Dienstag, 29. November 2016

Detlefs Bericht vom Folk Club Nr. 74 am 4. November 2016



Folk Club Bonn am 4. November 2016 – Schmachtfetzen


“Schmachtfetzen und Kitsch“ war das thematische Motto des Folk Clubs im November. Die Auswahl in diesem Bereich ist riesig, wenn nicht unerschöpflich und so hatten sie (fast) alle Künstler des heutigen Abends mit großer Wonne aus der herrlichen Kitsch- und Schmachtfetzenkiste bedient. .
Das witzige Lied über „Old Molly Metcalfe“ von Jack Thackray passte noch nicht so recht in die Thematik, denn es geht zum einen darum, keine Schäfchen zu verlieren (Old Molly zählt sie nämlich), zum anderen geht es um witzige sprachliche Relikte des verloren gegangenen Keltischen. John Harrison und Steve Perry präsentierten das schöne Lied aus Yorkshire. „Londonderry Air“ (Danny Boy), das John zusammen mit Paolo Pacifico an der Mundharmonika und mit zusätzlicher Gitarrenunterstützung von Mario Dompke sang und spielte, war aber thematisch ein Volltreffer. Der Saal durfte herrlich dahinschmelzen. Mit „Black Bottom“ widmete sich John unterstützt von Paolo seinem geliebten Blues. Nun ja, Blues ist ja fast schon vom Grundsatz her voller Gefühle und passt daher auch ins Genre. Das Lied handelt nicht von schwarzen Hinterteilen sondern von den tief gelegenen Bereichen am Mississippi, die feucht sind und oftmals überschwemmt waren, und in denen die armen, vornehmlich schwarzen Menschen wohnten.
Nicht neu im Folk Club, aber eher seltener zu hören ist Wolfgang Schriefer, der das Thema genüsslich ausschöpfte und mit „Something’s Gonna Hold of My Heart“ an die „alten Zeiten“ erinnerte. Mal ein Lied auf Französisch ist auch eine schöne Abwechselung bei der Dominanz des Englischen im Folk Club. „Sur le bout de la langue“ lautet der Titel des Liedes von Camille Bazbaz – toll gespielt und gesungen – wunderbar!
Bernd Wallau hat für sein Trio mit Sabine Hochstädter und Monika Baron-Kroker immer etwas Spannendes auf Lager. Diesmal durfte Sabine ans Klavier, und Bernd spielte beim Intro und den Zwischenspielen  für Céline Dions Lied „My Heart Will Go on“ die Blockflöte – tolles Arrangement eines wahren Schmachtfetzens und wunderbar dreistimmig gesungen von „Bernd und die Nachtigallen“. Bei „The Rose“ von Amanda McBroom durften sich Gänsehautgefühle einstellen. Ein weiterer Knüller war Freddy Quinns „Heimweh“, bei dem das Publikum mittels Signalkelle angezeigt bekam, wann es den Refrain „so schön – schön war die Zeit“ anstimmen durfte. Wenn das kein Schmachtfetzen ist, dann gibt es keinen. Bernd, der professionelle Chorleiter zauberte eins, zwei, drei aus dem Publikum einen vierstimmigen Begleitchor für den richtigen Sound, das soll mal einer nachmachen.
Nach so viel Gefühl musste Sean Taylor aus England, unser Featured Artist des Abends, erst einmal ankommen. Aber nach wenigen Takten hatte er alle mit seinem unnachahmlichen Gitarrensound eingefangen. Als Einstieg wählte er einen Blues, dessen Titel er uns nicht verriet, der aber das Publikum sofort in seinen Bann schlug. Immerhin verriet er uns soviel, dass das Lied nicht aus seiner Feder stamme. Nun, das störte niemanden. Die Musik, die Gitarrenbegleitung und Seans Stimme bezauberten. „The Only Good Addiction is Love“ ist ein gefühlvolles Lied über