Samstag, 11. Oktober 2025

Marios Bericht vom Folk Club Nr. 161 am 3. Oktober 2025

 Goldener Herbst – Indian Summer - Waldzither

Ja, das Thema des Folk Clubs im Oktober lautete „goldener Herbst“, und da ein goldener Herbst dadurch gekennzeichnet ist, dass die grüne Blättervielfalt des Sommers sich in tausende Farbtöne aus grün, gelb und rot verändert, erinnert das Thema natürlich an den Indian Summer, welcher wiederum eine trockene Periode des Spätherbstes im Norden der USA bezeichnet. Und der Indian Summer war schon immer Anlass zum Komponieren und Singen schöner Lieder, die oft von Heimat (Nah-), Fern- und Sehnsucht handeln. Und so sind wir den auch schon beim zweiten Thema des Abends – nämlich der Waldzither. Ein Instrument, welches gleichzeitig sehr heimatverbunden ist (Entstehungsregion und häufiger Einsatz ist Thüringen bzw. das gesamte Vogtland) wie auch gleichzeitig reiselustig daherkommt (deutschlandweit bekannt wurde sie ja erst durch den Herrn Böhm, der das Instrument mit einer neuen Mechanik zur Saitenstimmung als Hamburger Waldzither populär machte. Dort wurde sie dann auch als Begleitinstrument zu lustig geträllerten Liedern ganzer Wandergruppen genutzt.

Nun ist dieses zweite Thema durch den zurzeit oft nicht goldenen, sondern eher feuchten Herbst ein wenig kurz gekommen, denn drei der geplanten Floor Spots mit Waldzither fielen wegen Krankheit aus – aaaber – wett gemacht hat das der Featured Artist des Abends, der nicht nur aus Thüringen angereist war, sondern auch gleich zwei Waldzithern als Begleiterinnen im Gepäck hatte.

Dazu jedoch später mehr, denn wie gewohnt eröffnete unser Zeremonienmeister John Harrison den Abend mit der lauten Begrüßungsformel „Laaaaadiiieeeees and Gentlemen ……“, um dann mit eigenen Beiträgen die Moderation des Abends zu beginnen. John ist ein Blueser durch und durch, doch diesen Abend eröffnete er mit einem Folk-Protestsong von Leon Rosselson „The World Turned Upside Down“. Eigentlich bezieht sich diese Lied auf das von Cromwell verordnete Verbot, traditionelle Weihnachtslieder im England des 17. Jahrhunderts zu spielen. In der Version von Leon Rosselson ist es aber mit einem neuen Text versehen, welcher anprangert, dass das Land den Großgrundbesitzern gehörte und nicht von allen genutzt werden durfte. Danach kam John aber wieder zum Blues zurück und holte sich mit Christoph Thiebes mundharmonische Hilfe auf die Bühne. Mit einem eigenen Text zu einer von uns allen erlebten Pandemie dichtete er den Blues Corinna, Corinna schnell in „Corona, Corona“ um. Sehr klassisch bluesig endete er mit „St. James Infirmary“ und bewies wieder einmal, dass er nicht nur ein hervorragender Musiker, sondern auch ein Poet ist.

Nun kamen Fomiander (Sonja Daniels, Karin Thomas, Mario Dompke) auf die Bühne, die dem zweiten Thema des Abend huldigten. Mit einer eigens für die Waldzither angepassten Version des norddeutschen Liedes „Dat du mien Leevsten büst“ erlaubten sie dem Publikum gerne mitzusingen, warnten aber davor, dass der Gesang wahrscheinlich immer wieder unterbrochen würde. So geschah es auch, denn die Version von Fomiander bindet jede Strophe des Liedes durch eine schnelle Tanzpassage ab und wechselt so regelmäßig aus dem ¾ Takt in einen 6/8 Takt. Danach erklang ein langsames und nachdenkliches Lied aus eigener Feder. „Von Osten nach Westen“ beschreibt die Gedanken über das Leben, welches mit jeden Tag im Osten neu beginnt und abends im Westen ausklingt. Den Schluss der Waldzitherpräsentation machte das Lied „Sailing To The Far Side Of The World“, welches noch einmal das schnelle Zusammenspiel von Querflöte und Waldzither herausforderte.

