Folk Club Nr. 107 am 8. November 2019 – Feuerwerk
Angesichts des verheißungsvollen Themas hätte man vermuten
können, dass John Harrison uns wieder die schaurigen Geschichten über Guy
Fawkes, den englischen Terroristen (so würde man ihn heute bezeichnen) des 17.
Jahrhunderts erzählen würde. Bekanntlich hatte dieser Herr mit seinen
Gefolgsleuten am 5. November 1605 versucht, das englische Parlament in die Luft
zu sprengen. Der Plan flog auf, die Truppe wurde festgenommen und schließlich
hingerichtet. Die Hinrichtungsmethode war die für Hochverräter, nämlich Hängen,
Ausweiden und Vierteilen (auf gut Englisch: hung, drawn and quartered –
brrrrrrr!). Tot waren die Delinquenten oftmals erst nach dem Vierteilen. Noch
das Ausweiden bekamen sie meist bei vollem Bewusstsein mit. Guy Fawkes entzog
sich der Qual durch einen beherzten Sprung vom Galgenpodest, nachdem man ihm
die Schlinge um den Hals gelegt hatte. Er hatte Courage, er war ja auch im
wirklichen Leben ein tapferer Soldat gewesen. Aber wie das so ist mit der
religiösen Eiferei. Er war überzeugter Katholik und hasste die Protestanten.
Tja, das Feuerwerk am englischen Parlament fand nicht statt, aber stattdessen
werden in England seither alljährlich am 5. November große Holzstapel entzündet
(bonfires), und mit allerlei zusätzlichem Schabernack wird der Guy Fawkes Day
begangen. Nun, all dessen wurde im Folk Club diesmal nicht gedacht. Das
Feuerwerk musste allein durch die Musik entfacht werden. Die Aktiven gaben sich
dabei redlich Mühe und schafften es tatsächlich.
Wie immer startete John
Harrison mit seinem Warm-up, diesmal wieder zusammen mit Eva Henneken, der begnadeten Geigerin,
der der Folk Club seit ihrem Auftauchen vor einigen Jahren wunderbare Beiträge
zu verdanken hat. Diesmal durften wir sogar feststellen, dass Eva auch eine
herrliche Stimme hat.
Den Bezug zum Feuerwerk stellte John mit seinem „Klassiker“
„Zeppelina“ her. Das Lied von der Ente, der seine damals noch kleine Tochter
den witzigen Namen gab, und die vom Feuerwerk (Anfang Mai) in der Rheinaue zum
Brüten in den Harrisonschen Blumentopf vertrieben wurde. Holla, das Lied ist
witzig, mit einer schönen Melodie und dazu noch mehrkampftauglich. Zu ganz
vielen Themen kann man es aus dem Notenschrank holen. Mir fallen sofort
„Tiere“, „Pflanzen“, „Kinder“ (es gab als Ergebnis des Bemühens auch Küken),
„Frühling“, „Jahreszeiten“ ein. Hatten wir alles schon mal gehabt, und deswegen
kam Zeppelina auch schon mehrmals in den Folk Club geflogen.
Etwas weniger fröhlich ging es bei dem Lied „On Morecambe Bay
von Kevin Littlewood zu. Darin wird der entsetzliche Tod von 23 chinesischen
Muschelsuchern in der Morecambe Bucht an der englischen Nordwestküste besungen
(alle waren nach England eingeschmuggelt worden; die tatsächliche Zahl der
Toten ist vermutlich höher aber nicht verbürgt). Die Muschelsucher wurden bei
Ihrer Arbeit am 5. Februar 2004 spät am Abend von der Flut überrascht und
ertranken. Hier trug Eva mit ihrer schönen Stimme zum eindringlichen Refrain
bei – von ihrem Geigenspiel (u.a. wunderbares Solo) ganz zu schweigen.
Weniger schaurig ist da schon Johns Gedicht „Autumn
Colours“, das ich hier einmal komplett wiedergebe (ich hoffe, John haut mir
nicht eine Klage wegen Verletzung des Urheberrechtes um die Ohren):
Autumn Colours
Crisp golden coins
Tingle in the till
Swathes of auburn
Burn yonder
hill
Bare scorched earth
No body
No wonder
No worth
Dust and ashes
Re-impregnate
Juvenile God’s
Earth
Welch eine
Poesie! Ja der Herbst gibt der sommer-verbrannten Erde ihre Frische und
das Leben zurück – bis der Winter alles wieder an die Kette legt.
