Folk Club
Bonn Nr. 51 im Oktober 2014 – Platz ist in der kleinsten Hütte
Was zunächst wie ein Unglücksfall aussah, entpuppte sich
dann im Laufe des Abends doch als eine Situation nach dem Motto „Glück im
Unglück“. Der Folk Club musste aus dem geräumigen Gastraum des Müllestumpe
weichen, weil eine große Hochzeit ausgerichtet wurde und selbst gut 80 Folk
Club Besucher dagegen nicht konkurrieren konnten – trinkt und esst Ihr
vielleicht zu wenig??? Für die Zukunft ist hier ein bisschen mehr Einsatz
gefragt, liebes Publikum!
Kleiner Exkurs an dieser Stelle: Es sei daran erinnert,
dass unsere Musiker nicht nur „just for fun“ spielen, also ohne jegliches
Entgelt, sondern dass sie obendrein auch noch ihren Verzehr selbst bezahlen.
Wenn das kein Einsatz ist. Dem Publikum ist es nicht verboten, hin und wieder
mal oder auch öfter – und natürlich insbesondere bei besonders feurigen Einsätzen – mit diversen „Löschwässern“ für
Brandbekämpfung bei den Akteuren zu sorgen.
Nun, der hintere Saal war zwar etwas eng für den Andrang –
aber die Akustik! Manch einer der Musiker war recht angetan von der wesentlich
angenehmeren Klangentfaltung im kleineren Raum. Es ist wie immer im Leben: Das
eine kriegst du, das andere musst du. Wir werden mit der Unvollkommenheit
leben, zwar üblicherweise einen schönen Auftrittsort im großen Gastraum des
Müllestumpe zu haben, der aber leider nur eine mäßige Akustik für „alles außer
Verstärker“ bietet. Und dennoch bleibt der Reiz des Folk Club als eines Ortes
der Überraschungen, Entdeckungen und Glücksgefühle.
John
Harrisons Schlachtruf „Ladiiiiiies and Gentlemen .....“ kam denn diesmal
deutlich kerniger rüber als gewöhnlich und eröffnete einen erneuten Abend der
Besonderheiten.
Das Warm up
besorgte der Master wie üblich selbst mit dem immer wieder gern gehörten a
capella gesungenen „Berry Fields of Blair“, dem Lied über die Beerenpflücker im
schottischen Blairgowrie nordwestlich von Dundee. John schlug mit dem
Eröffnungslied gleich einen großen Bogen: Er präsentierte einen Bezug zum Thema
des Abends (Städtenamen), lieferte eine freundliche Referenz an die „lieben
Schotten“, die kurz zuvor für den Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt
hatten und stellte mit diesem Bezug zur Einheit seines Heimatlandes gleich auch
einen Bezug zum aktuellen Tag der deutschen Einheit her, es war schließlich der
3. Oktober – wenn das nicht ein gelungener Einstieg in den Abend war. Mit dem
Lied „Caledonia“, der lateinischen Bezeichnung für Schottland ging es weiter.
John wurde von Paolo Pacifico zuerst auf der Mundharmonika und dann
gesanglich mit äußerst einfühlsamer Stimmführung begleitet. Beim nächsten Lied
stand die irische Hauptstadt Dublin im Focus: „Cockles and Mussels“ besingt die
hübsche Fischverkäuferin Molly Malone. Das Publikum sang den Refrain mit, und
das Aufwärmen war gelungen.
Paolo setzte
den Reigen mit seiner Begleiterin Svenja Jesumann (Geige) mit dem Lied
„San Franciscan Nights“, einem Klassiker aus der Flower-power Ära, fort.
Diesmal ohne Bezug zum Thema des Abends aber nicht weniger
ansprechend interpretierten John Hay und Gerd Schweizer
„Herbstgewitter“ und „Über den Wolken“ von Reinhard Mey sowie „Heute hier,
morgen dort“ von Hannes Wader. Sie brauchten die Lieder nicht allein zu singen.
Ein Neuling im Folk Club ist Laurence O’Toole, der
seine eigenen Lieder „Carnival of Madness“ (Laurence: „ein Lied über jede
Stadt“) und „Birmingham“ vorstellte. Wunderbar variables Gitarrenspiel im
Wechsel von Fingerpicking und geschlagenen Saiten gepaart mit schönen
Tonartwechseln und kraftvoller Gesangstechnik gaben dem Auftritt etwas
Besonderes.