Habe ich weiter oben von John als Blueser durch und durch gesprochen, so kam nun mit Rick Fines der Blues höchstpersönlich auf die Bühne. Alle Lieder selbst geschrieben, beschreibt Rick Situationen aus seinem Leben, die – wie beim Blues üblich – schwierige oder nervige Lebensabschnitte beschreiben. Aber ich will hier mal nicht so sehr auf den Inhalt der Lieder „Never Let Go“, „Live Forever“ und „Six Doors Down“ eingehen, sondern mich mehr dem Spiel von Rick widmen. Auf einer Single Cone Dobro Gitarre zauberte Rick den Blues. Mit einer Technik, die den Clawhammerstil des Banjo nachempfand (was wegen der vorhandenen sechs anstelle von vier Saiten und der beim Banjo vorhandenen 5. hochgestimmten Saite recht schwierig zu spielen ist) oder dem Einsatz des Bottlenecks, mit einem den gesamte Dynamikbereich der Gitarre ausnutzenden Fingerpickings in höchster Perfektion, ließ er so manchen Mund im Publikum während seines Vortrages aus glücklichem Staunen offenstehen.

Da wie oben berichtet drei Floor Spots wegen Krankheit ausfielen, war nun schon Tim Liebert alias Doc Fritz an der Reihe. Eigentlich wollte er mit ein paar fetzigen Bluesstücken die Einsatzbandbreite der Waldzither demonstrieren, aber aus Ehrfurcht ob der Darbietung von Rick Fines besann er sich anders und eröffnete seinen Reigen mit einem Weltenbummlerlied, welches die Momente beschreibt, in denen an den noch so weit von zuhause entfernten Orten ein „Daheim“ Gefühl aufkommt. Ebenfalls aus seiner Feder war das folgende Lied „Oles Boot“, in dem ironisch beschrieben wird, dass Ole sich schon mal einen Sarg zimmert, damit er nicht irgendwann auf Mode von der Stange angewiesen sei. Da dieser Sarg ausreichend groß ausgefallen war, lud er seine Frau zum Probeliegen ein, allerdings gemeinsam mit etwas Proviant und ein paar Flaschen Schnaps, so dass aus der Anprobe ein Fest wurde – die Moral: Das Leben kann so schön sein, selbst wenn man über das Ende nachdenkt. Seiner Passion folgend stellte Tim im Folgenden den instrumentalen Tanz „Im böhmischen Wind“ vor, dem sich ohne Pause seine Interpretation des Volksliedes „Wenn alle Brünnlein fließen“ anschloss. Natürlich war dies eine Aufforderung an das sangesfreudige Publikum mitzusingen. Tim Liebert steht unter anderem für den Erhalt regionalen Kulturgutes, und dazu gehören nun auch unsere schönen Volkslieder – schade, dass so viele Menschen in diesen Liedern Ideologien sehen und deshalb eine große Zurückhaltung existiert, diese Lieder wieder zu singen. Glücklicherweise löst sich diese Zurückhaltung langsam und stückweise auf, auch angeregt durch eine neue auch junge Folkszene, die gerade aus solchen Liedern und Tänzen ihr Repertoire zusammenstellt. Ich mache an dieser Stelle mal einen großen Sprung nach vorne und berichte im Zusammenhang auch gleich über das zweite Set, welches Tim zum Schluss des Abends spielte. Dort setzte er genau da an, wo er in der ersten Hälfte aufgehört hatte und spielte den „Winkelmann Schottisch“ in Verbindung mit dem vogtländischen Lied „Winnerling“. Ich könnte hier noch stundenlang schwärmen mit welcher Perfektion und Eleganz Tim Liebert die Waldzither bedient und so mir und allen anderen Zuhörern zeigte, dass auch alte Lieder in neuen Gewändern zu neuen kulturellen Erlebnissen führen. Aber ich will den Bericht auch nicht mit meinen Emotionen überfrachten und erwähne deshalb nur ganz sachlich, dass als nächstes Lied „S’Wertshaus“ mit dem angeschlossen Tanz „wüster Ritt“ dran war. Und dann kam wieder ein eigenes Lied „Durch’s Delta der Gleise“ erzählt von einer Zugfahrt und gipfelt in den Instrumental „In voller Fahrt“. Mit dem Adventsschleifer „Jetzt, heut und hier“ (Schleifer ist ein Tanz) und einem der schönsten Lieder, um einen gelungenen Abend zu beenden – nämlich „Ade, nun zur guten Nacht“ - gab Tim zwei Zugaben, wobei das Publikum gerne auch noch mehr gehört hätte. Wenn bereits durch frühere Darbietungen unseres allseits beliebten und leider verstorbenen Steve Perry, sowie durch Leginstorp, Muckenpensel und Fomiander die Waldzither Einzug in die kulturelle Landschaft des Folk Clubs gehalten hat, so ist sie durch Tim Liebert nun dort für immer verewigt.

