Flüchtlinge,
Refugees – ein Thema des Schreckens, der Angst aber auch der Hoffnung
Jeder Folkclub steht unter
einem Motto, an welches die Künstler sich nicht halten müssen, aber es doch
gewünscht ist, darauf einzugehen. In unserer heutigen, gelebten Zeit kann das
Thema Flüchtlinge gar nicht oft genug in eine emotionale, doch hoffentlich
sachlich geführte Diskussion eingebracht werden – viel zu oft wird bei uns und
in and'ren Ländern so hanebüchen über das Thema gesprochen, dass es mich
zutiefst erschreckt. Würde nun dieses Erschrecken seiner physiologischen
Grundlage folgen und nach einem ersten Flucht oder Angriffsimpuls die Situation
sachgerecht beurteilen, um dann wieder zu einer ausdauernd, haltbaren Anpassung
zurückzukehren, wäre ja alles gut – aber, je weniger wir aus einer
Wohlstandssituation heraus bereit sind Veränderungen zu akzeptieren, desto
weniger werden wir Schreck als notwendigen Anstoß zu Veränderung akzeptieren.
Nicht so bei jeder
Eröffnungszeremonie des Folkclubs. Das
plötzlich geschmetterte „Laaadiieees and Gentlemen...“ des
Zeremonienmeisters John Harrison erschreckt (trotz vorhandener
Erwartungshaltung) immer wieder, führt aber
folgerichtig zu der gewünschten physiologischen Reaktion einer Abwehrhaltung (auch gegen Unbekanntes)
und gleichzeitig zu einer Konditionierung des Körpers für die anstehende
Aufgabe – erhöhte Sauerstoffzufuhr durch tiefes Einatmen, Anspannung der
Muskeln für schnelle Reaktionen und Ansteigen des Adrenalinspiegels um Muskeln,
Gedanken und nervliche Verbindungen zu aktivieren. Alles zusammen führt zu
einer ungeteilten Aufmerksamkeit des Publikums auf das startende Programm.
Dieses begann dem Thema
folgend mit der Interpretation von Bob Dylans „I Pity the Poor Immigrant“ durch John Harrison. Auch
wenn John selten Bob Dylan Songs singt (Bob singt ja auch keine von John), so
war dieses Lied ein sehr gelungener Einstieg in den Abend. Vervollständigt
wurde dieser Einstieg durch John, Steve und Regine, in dem sie
den Willkommensgruß der Freiheitsstatue von Amerika verlasen und so den
Widerspruch aktueller amerikanischer Politik mit der eigenen Kultur aufzeigten:
„Gebt mir Eure Müden,
Eure Armen,
Eure geknechteten Massen,
die sich danach sehnen, endlich frei atmen zu können,
Den elenden Abfall Eurer gedrängten
Küsten.
Schickt mir diese, die Heimatlosen,
die von Stürmen Hin-und-Her-Getriebenen,
Hoch halte ich mein Licht am
goldenen Tor.“
John ließ noch zwei
Eigenkompositionen folgen und verankerte so das gewählte Thema unauflösbar für
den Rest des Abends. „1001“ handelt von den Bildern der Kriege in Indochina und „Trouble And Strife“ über den
ersten Krieg nach dem zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden. Wohl jeder im
Saal stellte sich die Frage, wo wir heute stehen, wo Demokratie und Tyrannei
beginnen zwei Seiten der gleichen Medaille zu werden.
Von einem emigrierten
Dichter erzählte dann der Poesiebarde Gert Müller. Sein Kumpel und
Dialektdichter Gerd Böhm ist nämlich von Friesdorf nach Neunkirchen-Seelscheid
gezogen – es blieb im Verborgenen, ob dies aus politischem Antrieb,
existenzieller Not oder einfach dem Wunsch nach Veränderung geschah. Auf alle
Fälle zeigte die rheinische Nachdichtung der biblischen Geschichte, wie aus
Wasser Wein wurde, eine christliche Form von Problemlösungen auf. Heute würde
wahrscheinlich von Innovationen als Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen
gesprochen.
Hans-Günter Peters ging das Thema wieder anders an. Die Sehnsucht nach
Rückkehr ins eigene Zuhause zeigt auch das Countrylied von John Denver „Country
Roads“ auf. Unendliche Weite, Sicherheit usw. alles schön und gut – aber das
Heimweh kneift trotzdem immer wieder.
