Mittwoch, 15. März 2023

Marios Bericht über FCB # 133 vom 03.03.23

 Stormy Weather


Ja, es muss wohl sehr stürmisch gewesen sein, denn trotz ÖPNV Streik und Einrichtung von Bahngleisbaustellen (dies ist ein Vorschlag für das Unwort des Jahres 2023 – ihr werdet noch merken warum:-) ), war die Dotty’s Sportsbar für den Folk Club bereits vor 18:30 Uhr gefüllt – so schien es, dass alle ein warmes, gemütliches Plätzchen gesucht haben.

Toll dachte ich, jetzt sind alle, die noch gemütlich essen wollen, schon früh gekommen, damit die Störungen der notwendigen Bedienung während der Konzerte auf ein Minimum reduziert werden – jedoch, allein der Wunsch war hier die Leitlinie meiner Gedanken. Nein, es war so gut gefüllt, weil ein Act des Abends sich etwas anders darstellte, als erwartet – aber dazu später, und nun der Reihe nach.


Alle warteten auf den Schlacht- und Eröffnungsruf des Masters of FCB – dieser jedoch ließ sich Zeit, zupfte auf der Gitarre rum, probiert mal hier eine Melodie, mal dort einen Takt. Doch als die erwartungsvolle Ruhe gerade wieder in ein ansteigendes „lass uns schnell noch etwas erzählen, bevor die Musik beginnt“ umschwingen wollte, ertönte es: „Laaaadiiiiieeees and Gentlemen, Mesdames et Messieurs……. Der erwartete Wettersturm erschrak ebenso wie alle Anwesenden, und das Motto des Tages „stormy weather“ erschöpfte sich ab diesem Zeitpunkt endgültig in mit Bravour hervorgebrachten musikalischen Darbietungen. Gemäß dem Motto eröffnete John Harrison, wie so oft begleitet von seinem Nachtwächterkollegen Christoph Thiebes, den Reigen mit eben dem Lied „Stormy Weather“. Ganz in gewohnter Manier tauchte John in die Tiefen des Blues ab. Es ist immer wieder schön zu erleben, wie aus dem Conferencier des Abends eine Einheit mit der Musik wird, wenn John Blues spielt und singt. Und um diese Identifikation noch zu verstärken, legte John für das zweite Lied die Gitarre beiseite und besang a capella den „King of Rome“, eine Taube, die bei einem Wettflug als einzige von 1000 Teilfliegern (oder sagt man bei Tauben auch Teilnehmer?) ans Ziel kam. Es ist nämlich ein Sturm aufgekommen, der 999 Tauben dahinraffte. Wahrscheinlich ist der King of Rome zwischendurch noch im Folk Club eingekehrt, um das stormy weather abzuwarten und ist nach Jock Stewart erst nach Hause geflogen. Ihr seht, Musik rettet Leben. Seinen Abschluss gestaltete John mit einem weiteren stürmischen Blues. „Stormy Monday“ erzählt den ewigen Kampf mit einem überstandenen Wochenende und der nicht einsehbaren Verpflichtung sich nun wieder anderen Dingen des täglichen Lebens zuzuwenden.


Ein gern, doch in Corona Zeiten selten, gesehener Gast war dann Wolfgang Schriefers. Er verglich in seinem selbstgeschriebenen Gedicht „Ewige Nelken“ den Folk Club eben mit diesen Blumen, die, einmal beschlossen, nicht vergehen, sondern immer wieder nach überstandenen kalten Zeiten in voller Schönheit erstrahlen. Nun, der Vergleich ist gut, sind doch die Besucherzahlen inzwischen wieder fast auf dem Vor-Corona-Stand. Und das, obwohl Corona noch nicht überstanden ist.


