Neujahr
beim Folk Club
„Es war der Folk Club nach Weihnachten, und im
ganzen Haus machte niemand Musik, nicht einmal eine Maus“.
Es muss lange in John Harrisons Kopf herum gegangen sein, als er am Abend vor dem
ersten Folk Club des Jahres 2014 im Bett lag und versuchte Schlaf zu finden. So
viele Änderungen und Absagen hatte es gegeben, dass John sogar befürchtete,
auch Jock Stewart könnte noch zuhause bleiben. Am Abend des Folk Club um 22:00
Uhr jedoch war John wieder wie üblich damit beschäftigt, sich Gedanken darüber
zu machen, wie er die Musiker möglichst höflich dazu bringen könnte, ihre
Auftritte doch ein wenig abzukürzen.
Voller Neujahrsfreude (oder doch eher voll des
guten Bieres?) war ich doch ganz optimistisch, dass der Folk Abend erheblich
mehr werden würde als ein „Sich durchmogeln“ trotz der Abwesenheit von Steve,
Barry und Detlef, trotz der Auftrittsankündigungen, die gestrichen worden
waren. Ich hatte John schon damit gedroht, dass, sollte er den Abend nicht mit
Musik gefüllt bekommen, ich selbst in den Ring steigen würde. John nahm mich
leider beim Wort und so bekam ich einen Auftritt vor der Pause. Vorgeblich
wollte er mir damit ersparen, eine lange Zeit nervös rumzusitzen, aber in
Wahrheit hatte er sicherlich im Sinn, zu verhindern, dass ich mich nach der
Pause heimlich verdrücke.
Tatsächlich aber hat der Folk Club einen
exzellenten Musiker, der noch nie einen Auftritt als Special Guest hatte,
diesen Part aber locker ausfüllen kann – John Harrison höchstselbst.
Regelmäßige Besucher wissen, dass er einen wunderbar authentischen Blues
spielt, was er an diesem Abend mit Omar Dykes’ „Black Bottom“ unter Beweis
stellte. Sehr geschätzt sind seine Ausflüge in die Poesie. Diesmal war Rudyard
Kiplings Gedicht „If“ an der Reihe. Ein besonderes Vergnügen sind Johns eigene
Lieder, selbst wenn es ein Lied über eine wahre und tieftraurige Begebenheit
ist. „Flan“ handelt von einem Freund, dessen Tod durch Erhängen nie richtig
geklärt bzw. erklärt wurde. Mir bleibt die Hoffnung, dass eines schönen Tages,
und, um Johns Nervenkostüm zu schonen, nur einmal, John allein aufspielen würde
und uns damit eine unerwartete Freude machte.
Ich tauschte nun meine Nikon gegen Johns Guild
Gitarre und spielte „Let My Love“. von George Ross Watts: Es gibt eine
wunderbare CD (die sogar umsonst ist) des Glasgower Ross Watt und seiner Band
Big George & The Business, die mir immer wieder vor Augen führt, wie viel
großartige Musik es da draußen gibt, die oftmals nicht die Aufmerksamkeit bekommt,
die sie eigentlich verdiente. Nach Georges tragischem Tod im vorigen Jahr gab
es ein Gedächtniskonzert, zu dem unter anderem Ian Siegal kam – einer der
besten Bluesmusiker in Großbritannien. Siegal sagte einst über George, dass er
„außerordentlich einflussreich“ sei. Alan Nimmo von King King widmete ihm „Old
Love“ bei einem Auftritt nahe Bonn im vorigen Jahr. Moral von der Geschicht’:
Wenn du wissen willst, was man sich anhören sollte, konsultiere nicht die
Hitlisten oder „Voice of Germany“, sondern frage besser einen Musiker.
Stephan
Weidt hat eine sehr zurückhaltende und beruhigende Art, wenn er auftritt.
Dadurch schafft er es wunderbar, die Zuhörer dazu zu bringen, sich auf seine
filigran gespielten und gesungenen Lieder zu konzentrieren. Seine Musik eignet
sich perfekt für die Mischung mit einer Flötenbegleitung, die von Ulrike
Maria Hund geliefert wurde, und dies ganz besonders bei Stephans
Eigenkomposition „König in deinem Reich“ und bei dem von Mary Hopkin bekannt
gemachten Lied „Those were the Days“. Das Publikum ging gleich singend und
klatschend mit.
Immer Verlass ist auf Mario Dompke, der gleichermaßen gut spielen und unterhalten kann.
Mario hat einen riesigen Vorrat an exzellenten Eigenkompositionen. Einige sind
witzig, einige eher traurig, aber alle sind wunderbar anzuhören. Heute
tendierte er mehr zur traurigen Seite mit „Wenn die Seele Tränen trägt“ und
„Klagelied“. Immer aber ist ein Zwinkern im Augenwinkel, das dir sagt, dass das
Leben nicht nur weitergehe, sondern sogar Spaß machen könne.