die Liebe mit einer Referenz an Leonhard Cohen, der wenige Tage nach dem Folk Club Abend verstarb. Der Titel des Liedes ist auch gleichzeitig der Titel einer CD. Zudem erzählte uns Sean, dass der Titel ein Zitat von José Mujica („El Pepe“) sei, des früheren Staatspräsidenten von Uruguay, der ein bewusst einfaches Leben geführt habe. Mujica soll den größten Teil seines Einkommens für wohltätige Zwecke zur Verfügung gestellt haben und auch nicht im Palast des Präsidenten sondern auf seinem Bauernhof gelebt haben. Da er nach seinem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt im Jahre 2015 nun einen Sitz im uruguayischen Senat bekleidet, wird er das vermutlich auch weiter tun. In diesem Lied erinnert Seans Stimme an die von Neil Young – berückend. Bei „Texas Boogie“, der, wie der Titel messerscharf vermuten lässt, von Texas handelt, ging es hernach etwas flotter zu. Sean hatte eine Textpassage mit einer Referenz an den Bonner Folk Club umgedichtet, sehr sympathisch. Über seine  Reisen mit dem Zug berichtet das lyrische Lied „Travelling Musician“. Sean berichtete, dass er nie Autofahren gelernt habe. Bei diesem Lied gab es eine schöne Passage zum Mitsingen für das Publikum. Neben seiner wunderbaren Musik war auch die Klarheit von Seans Sprache in den Ansagen und kleinen Geschichten eine besondere Freude, da er verstand, dass sein Publikum (überwiegend) nicht aus englischen Muttersprachlern bestand.
Im zweiten Teil beglückte uns Sean dann mit vier weiteren eigenen Stücken und dreien aus anderer Feder. „Hold On“ ist ein klassischer Blues, den er auf seiner Gitarre in sogenannter offener Stimmung begleitete. „Perfect Candlelight“, ist sanft und lyrisch. Dagegen bemühte er beim Lied „Feel Allright“ seine schmutzige Stimme, denn es geht im Text um „dirty, steamy love“. Von Skip James, einer Bluesgröße aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, stammt das Stück „Hard Time Killing Floor Blues“, bei dem das Publikum wieder mitsingen durfte. Selbst geschrieben hat Sean das Lied „Fare Thee Well“, bei dem er mit einem Gitarrensolo seine wunderbare Virtuosität auf dem Instrument vorführte. Als erste Zugabe erhielt das Publikum das Lied von Patrick (Paddy) Kavanagh „On Raglan Road“, ein zartes Lied über eine unerfüllte Liebe, das Sean mit ganz sanfter aber transparentem Gitarrenspiel mit einem eingeschobenen bezaubernden Solo begleitete. So erhielt das Lied einen ganz eigenen Charakter, der es deutlich von der bekannten Version der „Dubliners“ unterscheidet. Sean wurde nicht von der Bühne gelassen ohne eine zweite Zugabe. Diesmal war es ein Country Song in einer „bluesy version“, wie Sean es bezeichnete: „Sixteen Tons“ von Merle Travis aus den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts kennen sicher fast alle, aber Seans Version machte aus dem lockeren, eingängigen Lied ein ganz eigenes Stück – ein Feuerwerk zum Abschluss.
Nun, Sean beschloss zwar den Abend, aber zwischen seinen beiden Sets gab es weitere hörenswerte Musik, die für das Kommen belohnte.
Ralf Gogo erinnerte mit einer kleinen Lesung daran, dass soeben eine Ikone der Folkmusik den Literatur-Nobelpreis verliehen bekommen hatte und trug den Text von „Come Ye Masters of War“ von Bob Dylan als Gedicht vor. Ralf läutete damit eine kleine Dylan Session ein. „It’s All Over Now, Baby Blue“ und „Blowing in the Wind“, kräftig unterstützt vom Publikum, waren seine Beiträge.
