Folk Club am 8.11.2024 – ausnahmsweise am zweiten Freitag
„Es war einmal – ohne Handy“ lautete das Motto des Abends,
und zahlreiche Beiträge beschäftigten sich dann auch mit der Zeit, in der man
sein Leben noch ohne digitale Vernetzung bewältigen musste und
selbstverständlich auch konnte. Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass damals
Verabredungen ohne WhatsApp & Co. erfolgreich getroffen werden konnten, und
viele Menschen hatten in früheren Jahren nicht einmal ein Telefon. Heute
hingegen lebt auch der Folk Club davon, dass die Gemeinde via Internet über die
anstehenden Veranstaltungen informiert wird. Unerwartete Abweichungen, wie die
Verlegung auf den zweiten Freitag wegen des Feiertags Allerheiligen am ersten
Freitag hätten früher kaum unfallfrei kommuniziert werden können. Aber neben
den vielen positiven Aspekten beschert uns die digitale Informationswelt auch haufenweise
Nachteile. Mit denen wollen wir Euch aber jetzt nicht langweilen und
stattdessen lieber den abwechslungsreichen Abend beschreiben.
Den Einstieg bereitete uns wie üblich John Harrison,
diesmal mit zwei Aphorismen alter Denker: Platos Einordnung der Musik als eines
moralischen Gesetzes und die Aussage von Goethe, man sollte alle Tage
wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches
Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort
sprechen.
Nun, das mit dem Lied und dem Gedicht würde für alle hier im
Saal mehrfach erfüllt. Ob die Forderung nach dem Gemälde und insbesondere dem
vernünftigen Wort erfüllt wurde, sei dahingestellt. Ein erstes Gedicht lieferte
John dann auch mit dem Limerick über Rickie Rhyme, der von mehreren Wortspielen
lebt. Das Gedicht hat den etwas sperrigen Titel „Mint-scented Temporal Limerick
Rhyme Perfume“. Auch sein zweites Gedicht gab einiges Futter zum Nachdenken:
„Never Call A Mirror Sad“. Ein drittes Gedicht über Blätter („Leaves“) stammt
von Bill Perry, dem älteren Bruder von Steve Perry, unserem verehrten
Folk-Club-Mitstreiter. Steve war am 13. November vor zwei Jahren verstorben.
Natürlich gab es von John auch einige musikalische Beiträge:
Der „St. Louis Blues“ wurde witzigerweise von einem Komponisten mit Namen W.C.
Handy geschrieben, An Handys war zur Zeit der Entstehung des Liedes im Jahr
1914 noch nicht im Entferntesten zu denken, und selbst Tonaufnahmen und Wiedergabegeräte
steckten noch in den allerersten Kinderschuhen. Den „Nightwatchman Blues“ von
Big Bill Broonzy nutzt unser Impresario gern als Anlass, auf seine eigenen
Nachtwächterrunden in Bonn (in englischer Sprache) hinzuweisen (aus persönlicher
Erfahrung: sehr zu empfehlen!). Der zweite Blues war „Careless Love“, der vor
allem in der Interpretation von Bessy Smith (begleitete u.a. von Louis
Armstrong am Kornett) bekannt wurde. Natürlich geht es in dem Lied um eine
Liebe, die unter vielen Schmerzen auseinandergeht. Es geht um Scheitern, wie es
sich für einen richtigen Blues gehört. Kleines Schmankerl bei beiden Liedern:
Unser Featured Artist des Abends, Attila Vural, saß gemütlich mit seiner
Gitarre in der Ecke und zupfte, ohne, dass es anfangs bemerkt wurde, gekonnt
eine Begleitung, die es in sich hatte. Beide Stücke bekamen dadurch
zusätzlichen Pepp, und John bedankte sich hinterher für die Unterstützung – das
ist Folk Club „at its best“.
Zum zweiten Mal durften wir die Tango Musen im Folk
Club begrüßen. Die Musen, das sind Katalin van Riesen (Klarinette), Renate
Bruns (Bassklarinette), Claudia Meyendriesch (Akkordeon) und Karin Hüsken (Saxofon).