Aber springe ich zurück, denn eine weitere Folklegende wartete zu Beginn der zweiten Hälfte bereits auf seinen Einsatz. Dieser kam aber erst, nachdem unsere Zeremonienmeister John Harrison noch ein sehr schönes Herbstgedicht zum Besten gegeben hatte („Autumn Colours“) und Wolfgang Schriefer aus dem doch eher dem Genre Herzschmerz zuzuordnenden „Capri Fischer Lied“ mit einem eigenen Text zur prekären Situation der Überfischung der Meere, ein handfestes Protestlied gemacht hatte.

Dann aber war es so weit, und Tom Kannmacher, ein Liedermacher und Folkpoet der ersten Stunde, erläuterte ein weiteres in der Folkszene nicht alltägliches, Instrument: die Basslaute – eine Rundbauchlaute in Gitarrenstimmung mit sechs zusätzlichen Basssaiten, die nach Art der Harfe nur in ihrer eigenen Stimmung als Bassbegleitung angezupft werden. Tom ist nicht nur ein hervorragender Musiker, sondern auch ein Forscher deutschen Liedgutes. Heute allerdings ist er auch wieder als Texter zu einer alten Melodie unterwegs. Das „Lied von einem Bettelmann“ wurde so zum anklagenden Lied der „Ahrflut“ und beschreibt die Situation, in der nach wie vor viele Betroffene sich befinden. Häuser sind noch nicht wieder aufgebaut, Straßen und andere Infrastrukturen noch nicht repariert und die Schuld noch nicht aufgearbeitet – so wird das Lernen für die Zukunft, um solche Katastrophen zu vermeiden, nicht leicht. Nach diesem Lied kehrte Tom zu seinem Genre der sehr alten Lieder zurück und sang das „Winterquartier“, in dem beschrieben wird, wie sich Söldner in eben Winterquartieren benommen haben und somit auch in den Kriegspausen weiteres Leid über die Bevölkerung brachten. Den Abschluss machte Tom mit dem Stück „Nur für Fremde“ und zeigte damit, wie aktuell heute noch und immer wieder die Inhalte alter Lieder sind.

Tja, hörte es denn an diesem Abend gar nicht auf mit den Höhepunkten? Lange nicht mehr im Folk Club gesehen, kamen nun Meoneo (Claudia Huismann und Werner Krotz-Vogel) auf die Bühne. Mit jazzigem und swingendem Rhythmus und Sound begeisterten sie das Publikum. Mit ihrem eigenen Stücken „Become One“, „Blue Moon“ und „Stay“ stellten sie mehrere Lieder aus ihrer neuen CD vor. Und wer es noch nicht weiß – Werner spielte wie gewohnt eine super Gitarrenbegleitung, die mit ausgefeilten Akkorden und Läufen den Charakter der Lieder bestens unterstrichen. Claudia hat sich zu früher in meinen Ohren noch einmal wesentlich weiterentwickelt. Mit welcher Stimmdynamik sie es versteht, unterschiedliche Färbungen in den Gesang zu bringen, ist schon phantastisch. So schaffte sie es durch ihre Stimmmodulation in dem Song „Blue Moon“ ein witziges Zwiegespräch zwischen einer Mondliebhaberin und dem Mond selber zu „spielen“.

Nun kam noch Gerd Schinkel auf die Bühne, um eine wunderschöne Interpretation mit einem eigenen deutschen Text des Liedes „Summer’s End“ von John Prine darzubieten. Gerd hat es sich ja unter anderem zur Aufgabe gemacht, Liedgut aus fremdsprachigen Ländern mit deutschen Texten zu versehen, um Musik und Inhalt auch denen nahezubringen, die eben die fremde Sprache nicht verstehen.

Nach Gerd kam noch einmal Tim – aber darüber habe ich ja weiter oben berichtet. Bliebe vielleicht noch zu sagen, dass der Appetit, der durch Tims Auftritt erweckt wurde, durch seine verschiedenen Projekte mit anderen Musikern, die oft auf CD verewigt sind, gestillt werden kann.

Na ja und, dass unserem Patron Jock Stewart wie immer zum Abschluss gemeinsam gehuldigt wurde.

Und auch wie immer: Nach dem Folk Club ist vor dem Folk Club. Am 7. November 2025 mit Juhana Iivonen aus Finnland – deshalb Out of the bedroom, rein in den Folk Club

 

euer Mario

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen