Sonntag, 25. Juni 2023

Marios Bericht vom Folk Club Nr 136 am 2. Juni 2023

Die Landschaft der Gefühle

Lange habe ich diesmal gebraucht, um diesen Bericht zu schreiben. Oft schon habe ich mich hingesetzt und wollte anfangen – doch wie? Was war eigentlich das Besondere an dem letzten Folk Club, was mir sozusagen die Phantasie geraubt, oder von ihr zu viel gegeben hat, so dass ich nicht wie sonst einfach beschwingt die Tasten betätigen und einen erzählenden, mit etwas Humor gespickten Bericht runter tippen konnte. Was war es, was mich nach kurzem Überlegen zu der Überzeugung gebracht hat, dass vielleicht doch erst die Blumen gegossen, die Melodie auf der Waldzither ausprobiert oder ein Stück Kuchen gegessen werden muss? Nun, ich glaube es war die Faszination der Vielfältigkeit des Ausdrucks von Gefühlen und deren Färbungen. Und plötzlich hatte ich es! Eine Fahrt (egal ob mit dem Fahrrad, dem Auto oder der Eisenbahn) von Nord nach Süd zeigt uns ständig wechselnde Landschaften, zeigt uns die Farbenpracht, aber auch Eintönigkeit der flachen Landschaft im Wechsel mit der sich wandelnder Flora von Hügeln oder sogar die karge, nicht desto weniger faszinierende Umgebung des Gebirges – und genau das war es : Landscape/ Landschaften war das Thema des Abends, und dies war musikalisch so gefärbt, dass in ein und derselben Landschaft unterschiedliche Gefühle untergebracht werden konnten. Ob es „Amazing Grace“ in der Bearbeitung von Stefan Mönkemeyer war, welches in Verbindung mit der erzählten Geschichte, dass ihm eine alte Frau, die in Deutschland schwer durch die Nazizeit gelitten hat, mit den Worten „Es kommt nicht darauf an woher man kommt, sondern was man tut“ für seine Musik gedankt hat, sowohl Scham über die Vergangenheit, Betroffenheit über ähnliche Vergehen in anderen Ländern als auch das Gefühl das Menschlichkeit noch existiert gibt, oder die Cajun Musik von Johannes Epremian aufzeigte, dass nicht die Perfektion einer sterilen Umgebung, sondern der zur Umgebung passende Ausdruck der Musik wichtig ist (er erzählte die Geschichte, dass in einem Aufnahmestudio mit Blechdach eine ganz besondere Atmosphäre der Aufnahme durch den auf eben jenem trommelnde Regen entstand – die Landschaften waren so vielfältig, dass die Fahrt von Nord nach Süd zu einem aufregendem Trip wurde. Aber es ging noch weiter. Das Urgestein der deutschen (echten) Volksmusik Tom Kannmacher verwandelte zusätzlich die Landschaft in historische Dimensionen, so dass nicht nur geografisch unterschiedliche Gebiete betrachtet werden konnten, sondern dasselbe Gebiet in seiner zeitlichen Entwicklung begleitet wurde.

Nun aber genug mit Metaphern und philosophischen Betrachtungen und zurück in die nüchterne Berichterstattung.

Wen würde es nicht verwundern, wenn ein Bericht eines Folk-Club-Abends nicht mit den Worten „Laaaadies and Gentlemeen…….“ beginnen würde. Jedoch kam dieser Schlachtruf vom FCB Master John Harrison diesmal nicht urplötzlich, sondern wurde bereits durch den Gong einer Klangschale angekündigt. Danach eröffnete John den musikalischen Landschaftsreigen mit dem „Gypsum Sack“, einem Song aus seiner eigenen Feder, mit dem er eine Zeit beschreibt, in der er Gipssäcke gefüllt hat. Danach trug er ein Gedicht vor. „Dubh“ beschreibt eine grüne Landschaft im Grenzgebiet zwischen Staffordshire und Derbyshire. „Lost My Driving Wheel“, als nächstes Stück, ist ein Blues welcher mit dem Titel eigentlich den Anfang der Geschichte beschreibt – denn die Handlung erzählt, wie das Ziel danach trotzdem erreicht wurde. Nicht zum ersten Mal kam die Geschichte des „St. James Infirmary Blues“ von John im Folk Club auf die Bühne. Diesmal jedoch zum ersten Mal in der Begleitung mit Johannes Epremian und seiner Geige. Also, auch wenn weiter oben gesagt wurde, dass Johannes mit seiner Cajun Musik auch ausdrückt, dass die Welt nicht immer perfekt sein muss – sein Spiel ist es allemal. Nach diesem Stück galt es erst mal ganz tief durchzuatmen, um zurück in die Realität des Folk Clubs zu finden.

