Dienstag, 31. Januar 2017

Detlefs Bericht vom Folk Club 76 im Januar 2017




Folk Club Bonn am 6. Januar 2017 – Jahreszeiten

Fast schon traditionell startet der Folk Club ins Neue Jahr ohne besonders angekündigte „Featured Artists“ oder „Special Guests“, also quasi mit Bordmitteln und natürlich einem Motto. Diesmal lautete es „Jahreszeiten“. Dass der Folk Club jederzeit auch mit Bordmitteln einen Abend zum Verlieben bescheren kann, ist das wirklich wunderbare an dieser Institution, die nun in ihr achtes Jahr gestartet ist.
Wie üblich übernahm John Harrison das Warm up, nicht ohne zuvor mit seinem markerschütternden Begrüßungsruf die Aufmerksamkeit aller Quasselstrippen gnadenlos in Richtung Bühne auszurichten. An dieser Stelle sei bemerkt, dass John in den sieben Jahren des Folk Club keine einzige der inzwischen 76 Sessions versäumt hat. Euer Chronist ist sich gewiss, dass er der Einzige  ist, der das von sich behaupten kann – Chapeau!
Nun genug der Orden und Ehrenzeichen und stattdessen hinein ins Vergnügen! Obwohl noch kein Schnee gefallen war, interpretierte John das Motto des Abends gleich mit der Schneeschmelze: „The Snows, They Melt the Soonest“. Das traurige Lied über die Vergänglichkeit sang John zu eigener wunderbar sparsamer Gitarrenbegleitung.
Herzlichen Dank an John Hurd, 3SongsBonn, für das Foto
Mit „Night Watchman Blues“ von Altmeister Big Bill Broonzy machte John auch auf seine eigene Tätigkeit als Englisch sprechender Bonner Nachtwächter (Stadtführungen am Abend im Gewand eines Nachwächters aus dem 17. Jahrhundert ausgestattet mit Laterne und Hellebarde) aufmerksam. Er wurde dabei diesmal nicht von Paolo Pacifico sondern von seinem (deutschsprachigen) Nachtwächterkollegen Christoph Thiebes auf der Mundharmonika begleitet. Alle Achtung, es gibt noch mehr tolle Harmonikaspieler in Bonn, als wir bislang gedacht hatten. Speziell für euren Chronisten stimmte John dann das schöne Lied „Summertime“ von George Gershwin an, das zwar nicht recht zur aktuellen Jahreszeit passte, aber voll und ganz zum Thema des Abends.
Simon beglückte uns danach mit einem selbst geschriebenen Lied, in dem er einen gerafften Rückblick auf das vergangene Jahr präsentierte. „Wir verlosen für das neue Jahr eine Freifahrt für das Leben“ lautete am Schluss der Ausblick auf 2017. Eine schöne Idee und wunderbar präsentiert.
Im Andenken an den kurz zuvor verstorbenen Knut Kiesewetter sang Jutta Mensing sein gefühlvolles plattdeutsches Lied „Fresenhof“. Damit hatte sie gleich auch einen Beitrag zum Thema des Abends geliefert, denn im „Fresenhof“ geht es auch ums Wetter und zwar vor allem um Herbst- und Winterwetter. „Komm aus den Federn, Liebste“, auch von Kiesewetter, ist ein Scherzlied über eine Braut, die zu lang schläft und zu spät zur Hochzeit kommt. Anders als es sonst ihre Gewohnheit ist, sang Jutta diesmal nicht a capella sondern begleitete sich beim ersten Lied sehr schön auf der Gitarre und beim zweiten auf einem kleinen Akkordeon. Jutta kannte den Liedermacher persönlich. In den Siebziger Jahren hatte sie Kiesewetter kennen gelernt, als sie mit der Folk Band „Moin“ auftrat. Kiesewetter verhalf ihnen zu Auftritten und Plattenaufnahmen.
Eine andere Seite von Kiesewetter beleuchtete Gerd Schinkel, der in dessen Fresenhof seine beiden LPs aufgenommen hatte. Noch im vorigen Sommer habe er den Liedermacher nach langer Zeit wieder besucht und leider einen verbitterten alten Mann vorgefunden so ganz anders, als er ihn von früher gekannt habe, berichtete Gerd betrübt. Traurig ist auch, dass Kiesewetters Tod kurz vor Jahresende 2016 den Zeitungen nur eine Randnotiz wert war. Der Mann hatte immerhin vor vierzig Jahren in Deutschlands Musikszene einen großen Namen. Wir freuen uns, dass Gerd Schinkel nicht in Trübsal versunken ist und es versteht, seine Lieder stets aufs Neue mit hintersinnigem Humor zu würzen. Sein schwungvolles Lied mit dem Ausblick auf das Wahljahr 2017 jedenfalls ließ uns schmunzeln, obwohl uns der Ausblick auf Manches das Lachen eher im Halse stecken bleiben lassen kann.
Mal etwas anderes bescherte uns Steve Perry, der uns mit Melodien auf seiner Viola Caipira musikalisch um die Welt schickte und das Publikum raten ließ, welche Länder er auf seiner Reise angesteuert hatte. Es war nicht ganz einfach, das Ergebnis zu erraten, aber ein paar Länder wurden dann doch richtig genannt. Der glückliche Sieger erhielt eine Schachtel Konfekt.