Mit viel Schwung ging’s in die Welt des Tangos. Der Klassiker ist natürlich „La
Cumparsita“, des uruguayischen Komponisten Gerardo Hernán Matos Rodríguez. Dass
Tangomelodien nicht nur aus Südamerika stammen, bewiesen uns die Vier mit einem
Tango aus Japan („Sukiyaki Tango“). Auch der Tango „Olé Guapa“ stammt nicht aus
den südamerikanischen Stammlanden, sondern vom Niederländer Arie Maasland. Olé
Guapa gilt ebenfalls als Klassiker. „Satumaa“ stammt aus der Feder des
finnischen Komponisten Unto Mononen, und bereits beim vorigen Auftritt der
„Musen“ haben wir gelernt, dass die Finnen ganz besonders tangoverrückt seien.
Für den Refrain hatten die Musen einen deutschsprachigen Text im Publikum
verteilt („Jenseits von dem fernen Meer“). Auf die eingängige Melodie sang die
Gemeinde inbrünstig mit – ein herrlicher Spaß.
Unser Featured Artist Attila Vural begann seinen
Auftritt mit einer Melodie, die er dem Gedenken an Steve Perry widmete:
„Fragile“ von Sting deutet schon im Titel die Zerbrechlichkeit unseres Lebens
an. Wunderbar einfühlsam und transparent interpretierte Attila das zarte Stück.
Deutlich flotter ging’s zu bei „Squeeze And Reel“, bei dem Attila Anleihen beim
Irischen Tanz „Reel“ nahm, um ihn in seinen eigenen Musikstil zu integrieren. Mit
„Inn On The Blues“ verarbeitete er sein Leben aus dem Koffer und in Hotels auf
seinen Touren in Sachen Musik. „Smoke On The Water“ von Deep Purple bildete
dann die Grundlage für ein Stück, bei dem Attila die Gitarre auch als
Perkussionsinstrument einsetzte – sehr rasant und virtuos. „Whisper Of Hope“
lautet der Titel eines eigenen Liedes, in dem Attila auch als Sänger in
Erscheinung tritt. Zudem benutzte er seine Spezial-Gitarre mit zwei Hälsen und
einer besonderen Bespannung des Haupthalses mit sieben Saiten (die D-Saite gibt
es doppelt und sorgt dadurch für mehr Klangvolumen). Der kleinere Nebenhals
seiner Sonderanfertigung ist wie eine Ukulele bespannt. Jede der grundsätzlich
vier Saiten gibt es bei Attilas Gitarre doppelt. Zudem fehlen auf dem Hals die
Bünde. Das verschafft dem Künstler zahlreiche Möglichkeiten für interessante
musikalische Effekte. Im Übrigen ist auch der Haupthals der Gitarre nur bis zur
Hälfte nach unten mit Bünden versehen. Mit dem letzten Stück seines ersten Sets
interpretierte er wunderbar zart und einfühlsam das Lied „Don’t Know Why“ von
Norah Johnes – sehr edel!
Nach der Pause übernahm Rainer Goetzendorf die Bühne
und stellte seine Eigenkomposition vor, die passgenau das Thema des Abends
reflektierte: „The Handy“ erzählt uns etwas über die Übermacht des kleinen
Permanentbegleiters. Schlussfolgerung: Früher war es schöner ohne Handy!
Und auch mit Gilbert O’Sullivans sentimentalem Werk „Dansette
Dreams And 45‘s“ entführte er uns in eine frühere Welt, in der die kleinen
tragbaren Plattenspieler (Dansettes) ein Objekt der Begierde waren. Man spielte
auf ihnen vorzugsweise die kleinen Schallplatten mit 45 Umdrehungen pro Minute
ab. Das waren Zeiten! Aber der Liedtext verherrlicht die Vergangenheit nicht,
allerdings bleibt die Erinnerung an die damaligen Ereignisse stark.
