Folk Club (Nr. 23) im Januar 2012 mal auf Französisch – vive la difference!
von Detlef Stachetzki
Welch ein Paukenschlag für den Folk Club im neuen Jahr – und eine würdige Vorstellung für den Abschied vom Schützenhaus, das dem Folk Club zwei Jahre lang eine Heimat für eine stürmische Entwicklung gegeben hat. Die französische Schauspielerin und Sängerin Brigitt’ Annessy mit ihrem Partner am Piano Hans-Peter Kempkes feierten einen fulminanten Auftritt mit bekannten Chansons und genossen ein dankbares, aufmerksames und begeistertes Publikum. Vielleicht hat der eine oder andere Lindenstraßen-Fan Brigitt’ wiedererkannt: Sie spielte dort einige Jahre lang die Dominique Mourrait. Von hier aus nochmals besonderen Dank an die Künstler, die speziell für den Folk Club aus Neuss und Solingen angereist waren.
Aber wie immer – alles der Reihe nach. Master Johns traditioneller Warm up begann mit dem a capella gesungenen witzigen Lied vom „Derby Ram“, dem angeblich ungeheuer großen Schafbock aus der mittelenglischen Stadt Derby (aus gesprochen „Darby“). Die Stadt ist immerhin Johns Heimat, und so muss er es ja wissen, ob alle Behauptungen des Liedes über den Bock stimmen. Dank der verteilten Liedzettel konnten alle die Beschwörungsformel „Indeed Sir, it’s true Sir, I never was taught to lie, and if you had been to Derby, Sir, you’d have seen it as well as I“ mitsingen – Baron Münchhausen wäre begeistert gewesen. Unsere englischen und amerikanischen Freunde werden sich fragen, wer das wohl sei – wenn Ihr beim nächsten Folk Club ein Bier ausgebt, werde ich euch in der Pause vom Lügenbaron und seinen unglaublichen Geschichten erzählen. Aber solche spannenden Erwartungen werden heute ja durch einen schnellen Klick bei Wikipedia zunichte gemacht.
Nach dieser lustigen Geschichte musste zwangsläufig etwas Nachdenkliches folgen, und folglich spielte uns John mit einer Eigenkomposition ein Lied über einen Freund, der mit 15 Jahren verstarb.
Auch die humorige Ankündigung des nächsten Liedes half nicht. Es ging weiter mit traurigen Begebenheiten mit einem Lied von Mississippi John Hurt (Hurt mit t, nicht zu verwechseln mit unserem englischen Hofberichterstatter John Hurd mit d; siehe auch seinen lesenswerten englischsprachigen Bericht über den Folk Club Abend) mit dem Titel „Stackolee“. Über die richtige Schreibweise des Namens sind sich selbst die Gelehrten nicht einig. Das Lied wird auch Stagger Lee, Stagolee, Stack O'Lee oder Stack a Lee geschrieben. Das Lied handelt davon, dass ein Mann seinen Freund nach einem nichtigen Anlass kurzerhand erschießt. John zufolge geht die Geschichte aber gut aus: Der Mörder wird gehängt – na ja, gut ist etwas anderes. Immerhin, in der historisch verbürgten Geschichte – nachzulesen in The St. Louis Globe Democrat 1895 – wurde der Bösewicht „nur“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und starb im Kittchen an Tuberkulose. Der amerikanische Bänkelsänger hatte die Geschichte leicht abgewandelt. Die drastischere Variante macht sich nun mal besser.
Als kleine Hommage an unsere Special Guests präsentierte Theo Meh als nächster floor spot das bekannte Lied „Plaisir d’Amour“ zuerst af Französisch und danach auf Englisch. Ebenfalls als kleine Überleitung an den kommenden Auftritt war das Lied „If the Sun Should Stumble from the Sky“ gedacht. Der frankophile Teil des Publikums konnte die Frage nach dem französischen Titel des Lieds natürlich sofort beantworten: „Hymne a l’Amour“, das von Edith Piaf bekannt gemacht wurde.
Zu guter Letzt erfreute uns Theo mit seiner schönen Baritonstimme mit dem Lied „The Story“ von Brandi Carlile“ Theo mag es offenbar gefühlvoll und das Publikum auch – großer Applaus:
Theo hatte sich aber die Folgen seiner gelungenen Piaf-Hommage nicht klargemacht, denn Brigitt’ Annessy, die mit ihrem Partner am Klavier Hans-Peter Kempkes nun an der Reihe war, schnappte sich Theo als Duopartner, um mit ihm die französische Originalversion des Liedes „Hymne a l’Amour“ zu singen. Mit anfänglich etwas Gummi in den Knien meisterte Theo die Aufgabe dann aber bravourös – Kompliment, wann hat man schon mal die Möglichkeit, an der Seite von echten Profis aufzutreten. Brigitt’ erzählte uns natürlich auch die traurige Geschichte des Liedes, das von Edith Piaf für ihren Geliebten, den Boxer Marcel Cerdan, geschrieben und gesungen wurde. Von ihr nach New York gebeten, kam er am 28. Oktober 1949 auf dem Weg zu ihr am Tage nach der Aufführung des Liedes bei einem seinerzeit vielbeachteten und spektakulären Flugzeugabsturz ums Leben, als sein Flugzeug beim Landeanflug zum Auftanken auf den Azoren durch einen Pilotenfehler den Kurs verfehlte und an einem Berg zerschellte.