Mittlerweile ein alter Bekannter ist Gerd Schinkel
mit seiner nicht endenden Fantasie, die er in Balladen umwandelt. Sein Beitrag
besang die Stadt Berlin, die dabei aber gar nicht gut wegkam. Gerd ist nun
einmal ein überzeugter Rheinländer und seine Liebe gilt Köln und Bonn.
Mit Gerd Schinkel als Promotor tourt aktuell die
Argentinierin Marili Machado, genannt die Stimme von Buenos Aires, durch
Deutschland. Durch Gerds Vermittlung durfte auch der Folk Club sich freuen, sie
zu begrüßen. Solche Glücksfälle sind im Folk Club mittlerweile gar nicht mehr
so selten, aber sie sind nach wie vor Glücksfälle. Mit argentinischem
Temperament und einer Stimme, die ohne Verstärker auch deutlich größere Säle
füllen kann, präsentierte sie Lieder aus ihrer südamerikanischen Heimat.
„Buenos Aires“ lautete ihr erstes Lied – das Publikum war gleich aus dem
Häuschen. Kraftvoll und sanft zugleich, mit ungeheurem Volumen und einer
Ausdrucksstärke ohne Gleichen und mit meisterhafter Gitarrenbegleitung singt
sie ihre Lieder. Zusammen mit Gerd Schinkel sang sie danach ein bekanntes
Protestlied aus der Zeit der Militärherrschaft in Chile: „Todo Cambia“ (Alles
wandelt sich). Gerd hatte auch die entsprechenden deutschen Zeilen dazu
beigetragen – wunderbar zu zweit gesungen und gespielt. Nochmal richtig auf die
stimmliche Tube drückte Marili dann bei dem Klassiker „Cucurrucucu Paloma“ von
Caetano Veloso. Obwohl das Lied schon durch viele süßliche Interpretationen
abgenudelt scheint, vermochte es Marili, dem traurigen Lied mit ihrer Stimme
und ihrer Gitarre eine besondere Intensität zu geben. Natürlich kam sie nicht
ohne Zugabe weg. „Milonga y Tango“ lautete das Lied, das die beiden
bekanntesten traditionellen Musikrichtungen Argentiniens zum Thema hat.
Riesenapplaus für Marili und natürlich alle guten Wünsche für viel Erfolg bei
Ihrer Tournee.
Ralf Gogo, ebenfalls ein neues Gesicht im Folk
Club, zeigte sich nach dem vorhergegangenen furiosen Auftritt ein wenig
zerknittert und verunsichert. „Wie kann man nach diesem Auftritt hier noch
singen?“ lautete seine zaghafte Frage. Aber er fasste sich ein Herz und legte
los. „City of New Orleans“, das Lied über den Zug mit dem Namen der berühmten
Stadt im musikalischen Süden der USA, wollte denn aber doch zunächst nicht so
richtig losfahren. Ralf meisterte letztlich die Anfangsnervosität, ließ die
Finger von der Gitarre und präsentierte seinen Beitrag a capella mit Bravour.
Das Publikum honorierte seinen schönen Gesang und seine Tapferkeit mit tollem
Applaus – das war Folk Club pur!
Weniger nervös, dafür aber dem Folk Club Publikum umso
bekannter ist Mario Dompke, der ein Lied über den nicht ganz so
bekannten Ort Lappenstuhl aus dem Köcher zauberte. Man glaubt es kaum, diesen
Ort, scherzhaft auch „Plünnensessel“ genannt, gibt es wirklich. Der witzige
Name hat mit Lappen wenig zu tun, sondern soll sich aus der Flurbezeichnung
„Graf Lamprechts Richtstuhl“ entwickelt haben. Er liegt östlich von Bramsche am
Mittellandkanal und spielte in Marios früherem Leben eine wichtige Rolle. Und
wenn in Marios Leben etwas eine Rolle spielt, dann muss es sich gefallen
lassen, in Vers- und Liedform gegossen zu werden, so auch Lappenstuhl. Das Lied
über Marios schöne Kindheitserinnerungen enthält aber auch den Vers: „aus der
Distanz verklären sich manche Dinge eben“. Mit Unterstützung von Reinhard
Altenhofen kam dann ein etwas bekannterer Ort an die Reihe. „Ich hab’ mein
Herz in Heidelberg verloren“ war auch etwas zum Mitsingen für das Publikum.
