Folk Club Bonn am 4. November 2016 – Schmachtfetzen
“Schmachtfetzen und Kitsch“ war das thematische Motto des Folk Clubs im
November. Die Auswahl in diesem Bereich ist riesig, wenn nicht unerschöpflich
und so hatten sie (fast) alle Künstler des heutigen Abends mit großer Wonne aus
der herrlichen Kitsch- und Schmachtfetzenkiste bedient. .
Das witzige Lied über „Old Molly
Metcalfe“ von Jack Thackray passte noch nicht so recht in die Thematik, denn es
geht zum einen darum, keine Schäfchen zu verlieren (Old Molly zählt sie
nämlich), zum anderen geht es um witzige sprachliche Relikte des verloren
gegangenen Keltischen. John Harrison
und Steve Perry präsentierten das
schöne Lied aus Yorkshire. „Londonderry Air“ (Danny Boy), das John zusammen mit
Paolo Pacifico an der Mundharmonika
und mit zusätzlicher Gitarrenunterstützung von Mario Dompke sang und spielte, war aber thematisch ein Volltreffer. Der Saal durfte herrlich
dahinschmelzen. Mit „Black Bottom“ widmete sich John unterstützt von Paolo
seinem geliebten Blues. Nun ja, Blues ist ja fast schon vom Grundsatz her
voller Gefühle und passt daher auch ins Genre. Das Lied handelt nicht von
schwarzen Hinterteilen sondern von den tief gelegenen Bereichen am Mississippi,
die feucht sind und oftmals überschwemmt waren, und in denen die armen,
vornehmlich schwarzen Menschen wohnten.
Nicht neu im Folk Club, aber
eher seltener zu hören ist Wolfgang
Schriefer, der das Thema genüsslich ausschöpfte und mit „Something’s Gonna
Hold of My Heart“ an die „alten Zeiten“ erinnerte. Mal ein Lied auf Französisch
ist auch eine schöne Abwechselung bei der Dominanz des Englischen im Folk Club.
„Sur le bout de la langue“ lautet der Titel des Liedes von Camille Bazbaz –
toll gespielt und gesungen – wunderbar!
Bernd Wallau hat für sein Trio mit Sabine Hochstädter und Monika
Baron-Kroker immer etwas Spannendes auf Lager. Diesmal durfte Sabine ans
Klavier, und Bernd spielte beim Intro und den Zwischenspielen für Céline Dions Lied „My Heart Will Go on“
die Blockflöte – tolles Arrangement eines wahren Schmachtfetzens und wunderbar
dreistimmig gesungen von „Bernd und die Nachtigallen“. Bei „The Rose“ von
Amanda McBroom durften sich Gänsehautgefühle einstellen. Ein weiterer Knüller
war Freddy Quinns „Heimweh“, bei dem das Publikum mittels Signalkelle angezeigt
bekam, wann es den Refrain „so schön – schön war die Zeit“ anstimmen durfte.
Wenn das kein Schmachtfetzen ist, dann gibt es keinen. Bernd, der
professionelle Chorleiter zauberte eins, zwei, drei aus dem Publikum einen
vierstimmigen Begleitchor für den richtigen Sound, das soll mal einer
nachmachen.
Nach so viel Gefühl musste Sean Taylor aus England, unser Featured
Artist des Abends, erst einmal ankommen. Aber nach wenigen Takten hatte er alle
mit seinem unnachahmlichen Gitarrensound eingefangen. Als Einstieg wählte er
einen Blues, dessen Titel er uns nicht verriet, der aber das Publikum sofort in
seinen Bann schlug. Immerhin verriet er uns soviel, dass das Lied nicht aus
seiner Feder stamme. Nun, das störte niemanden. Die Musik, die
Gitarrenbegleitung und Seans Stimme bezauberten. „The Only Good Addiction is
Love“ ist ein gefühlvolles Lied über die Liebe mit einer Referenz an Leonhard
Cohen, der wenige Tage nach dem Folk Club Abend verstarb. Der Titel des Liedes
ist auch gleichzeitig der Titel einer CD. Zudem erzählte uns Sean, dass der
Titel ein Zitat von José Mujica („El Pepe“) sei, des früheren Staatspräsidenten
von Uruguay, der ein bewusst einfaches Leben geführt habe. Mujica soll den
größten Teil seines Einkommens für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt
haben und auch nicht im Palast des Präsidenten sondern auf seinem Bauernhof
gelebt haben. Da er nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt im Jahre
2015 nun einen Sitz im uruguayischen Senat bekleidet, wird er das vermutlich
auch weiter tun. In diesem Lied erinnert Seans Stimme an die von Neil Young –
berückend. Bei „Texas Boogie“, der, wie der Titel messerscharf vermuten lässt, von
Texas handelt, ging es hernach etwas flotter zu. Sean hatte eine Textpassage
mit einer Referenz an den Bonner Folk Club umgedichtet, sehr sympathisch. Über
seine Reisen mit dem Zug berichtet das lyrische
Lied „Travelling Musician“. Sean berichtete, dass er nie Autofahren gelernt
habe. Bei diesem Lied gab es eine schöne Passage zum Mitsingen für das
Publikum. Neben seiner wunderbaren Musik war auch die Klarheit von Seans Sprache
in den Ansagen und kleinen Geschichten eine besondere Freude, da er verstand,
dass sein Publikum (überwiegend) nicht aus englischen Muttersprachlern bestand.