Eine völlig andere Landschaft wurde von den Villwock Brothers aufgezeigt. Eine fröhliche Landschaft des Bluegrass, welche in den USA in ländlichen Regionen die Freizeit nach getaner Arbeit versüßt. Obwohl nicht alle dargebrachten Lieder reine Bluegrass Songs waren, so blieben die Villwock Brothers ihrem Stil auch in der Interpretation z. B. von irischem Liedgut treu. In der Besetzung mit Geige, Banjo, Mandoline und Kontrabass und natürlich auch Gitarre spielten sie als erstes Lied „Blackberry Blossom“, ein Tune (also Instrumentalstück) welches sowohl im Bluegrass, wie auch im Oldtime und Irish Tunes angesiedelt vorkommt. „Oh, My Sweet Carolina“ von Bryan Adams folgte und zeigte, das Bluegrass erst so richtig die Herzen schmelzen lässt, wenn die Instrumentalität durch mehrstimmigen Gesang begleitet wird – oder begleiten die Instrumente den Gesang? Jedenfalls wurde es dann noch einmal celtistisch (um nicht zu sagen irisch). Mit dem „Galway Girl“ interpretierten die fünf Musiker auf ihre ganz eigene Art den sehr bekannten Song und das so hervorragend, dass sie vom Publikum nicht ohne eine Zugabe entlassen wurde. Diese Zugabe zeigte, wie unterschiedlich Landschaften sein können, auch wenn sie in einem Trägermedium (hier Bluegrass) durchfahren werden. „Don’t Think Twice“ das bekannte Stück von Bob Dylan stellte eine würdige Zugabe dar und war auch sicher die Eintrittskarte für hoffentlich noch viele Darbietungen der Gruppe im Folk Club.

John Hay, der altbekannte und vielse(a)itige Musiker aus Bonn kam mit einer Annette auf dieBühne. Er sang allerdings nicht etwa im Duett, denn – für alle, die es nicht oder nicht mehr wissen - eine Annette ist eine Darbietung von nur einem Stück im Folk Club. Und diesmal hieß die Annette „Your Song“ von Elton John.

Auch Your Song ist nicht mehr der Jüngste, aber nun wurde es richtig alt. Tom Kannmacher, das Urgestein der deutschen Volksmusik, brachte nicht nur eine neue Errungenschaft in Form einer Basslaute auf die Bühne, sondern auch wie gewohnt alte Lieder. Mit „War einst ein reicher Schlächtersmann“ beschrieb er, was passiert, wenn der Vater der Tochter versucht seinen Willen aufzuzwingen und ihr nicht gestatten will, ihre Liebe zu ehelichen. Ein in alten Liedern immer wiederkehrendes Motiv, welches ausreichend Raum für Emotionen und Spott gibt. Mit dem „Feyerabendlied“, einem als Philosophical Song angekündigtem Lied, welches, wie der Titel schon sagt, die Sehnsucht nach Ruhe und Ausruhen beschreibt – aber auch die Endlichkeit des Lebens – zeigte Tom weiter sein Können. Den Abschluss des Kurzauftritts bildete das „Bettellied“, wie immer mit dem Wunsch nach mehr beim Publikum – und auch wenn Tom ein Urgestein ist, so hoffen wir ihn doch noch oft im Folk Club begrüßen zu dürfen.