Ja, damit waren wir schon mittendrin im bunten Strauß bekannter, aber immer wieder schöner und ergreifender französischer Lieder, die natürlich meistens von der Liebe handeln. Mit echtem französischem Charme führte uns Brigitt’ in die Geschichten der Lieder ein, die Sie danach mit ihrer berückenden Stimme vortrug – das Publikum war verzückt: „La Vie en Rose“ und „La Mer“ von Charles Fenet waren die nächsten Titel. Auch die italienische Sprache durfte mal ran mit „La Mamma“ von Charles Aznavour. Zum Schluss des ersten Teils gab es mit „Besame Mucho“ noch einen Beitrag auf Spanisch.
Barry Roshto sorgte nach der Pause für ein zusätzliches gefühlvolles Intermezzo: Er holte unsere noch-Wirtin Angie Bürfent zu sich und schmachtete ihr zum Abschied vom Schützenhaus und als Dank für die wunderbare Beherbergung und Bewirtung im abgelaufenen Jahr den Stones-Song „Angie“ vor. Dank mitgebrachter Liedzettel konnte das Publikum mitschmachten. Alle waren zu Tränen gerührt – herzergreifend.
Mit zunächst etwas Lampenfieber kam danach Richard Limbert mit 12saitiger Gitarre und Mundharmonika an die Reihe, der uns mit seinen selbstgeschriebenen Liedern „The Bad Seed“ und „Never Mine“ wunderbar unterhielt. Witzig sein Kommentar zu „Never Mind“: „Ein Lied von Dingen, die ich niemals haben werde“. Vielleicht finden wir ja einmal den Liedtext im Internet. „Cocaine“, ursprünglich von den Reverend Gary Davis und hier in Dave Van Ronks Version, bildete den bejubelten Abschluss seines Auftritts.
Zusammen mit kleinen Ankündigungen über Veranstaltungen im FiF (Folk im Feuerschlösschen in Bad Honnef) präsentierte uns Jutta Mensing erneut ein kleines Schmankerl aus ihrer Plattdeutschen Sammlung. „Dat du min Lövsten büst“ kannten viele und konnten das schöne Lied gleich mitsingen.
Zum krönenden Abschluss des Abends glänzten nochmals Hans-Peter und Brigitt’ mit weiteren Liedern, darunter auch dem kongenial gesungenen „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ von Hildegard Knef. Mit „Gare de Lyon“ erinnerte sie an die unvergessene „Barbara“ (Drouot). Bei „C’est Si Bon“ konnte zudem Hans-Peter sein ganzes Können am (leider etwas verstimmten) Piano ausspielen. Mit „Comme d’Habitude“ zeigte Brigitt’ dem Publikum, das auch dieses vor allem durch Frank Sinatra weltbekannt gewordene Lied („My Way“) französischen Ursprung hat. Noch einmal wurde mit „Je Ne Regrette Rien“ Edit Piaf geehrt, die dieses Lied unsterblich gemacht hatte, und schließlich und endlich kam auch Altmeister Jacques Brel mit seinem Lied „Ne Me Quitte Pas“ an die Reihe. Auch dieses Lied erlangte internationale Berühmtheit erst, als es einen englischen Text erhielt. So viel zur (fast) alles einebnenden Macht des englischsprachigen Kulturbetriebs. Immerhin, über die Interpretation von Dusty Springfield kann man beim besten Willen nicht meckern.
Ja, nicht nur das gallische Dorf Kleinbonum hatte sich seinerzeit erfolgreich den mächtigen Römern widersetzt, nein, auch in Graurheindorf gibt es ein Völkchen der Aufrechten, die auf kulturelle Vielfalt setzen.
Tosender Applaus für Brigitt’ und Hans-Peter für einen wahrlich würdigen Auftritt zum Abschied vom Schützenhaus.
Damit auch alles seine gute Ordnung hatte, sangen die Akteure des Abends zusammen mit dem Publikum noch den schon traditionellen Rausschmeißer „Jock Stewart“.
Auf Wiedersehen im Hotel und Restaurant „Zum Müllestumpe“ am 2. März 2012.
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