Folk Club Nr. 52 – Harp ist nicht gleich Harp
Dass „Harp“ sowohl Mundharmonika
als auch Harfe bedeuten könnte, hatte sich Master John Harrison bei der
Formulierung des Themas des Abends vielleicht denken können, aber seine
Gedanken schweifen nun mal hauptsächlich um die mit dem Mund gespielte
Variante. Tatsächlich waren beide Instrumente im Folk Club im November 2014
vertreten, und das war dem Zufall geschuldet, der schon so oft dem Folk Club
die nötige Würze verliehen hat. Antje ten Hoevel und Uwe Jendricke tauchten
unangemeldet mit ihren Harfen als Walk-ins auf, mussten sich mit dem Auftritt
fast bis ans Ende eines sehr langen Abends gedulden und brannten dann ein
Feuerwerk der Musikalität ab, dass das Publikum schier aus dem Häuschen war.
Aber hübsch der Reihe nach, wie
Ihr es von eurem Chronisten gewohnt seid:
Der Abend begann mit dem
üblichen Begrüßungs-Schlachtruf unseres Cheforganisators John Harrison, der anschließend das Publikum mit dem San Francisco
Bay Blues in die Thematik des Abends einstimmte, denn es ging gleich mit den
Kazoos zur Sache und das Publikum hatte sich ohrenscheinlich reichlich mit den
kleinen Krachmachern eingedeckt.
Angesichts der zu erwartenden
großen Zahl von Auftritten überließ unser Master schon nach einem Stück die
Bühne unserem Multitalent Paolo Pacifico, der mit dem Mundharmonika-Solo
„Puerta de Azul“ begeisterte. Das getragene und gefühlvolle „Angel from
Montgomery“ sangen Paolo und Svenja Jesumann mit wunderbarer
Stimmführung zweistimmig. Svenjas engelsgleicher Sopran wird hoffentlich noch
häufiger zu hören sein.
Adam, der uns im Dezember
2012 bereits mit einem schönen Lied zu seiner sächsischen Konzertina begeistert
hatte, brachte diesmal neun weitere Musiker mit, die sich als Franziskus-Chor
aus Neunkirchen-Seelscheid vorstellten: „Ich sage ja“ lautete der Titel ihres
ersten Liedes, dessen Text von Wolfgang Borchert stammt. Einfühlsam begleitet
von ihrem Chorleiter Michael Knopp
ging es weiter mit dem schönen Lied „Die Sonne“ mit dem Text von Ingeborg
Bachmann (Nichts Schöneres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein). Einer
wunderbar vorgetragenen Variante des Liedes „The Rose“ von Amanda McBroom
folgte zum Schluss das Lied „Laughing and Walking and Singing“. Viel Applaus
für den Franziskus-Chor!
Als Walk-in kamen Uwe Gillert
mit seinem Sohn Max und ihrem Freund Lye Rida ins Rennen. „The
Ghost of Tom Joad“ von Bruce Springsteen ist schon eine Herausforderung, die
die drei mit Bravour meisterten. Gänsehautgefühl gab es dann bei „Heart of
Gold“, dem unsterblichen Klassiker von Neill Young.
2Sunny sind Tatjana Schwarz und Ralf Haupts, die dem
Folk Club inzwischen schon mehrfach die Ehre gegeben haben und die an diesem
Tage als „Featured Artists“ extra viel Zeit erhalten hatten, um ihr wirklich
mitreißendes Repertoire vorstellen zu können. Tatjana glänzt dabei mit ihrer
ungeheuer lasziven und erotisierenden Altstimme, die sie in bester Jazzmanier
einsetzte. Wenn sie nicht singt, dann spielt sie ihr Altsaxophon (Thema des
Abends) in nicht minder professioneller Weise. Ralf singt, spielt Mundharmonika
(nochmals Thema des Abends) und beherrscht die Gitarre meisterhaft. Mir
gefallen besonders die Lieder, in denen beide gemeinsam singen, ihre Stimmen
ergänzen sich aufs Harmonischste. „Summertime“, George Gershwins Klassiker, ist
wie für die beiden gemacht. Das gilt nicht minder für die Lieder, die einst
Zarah Leander sang. „Nur nicht aus Lieber weinen“ aus dem Film „Es war eine
rauschende Ballnacht“ ist Tatjana wie auf den Leib geschrieben. Bei Mr Saxobeat
konnte sich Tatjana am Saxophon austoben. Lye Rida von Uwe Gillert und Freunde
sprang begeistert hinzu und unterstützte die beiden auf seinem Cajon.