Als erster Featured Artist des Abends betrat nun Johannes Epremian (diesmal ohne John) die Bühne. Johannes spielt traditionelle Cajun-Musik, wobei diese in sich selbst eine ständig wechselnde Landschaft darstellt. Cajun ist weniger in der Louisiana-Metropole New Orleans zu finden, sondern stark in den ländlichen Regionen vertreten. Von hauptsächlich französischsprachigen Einwanderern „erfunden“ und mit allen möglichen Einflüssen der Einwohner Louisianas gefärbt, beschreibt Cajun-Musik die Alltagssorgen, ‑lösungen und auch -freuden des Einwandererlebens. Mit „Adieu Rosa“ eröffnete Johannes den Reigen, einem typischen Tanzlied auf Louisiana-Partys der Vergangenheit (solche Partys wurden bei Familien gefeiert, die oft von der Party erst als letzte erfuhren, wenn die Party schon begann:-) ). Johannes beschreibt die Geigenmusik zwar als eintönig, aber – ob es an der Melodie oder an seinem virtuosem Spielt liegt – die Musik reißt einen einfach mit.  Und nicht zuletzt die kraftvolle Stimme durch die Johannes zusätzlich die Atmosphäre der Südstaatenfeier überzeugend einbringt. Ein weiteres Tanzstück war dann mit dem Two Step „Amedé Two Step“ an der Reihe. Dieses Lied bricht aus der Eintönigkeit aus und fordert durch sich selbst zum Tanz – ein Instrumentalstück, welches Lust zum Mitmachen (klatschen, trampeln) macht. Auch hier wieder im Vordergrund der treibende Rhythmus. Mit „Lumière pâle“, also dem blassen Licht beendete Johannes seinen ersten Teil. Bedarf es eigentlich mit dem Hintergrundwissen, dass es sich um Musik von ländlichen Tanzveranstaltungen handelte, weiterer Erläuterungen? Na gut, für alle, die nicht genügend Fantasie aufbringen. Wenn die Eltern im Nachbarraum ihre Bowle nachfüllen, wird das blasse Licht auf der Tanzfläche ausgenutzt, um sich näher zu kommen. Die Schrecksekunde der Rückkehr der Eltern wird dadurch gemildert, dass diese sich erst an das blasse Licht wieder gewöhnen müssen und so genug Zeit ist, sich wieder sittsam zu trennen. Lasst euren Chronist einen Sprung in die zweite Hälfte machen und einfach den Auftritt von Johannes als Ganzes beschreiben. Nachdem Johannes bereits ein Two Step dargeboten hatte, kam er nun zu einem One Step – war es Erschöpfung oder einfach Programm – ich glaube eher Zweites, denn Johannes ist ein quirliger, alles mitreißender Musiker, den ich noch nie Erschöpfung angemerkt habe. Mit „Happy One Step“ schenkte uns Johannes ein weiteres kleines Tanzlied. Wie emotional Cajun Musik ist, wurde in dem Lied „Les barres de la prison“ (Die Gitterstäbe des Gefängnisses) gezeigt. Mit diesem Lied wird ein Gemälde gezeichnet, in dem eine Mutter, eingekerkert in Hoffnungslosigkeit, sich mit der Krankheit des eigenen Kindes in die Obhut der einzigen höheren Macht, die sie kennt begibt – in Gott. Das Blues und Cajun nicht immer unterschiedliche Musikrichtungen sein müssen, zeigte das nächste Lied auf. „Blues du saoulard“ ist ein Blues, der nicht mit dem Kummer am Morgen beginnt, sondern ganz im Gegenteil, von einer glücklichen sehr langjährigen Liebe erzählt. Ein sehr altes Ehepaar gefragt nach dem Rezept der langen Ehe antwortet: Wir haben das gleiche Hobby, wir saufen beide:-). Auch Johannes wurde nicht ohne Zugabe verabschiedet und bescherte uns so noch die tragische Geschichte „Travailler c'est trop dur“, eine Erzählung das Arbeit viel zu schwer ist um selbige zu tun, dass ohne Arbeit allerdings kein Leben möglich ist und deshalb einfach wieder gearbeitet wird – französische Logik.