Im zweiten Teil beglückte uns
Sean dann mit vier weiteren eigenen Stücken und dreien aus anderer Feder. „Hold
On“ ist ein klassischer Blues, den er auf seiner Gitarre in sogenannter offener
Stimmung begleitete. „Perfect Candlelight“, ist sanft und lyrisch. Dagegen
bemühte er beim Lied „Feel Allright“ seine schmutzige Stimme, denn es geht im
Text um „dirty, steamy love“. Von Skip James, einer Bluesgröße aus dem Anfang
des 20. Jahrhunderts, stammt das Stück „Hard Time Killing Floor Blues“, bei dem
das Publikum wieder mitsingen durfte. Selbst geschrieben hat Sean das Lied
„Fare Thee Well“, bei dem er mit einem Gitarrensolo seine wunderbare
Virtuosität auf dem Instrument vorführte. Als erste Zugabe erhielt das Publikum
das Lied von Patrick (Paddy) Kavanagh „On Raglan Road“, ein zartes Lied über
eine unerfüllte Liebe, das Sean mit ganz sanfter aber transparentem
Gitarrenspiel mit einem eingeschobenen bezaubernden Solo begleitete. So erhielt
das Lied einen ganz eigenen Charakter, der es deutlich von der bekannten
Version der „Dubliners“ unterscheidet. Sean wurde nicht von der Bühne gelassen
ohne eine zweite Zugabe. Diesmal war es ein Country Song in einer „bluesy
version“, wie Sean es bezeichnete: „Sixteen Tons“ von Merle Travis aus den
vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts kennen sicher fast alle, aber Seans
Version machte aus dem lockeren, eingängigen Lied ein ganz eigenes Stück – ein
Feuerwerk zum Abschluss.
Nun, Sean beschloss zwar den
Abend, aber zwischen seinen beiden Sets gab es weitere hörenswerte Musik, die
für das Kommen belohnte.
Ralf Gogo erinnerte mit einer
kleinen Lesung daran, dass soeben eine Ikone der Folkmusik den
Literatur-Nobelpreis verliehen bekommen hatte und trug den Text von „Come Ye
Masters of War“ von Bob Dylan als Gedicht vor. Ralf läutete damit eine kleine
Dylan Session ein. „It’s All Over Now, Baby Blue“ und „Blowing in the Wind“,
kräftig unterstützt vom Publikum, waren seine Beiträge.
Danach fanden sich Ralf, Steve Perry, Wolfgang
Schriefer, Stephan Weidt und Fliege alias Hermann Josef Wolf
zusammen, um einige bekannte Lieder des Preisträgers anzustimmen. „Knocking on Heaven’s Door“, „The
Times they Are A’Changin’“ und „Mr. Tambourine Man“ waren die Hommagen an den
Meister. Wir hoffen, dass er diese Zeilen liest und sich geehrt fühlt.
Wenn er das nicht tut, ist es auch nicht schlimm. Musiker und Publikum hatten
jedenfalls ihren Spaß.
Karin Schüler und Gerald
Löhrer waren durch das Thema des Abends animiert worden und hatten ihre
Lieblingsschnulzen mitgebracht: Dabei darf man „So oder so ist das Leben“ von
Theo Mackeben gar nicht zu den Schnulzen zählen, denn der Text zeugt von großer
Einsicht in die Geschicke, die zur Zeit von Mackeben eher auf Verderben gepolt
waren. Karin sang das etwas verzwickt gestaltete Lied wunderbar einfühlsam zu
Geralds betont zurückhaltender und zarter Gitarrenbegleitung. Richtig schön
kitschig wurde es dann bei „Zigeunerjunge“ von der unvergessenen Alexandra, die
auch zu den Künstlern gehört, die mit 27 Jahren gestorben sind. Nur kennt sie
außerhalb des deutschsprachigen Raumes kaum jemand, und so blieb sie auch bei
früheren Würdigungen dieses „Club 27“ (z.B. Janis Joplin, Brian Jones, Jimi
Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse) in früheren Folk Club
Sessions unerwähnt. Hier also die etwas verspätete Erwähnung einer Künstlerin
mit einer tollen Stimme, die sich nicht auf Kitsch reduzieren lassen wollte,
aber vor ihrem möglichen Aufstieg in anspruchsvoller Sphären leider ganz banal
bei einem Autounfall ums Leben kam. Karin konnte sich eine kleine Bemerkung
über die politische Korrektheit des Titels „Zigeunerjunge“ nicht verkneifen –
bezeichnend. Das Lied, von Karin auf dem Klavier und Gerald auf der Gitarre
begleitet, wurde vom Publikum dankend zum Mitsingen aufgenommen.
