Folk Club
Nr. 57 – Simon Wahl verzaubert den Saal
Vielleicht
klingt der Reim der Überschrift wie ein angestaubter Reim-Werbespruch aus den
50er Jahren des vorigen Jahrhunderts (Wer erinnert sich noch an: „Wer kennt ihn
nicht, den Mann mit dem Licht?“), er beschreibt aber die Stimmung bei unserem
besonderen Gast des Abends ganz genau. Man konnte bei Simons Auftritt wieder
die vielzitierte Stecknadel fallen hören und die Verzauberung spüren. Und das
weist genau in die vom Folk Club Team beabsichtigte Richtung: Musik ohne
elektrische Verstärkung sorgt ganz von selbst für eine besondere
Aufmerksamkeits-Atmosphäre im Publikum, die selbst die erfahrensten Musiker
immer wieder in Erstaunen und sogar in Entzücken versetzt. Um dieses Erlebnis
bringen sich die meisten Musiker durch die bei jedem Konzert wie
selbstverständlich aufgestellten Verstärker selbst.
Aber wie
immer: der Reihenfolge nach. Am Anfang des Abends stand diesmal eine
Schweigeminute für die Opfer des kurz zuvor in den französischen Alpen
zerschellten Passagierflugzeugs. Den Besuchern des Folk Clubs war allerdings zu
diesem Zeitpunkt noch nicht der volle schreckliche Hintergrund des Unglücks
bekannt.
Das leicht
melancholische schottisch-irische Volkslied „Wild Mountain Thyme“ (wilder
Bergthymian), das John Harrison und Paolo Pacifico wunderbar
zusammen sangen und spielten, passte sehr gut zur Stimmung und darüber hinaus
zum Thema des Abends: „Landschaft“. Das Lied „Charlie, He’s My Darling“ mit dem
Text des schottischen Nationaldichters Robert Burns bringt eine Referenz an den
schottischen Volkshelden Prinz Charles, einem Stuart, der Mitte des 18.
Jahrhunderts ein Heer gegen die Engländer führte und nahe daran war, den
englischen Thron zu erobern.
Lieder über
Landschaften haben meist etwas Melancholisches, da sie vielfach ganz tiefe
Sehnsuchtsgefühle ausdrücken. Dies ist auch der Fall beim Lied „Ol’ Man River“
aus dem Musical „Show Boat“. Der alte Mann Mississippi steht als Symbol für den
Rassismus und die Unterdrückung der Schwarzen, von denen das Musical handelt. Bob
Marabito und Steve Perry hatten mit dem Lied eine gute Wahl
getroffen und trugen es zusammen mit Steves Mandolinenbegleitung sehr
gefühlvoll vor.
Mit Nick
Nuttall aus England betrat ein neues Gesicht den Folk Club. „Rosie“ von
Fairport Convention war sein Beitrag, den er sehr ansprechend interpretierte.
Fairport Convention ist eine in den 60er Jahren gegründete Folk-Rock Band, die
noch immer aktiv ist.
Uwe
Gillert war schon im November mit Sohn Max und Freund Lye Rida im Folk Club
zu Gast. Diesmal waren seine Begleiter Burkhard Bannach am Kontrabass
und Ralf Heinzelmann am Bandoneon. Die Drei nennen sich Blues Boys
und stellten Uwes Eigenkompositionen in deutscher Sprache vor: „So schnell
vorbei“ beschreibt das Thema der Vergänglichkeit der menschlichen Existenz.
Ungewollt hatte Uwe damit einen ganz intensiven Bezug zum aktuellen Geschehen
hergestellt. „Rote Rose“ war ein schönes Liebeslied mit der Einladung zum
Mitsingen des Refrains „Du bist für mich die Schönste auf der Welt“. Auch von
Schönheit, aber diesmal von der unbekannten handelte das letzte Lied über das
Leben einer blinden Frau: „Sie weiß nicht, dass sie schön ist“ – ergreifend.
„Sparkling
Lights“ nennen sich Karin Schüler (Gesang), Gerald Löhrer
(Gesang und Gitarre) und Thomas Neuhalfen (Kontrabass), die noch ein
Repertoire für das Thema des vorigen Folk Club Treffens im Gepäck hatten.
Natürlich durften sie ihre Lieder mit Bezug zu Zügen, Schiffen und anderen
Gefährten spielen. „Bus Stop“ von den Hollies war ihr Einstieg mit schönem zweistimmigen
Gesang von Karin und Gerald. Bei „Slow Boat to China“ durfte Thomas Neuhalfen seine Klasse am Bass in einem Solo demonstrieren – super. Zu den Themen beider
Abende passte das letzte Lied „Crawling Up a Hill“ von John Mayall, bei dem im
Text neben einem Berg ein Zug vorkommt. Eigentlich geht es in dem Lied aber um
eine Frau, die sich darüber beklagt, dass sich ihr Leben anfühlt wie ein Zug,
der mühsam einen Berg hinaufschnauft - großer Applaus für die drei.
Chris
Biederwolf aus Celle beglückte uns mit einem witzigen Lied über das
unbekannte Deutschland. „Halt mal an“ besingt die Schönheiten des Landes
Sachsen-Anhalt. Er hat uns nicht verraten, ob die Produktion des Liedes von der
Magdeburger Staatskanzlei gesponsert wurde – das war mal ein originelles Lied!