Zurück in die erste Hälfte. Ein besonderer Leckerbissen des Fingerpicking ist Stefan Mönkemeyer - vielen noch aus seinem, immerhin 5 Jahre zurückliegendem ersten Besuch im Folk Club, in guter Erinnerung. Und viele wussten auch noch, dass Stefan ein Musiker der leisen Töne ist, weshalb es auch sehr ruhig im Saal war, wollte doch jeder auch nicht einen einzigen Ton seiner Darbietung verpassen. Und, um es vorwegzunehmen, es lohnt sich!! Als zweiter Featured Artist des Abends begann er mit dem Lied „The Sky Is The Limit“ - ein Titel, der Programm ist. Erst der Himmel zeigt dir Grenzen auf und wer hat diesen im Leben jemals erreicht? Und auch wenn Stefan in seiner Ansage berichtet, dass Momente, in denen er glaubt, dass alles möglich ist, eher selten sind – wir freuen uns dass es diesen Moment gegeben hat, um diesem tollen Lied seine Grundlage zu geben. Das folgende Stück „Love“ wurde mit einer True Story eingeleitet. Nach seinem letzten Konzert im Folk Club Bonn, ist Stefan einer biologischen Notwendigkeit folgend auf dem Heimweg in einer Autobahnraststätte eingekehrt, und hat seinen Toilettenobulus von (damals) 70 Cent geleistet. Was ihm kurz danach durch ein, sich in der Nachbarkabine verschanzendem Liebespaar geboten wurde, war sicher schon den Eintritt eines gehobenen Hörspiels wert. Stefan konnte sich unauffällig verziehen, seine Reise fortsetzen und dieses wunderbare Stück entstehen lassen. Nicht aus der eigenen Feder, aber wunderschön arrangiert, war sein letztes Stück der ersten Hälfte. „Keep It Simple“ ist nicht nur musikalisch ein Hochgenuss, sondern beschreibt auch auf den Punkt das Konzept des Folk Clubs. Keine Verstärkung, ein aufmerksames Publikum und wunderschöne Musik (diese allerdings ist nicht immer simple:-) ). Stefan kam dann natürlich in der zweiten Hälfte wieder. Und das mit „A New Hope“. Diese galt nicht (nur) dem Folk-Club-Publikum, sondern beschreibt eine Situation die Stefan 2008 vor dem Fernseher sitzend empfunden hat, als Barack Obama als erster Coloured President in sein Amt eingeführt wurde. Mit einem „Blues“ ging es dann weiter – natürlich instrumental, und wieder zeigte Stefan, was in zehn Fingern so alles drinsteckt. Ja, auch hier wurde wieder eine Landschaft mit Tönen beschrieben, die sich bildlich in den Köpfen des Publikums zeigte. Hatten wir von den Villwock Brothers das Galway Girl beschrieben bekommen, so kam nun in ganz anderem Stil, aber nach wie vor irisch ein weiteres irisches Mädchen zum Zuge. The „Star Of The County Down“, fast allen Anwesenden ausreichend bekannt, schüttelte auch instrumental verlockend ihr braunes Haar und gab wie im Text beschrieben, Anlass zu vielen Träumen. Es ist immer wieder faszinierend, wie Musik ohne Sprache/Text Geschichten erzählen kann. Und wenn diese dann noch durch eine True Story eingeleitet werden, werden solche Geschichten noch viel lebendiger. Wie in der Einleitung zu diesem Bericht bereits beschrieben, hat Stefan auf einem Konzert das Erlebnis gehabt, dass eine alte Frau ihn nach dem Konzert einfach aus Dankbarkeit über seine Musik in den Arm nehmen und drücken wollte. Eine Frau, die im Naziregime schrecklich gelitten hat und nun trotzdem die Meinung hat, „es kommt nicht darauf an, woher man kommt, sondern was man tut“ – meine und hoffentlich aller Menschen Hochachtung zu dieser Einstellung. Mit „Amazing Grace“ bedankt sich seitdem Stefan in jedem Konzert für dieses Erlebnis. Wenn ein Musiker begeistert ist von der Musik einer Gruppe und dann noch die Fähigkeit hat, die Musik dieser Gruppe in einem eigenen Stil zu interpretieren, dann kommt meist ein großes Kunstwerk dabei heraus. So auch im Fall des „Beatles Potpourris“ von Stefan Mönkemeyer – eine Hommage an eine der prägendsten Popgruppe der neueren Weltgeschichte. Wenn auch leise gespielt, so doch – wie bereits geschrieben – aufmerksam verfolgt. Und dass das Publikum sehr aufmerksam zugehört hat, zeigte sich auch in der vehementen „Forderung“ nach einer Zugabe, die von Stefan gern mit seiner Interpretation des Stückes „Oh When The Saints Go Marching On“ erfüllt wurde.

Aber springen wir an den Anfang der zweiten Folk-Club-Hälfte. Frauke, eine treue Folk Club Besucherin, wollte schon immer mal – und diesmal hat sie. Flugs die Ukulele rausgeholt und das Publikum zum Mitmachen animiert. Mit den Stücken „This Land Is Your Land“ und „Cotton Fields“ brachte sie den Charakter der Folk Clubs auf den Punkt. Trau dich und lass alle mitmachen. Neben professionellen und „perfekten“ Musikern ist dies das Labsal der Volksmusik.

Nachdem die Featured Artist bereits weiter oben auch in ihren Darbietungen der zweiten Hälfte beschrieben wurden, bleibt mir nur noch zu erwähnen, dass es natürlich nicht zu spät war, um dem Patron des Folk Clubs zu huldigen. Jock Stewart in wieder einer neuen Version (mit Fingerpicking Gitarre und Cajun Geige) bildete wie immer den Abschluss eines gelungenen Abends. Und nun? Nach dem Folk Club ist vor dem Folk Club. Freut euch auf Don Bartlett aus Kanada am Freitag, den 7. Juli 2023 und folgt dem Ruf

Out of the bedroom

Mario

 

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