Nach der Pause eröffnete Jutta
Mensing mit einer Kostprobe aus ihrer unerschöpflichen Sammlung
plattdeutscher Lieder das Programm. Das anrührende Lied „Öwer de stillen
Straten“, dessen Text von Theodor Storm stammt, sang sie wie so oft a capella
mit einer Selbstverständlichkeit, die gleichermaßen sprachlos macht wie
begeistert.
Gerald und Jens
begannen ihr kleines Programm mit „The Siege“ des Schotten Nick Keir, der vor
gut einem Jahr an Krebs gestorben war. Die Geschichte beschreibt eine
Belagerung einer nicht näher genannten Stadt, bei der eines Tages ein Mädchen,
das über die Verteidigungswälle späht, bemerkt, dass die Angreifer abgezogen
sind. Eine Besonderheit war die in Moll transponierte Version des deutschen
Volksliedes „Kein schöner Land“. Gerald und Jens waren der Meinung, dass zu
viele deutsche Lieder in Dur gesetzt sind und dass die schönsten Lieder oftmals
in Moll erklingen. Ihr Experiment mit dem Volkslied war nicht uninteressant.
Ebenfalls in einer Molltonart erklang das eigenartige baskische Schlaflied
„Lua, Lua“, bei dem dem Kind vorgesungen wird, dass der Vater die Mutter auf
dem Markt verkaufe – Sitten sind das! Gerald setzte bei den Liedern auch sehr
schön seine Melodica ein, die ja eine Verwandte der Mundharmonika ist. Somit
gab es noch eine Variation des Themas „Harp“.
Als kleines Intermezzo sang Bob
Marabito mit Unterstützung von John Harrison (Mundharmonika) und Mario
Dompke (Gitarre) „Kansas City“. Das Publikum sang fleißig mit und auch die
zahlreichen Kazoos kamen zum Einsatz.
Jazzig ging es weiter mit Christian
Schuster (Gesang und Gitarre) und Heidrun Gremse (Tenorsaxophon).
„Georgia on My Mind“, den alten Jazzstandard, interpretierten die beiden mit
einer Selbstverständlichkeit die das Publikum mucksmäuschenstill werden ließ.
Christian sang das gefühlvolle Lied zur eigenen wunderbar transparent
gespielten Gitarrenbegleitung mit zarter Stimme und Heidrun steuerte die fast
gehauchten Saxophontöne bei, die für Kribbeln und Schauer im Rücken sorgten –
Ben Webster wird am Himmelspöötzche seine Freude gehabt haben. Den gleichen
Wohlfühleffekt erreichte Heidrun danach mit einem Instrumental begleitet von
Christians kunstvollen Gitarrenriffs. Weiter ging’s mit „My Funny Valentine“,
dem berühmten Lied des unvergessenen, genialen und tragischen Chet Baker, das
erneut für einen Saal sorgte, in dem man die sprichwörtliche Stecknadel fallen
hören konnte – hinreißend. zum Abschluss brillierten Heidrun und Christian mit
einer herrlichen Interpretation des Liedes „You Don’t Know What Love is“ von
George Benson.
Etwas Besonderes sind die Lieder
von John Harrisons Jugendfreund Jonathan Ole Wales Rogers, der bereits
mit 27 Jahren starb. John spielt und singt sie hin und wieder. Diesmal wurde er
von Tochter Jenny am Klavier und von Paolo Pacifico an der
Munharmonika begleitet. „It’s getting so Very Hard” und „Didn’t I Even Want to
Know You” lauteten die Titel der leicht melancholischen Lieder.