Weg vom Handy, ab ins Frankenland! Jetzt kommt Kai
Hofstetter. Kai erzählt mit originellen Liedern im fränkischen Tonfall
ernsthafte Geschichten. „So e Zuch is hier nie gfahrn“ beschreibt, wie Kinder
im Zweiten Weltkrieg einen seltsamen Eisenbahnzug mit Menschen in Viehwaggons
auf den Gleisen nahe der Stadt beobachten. Die Erwachsenen leugnen die Existenz
des Zuges, und auch nach dem Ende des Krieges will niemand von solchen
Transporten etwas bemerkt oder gewusst haben – bedrückend. Auch „Der
Bratkartoffelwind“ beschreibt die Welt der Kinder, die diesmal am Essensgeruch
spürten, wann es Zeit war, nach Hause zu laufen. Aber für die Menschen, die
erzwungenermaßen in die Ferne gingen, hat der Bratkartoffelwind keine Chance
mehr. Die Widrigkeiten eines Lebens ohne Geld drückte Kai dann mit teilweise
drastischem Text in seinem Lied „(Ihr könnt mich) alle mal …“ aus. Viel Applaus
für Kai und seine einfallsreichen Lieder.
Zum Abschluss des Abends verwöhnte uns noch einmal Attila
Vural mit seinen variantenreichen eigenen Stücken und Interpretationen von
Stücken anderer Musiker. „In The Moonlight Of Ayla“ stammt aus eigener Feder und
bietet eine Kombination aus gekonnter Fingerstyle-Melodie und
Perkussionselementen. Santanas „Samba Pa Ti“ in Attilas Interpretation mit
Flageolet-Intro ist ein Genuss für die Ohren. Zur Abwechslung erneut mit Gesang
präsentierte Attila das Stück „Dollar Got The Blues“ von Clarence „Gatemouth“
Brown. Seine Fähigkeit, die Stimme auf die Rauigkeit des Gesangs von Brown
einzustellen war beeindruckend. Instrumental erinnerte er danach an seine
Erlebnisse als Architekt, die er mit einem unschlüssigen Bauherrn hatte. Der
Bauherr kann sich nicht für eine Farbe entscheiden, und es stellt sich heraus,
dass er farbenblind ist. „Change A Painting“ lautet der Titel. Ein schönes
Arrangement wählte er dann für Bobby Hebbs Klassiker „Sunny – One So True“. „A
Little Share Of Sound“ lautet der Titel eines Stückes aus Attilas Feder, bei
dem er erneut die doppelhalsige Spezialgitarre einsetzte und ihr auch ganz
spezielle Toneffekte entlockte. Bei Attilas „Time Of Gasoline“ fühlte ich mich
an einigen Stellen etwas an „Tommy“ von The Who erinnert, aber welcher
Komponist hat nicht dann und wann eine Tonpassage anderer Meister bei seinen
Kompositionen im Ohr gehabt. Bei diesem Stück war auch die Optik von Attilas
Spiel ein Teil des Werks. Attila bediente die Bünde streckenweise mit den
Fingern von oben – etwas bizarr anzusehen.
Der frenetische Applaus nach dieser Vorstellung ließ nichts
anderes zu als eine Zugabe. Die gab es dann auch. Simon and Garfunkels „Sound Of
Silence“ animierte einige Zuhörer zum Mitsingen. „Wealth Without Money“ stammt
aus Attilas eigener Feder, und ist ein Stück mit Singstimme zu den kunstvollen
Gitarrenpassagen. Den Abschluss der Vorstellung bildete das Lied „Fly Me To The
Moon“ von Bart Howard, das in der Interpretation von Frank Sinatra unsterblich
wurde. Aber auch ohne Gesang war es in der Gitarrenversion von Attila nicht
minder berückend anzuhören.
Nach dem langanhaltenden Applaus ging der Abend dann mit dem
obligatorischen Rausschmeißer „Jock Stewart“ zu Ende, der wie immer von allen gesungen
wurde.
Auf Wiedersehen am 6. Dezember traditionell mit Simon
Kempston, unserem besonderen Gast aus Edinburgh.
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