Steve Perry setzte mit dem Lied „When I First Came To This Land“
(Oscar Brand) an dem Willkommensgruß für die Einwanderer an und beschrieb das
stück- für stückweise Eingliedern in die native Gesellschaft – im Lied ist dies
jedoch trotz beschriebener Schwierigkeiten einfacher als in der Wirklichkeit.
Zwei weitere Lieder,
vorgetragen von der Eifeler Künstlerin Petra Sigmund griffen das Thema
Freiheit auf „Lady Liberty“ ein Zwiegespräch zwischen Mensch und Freiheit und
„One Day“ die Beschreibung eins Zukunftstraumes wurden mit der kräftigen und
sehr spezifischen Stimme von Petra vorgetragen. Sie begleitet sich hierbei wie
immer selbst auf der Gitarre.
Nun wurde es Zeit für die
ersten Featured Artists des Abends – Zaiten-Pfeiffer kamen mit einer
„Big Band“ wie John es bezeichnete auf die Bühne. Warum ist der Folkclub rein
akustisch? Weil ein Soundcheck bei dieser Bandgröße die Zeit eines Folkclubs
sprengen würde :-) Aber auch zeigt sich hier die Grenze des akustisch
Möglichen. Je mehr Instrumente begleitend tätig werden, desto kräftiger muss
eine Singstimme sein und so geschah es, dass die Texte oft nicht wirklich
verständlich waren, aber dies wurde durch die große Stimmung des
Gesamtvortrages gut ausgeglichen. Mit dem Tribut an Knut Kiesewetters
„Fresenhof“ begannen die Zaiten-Pfeiffer. Wenn auch mit einer anderen
inhaltlichen Nuance, war doch der Fresenhof auch eine Fluchtstätte, sowohl
seines Besitzers Knut Kiesewetter, wie auch vieler Künstler, die von ihm
unterstützt, gefördert oder im Fresenhof produziert wurden. Weiter ging es mit
einem historischen Flüchtlingslied unter dem Motto Goethe meets Beethoven. „La
Marmotte“ ist eine Lied über den Versuch vieler Flüchtlinge, insbesondere
Kinder, dem Hungertod zu entkommen, indem sie Murmeltiere tanzen ließen.
Reisende, die durch solche Aufführungen kurzweilig unterhalten wurden, gaben
kleine Geldbeträge oder auch Essen als Naturalien zur Belohnung. Stimmungen
beschreiben Situationen oft besser als lange Geschichten und so interpretierten
die Zaiten-Pfeiffer die Gefühle von Freiheitssuchenden mit dem irischen
Instrumental „The Foggy Dew“, welches zu den Osteraufständen 1916 entstanden
ist. Um es vorweg zu nehmen – als Featured Artists kamen die Zaiten-Pfeiffer in
der zweiten Hälfte des Folkclubs noch einmal auf die Bühen und präsentierten
mit den Songs „Nicht mit uns“, „The Keel Row“, „Ich bring Dich Durch Die Nacht“,
Wann jeht de Himmel widder op“ und „Tanz mit mir“ neue Sichtweisen mit alten
Liedern. Dass die Stimmung durch „Big Bands“ angeheizt wird wurde auch dadurch
deutlich, das die Zaiten-Pfeiffers nicht ohne Zugabe von der Bühne gelassen
wurden. Diese nutzten sie, um so aufzuhören, wie sie angefangen haben – mit
Knut Kiesewetter und der Interpretation seines Liedes „Winter, heut hab ich dich
tanzen gesehen“.
Chris Biederwolf – auch kein Unbekannter mehr im Folkclub – hat den
Weg aus Celle wieder zurückgelegt, um seine Kunst in Bonn zu präsentieren. Mit
dem Lied „Welcome Emigrante“ der Liedermacherin Buffy Sainte-Marie eröffnete er
seinen Beitrag zum Thema. Weiter ging es dann mit dem Lied „Gruß und Blues“, in
dem er die fremdbestimmte Emigration von Gegenständen (hier Gitarren) und
Immigration und Neuverwertung beschrieb (hier die Spezialisierung eines
Gitarrenbauers auf den Umbau von Western- auf Resonatorgitarren). Er beschloss
seinen Floorspot mit dem Lied „So weit weg“, in dem er den Trennungsschmerz
beschreibt. Zwar „nur“ den der Trennung im eigenen Land, aber mit ein bisschen
Phantasie ist dieses Gefühl auch auf größere und vor allem unumkehrbare
Situationen zu übertragen.