Danach fanden sich Ralf, Steve Perry, Wolfgang Schriefer, Stephan Weidt und Fliege alias Hermann Josef Wolf zusammen, um einige bekannte Lieder des Preisträgers anzustimmen. „Knocking on Heaven’s Door“, „The Times they Are A’Changin’“ und „Mr. Tambourine Man“ waren die Hommagen an den Meister. Wir hoffen, dass er diese Zeilen liest und sich geehrt fühlt. Wenn er das nicht tut, ist es auch nicht schlimm. Musiker und Publikum hatten jedenfalls ihren Spaß.
Karin Schüler und Gerald Löhrer waren durch das Thema des Abends animiert worden und hatten ihre Lieblingsschnulzen mitgebracht: Dabei darf man „So oder so ist das Leben“ von Theo Mackeben gar nicht zu den Schnulzen zählen, denn der Text zeugt von großer Einsicht in die Geschicke, die zur Zeit von Mackeben eher auf Verderben gepolt waren. Karin sang das etwas verzwickt gestaltete Lied wunderbar einfühlsam zu Geralds betont zurückhaltender und zarter Gitarrenbegleitung. Richtig schön kitschig wurde es dann bei „Zigeunerjunge“ von der unvergessenen Alexandra, die auch zu den Künstlern gehört, die mit 27 Jahren gestorben sind. Nur kennt sie außerhalb des deutschsprachigen Raumes kaum jemand, und so blieb sie auch bei früheren Würdigungen dieses „Club 27“ (z.B. Janis Joplin, Brian Jones, Jimi Hendrix, Jim Morrison, Kurt Cobain und Amy Winehouse) in früheren Folk Club Sessions unerwähnt. Hier also die etwas verspätete Erwähnung einer Künstlerin mit einer tollen Stimme, die sich nicht auf Kitsch reduzieren lassen wollte, aber vor ihrem möglichen Aufstieg in anspruchsvoller Sphären leider ganz banal bei einem Autounfall ums Leben kam. Karin konnte sich eine kleine Bemerkung über die politische Korrektheit des Titels „Zigeunerjunge“ nicht verkneifen – bezeichnend. Das Lied, von Karin auf dem Klavier und Gerald auf der Gitarre begleitet, wurde vom Publikum dankend zum Mitsingen aufgenommen.
„Nur nicht aus Liebe weinen“, ebenfalls von Theo Mackeben, haben wir schon von mehreren Sängerinnen im Folk Club gehört, die Version dieses Abends brauchte sich aber nicht hinter den früheren zu verstecken, lediglich die Original-Darbietung von Zarah Leander im Film „Es war eine rauschende Ballnacht“ – Karin möge mir verzeihen – ist eine eigene Liga. Karins Lied animierte mich dazu, mir Zarah Leanders Lieder erneut in Youtube anzuschauen. Sie war einfach genial. Man kann ihre Rolle im Dritten Reich kritisieren wie man will, vielleicht sogar zu Recht, als Sängerin und Schauspielerin war sie umwerfend.
Unter anderem mit eigenen Liedern wartete das Duo „Zwei von Zwei“ alias Stephan Weidt und Ulrike Hund auf, begann aber zunächst mit einem Gänsehaut-Stück eines damals 23Jährigen, Paul McCartneys „Yesterday“. Wikipedia bezeichnet es als den „meistgecoverten“ Popsong aller Zeiten, und Zwei von Zwei trugen ihr Scherflein dazu bei. Natürlich sang die Gemeinde sofort inbrünstig mit. Dadurch ging Stephans virtuoses Gitarrenspiel leider etwas unter, das die charakteristische Melancholie dieses schönen Liedes ganz zart unterstreicht. Wunderbar zur Melodie passte Ulrikes Flötenbegleitung. Zum Weinen schön war danach Stephans Komposition “Ich