Ein Glanzlicht des vorigen Folk Clubs war der
Floor Spot des Engländers Oli Budd,
der ruhige und melodiöse Lieder vortrug, die Appetit auf mehr machten. Diesmal
hatten wir die Gelegenheit, mehr zu hören, als Oli sich mit einigen weiteren
seiner Eigenkompositionen ohne Umschweife in die Herzen der Zuschauer spielte
und hoffentlich auch auf die Liste der Stammmusiker des Folk Clubs. Sein Stil
erinnert mich an einen meiner Favoriten, Jack Savoretti. Auch er hat die
Fähigkeit recht ruhig zu singen und zu spielen und doch das Publikum dazu zu
bringen, mucksmäuschenstill zu sein. „We Live On“ hatte einen zarten Refrain,
der aber fest im Gedächtnis blieb, wie bei allen guten Folk Songs. Das
Familienthema bemühte er mit „Just a Boy“, das davon handelte, fern von zu
Hause zu sein (oder auf der Flucht, wie er es im Lied bezeichnete). „Call Me“
war seiner Schwester gewidmet. Aber auch hier geht es darum, dass jemand fern
seiner Wurzeln ist: „I’m sorry for the distance“, heißt es da oder „Maybe I’ll come home“ an anderer Stelle. Oli ich hoffe, das trifft auf dich nicht zu, wir
würden dich gern überreden, noch eine Weile in Bonn zu bleiben und beim Folk
Club zu spielen.
Jutta
Mensing brachte dann John Harrison
gehörig ins Schwitzen, als er sie bei einem deutschen Volkslied begleiten
musste, das von einer Frau handelt, die nach dem perfekten Mann sucht und sich
dann doch nur mit dem örtlichen „Schinner“, dem Abdecker, verbindet. Der Zunft
der Abdecker, die verendete Tiere noch enthäuteten und dann teils verwerteten
(Seife, Leim) und den Rest durch Vergraben oder Verbrennen „entsorgten“,
haftete in früheren Jahren der Makel des Anrüchigen an. Johns Unwohlsein war
durchaus verständlich, da er das Lied an dieser Stelle das erste Mal gehört
hatte. Ein hübsches Lied, Jutta, und gut gemacht, John, der die alte Weisheit
für brenzlige Situationen beherzigte: „Ruhe bewahren!“
Auch wenn wir hauptsächlich Jock Stuart als
einen nicht alltäglichen Mann kennen, so hatten wir an diesem Abend
Gelegenheit, ein durchaus nicht alltägliches Instrument kennen zu lernen. Wann
habt Ihr zuletzt eine Drehleier (engl. Hurdy Gurdy) gesehen oder gehört? Bedeutet diese Bezeichnung
mehr für Euch als nur möglicherweise der Titel eines Liedes von Donovan („Hurdy
Gurdy Man“) aus einer längst vergangenen Zeit? (und auch damals wusstet Ihr mit
großer Wahrscheinlichkeit nicht, worüber er sang). Auch für mich als
regelmäßigem Konzertbesucher war es eine Premiere, als Alex Loch sich hinsetzte, um dieses doch recht merkwürdige
Instrument zu spielen. Später fand ich etwas mehr über das Innenleben einer Drehleier
heraus, aber man musste dabei gewesen sein, um sich das näher ansehen zu
können. Das Instrument sieht auf den ersten Blick aus wie ein Akkordeon, klingt
aber wie eine Kreuzung aus Violine und Dudelsack. In den richtigen Händen (und
dort war es an diesem Abend) kann es im positiven Sinne gespenstisch klingen.
Ich schloss meine Augen an einer Stelle, und es klang, als wenn ein Engelchor
in die Musik einstimmte – und stellte dann fest, dass ein Dutzend von Alex’
Freunden (Steppenwind) sich mit einer russischen Melodie in die Musik
eingeklinkt hatte („Ach ty step schirokaja“; Ах ты, степь широкая). Sie spielten Stücke aus einer musikalischen
Welt, die mir nicht vertraut ist. Später fand ich dann heraus, dass es die
Mazurka „Rose of Raby“ und die Bourrée „Last Chance“ aus der europäischen
Bal-Folk-Bewegung waren. Ich verstehe vielleicht nichts von der europäischen
Bal-Folk-Bewegung, aber ich erkenne gute Musik, wenn ich sie höre. Die
Qualitätslatte im Folk Club wurde damit jedenfalls schon ziemlich hoch gelegt –
und es ist erst Januar!
Der
letzte Gast des Abends war ein Mann, der schon fest als Special Guest für den
Folk Abend im kommenden März eingeplant ist, der aber schon einmal einige
Kostproben seines Könnens zeigte – Gerd Schinkel. Auf seiner Website stellt Gerd fest, dass
Musik ihm geistige Unabhängigkeit sichere.
Er ist definitiv ein Liedermacher der 70er Jahre Generation mit einem feinen
Gespür für die soziale Ungerechtigkeit und das politisch Kranke. Ich brauche
dazu lediglich zwei Gegenstände seiner Lieder zu zitieren: „Der Bischof von
Limburg“ und „Uli Hoeness“, um euch eine Vorstellung davon zu vermitteln, aus
welchem Fundus von Inspirationen Gerd seine Inspirationsanreize holt. Als ich
seine Website durchforstete, fand dich eine riesige Menge an Material, so dass
wir uns sicherlich auf einen abwechslungsreichen Abend im März freuen dürfen.
Was war nun
aus Johns Sorge darüber geworden, dass dem Folk Club eventuell schon vor 10 Uhr
die Puste ausgehen könnte? Der Folk Club war noch munter unterwegs, als die Uhr
10 schlug, und als ich dann um 11 Uhr ging, war eine bunte Gruppe von Musikern
noch fleißig damit beschäftigt, sich gegenseitig mit Flöten, Gitarren und
Drehleier zu unterhalten.
Dazu ein
kleines, absichtlich falsch wiedergegebenes Zitat von John Lennon: „MUSIK ist das, was geschieht, wenn du etwas Anderes geplant hast.“