ruhig angesprochen einen Roman über Bonns
Folkszene zu schreiben).
Die Stimmen des Publikums beschreiben den
Abend als vielseitig, emotional, toll, künstlerisch und musikalisch
wertvoll und unterhaltsam, der sich vor keinem 100,--€ teurem
Konzert verstecken müsste.
Begonnen mit einem aus tiefster Seels
entsprungenem Blues mit der Bitte an Gott dem Interpreten doch
endlich einen Mercedes und einen Farbfernseher zu schenken, eröffnet
John Harrison den Reigen. Janis Joplin hätte ihre Freude gehabt. Vom
Blues zur galizischen Folklore – in Bonn nur ein kleiner Weg, den
Eva & Manu sehr erfolgreich beschritten. Das Generationenwechsel
kein Problem darstellen müssen zeigte Bob Mirabito, der sich auf
einem Rollator auf die Bühne schieben ließ, sich selbst als „ich
bin schon alt“ vorstellte, dann aber jugendlich aufstand und sein
Lied sang. Der nächste Sprung führte zu Schubert, wobei die Forelle
aus der Kehle von Ingrid mit den klappernden, Pommes beladenen
Tellern des Publikums konkurrieren musste. Und sofort ging es wieder
in American Folksong angehauchtes Liedgut von Winfried und Renate über.
Der weitere Weg führte nach Italien, das von Paolo & Svenja
besungen wurde. Auch Theatersingspiele dienten als Vorbilder, so fand
sich Mackie Messer in einer sehr eigenen Interpretation von meoneo
mit Lochkartenspieluhr und selbst gemalten Bildern wieder. Über
eigene Kompositionen vieler Künstler, die teilweise Stilrichtungen
zugeordnet werden können, teilweise eigene Stile herausbilden
gelangte der Weg durch internationales Liedgut immer wieder an
Lieder, die dem Publikum gut bekannt waren und sofort aufgenommen und
mitgesungen wurde. Ob die Liebe zu Egon Anke zu einem musikalisch
zuviel genossenen Gläschen verleitete, ob die Green Fields of France
als Grabstätte des Privat Willie McBride von Janero besungen und aus dem Publikum auch mit dem deutschen Text begleitet
wurden oder ob die norddeutsche Ballade „Dat du
mien Leevsten büüst" in bestem Plattdeutsch mitgesungen wurde –
große Zufriedenheit strahlte aus allen Gesichtern im reichlich
vollen Gastraum. Leider dringen in solch emotional geladenen
Stimmungen leise Töne nur schwer an das Ohr der Zuhörer – aber
ein Qualitätsmaßstabes des FCB ist eben, dass –manchmal erst nach
Aufforderung – zuhören und sich in die Lieder hereinversetzen für
jeden wichtig ist. So hatte es Andreas Gruner zwar erst ein bisschen
schwer zum Publikum durchzudringen, doch dann fesselte er mit seiner
„in memorial“ Ballade für die verstorbene, langjährige Folkclub
Besucherin Verena Obst doch das Publikum.
Wie
schon gesagt, es würde den Rahmen sprengen hier jeden Künstler
aufzuführen und es hat auch nichts mit Highlight oder Bewertung zu
tun, wenn hier Namen genannt werden – es ist eine mehr zufällige
Auswahl meiner Erinnerung oder der Bezeichnungen aus dem Publikum
(„Der Hansjörg Schall hat sicher die schärfste Pepperonie im
Hintern, so wie der mit der Musik mitgeht“). Ob John Hay, der mit seiner 10 jähigen (!)
Tochter auftrat, ob Tom Kannmacher der deutsches Liedgut auf der
Laute mitbrachte, ob Lothar Heinrich mit seiner swingenden Stimme
oder ob Richard Limbert, extra aus Leipzig angereist – alle, alle
haben den Abend zu dem gemacht was er war – ein riesen Fest der
Folkies und ein Beweis, dass echte Volksmusik nicht ausstirbt, dass
echte Volksmusik nicht eine Richtung ist, sondern alles, was das
Volk singt – ob im Wohnzimmer, in der Schule, im Chor oder auf der
Straße; ach ja, da war doch noch was. Wie wir es alle von Gerd
Schinkel kennen, haben ihn die Verordnung, sich in Bonn sein
Singrecht für die Straße zu erkaufen, und die aus Reihen des FCB
angestoßene Street
Musicains' Petition
zu einem Protestlied animiert, welches er zum Gelingen des 50ten
Folkclub mit Begleitung von GW Spiller vorgetragen hat.
Noch
gar nicht erwähnt sind die rein instrumental vorgetragenen Stücke.
Ganz spontan fanden sich Werner Krötz-Vogel von "meoneo"
und Torsten Monnerjahn vom "Astatine" zu einem
Jazzstandard (auf geliehenen Instrumenten) zusammen – die
Spontaneität kam rüber, aber dass die beiden noch nie zusammen
gespielt haben konnte bei diesem professionellen Vortrag niemand
glauben (und doch stimmt es
). Aus dem Ukelelen Medley von Vilamor-Tatay Amor erkannte das
Publikum immer wieder Lieder und sang mit (soviel zu instrumentals) –
Lilly Marleen wurde so auch noch Bestandteil des FCB 50.
Das
große Finale bildete – wie sollte es auch anders sein – Jock
Stewart. Aus ca. 150 Kehlen inbrünstig geschmettert schaffte es eine
gute Grundlage für einen beschwingten Heimweg – aber nein, eins
kam dann doch noch hinzu. Der Mercedes und der Farbfernseher für
John waren immer noch nicht geliefert, deshalb sangen alle nochmal
gemeinsam diese Bitte an den Lord of Musicians.
Um
die Überschrift aufzugreifen – auch wenn ich es nicht mehr erleben
werde, wünsche ich mir und allen anderen, dass der Folkclub Bonn
auch seinen 50ten Jahrestag feiern wird – aber bis 2040 werden noch
sehr viele Lieder auf der einen oder anderen Bühne des Folkclubs
ertönen.
Mario
or is it Oiram
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