Ralf Gogo, der beim
letzten Folk Club die Last der vor ihm aufgetretenen Profisängerin Marili
Machado mit etwas Anlauf aber dann doch mit Bravour abgeschüttelt hatte, konnte
diesmal freier aufspielen und tat es auch. A capella zu singen ist schon eine
Herausforderung. Hannes Waders Lied „Kommt Freunde lasst es mich einmal sagen“
sang er wunderbar. Das Lied ist im Übrigen eine Adaption des Liedes „It’s Good
to See You“ von Alan Taylor. Bei „This Land is Your Land” von Woody Guthry
entwickelte sich der Saal dann zu einem mehrstimmigen Chor – Gänsehaut pur. Den
Abschluss bildete „It Never Rains in Southern California“ – die Flower Power
Zeit lässt grüßen.
Ein weiteres kleines Intermezzo
bescherte uns der Kölner Profi-Straßenmusiker Hermann-Josef Wolf alias
Fliege, der begleitet von seinem Hühner-Maskottchen ein paar witzige
Gesangseinlagen vortrug „Eat Bananas in the Middle of the Ocean“ lautete die
Aufforderung.
Lothar Prünte hatte
bereits im Oktober Folk Club auf sich aufmerksam gemacht und steuerte diesmal
zwei Lieder bei. Bei „Without Love“ von den Doobie Brothers ging die Post ab.
Allzweckwaffe Paolo Pacifico sprang Lothar mit seiner Mundharmonika zur
Seite und Ralf Haupts schnappte sich ein Cajon und machte den Sound
komplett. Mit Lothars phänomenaler Stimme und der Unterstützung von Paolo und
Ralf wurde danach „Give a Little Bit“ von Supertramp zum Knüller – dicker
Applaus für die drei.
Wie am Anfang des Berichts schon
angekündigt, durften nach etwas langer Wartezeit Antje ten Hoevel und Uwe
Jendricke ihre Harfen in Gang setzen. „Es fiel ein Reif in der
Frühlingsnacht“, das schöne, aber traurige Liebeslied, dessen Text vermutlich
von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio stammt, war wie geschaffen für die zarte
doppelte Harfenbegleitung und dem schönen Gesang der beiden. Aus Russland
stammt das nächste Lied, das nach Antjes Kommentar ein Geburtstagslied für alle
Menschen sei, die gerade Geburtstag haben (irgendjemand hat immer gerade
Geburtstag). Eine witzige Idee mit einem sehr schön anzuhörenden Ergebnis war
die Spieluhr-Nummer: Antje hatte eine Spieluhr für einen Lochstreifen
präpariert, der ein komplettes Lied abbildete. Zum Spieluhr-Lied gab es dann
eine wunderbare Harfenbegleitung – gespannte Stille im Saal und toller Applaus
für die schöne Vorführung. Das war eine gelungene Werbung für ein wunderbares
Instrument. Vielleicht bekommt der Folk Club ja demnächst noch einmal eine
Neuauflage des Auftritts der beiden.
Ein dickes Lob für die Geduld
von Tatjana und Ralf, die ihrem Duo-Namen „2Sunny“ alle
Ehre machten und mit sonnigem Gemüt und guter Laune den zweiten Teil ihres
Auftritts am Ende des Abends starteten. Bei „Just the Two of Us“ von Bill
Withers konnten beide ihr Können voll ausspielen. Beeindruckend war
insbesondere Tatjanas tolles Saxophon-Solo. Noch einmal griff Tatjana tief in
die Kiste „Sinnliche Altstimme“ und sang das Lied „Ich weiß nicht, zu wem ich
gehöre“ von Friedrich Hollaender in einer Manier, an der Marlene Dietrich
sicher ihre Freude gehabt hätte. Den Abschluss bildete Marius Müller-Westernhagens
tolles Rock-Stück „Mit 18 – Ich will zurück auf die Straße“. Riesenapplaus für
Ralf und Tatjana von einem dankbaren und glücklichen Publikum, das erneut ein
proppenvolles Programm mit vielen Glanzlichtern und Überraschungen erleben
durfte.
Aber natürlich war der Abend
noch nicht zu Ende ohne das gemeinsam gesungene Lied von Jock Stuart, und alle
Musiker, die noch im Saal waren versammelten sich noch einmal auf der Bühne zum
traditionellen Rauschmeißer.
Auf Wiedersehen im Dezember 2014 zu unserem Folk
Club Abend mit Simon Kempston aus Edinburgh, diesmal zusammen mit Adam Nash an
der Geige.
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