Samstag, 28. Mai 2011

John Hurd’s Bericht vom
Folk Club 15 im Mai

Den Folk Club vom April habe ich leider verpasst, und wie gewöhnlich hat sich in der Zwischenzeit alles geändert. Die Tische wurden zu zwei langen Reihen umsortiert und die Wände wurden neu gestrichen.

Anmerkung: das mit den Wänden stimmt nicht, so kann man sich täuschen.)

Die rote Farbe vermittelt einem das seltsame Gefühl, dass die Wände anders gebaut wurden und jemand dabei den falschen Maßstab erwischt hat. Bevor ich jedoch die Anzahl Gänsefüßchen vom Eingang bis zur hinteren Wand abzählen konnte, hatte John schon in aller Ruhe alle mit seinem üblichen „Ladies and Gentlemen“ zur Aufmerksamkeit zusammengerufen (Wer innerhalb von drei Kilometern Entfernung vom Schützenhaus wohnt, hat das vermutlich am Klappern der Fensterrahmen bemerkt).

John Harrison hatte wieder seine Geschichtshausaufgaben gut gemacht und in Dave Webbers bezauberndem „Hail The First Of May“ ein passendes Gedicht für die Jahreszeit ausgegraben:

„We shall sing and dance the day
And follow the Hobby Horse
That brings the May”

Die Jahreszeit bringt aber auch für die Vögel eine Menge Arbeit mit sich, da sie nun Nester bauen und ihre Familien groß ziehen – das ruft uns John mit seiner traurigen Referenz an die Sterblichkeit der Vögel mit dem (selbst komponierten) Lied „Zeppelina“ ins Bewusstsein. Bevor wir noch unsere Gewehre rausholen konnten, um die diebischen Elstern abzuknallen, griff sich John seine „Dobro“-Gitarre (das ist die aus Metall mit dem satten Sound) und spielte mit Bottleneck-Technik die Eigenkomposition „Albert McShah“. Die Dobro und Bottleneck waren auch genau richtig für „Walking Blues“, den Klassiker von Son House.

Danny Kreschmars „Machine Gun Kelly“ war dagegen beleibe kein lustiges Mailied, denn es besingt einen der heftigsten Insassen von Alcatraz. Dennoch wurden keine Schüsse abgefeuert, und alle überlebten, um Barry Roshto zuzuhören, wie er mit seinem treuen Klavier die Aufregung wieder glättete. Allerdings sah es von vorn so aus, als zauberte er die Töne aus einer wollenen Decke hervor. Diese Methode zum Klavieraufwärmen erinnert ein wenig an die Verrücktheit von Joe Bonamassa, der für jedes Lied eine spezielle Gitarre benötigt („God is great, beer is good, musicians are crazy?“). Wie immer war Herr Roshto mal wieder für eine Überraschung gut, als er uns ein Lied, das von Heinrich VIII. komponiert worden war (Anmerkung: dem englischen König mit den sechs Frauen: geschieden, geköpft, gestorben – geschieden, geköpft, überlebt), in hoher Falsettstimme vorsang und das ohne jegliches Sicherheitsnetz – das soll mal einer übertreffen!

(Anmerkung: Ihr wisst ja, dass Heinrich VIII. beim Beheben von Problemen – nicht nur dynastischen – nicht zimperlich war. Aber aus seinem Grab heraus drohte dann doch nicht so schlimme Gefahr).

Alle warteten darauf, dass der hohe Ton abbrechen würde – aber zugegeben, es war brillant! Einen tollen Beitrag lieferte dazu seine Frau Christiane auf der Geige.

Thomas Steffens hatte mich beim letzten Treffen doch arg in Verlegenheit gebracht, da mich seine Stimme ganz stark an jemanden erinnerte – ich aber nicht wusste, an wen. Nun verbrachte ich fast den ganzen Abend damit, mir das Hirn auf der Suche nach der Lösung zu zermartern. Thomas’ Thema an diesem Abend war die Eisenbahn, und er eröffnete die Serie mit dem Lied „500 miles – The Railroader’s Lament“ (Viele kennen die Melodie auch aus Hannes Waders Lied „Heute hier morgen dort“). Das zweite Lied war die etwas ältere Ballade „900 Miles“, somit hatte es mich schon insgesamt 1400 Meilen hinweggerissen, als mir endlich die Lösung einfiel: Ewan MacColl. Thomas sang zwar nichts von MacColl, sondern wählte stattdessen eins meiner absoluten Lieblingslieder – Eric Bogles „And the Band Played Waltzing Matilda“

(Anmerkung: ein trauriges Lied zur Erinnerung an die 30.000 gefallenen und verwundeten australischen Soldaten in der furchtbaren Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg) – ein Lied das garantiert für einen Kloß im Hals sorgt. Wenn irgendein Lied Kriege stoppen könnte, dann dies. Leider schafft es keins – und sei es auch noch so mächtig. Ein wenig High Noon in der Gestalt von „Do Not Forsake me my Darling“ und die Rückkehr zum Eisenbahnthema mit „Freight Train“ gab den Ende des Auftritts wieder einen unterhaltsamen Anstrich. Vielleicht gibt es ja beim nächsten Mal etwas von Ewan MacColl? „My Old Man“ wäre fantastisch. Ich habe den Eindruck, dass Bogles „No Man’s Land“ von Thomas Steffens gesungen ebenfalls wunderbar klingen würde. Er ist jedenfalls jemand, dem ich immer wieder gerne zuhöre.