Irgendwie hatte John es offenbar mit den Muscheln, denn auch
beim bekannten irischen Gassenhauer „Molly Malone“ geht es um „cockles and
mussels“. Am Ende ist Molly auch tot, aber sie ist nicht ertrunken, sondern ein
banales Fieber hat sie dahingerafft. Daniel
Bongart begleitete die beiden bei diesem schönen Lied auf seiner Bodhrán
(irische Trommel), die er jüngst von einer Reise nach Irland mitgebracht hatte
(sicherlich hat er bei der Gelegenheit auch Mollys Statue in Dublin einen
Besuch abgestattet).
Unser Urgestein Günter
Peters erinnerte uns daran, dass der Folk Club auch ein Klavier besitzt und
präsentierte eine unterhaltsame Zusammenstellung bekannter Melodien, die
teilweise auch zum Mitsingen animierten. Großer Applaus für Günter!
Michael Barfuß‘
Erfindung „The Rock n‘ Rollator Show“ war ja eigentlich nur für ein paar
Aufführungen gedacht. Die Musical-Truppe „Groove@Grufties“ tingelt damit aber
mittlerweile seit Jahren durch inzwischen fast immer große Säle, und die
satirische Show über die munteren Senioren im Altersheim ist nicht
totzukriegen. Das Publikum bekam vom harten Kern der „Grufties“ unter Leitung
des Maestros höchstselbst am Klavier einige Auskopplungen zu hören und zu sehen.
Es ist köstlich und zum Piepen. Einige Lieder sind eigens für das Musical
geschrieben, wie „Das Leben“ und Gert
Müllers „Rap“ darüber, wie er zur Musik fand. „Keep on Running“ mit Wolfgang Schriefer als Solisten, und
„Gimme Some Lovin, beides von The Spencer Davies Group passten wie angegossen
in die Rollator Show. „It Was a Very Good Year (When I Was Seventeen)“, bekannt
in der Interpretation von Frank Sinatra, wurde von Steve Perry vorgetragen und sorgte für Gänsehauteffekte – die
Grufties und Michael Barfuß sind eine Wucht.
„World Music Bonn“ ist eine Truppe, die sich im UN-Silo
(Langer Eugen) zusammengefunden hat. John
Hay, mittlerweile eine feste Größe im Folk-Club-Geschehen, hält die Fäden
in der Hand. Neben ihm selbst an der
Gitarre, musizierten Budi Rosadiaván
am Klavier, Alex Paris am Schlagzeug,
Carolin Schaulandt mit ihrer
grandiosen Stimme, Daniel Klein, der
Tenorsaxofon und Akkordeon spielte und – Allzweckwaffe Eva Henneken. Um es vorweg zu nehmen: eine wahre Pracht. Der Folk
Club sorgt für musikalische Verbindungen, die es in sich haben. Gleich vom
Start weg präsentierte sich Carolin bei „This Is Home“ von Sabrina Francis in
fantastischer stimmlicher Verfassung. „Bossma“ (beinahe hätten wir den Titel
bei Johns Ankündigung nicht verstanden) heißt das Lied, das Carolin selbst
geschrieben hat. Eva und Daniel konnten mit Soli an der Geige und dem Saxofon
glänzen. „Djelem, Djelem“, die quasi-Nationalhymne der Roma (nicht der Sinti,
wie betont wurde), war das Paradestück für Carolins voluminöse und kehlige
Stimme – Gänsehaut pur. Die Musiker hatten eine perfekte Gelegenheit, herrliche
Soli abzuliefern, selbst unser nicht ganz perfekt gestimmtes Klavier verströmte
dank Budis Können wahren Charme. Liebe Leute, alle die nicht da waren, haben
etwas verpasst – die Präsentation des Lieds von World Music ist ein Hammer!
Wenn Ihr ganz lieb Bitte, Bitte sagt, gibt euch World Music vielleicht die
Aufnahme, die Mario während des Abends gemacht hat.
„Nossa, Nossa“ von Michel Telo mit dem leicht anzüglichen
Nebentitel „Ai se eu ti pego“ (Ei, wenn ich dich kriege), war dann für alle ein
großer Spaß zum Abschluss des Sets.