Eindringlich und traurig ist das Lied „Green Fields of France“ von Eric Bogle,
das Mario und Janero del Rosario zusammen sangen. Mario steuerte einige
Verse in deutscher Sprache bei, die Hannes Wader in den achtziger Jahren zu
diesem Lied geschrieben hatte.
Mit einem Instrumental präsentierte Werner Krotz-Vogel
seinen Beitrag zum Städtenamen-Abend. „Karlsruhe“ hieß das Stück. Warum
ausgerechnet die badische Residenzstadt mit dem Stück geehrt wurde, verriet er
uns nicht, aber darauf kam es auch gar nicht an. Wichtig war allein Werners
meisterhaftes Gitarrenspiel, das das Publikum verzauberte.
Barbara Kloep ist ebenfalls eine alte Bekannte im
Folk Club, kam diesmal aber nicht mit ihrer Geige sondern mit Gitarre und
Gesang zu einem wirklich witzigen selbst geschriebenen Lied. „Hoffnungslos“
lautete der Titel und war eine Parodie auf Helene Fischers unsägliches
„Atemlos“. Nicht um Partymäuse geht es diesmal sondern um eher ältere Semester,
die mit ihren Zipperlein zu kämpfen haben. „Hoffnungslos, einerlei, im Heim ist
bald ein Plätzchen frei“ lautet der Refrain – zum Schreien komisch.
Barry Roshto hatte diesmal nur Trommelstöcke
mitgebracht um sich beim a capella Gesang perkussionstechnisch zu unterstützen.
„The Battle of New Orleans“ war sein Beitrag zum Thema Städtenamen und
gleichzeitig eines seiner geliebten Stücke aus der Rubrik „Bildungsauftrag“.
Das Lied handelt von der letzten Schlacht beim gescheiterten Versuch Englands,
die jungen USA am Anfang des 19. Jahrhunderts wieder für die Krone zurück zu
erobern. Die Melodie des Liedes hatte Les Humphries übrigens für seinen Hit
„Mexico“ aus dem Jahre 1972 geklaut. Zusammen mit Paolo Pacifico und nur
begleitet von seinem improvisierten Schlagzeug sang er „Jock-a-Mo“, ein
rhythmisches Calypso-Lied aus dem Jahre 1953 aus Barrys Heimat in Louisiana.
Ja, und wenn diese zwei nicht gekommen wären, dann hätte
euer Chronist die Welt nicht mehr verstanden. Ein Abend zum Thema Städtenamen
und kein Lied über Köln? Das richteten dann aber Thomas Bausen und Martin
Kuenen auf Gründlichste. Wie schön, dass die beiden irgendwann einmal bei
einer Folk Club Tombola einen Gutschein für einen Auftritt „gewonnen“ hatten.
Den hatten sie sich exakt bis zum richtigen Moment aufgespart. „Du bes Kölle“
vom kölschen Altmeister Tommy Engel löste dann auch gleich Begeisterungsstürme
beim Publikum aus. Die beiden trafen mit ihren Liedern voll auf die Zwölf. „Ich
war noch niemals in Köln Kalk“ von Köbes Underground kannte der Saal auswendig
und entsprechend war der Mitsingeffekt. „Major Tom“ von Peter Schilling aus dem
Jahre 1983 hat zwar nichts mit Köln zu tun, wurde aber ebenso begeistert vom
Publikum aufgenommen. Thomas und Martin, wann kommt ihr wieder?
Keine leichte Aufgabe hatte sich Lothar Prünter
vorgenommen. „Nutbush City Limits“ von Tina Turner stand auf meinem Zettel, und
ich staunte nicht schlecht, als Lothar loslegte. Mit einer sensationellen
Reibeisenstimme und gekonntem Gitarrenspiel rockte er los und heimste einen
Riesenapplaus ein. Lothar wird hoffentlich auch nicht das letzte Mal beim Folk Club
gewesen sein. Welch ein Fundus an Riesentalenten tut sich auf – es ist
unglaublich!