Dann kamen Neomeo dran. Das sind Claudia Huismann und Werner Krotz-Vogel, um genau zu sein. Ein Duo, das hier schon mehrmals aufgetreten ist und das Stammgästen die Gelegenheit gab zu verfolgen, wie sie sich von leicht aufgeregten Beiträgen in der Anfangszeit zu voll gereiften und selbstbewussten Darbietungen steigerten. Claudias überzeugende Bühnenpräsenz und ihre tragende Stimme wurde perfekt durch Werners delikate Gitarrenbegleitung im Flamencostil ergänzt – Man kann dabei so leicht von Claudias Stimme mitgerissen werden, dass man von der vorzüglichen Qualität der Gitarrenbegleitung völlig abgelenkt wird. „I’m calling you“ war großartig, aber der Höhepunkt war die Synkopierung mit Fingerklicks bei „Don’t Wait Too Long“. Jazz beim Folk Club? Darf das sein? Ja, sicher, es ist erlaubt!

Rheinfolk präsentierte uns eine Auswahl ihrer Mailieder in deutscher Sprache. Dabei gab es auch einige Überraschungen. Das Lied „Maypole“ (Maibaum) war danach ein logischer Titel für den Folk Club des heutigen Abends, aber seine Entstehung ist weniger bekannt. Das Lied wurde für den schrägen und abgefahrenen Thriller „The Wicker Man“ aus dem Jahre 1973 geschrieben und auch darin gesungen. Die wohlverdiente Zugabe ließ uns danach den Takt mit den Füßen klopfen und verpasste uns den wohligen Schauer der Anarchie, als die Gruppe Neil Youngs „Rocking in the Free World“ spielte.

Den wahren Geist des Folk Clubs erlebten wir danach bei einer Mitsing-Runde. Thomas Steffens setzte sich wie ein Dirigent auf die Bühne und dirigierte mit seiner Gitarre als Taktstock die restlichen Musiker, die sich das erstbeste Instrument schnappten und falls keins zu ergattern war, mit den Händen klatschten. Es gab Lächeln überall, aber keines war größer als das auf dem Gesicht des Herrn Harrison, der – ich bin mir ziemlich sicher – sagte: „Jetzt haben wir das, was einen richtigen Folk Club ausmacht“.

Das war der Schlusspunkt, bei dem er sicherlich mit schwerem Herzen den Vorhang vor der Musik des Abends mit dem mittlerweile schon traditionellen Rausschmeißer „Jock Stuart“ fallen ließ. Keine Angst ihr Lieben, der Folk Club wird nächsten Monat wieder da sein. Am selben Ort zur gleichen Zeit. Wir werden wieder tief in die Urgründe der Musik eintauchen, werden die Zuhörer erregt und neugierig nach Hause entlassen, wo sie dann mit zittrigen Fingern in Internet nach den soeben gehörten musikalischen Kleinodien suchen, um sie erneut auszukosten. Ja, und es wird Saxophone geben, aber keine Maibäume und Morrismen (Anmerkung: englische Volkstanztrachtler – ich hoffe, John bringt mich für diese Übersetzung nicht um), es sei denn sie tauchen beim Folk Club spontan auf und wollen spielen. Haben wir jemals einen Maibaum singen hören? Nein, aber ich habe mal eine Pferdebremse gesehen ...

Nachsatz:
Wie ich dies hier schreibe, ist es 10 Uhr am Abend, und ich kann die Hooters „500 Miles“ in einigen Kilometern Entfernung bei Rhein in Flammen unter freiem Himmel singen hören. Warum fühle ich mich denn eigentlich ein bisschen sauer, wenn wir beim Folk Club die akustischen Instrumente ohne Verstärker um 10 Uhr beiseite legen müssen?

Nachsatz vom Übersetzer:

Vielen Dank, lieber John (Hurd), für deinen wundervollen poetischen Bericht mit vielen interessanten Zusatzinformationen, der eine wahre Herausforderung für den Übersetzer war. Daher hat er sich an einigen Stellen auch einige dichterische Freiheiten herausgenommen – aber hoffentlich nicht zum Nachteil des Textes.

Detlef

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