Günter Peters, das Urgestein des Folk Clubs – war er doch bereits beim Folk Club Nr. 1 dabei - beweist, dass Alter nichts mit fehlender Agilität zu tun haben muss. Trotz seiner 90 Jahre geht er mit schwingenden Schritten zum Klavier und lässt dort immer wieder gerne und gut die Finger tanzen. In einem Medley zeigte er uns, wie Traditionals mit Popmusik und Ragtime zusammengeführt werden können. Lieber Günter, erfreue uns bitte noch lange mit dieser musikalischen Lebensfreude.


Tangoyim: Stefanie Hölze & Daniel Marsch

Nun kamen die Featured Artists des Abends. Tangoyim. Nicht zum erstenmal im Folk Club, dafür aber sehnlichst erwartet. Mit ihrer ruhigen und trotzdem mitreißenden Art, stellen sie die Schönheit, die Hintergründe und die Lebensfreude der jiddischen Musik vor. Bereits mit dem ersten Lied „Nakhes fun Kinder“ beschreiben sie eine besondere Art des Glücks (Nakhes) – nämlich die, die durch Kinder ins Leben gebracht wird. Die Natürlichkeit von Kindern und die erfrischende Logik alles so zu nehmen wie es ist, beschert Glücksgefühle, die selbst schwierige Zeiten zu schönen Zeiten machen.  Na und was ist mit oder neben Kindern das wichtigste im Leben? Richtig Gesundheit. „Abi gezunt“ beschreibt die Geschichte einer jungen Frau, die nach dem Tod der Mutter ihre Geschwister aufzieht (ein bisschen Sonne, ein bisschen Regen, ein ruhiger Ort sich hinzulegen, Hauptsache gesund, dann kann man glücklich sein). „Lomir zik iberbetn“ greift eine typische Situation des täglichen, in der Regel doch strapaziösen, Lebens auf. Übersetzt heißt es soviel wie „lass uns uns wieder vertragen, ich weiß schon gar nicht mehr, warum wir gestritten haben“. Daniel und Stefanie, also Tangoyim, sangen und musizierten das Lied nicht nur, sondern schauspielerten die Situation auch so naturgetreu, dass man hätte glauben können, es wäre eine Szene aus ihrem Alltag :-). Mit „Dos bisele Shpayz“ ging es weiter. Nun hier brauche ich wahrscheinlich nicht zu übersetzen, und der Inhalt ist eigentlich auch klar „7:40“ in Zahlen geschrieben ganz einfach – ausgesprochen? Ach bitte hört es euch einfach auf der sicherlich von euch gekauften CD an (wenn nicht, könnt ihr die CD auch bei Tangoyim bestellen. „Di Shpanishe Kholere“ bedarf sicherlich auch keiner inhaltlichen Erklärung, sind doch an der Spanischen Grippe mehr Menschen gestorben, als im ersten Weltkrieg. Danke für diese kleine Erinnerung, dass mit Epidemien (wie auch Corona) nicht zu spaßen ist. Hatten wir vorhin schon das Nakhes (Glück) durch Kinder, kam nun eine andere Form des Glücks ins Spiel. „Mazl“ ein Glück, das sozusagen trotzdem kommt. Aber leider geht es in dem Lied darum, dass Mazl immer an der Tür der Sängerin vorbeigeht. Die jiddische Sängertradition ist groß, manchmal wissen die Fans gar nicht, dass ein verehrter Sänger in eben dieser Tradition lebt und singt. Ein Beispiel hierfür war der legendäre Leonard Cohen. Sehr oft missverstanden, aber meistens in seinen Lieder geliebt, wird er für viele verständlicher, wenn bewusst ist, dass er eben in dieser jiddischen Tradition komponiert und interpretiert hat. Dies zwar auf Englisch oder Französisch, aber von der Art stark an die jiddische Kultur angelehnt. Mit einer ins Jiddische transferierten Form des Liedes „Dance Me To The End Of Love“ das nun „Tants Mit Mir“ heißt, huldigten die zwei diesem Idol. Seit etwa einem Jahr und aus leider gegebenem Anlass beenden Tangoyim jedes Konzert mit dem ukrainischen Lied „Svite Teren“ – ein Liebeslied, was in der Ukraine sehr bekannt ist und gern gesungen wird – hoffen wir, dass dies bald wieder in Frieden möglich sein wird. Aber dann war es doch noch nicht das letzte Lied, denn Tangoyim durften (mussten) eine Zugabe geben. Natürlich mit Unterstützung des Publikums wurden das Glück und der Frieden noch einmal mit dem Lied „Wollt ikh gehaght Koje“ beschworen. Ein Lied, das in der Form eines Konjunktivs den Wunsch nach Frieden beschreibt und nur drei Textzeilen beinhaltet: „Hätte ich die Kraft dazu, würde ich in die Gassen gehen und Shalom (Frieden) rufen“. Mit welchem Ruf kann das Publikum besser in die Pause entlassen werden?