Helge Kirscht, der vielen durch seine
Veranstaltungsreihe 7Mountains Night in Königswinter und Bad Honnef bekannt ist
(schaut mal auf die Homepage), steuerte auch
ein Lied über Berlin bei, das als Liebeslied getarnt ist, bei dem die arme
Hauptstadt ebenso wie bei Gerd Schinkel gar nicht gut wegkam. Die Abneigung der
Rheinländer gegen die bösen (protestantisch-strengen) Preußen hat sich seit dem
Ende des Wiener Kongresses (vor 199 Jahren!), als der Berliner König hier das
Sagen bekam, offenbar nicht abgenutzt.
Benedict Steilmann und John Harrison
spielten dann das ultimative Lied für das Motto des Abends: Der Rockfetzen des
Schotten (!) Jackie Leven beschäftigt sich mit so gut wie allen deutschen
Städten und heißt „Everywhere“. Ein gutes Gedächtnis ist gefragt, wenn der Text
quasi nur aus Städtenamen besteht. Super gespielt und gesungen von den beiden –
Chapeau!
Ein besonderer Walk-in waren drei Arbeitskollegen von
Janero, Wibowo
Susetio, Hendrikus Andy Simarmata und Budi Rosadiawan, die
zwei Lieder präsentierten: „Dream“ von den Everly Brothers und ein herrliches
Schmalzlied aus Indonesien mit dem Titel „Bengawan Solo“. Die drei begeisterten
mit ihren schönen Stimmen. Besonders apart war die gekonnte Klavierbegleitung.
Gitarre und Ukulele rundeten die Stücke ab.
Ja, liebe Leute, der Abend war immer noch nicht zu Ende,
und offenbar hatte die Enge niemanden vertrieben. Ein paar echte Appetithappen
warteten noch: Gerd Spiller mit seiner tollen Bassgitarre und Mary
Krah an der Harfe sangen und spielten den alten ironisch-bitterbösen
Degenhardt-Song „Wenn der Senator erzählt“. Auch ein Bezug zum Thema des Abends
fiel dabei ab: Das Lied spielt im bekannten Wackelsteiner Ländchen mit den
Orten Wackelrode und Hohentalholzheim. Wenn das nichts ist!
Den Abschluss des Abends bildeten Stephan Weidt und
Ulrike Hund zunächst mit zwei von Stephan selbst geschriebenen
wunderschönen poetischen Liedern: „Als Gott die Geduld verteilte“ lenkte die
bislang überwiegend heitere Stimmung in eine eher nachdenkliche Richtung. Mit
klarer und prägnanter Gitarrenbegleitung besang Stephan eine Situation, in der
sich ein Mensch in einer von ihm nicht herbeigesehnten Situation befindet und
Mühe hat, sein Schicksal anzunehmen. Ulrike steuerte eine schöne Begleitung mit
ihrer Querflöte bei. „Ein neuer Himmel, eine neue Erde“ handelt nach Stephans
Erklärung vom Zustand transzendentaler Obdachlosigkeit, der für Menschen unserer
Zeit, wenn sie denn überhaupt über etwas nachdenken, ziemlich typisch sei.
Tolles Zusammenspiel von Stephan und Ulrike! Den Abschluss bildete der
Jahrhundert-Hit „Wind of Change“ von den Scorpions, der noch einen Bezug zum
Thema Städtenamen mit der Stadt Moskau enthält. Großer Applaus für die beiden,
die dem Abend einen würdigen Abschluss gaben.
Aber natürlich waren damit noch nicht alle Lieder
gesungen, denn Werner Krotz-Vogel und Claudia Huismann (alias Meoneo) hatten
noch eine Überraschung im Gepäck, die eigentlich schon am Anfang des Abends hätte
ausgepackt werden sollen. John hatte ihnen die Tour vermasselt, als er „Molly
Malone“ anstimmte. Das sollte eigentlich ihr Lied sein, garniert mit witzigen, großen
Bildern von Herz- und Miesmuscheln, die dem Publikum zeigen sollten, wann „Cockles“
und wann „Mussels“ anzustimmen sei. Das wurde nun mit vielstimmiger Unterstützung
des Publikums nachgeholt.
Aber auch „Jock Stuart“ wartete noch, der alte
Schotte mit geklauter irischer Melodie (siehe Johns Exposé unten), der im Folk Club der traditionelle Rausschmeißer ist.
Ein Abend mit vielen positiven Überraschungen und
herrlicher Musik ging zu Ende und machte Appetit auf den 7. November, für den
sich schon wieder zahlreiche Musiker angemeldet haben.
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