„Nur nicht aus Liebe weinen“,
ebenfalls von Theo Mackeben, haben wir schon von mehreren Sängerinnen im Folk
Club gehört, die Version dieses Abends brauchte sich aber nicht hinter den
früheren zu verstecken, lediglich die Original-Darbietung von Zarah Leander im
Film „Es war eine rauschende Ballnacht“ – Karin möge mir verzeihen – ist eine
eigene Liga. Karins Lied animierte mich dazu, mir Zarah Leanders Lieder erneut in
Youtube anzuschauen. Sie war einfach genial. Man kann ihre Rolle im Dritten
Reich kritisieren wie man will, vielleicht sogar zu Recht, als Sängerin und Schauspielerin
war sie umwerfend.
Unter anderem mit eigenen
Liedern wartete das Duo „Zwei von Zwei“
alias Stephan Weidt und Ulrike Hund
auf, begann aber zunächst mit einem Gänsehaut-Stück eines damals 23Jährigen,
Paul McCartneys „Yesterday“. Wikipedia bezeichnet es als den „meistgecoverten“
Popsong aller Zeiten, und Zwei von Zwei trugen ihr Scherflein dazu bei.
Natürlich sang die Gemeinde sofort inbrünstig mit. Dadurch ging Stephans
virtuoses Gitarrenspiel leider etwas unter, das die charakteristische
Melancholie dieses schönen Liedes ganz zart unterstreicht. Wunderbar zur Melodie
passte Ulrikes Flötenbegleitung. Zum Weinen schön war danach Stephans
Komposition “Ich schreib dir ein Gedicht“, ein kleines Herbstlied und eine
Liebeserklärung an eine liebe Person. Ulrikes Text und Stephans Melodie
verbinden sich zum Lied „Auf den Stufen am Fluss“, das eine melancholische
Stimmung vermittelt. Zwei Menschen wurden durch den Tod auseinandergerissen.
Der überlebende Teil spürt den Verstorbenen dennoch um sich. Berückend
instrumentiert und vorgetragen – Kompliment an die beiden, die soeben ihre
erste CD herausgegeben haben. Natürlich gab es tollen Applaus.
Uwe und Lars aus Bonn boten danach etwas deftigere Kost aber nicht
minder hörenswert. „Isch bin süschtisch nach dir“ lautete der Titel des Liedes
auf Bönnsch Plaat. Ja wer ist wohl gemeint, der die beiden nachts nicht
schlafen lässt? Es ist vermutlich der Kaffee – oder ist es doch die
Schoklolade? Wer weiß?
Cora und Klaus präsentierten ein schönes Lied aus dem 15.
Jahrhundert mit den Titel „Wildvögelein“. Cora sang herzerweichend zu Klaus’
Begleitung auf Harmonika und Balalaika. Schade, dass es von den beiden nur
einen so kleinen Beitrag gab.
Geena Kloeppel ist Amerikanerin, lebt aber in Bonn und spielte
einige ihrer selbstgeschriebenen Lieder. „Adam“ lautet der Titel des zarten
Liebesliedes. Ihre klare und intonationssichere Stimme erinnert etwas an Joni
Mitchell mit dem charakteristischen Schwenk ins Kopfregister. „Darkling“ ist
ebenfalls ein Liebeslied wie alle ihre Lieder, wie Geena verkündete. Der Saal
wurde bei der lyrischen Ballade mit der schön gezupften Gitarrenbegleitung ganz
still. Auch in „Somebody“ hat Geena ihre Erfahrungen mit einem (Ex)Freund
verarbeitet. Bei einer so schönen Widmung kann sich der „Ex“ wirklich nicht
beschweren. Vielleicht hören wir von Geena noch einmal etwas im Folk Club. Euer
Chronist würde sich freuen über die schöne Stimme und die herrlichen Melodien.
Nach der Fülle dieser
wunderbaren Beiträge ging ein erneut großer Abend des Folk Clubs zuende, nicht
ohne den zünftigen Ausklang mit den Rausschmeißer „Jock Stewart“, den alle
beteiligten Musiker und natürlich auch das Publikum abgefüllt mit Tonnen von
Glückshormonen besangen.
Wir freuen uns schon auf die
nächste, die 75. Ausgabe des Folk Clubs am 2. Dezember 2016. Wie immer
seit 2012 beehrt uns Simon Kempston
aus dem schottischen Edinburgh beim Dezember Folk Club. Euer Chronist hat schon
mal bei einem Konzert von Simon im November in Wuppertal gelauscht – es gibt
schöne neue Lieder und auch eine neue CD – wer noch nach einem
Weihnachtsgeschenk sucht, beim Folk Club wird eins zu haben sein.