Chris bleib gleich auf der
Bühne, da er auch Mitglied der Kanuten ist, die den Autor und
Liedermacher Gerd Schinkel seit einiger Zeit kräftig bei der
Präsentation seiner Werke unterstützen. Gerd schafft es, seine Lieder nicht nur
in einem Kontext zusammenzustellen, sondern durch seine Erzählungen und
Überleitungen zwischen den Liedern zu einem Ganzen zusammenzuführen. Fast schon
wie eine Radiosendung, mit einem lehrreichen und kurzweiligen Inhalt, sind
seine Auftritte aufgebaut. So hat er Ausschnitte seines 5 CDs umfassenden
Werkes zur Flüchtlingssituation neu gerahmt und in Kurzform vorgestellt. Es
bedarf einer Konzentration und eines Einlassens auf das Gesamtwerk, um dieses
auch als Ganzes zu verstehen. Mir jedenfalls hat es sehr gut gefallen und ich
gebe zu, dass meine ursprüngliche Skepsis, ob der Intensität und des doch
manchmal deutlich erhobenen Zeigefingers, durch konzentriertes Zuhören verflogen
ist. Mit den Liedern „Meerblick“ (die dialektische Beschreibung einer
identischen Sicht auf das Meer durch einen Urlauber oder einem Flüchtling),
„Vanuatu“ (ein Staat in Südpazifik, welcher dem Ertrinken durch den Klimawandel
ausgesetzt und so ein potenzieller Lieferant von Flüchtlingen ist) oder „Geh
Flüchtling, geh“ (seiner Übersetzung des Woody Guthrie Liedes Deportees,
welches von mexikanischen Erntearbeitern handelt, die nach ihrem Einsatz mit
einem Kleinflugzeug abstürzten und in der Berichterstattung nur als namenlosen
Deportees bezeichnet wurden) wurde ein Einblick in die Vielfältigkeit einer
Zeitsituation gegeben, die allzu oft auf verständliche, aber verzerrende
Kästchen reduziert wird. All diese Themen wurden durch einen musikalisch und
instrumentalreichen Einsatz der Kanuten sehr schön interpretiert. Um es auch
hier vorwegzunehmen. Gerd Schinkel & die Kanuten kamen in der zweiten
Hälfte des Folkclubs wieder und machten dort weiter, wo sie aufgehört haben.
Mit den Liedern „Mutters Worte“, der musikalischen Umsetzung eines Interviews
mit einem Flüchtling der von seiner Mutter auf den Fluchtweg geschickt wurde
und auf diesem Weg Hoffnungen gewonnen aber auch Illusionen verloren hat,
„Teufel du schreckst mich nicht“, einem ermutigenden Lied, sich seiner eigenen
Stärke bewusst zu werden (im Ursprung ein Lied des bekannten Pete Seeger),
„Bescheuert“, als Beschreibung einer wohl als Entgleisung zu klassifizierenden
Denkart des CSU Generalsekretärs Andreas Scheuer oder „Momente“, welches als
Eigenkomposition die Gefühle und Gedanke nach dem Bombenanschlag in Brüssel
beschreibt, wurde weiterhin die Vielfältigkeit des Themas dargestellt.
Was
bleibt zu sagen? Natürlich dass der Folkclub auch ein Labor zur Beobachtung von
Evolution ist. Kam vor genau einem Jahr ein Musiker etwas zögerlich und
schüchtern auf die Bühne, so hat unter anderem der große Zuspruch des Folkclub
Publikums mit dazu beigetragen, dass nun eine selbstbewusste akustik Pop Gruppe
„Bromo“ immer wieder zu Begeisterungsstürmen anregt (welcher Name könnte
angebrachter sein – ist doch Bromo einer der aktivsten Vulkane). Nach dem Motto
aus eins mach zwei und danach drei wurde die Ledermännergruppe (Dennis und
Marvin Ledermann) durch Axel Schrader zu einem Trio. Wie schon
gesagt, Begeisterung pur im Publikum – musikalische, aber auch choreografische
Interpretationen der Ed Sheeran Songs „Castle On The Hill“ und „I See Fire“,
sowie der Eigenkomposition „The Old Me“ sind immer wieder hörenswert. Auch eine
Besonderheit ist die Bescheidenheit der drei – wollten sie doch bereits nach
zwei Liedern die Bühne verlassen, was das Publikum aber nicht zugelassen hat.
Aber alle Begeisterung soll
nicht davon ablenken, sondern eher darauf hinzeigen, dass nach dem Folkclub
immer auch vor dem Folkclub ist. Also See You später am 3. März bei Sträter.