Uff, bei so viel Temperament der „Vorgruppe“ musste unser
Featured Artist aus Finnland die Gemüter erst mal wieder etwas runterkochen.
Die Spezialität von Juhana Iivonen
sind gemächliche, ruhige Lieder mit viel Gefühl, schöner, oft gezupfter
Gitarrenbegleitung. Mit einem Lied in seiner Muttersprache „En Milloinkaan“
(Niemals werde ich) startete er sein Set. Aus neuester Produktion stammt das
Lied „Moonlight“ mit herrlicher Fingerpicking-Gitarrenbegleitung, reizvollen
Tonartwechseln und chromatischen Akkordfolgen. Bei „This Corner Must Be
Strange“ kam Juhanas wunderbare, volle, voluminöse Bassstimme so richtig zur
Geltung – das Publikum dankte es ihm mit konzentrierter Stille und viel
Beifall. „Native One“ ist Juhanas Widmung zum 30. Jahrestag des Falls der
Berliner Mauer – ganz herzlichen Dank für so viel Empathie! Und Humor hat er
auch: Er erzählte, dass er bei einem Konzert in Münster einst gefragt wurde, ob
er auch etwas Fröhliches im Repertoire habe (witzig, ausgerechnet im
Münsterland!). Juhanas Antwort auf die Frage waren drei Lieder, die von Sonne
und Helligkeit handeln. „Dream We Lived“, „Season’s Sun“ und „Paradise“ sind wunderschön,
aber auch eher von der bedächtigen Sorte. „Again“ hat auch etwas mit Sonne zu
tun, die scheint aber erst nachdem es ordentlich geregnet hat. Als Zugabe
schenkte er dem Publikum das Lied „Some Good Time“. Viel Applaus für Juhana.
Wer seine CDs gekauft hat, wird mit wunderbarer Musik für stille Abende bei
Kerzenschein belohnt. John Harrison brachte es am Schluss mit einem Satz auf
den Punkt: „You are a wonderful island of tranquility“.
Wie so oft spiegeln unsere Auftrittsbeschreibungen der
Featured Artists nicht die chronologische Reihenfolge wider, dass es gibt ja
ein Set vor und eins nach der Pause. Daher dürfen wir nicht die Musiker
vergessen, die dazwischen auftraten.
Barry Roshto ist
unser bewährter Nachpausen-Animator (die Kunst, das Publikum wieder in den Saal
und zur Konzentration zu bewegen). Als musikalischer Profi beherrscht er diese
Kunst perfekt. Mit seiner herrlichen Baritonstimme und gekonnter
Klavierbegleitung hatte er mit dem Schmuselied „Color My World“ von James
Pankow das Publikum sofort auf seiner Seite. Ebenfalls aus den Kategorien
„samtweich“ und „Gänsehaut“ ist das Lied „You Decorated My Life“ von Kenny
Rogers. Dorthin gehört
natürlich auch Crystal Gayles Lied „Don’t You Make My Brown Eyes Blue”. Ich
sage euch, wenn Barry das Lied singt, kann Crystal Gayles mir gestohlen
bleiben.
Steve Perry, hat
ein Faible für englische Gassenhauer. Ein solcher ist das Juxlied „Three Jolly
Coachmen“ – wunderbar mit Kommentaren nach jeder Strophe wie „hear, hear“
„pity“ oder „no!“ in hochnäsigem Oberklassen-Britisch.
Jutta Mensing
steuerte anlässlich der 200. Geburtstags (24. April 1819) des Dithmarscher
Mundartdichters Klaus Grothe Gedicht von Grothe bei. Jutta sang das Gedicht
nach der Melodie des amerikanischen Liedes „The Lakes Of Pontchartrain“ Jutta
ist ein Phänomen. Es gibt nur wenige Sängerinnen, die sich einfach hinstellen
und a capella mit klarer und intonationssicherer Stimme ein nicht einfaches
Lied präsentieren. Bravo Jutta. Als Belohnung gibt es hier den Originaltext des
Gedichtes:
Mien Vaderland
Dar ligt
in’t Noorn en Ländeken deep,
en Ländeken deep,
Un eensam
liggt de Strand.
Dar blenkt
de See, dar blenkert de Scheep,
dar blenkert de Scheep,
Dat is mien Vaderland.