Die zweite Hälfte durfte euer Chronist (Mario Dompke) selbst eröffnen. Und da ich keine unmittelbaren Lieder zum Thema Sturm aus meiner eigenen Feder zur Verfügung habe, habe ich versucht das stürmische Wetter symbolisch zu übertragen. „Zähle doch nicht schon in jungen Jahren“ beschreibt den gesellschaftlich „verpflichtenden“ Versuch, sich im Leben nach allen Seiten abzusichern – grundsätzlich sicherlich gut, aber nur eine nicht vorhergesehene Situation macht alle solchen Bemühungen kaputt (schauen wir ins Ahrtal oder in die Ukraine oder, oder). Mit eben auch einem Appell an Frieden und Menschlichkeit bittet das Lied „Die neue Welt“ um Hilfe und Akzeptanz für alle Geflüchteten dieser Welt und um Toleranz für das Anderssein. Aber auch, um endlich ernstgemeinte gemeinsame Anstrengungen für eine Zukunft in Frieden. Stürmisch geht es hin und wieder in jedem Leben zu und wenn man(n) in einem fortgeschrittenen Alter das ein oder andere Zipperlein verspürt, sollte man nicht wehmütig zurückblicken, sondern die Situation so nehmen wie sie ist – natürlich und trotzdem mit Lebensfreude zu genießen. Genau hiervon erzählt das Lied „Älter werden“.


Nun wurde es eng auf der Bühne und „leer“ im Saal. Ein kleiner Chor war angekündigt, doch anscheinend schlossen sich diesem auf dem Weg zum Folk Club Bonn weitere Chöre (Kleiner Chor Bad Godesberg, Quartiersspatzen, Taubenhaucher) an, so dass zum Schluss ein Zusammenschluss aus drei Chören mit insgesamt 30 singenden Menschen ihr Können darbot. Und diese war beträchtlich. „Vem Kan Segla“ beschreibt die Geschichte der Seefahrt in Meeresstürmen und wie dies gemeistert werden kann. Weiterhin bei der Seefahrt blieb die Interpretation des zurzeit sehr geliebten „Wellerman“. Wie „jeder weiß“, ein Lied über die  allegorische Beschreibung der Freundschaft (man kann eher ohne Segel oder Ruder mit dem Boot fahren, als dass man sich ohne Tränen von einem wirklichen Freund trennen kann).  Wenn schon stürmisch, dann blieb der Chorgesang bei (oder in) der See. Mit „To The Sea“ beschloss die sangeskräftige Gruppe offiziell einen musikalischen Genuss des Chorgesangs mit Mehrstimmigkeit und viel gemeinsamer Freude. Aber offiziell heißt nicht, das wirklich Schluss ist, denn mit einem spontan zusammengestellten Geburtstagsgesang wurde das Chormitglied Jonas für seinen, eben an diesem Tag stattfindenden Geburtstag gefeiert. Und gleich mitgenommen wurde unser langjähriger Weggefährte Günter Peters, der kürzlich seinen 90sten Geburtstag feiern durfte.