schreib dir ein Gedicht“, ein kleines Herbstlied und eine Liebeserklärung an eine liebe Person. Ulrikes Text und Stephans Melodie verbinden sich zum Lied „Auf den Stufen am Fluss“, das eine melancholische Stimmung vermittelt. Zwei Menschen wurden durch den Tod auseinandergerissen. Der überlebende Teil spürt den Verstorbenen dennoch um sich. Berückend instrumentiert und vorgetragen – Kompliment an die beiden, die soeben ihre erste CD herausgegeben haben. Natürlich gab es tollen Applaus.
Uwe und Lars aus Bonn boten danach etwas deftigere Kost aber nicht minder hörenswert. „Isch bin süschtisch nach dir“ lautete der Titel des Liedes auf Bönnsch Plaat. Ja wer ist wohl gemeint, der die beiden nachts nicht schlafen lässt? Es ist vermutlich der Kaffee – oder ist es doch die Schoklolade? Wer weiß?
Cora und Klaus präsentierten ein schönes Lied aus dem 15. Jahrhundert mit den Titel „Wildvögelein“. Cora sang herzerweichend zu Klaus’ Begleitung auf Harmonika und Balalaika. Schade, dass es von den beiden nur einen so kleinen Beitrag gab.
Geena Kloeppel ist Amerikanerin, lebt aber in Bonn und spielte einige ihrer selbstgeschriebenen Lieder. „Adam“ lautet der Titel des zarten Liebesliedes. Ihre klare und intonationssichere Stimme erinnert etwas an Joni Mitchell mit dem charakteristischen Schwenk ins Kopfregister. „Darkling“ ist ebenfalls ein Liebeslied wie alle ihre Lieder, wie Geena verkündete. Der Saal wurde bei der lyrischen Ballade mit der schön gezupften Gitarrenbegleitung ganz still. Auch in „Somebody“ hat Geena ihre Erfahrungen mit einem (Ex)Freund verarbeitet. Bei einer so schönen Widmung kann sich der „Ex“ wirklich nicht beschweren. Vielleicht hören wir von Geena noch einmal etwas im Folk Club. Euer Chronist würde sich freuen über die schöne Stimme und die herrlichen Melodien.
Nach der Fülle dieser wunderbaren Beiträge ging ein erneut großer Abend des Folk Clubs zuende, nicht ohne den zünftigen Ausklang mit den Rausschmeißer „Jock Stewart“, den alle beteiligten Musiker und natürlich auch das Publikum abgefüllt mit Tonnen von Glückshormonen besangen.
Wir freuen uns schon auf die nächste, die 75. Ausgabe des Folk Clubs am 2. Dezember 2016. Wie immer seit 2012 beehrt uns Simon Kempston aus dem schottischen Edinburgh beim Dezember Folk Club. Euer Chronist hat schon mal bei einem Konzert von Simon im November in Wuppertal gelauscht – es gibt schöne neue Lieder und auch eine neue CD – wer noch nach einem Weihnachtsgeschenk sucht, beim Folk Club wird eins zu haben sein.

Sonntag, 20. November 2016

Detlefs Bilder vom Folk Club 74 am 4. November 2016

Steve Perry und John Harrison als Yorkshire country lads

Paolo Pacifico, John Harrison und Mario Dompke



Wolfgang Schriefer

Monika Baron-Kroker, Sabine Hochstädter und Bernd Wallau






Paparazze in Aktion


Steve Perry

Sean Taylor



Ralf Gogo liest "Come Ye Masters of War" von Bob Dylan

Dylan Mini-Session mit Wolfgang, Steve, Ralf, Stephan und Fliege

moderne Technik im Einsatz - der Liederzettel hat ausgedient


Günter Peters macht Musik in der  Pause

Karin Schüler und Gerald Löhrer






Ulrike Hund und Stephan Weidt alias "Zwei von Zwei"





Uwe und

Lars aus Bonn singen op Plaat


Cora und


Klaus: "Das Wildvögelein"

Geena



"Jock Stewart" zum Abschluss