Ik seeg an
Heben Wulken so blank,
de Wulken so blank,
se kaamt
ut’t blaue Haff,
Un öwer dat
Ländeken trocken se lang,
dar trocken se lang,
Un Regen druus heraf.
Nu blenkt
wull de Dau op Wischen un Holt,
op Wischen un Holt,
Un dufti
steiht de Saat,
Un du liggst
still, du Ländeken stolt,
du Ländeken stolt,
In al dien Pracht un Staat.
Schien nich
de Fleier as Gold op’n Toorn,
as Gold op’n Toorn,
Wenn avends de Beedklock summ?
Un öwer dat
Feld blöh Hecken un Doorn,
de Hecken un Doorn
Un de Marsch war wied un stumm
Denn glänz
as Sülwer unendli dat Meer,
unendli dat Meer,
Un flö un
ebb heraf;
Un klingt
dat deep as Klocken darher:
As Klocken darher:
Höör to! Denn bruust dat Haff —
Blendt de
Wulken so, nu dat dämmri ward?
nu dat dämmri ward?
Weer dat dat
Haff, wat klung?
Och ne, den
Toon in mien egen Hart,
in mien egen Hart
Hett liesen de Wehmot sung’n.
Hans Ihnen hat
offenbar auch Gefallen am Folk Club gefunden und steuerte drei schöne Lieder
bei. Am Klavier begleitete er sich zum Lied „Open Seasons On My Heart“ von Tim
Mc Graw – herrlicher Country-Schmalz. Bei seiner Suche nach etwas Passendem zum
Thema Feuerwerk ist Hans auf das Lied „Indoor Fireworks“ von Elvis Costello
gestoßen. „Ich hätte nie gedacht, mal etwas von Elvis Costello zu singen“
kommentierte er schmunzelnd. Dafür hast du es aber fein gemacht, Hans, ist mein
Kommentar. „No Borders“ von „The Mick Fleetwood Blues Band“ ist eine Entdeckung
von Hans beim Stöbern in CDs, die er gebraucht für kleines Geld kaufen konnte. „The
Only Passport Is My Heart“ lautet eine Zeile, die Hans aber auch uns
überzeugte. Viel Applaus für Hans.
TaRo nennt sich
das Duo bestehend aus Karolin
(Gitarre und Gesang) und Katalin
(Klarinette und Akkordeon). Karolin war bereits mit einer anderen Mitspielerin
im September im Folk Club zu Gast. In der Kombination mit ihrer Begleitung am
Blasinstrument bzw. Akkordeon ergab sich ein völlig neuer Sound. Die beiden
zeigten temperamentvolle Spielfreude und eine wunderbare Interpretation z.B.
bei „Autumn Leaves“, dem unsterblichen Jazzklassiker von Joseph Kosma.
Beeindruckend Karolins kraftvolle Stimme. Karolins kernige Stimme war dann auch
ein Glanzlicht beim Lied „Warum“ der deutschen Band Juli. Mir gefällt diese
Version denn auch viel besser als die Originalfassung mit dem mädchenhaften
Gesang von Eva Briegel. Zusätzlich konnte Katalin mit der Umrahmung des Stücks
auf der Klarinette glänzen – von „Begleitung“ zu sprechen wäre wesentlich zu
kurz gesprungen gewesen. Von den Dubliners bekannt ist das Lied „Spanish Lady“.
Katalin packte dafür das Akkordeon aus.
Auch hier brauchten sich die beiden nicht hinter den irischen Profis zu
verstecken. Auch hier ein großes Bravo für die beiden und tosenden Applaus.
Ja, liebe Folk-Club-Freunde, der Abend war wieder einmal ein
wahres Feuerwerk auch ohne den ollen Terroristen aus London. Aber ohne einen
geht es nun wirklich nicht, und das ist wie immer Jock Stewart, der den
Abschluss des unterhaltsamen Abends bildete.
Auf Wiedersehen am 6. Dezember, wie alle Jahre zum
Jahresende mit Simon Kempston aus
Edinburgh in Schottland. Wir freuen uns bereits.
Hi
AntwortenLöschenAusgesprochen gute Informationen, die Sie hier veröffentlichen! Außerordentlich gute Aussagen! Exakt das habe ich gesucht!
MfG,
Adpoint