Zum ersten Mal im Folk Club, aber, um, das gleich vorneweg zu sagen, hoffentlich nicht zum letzten Mal, kletterten nun Stefanie Köpping und Volker Hense auf die Bühne – eine schöne Vorstellung, ist doch die Bühne im Folk Club ebenerdig und je nachdem, wie die Tische gestellt sind, auch klein:-). Die Beiden als End of Blue bekannten Musiker spielen sowohl eigene Stücke wie sie auch Covers neu interpretieren. Im ersten Stück war dies eine Interpretation des Liedes „20 Years“ mit Gesang, Gitarre und Mandoline. Eine sehr schöne Umsetzung des um Verzeihung bittenden Liedes für eine 20 Jahre zurückliegende, falsche Entscheidung. Mit „Michael And Mary“ trugen The End of Blue ein eigenes Lied vor, welches sich als sehr der irischen Liedkultur angelehnt entpuppte. Entpuppte im wahrsten Sinn des Wortes, wird doch die Schönheit einer eingepuppten Sache (hier das Lied) durch eine intonationssichere, mit wunderschöner Stimme vorgetragene Interpretation sichtbar. Umrahmt wurde die Stimme durch zwei wunderschön im Liedrhythmus gespielte Gitarren. Zum Schluss wurde noch ein Lied aus eigener Feder vorgetragen. Der „Road Song“ beschreibt, wie der Titel schon sagt, die immerwährende Sehnsucht (insbesondere von Musikern) nach Unterwegssein – in diesem Fall wie die Musiker betonen, kein Weg zur Arbeit, sondern in den Urlaub.


Den Schluss des Folk Clubs gestaltete die Gruppe Cayu mit der Vor- Vorstellung ihrer neuen CD (Die offizielle Vorstellung erfolgte einen Abend später in einem Solokonzert). Das Besondere war aber nicht die neue CD, sondern dass Cayu sich diesmal mit einer Tänzerin und einem Tänzer und einer eigens für die Lieder entwickelten Choreografie angereichert hat. Um es vorwegzunehmen – es passte einfach toll und die Dramaturgie, und die Symbolik der Lieder hat hierdurch eine neue Dimension erreicht. Mit dem Traditional „Esmera min“ begann Cayu mit einem kurdischen Liebeslied, das eine stürmische Liebe beschreibt. „The Whisper“ ist an das Thema des Tages angelehnt, denn auch, wenn die Luft sich nur als Hauch darstellt, kann der Inhalt stürmisch sein.

Ein instrumentales Stück ist „Pharaon“ – hier konnten nicht nur Eva ihre Virtuosität auf der Geige und John auf der Gitarre erneut beweisen, sondern auch der begleitende Tanz machte aus dem Stück eine Wohltat für Auge und Ohr. Bleibt natürlich noch zu sagen, dass es wunderschön anzuhören war, dass das Klavier trotz seiner Stimmgewaltigkeit es verstand sich im Hintergrund zu halten und nicht dominant zu wirken. Mit „Habibi“, einem arabischen Traditional, verabschiedete sich nicht nur Cayu, sondern gab uns allen auch noch einmal die Gelegenheit, unsere eigene Lebensfreude im (Mit)Gesang auszudrücken.


Ihr ahnt es schon – das Ende ist niemals das Ende, sondern immer nur ein Zwischenschritt zu neuem Anfang. Deshalb wurde natürlich auch diesmal wieder dem Patron des Folk Clubs gehuldigt und das Lied Jock Stewart gemeinsam gesungen, gespielt, geschmettert…. Dieses Lied drückt immer die Vorfreude auf den kommenden Folk Club aus, der diesmal wegen des Karfreitags um eine Woche auf den 14.04.2023 verschoben werden muss – trotzdem oder gerade deshalb

out of the bedroom

cu in FCB

Mario


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