Ein musikalisches Glanzlicht setzte der Auftritt von Heike Winkhoff, begleitet von Frank auf der Gitarre. Mit ihrer glasklaren, variablen und schlichtweg berückenden Altstimme interpretierte sie ein Stück, das eigentlich aus zwei Liedern besteht: „Colder Month“ von Alpha Rev und „Peaceful Habor“ von Flying Colors. Frank lieferte die wundervolle Fingerpicking-Begleitung auf der Gitarre – das Publikum war hin und weg. Es folgte Franks Eigenkomposition „Seventies“ über eine Nacht und einen Tag in den Siebzigern. Von Emanuil Vidinski, einem bulgarischen Musiker und Schriftsteller, der auch einige Zeit bei der Deutschen Welle gearbeitet hat, stammt das Lied „Not for a While“. Wunderbar zart und gefühlvoll wurde es von Heike und Frank interpretiert – zum Weinen schön. Als Zugabe erhielt das Publikum dann das Lied von Stephan Sulke „Mein Lieber Onkel May“ – irgendwie indirekt auch ein Beitrag zum Thema Jahreszeiten.
Ein kleines Feuerwerk zündete danach Melchi Vepouyoum aus Kamerun. Allein begleitet von einem Rhythmusinstrument bestehend aus zwei Kugeln, die an Schnüren durch die Hände geschleudert werden (Niass) sang Melchi mit einer Stimme wie ein Vulkan ein Lied aus seiner Heimat in mehreren Sprachen. „I Need Someone, to Show Me the Way“ lautete eine Zeile auf Englisch. Das schwungvolle Lied wurde hin und wieder begleitet von Entzückensschreien seines kleinen Sohnes, der offenbar einer von Papas größten Fans ist. Am heutigen Abend hat Melchis Fangemeinde aber mächtig Zuwachs erhalten. Ein weiteres Lied in seiner Muttersprache Bamum befasste sich mit dem Heiraten (Lám). Die Eltern mischen sich zu sehr in die Heiratspläne der Kinder ein. Melchi lieferte eine kleine Zusammenfassung des witzigen Liedes, bei dem er sich auf der Gitarre begleitete. Tolle Gitarrenbegleitung und noch tollere Stimme lieferten das richtige Gänsehautgefühl bei „Hotel California“ von den Eagles – fantastisch! Ohne Zugabe durfte Melchi natürlich nicht von der Bühne. Etwas zum Nachdenken behandelt das Lied in Melchis Muttersprache Bamum: „Fomge“ (morgen) lautet der Titel. Es geht darum, dass man über die Freude des schönen Augenblicks nicht das Morgen aus dem Auge verlieren darf. Bravo, Melchi, wann kommst wieder in den Folk Club?
Nach so viel herrlicher Musik präsentierte uns Gert Müller in Gedichtform die Siegfried-Sage auf Bönnsch Plaat. Das Gedicht von Ferdinand Böhm aus Friesdorf offenbarte, dass die Dichter des Nibelungenliedes die Sache mit dem Lindenblatt völlig falsch verstanden hatten. Das berühmte Blatt, das die Schwachstelle in Siegfrieds Drachenblut-Panzerung verursachte, lag offenbar an einer ganz anderen, wesentlich delikateren Stelle „Datt Blättche hätt janz woanders jesesse“. Großer Applaus für Gert und den köstlichen Spaß.
Kurzentschlossen hatten sich am Abend Günter Peters, der uns auch in der Pause mit Melodien am Klavier unterhalten hatte, und Bob Marabito zusammengefunden. „I Can’t Give You Anything But Love“ ist ein Jazzstandard aus den Zwanziger Jahren, den beide mit Bravour meisterten. Bravo Jungs, für euren spontanen Auftritt.
Zum Abschluss des Abends durften drei junge Herren, Michael Daehnert, Ramin Kazeni und Tilman Wehry, ans Werk. Nach einer kleinen Anfangsnervosität erklang das schöne Lied „Follow the Heron“ der Schottin Karine Polwart, mit dem der Frühling thematisiert wurde. Der Herbst bekam seine Aufwartung mit „Autumn Leaves“, einem berühmten Lied mit bewegter Vergangenheit. Komponiert von Joseph Kosma nach einem Gedicht von Jacqes Prévert als „Les feuilles mortes“, wurde es von Johnny Mercer ins Englische  übertragen und erheblich verändert. Zahllose Sänger und Instrumentalisten haben das Lied seither interpretiert. Unsere jungen Künstler brauchen sich dabei keineswegs zu verstecken. Michael lieferte dazu noch ein tolles Gitarrensolo. Auch der Sommer kam dran mit „Summer of 69“ von Bryan Adams. Jetzt war die Truppe richtig warmgelaufen, und auch das Publikum kam in Schwung. Im Publikum saßen offensichtlich reichlich Damen und Herren, die sich noch lebhaft an den Sommer des Jahres 1969 erinnern und die Textzeile „Those were the best days of my life“ nachempfinden konnten. Der Applaus war dementsprechend, und das Trio musste noch eine Zugabe nachlegen. „Jumpin’ Jack Flash“ von den Stones war dann – rein zufällig – ein Lied aus ebendieser Zeit mit dem gewünschten Erfolg beim Publikum. Großeltern und Enkel vereint in musikalischer Verzückung, das ist Folk Club Bonn. Auch diese drei Musiker sind hoffentlich nicht das letzte Mal auf dieser Bühne gewesen.
Ja, mit soviel Wohlbehagen vollgepumpt ging es dann nach Hause, nicht ohne zuvor noch den ollen Jock Stewart besungen zu haben.
Im Februar begrüßt der Folk Club dann seine treuen Gefolgsleute und natürlich auch alle neuen Gäste mit den Auftritten von Gerd Schinkel mit Kanuten und Zaiten-Pfeiffer. Natürlich gibt es neben den beiden Featured Artists auch wieder Floor Spots. Und wie immer werden wir sicherlich kleine Edelsteine entdecken dürfen.

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