Nicht minder witzig und originell war das Lied über das Leben einer Stewardess
„So weit weg“, bei dem das Publikum einen kleinen musikalischen
Erdkundeunterricht bekam. Mit der Mandoline begleitete er sich dann beim Lied
über das „Das Mädchen vom Ammerland“. Vielleicht ist Chris ja Erdkundelehrer,
der seinen Schüler mit einprägsamen Liedern die bekannten und weniger bekannten
Gegenden der Welt nahe bringen will. Bei uns hat er es jedenfalls geschafft.
Wie am Anfang
schon verkündet durfte nun endlich Simon Wahl auf die Bühne , der Bonner
Junge, der in Österreich lebt und spielt – hatten wir das nicht schon mal vor
rund 200 Jahren? Damals bei Ludwig war es aber Wien und nicht das
beschaulichere Linz von Simon. Wie dem auch sei, Johns bombastische Ankündigung
des besonderen Gastes („einer der besten Gitarristen von Deutschland“) ließ auf
Großes hoffen und niemand wurde enttäuscht. „Fernweh“ hieß der Titel von Simons
Einstieg in sein Programm. Simon kombiniert höchst virtuos Percussion-Elemente
die er mit seinen Händen auf dem Gitarrenkorpus hervorzaubert mit zum Teil
gleichzeitig gespielter nicht minder virtuoser Saitenbearbeitung und kombiniert
beides zu einem komplexen musikalischen Gebilde – grandios. Sein Können
demonstrierte er hernach mit der Vorstellung seiner „Band“ bei der er
nacheinander Bassist, Schlagzeuger, Gitarrist und Sänger alles in einer Person
auf seiner Gitarre in „Blue Moon“ einsteigen lässt – beeindruckend und
berückend schön. Simons Interpretation von Django Reinhardts „Minor Swing“
hätte der Altmeister nicht besser spielen können – in höchstem Maße virtuos,
präzise und transparent spielte Simon die rasanten Läufe und Verzierungen. Mit
„Sangria“, einer Eigenkomposition von Simon ging es in die Pause, nach der Jutta
Mensing das Publikum zum Kanon „Es tönen die Lieder, der Frühling kommt
wieder“ passend zur Jahreszeit animierte.
Aus Paolo
Pacificos Heimat, dem italienischen Veneto, stammt das gefühlvolle Lied „La
Montanara“, das Paolo zusammen mit Steve Perry in italienischer Sprache
vortrug. Ganz besonders schön fand euer Chronist die einfühlsame Solopartie von
Paolo mit Steves Mandolinenbegleitung am Ende des Liedes.
Chris
Biederwolf, der zuvor schon mit seinen Erdkundeunterrichtsliedern geglänzt
hatte, durfte nun noch mal als Teil der „Kanuten“ ran. Die Kanuten sind
neben Chris unsere treuen Gefolgsleute Gerd Schinkel, GW Spiller
und Wolfgang Kassel. Die Kanuten hatten diesmal auch einen Ruderer in ihren Reihen, der laut
Gerd Schinkel immer rückwärts fahren will. Aber das wollen wir hier nicht
vertiefen. Gerd verriet auch nicht, wer der Ruderer ist.
Musikalisch
gab es von Gerd mit deutschen Texten versehene bekannte Lieder. Aus „Across the
Borderline“ von John Hiatt und Ry Cooder wurde „Jenseits der Grenze“. Das Lied
besingt das alte Thema vom Gras jenseits des Zauns, das viel verlockender
erscheint. Die vier gaben dem eindringlichen Lied mit Gerds wunderbar klarer
und intonationssicherer Stimme und der Kombination aus zwei Gitarren, Bass,
Mandoline und Mundharmonika eine besondere Note, die zu Herzen ging. „Die
Route“ basiert auf dem Lied von Graeme Allwright „La Ligne Holworth“. Es
handelt eingangs von einem Schiffskapitän, der sein Geld mit
Gefangenentransporten nach Australien verdiente. Gerd wandelt den Text des
Liedes im zweiten Teil in eine Anklage gegen die Festung Europa um. Über die
Nöte und Beklemmungen von Musikern auf Tournee mit eher mäßigem Erfolg handelt
das Lied „Tournee“. Das Original „The Road“ stammt von Danny O’Keefe. Das
traurige Lied haben die drei wunderbar schwebend mit leicht melancholischem
Unterton instrumentiert. Gerds deutscher Text gibt die Stimmung sehr
eindringlich wieder – toller Applaus für die Vier!
La Eostig
(Die Nachtigall) nennt sich das Trio bestehend aus Ute (Gesang und
Flöten), Genia (Akkordeon, Gitarre) und Nicola (Gitarre und
Gesang). „Eostig“ kommt aus dem Bretonischen, und an bretonischen
Klangvorbildern orientiert sich ihre Musik.
Den Anfang macht eine von Marianne Blau komponierte instrumentale
Mazurka im ruhigen Dreivierteltakt – zum Entspannen, wie Ute ankündigte. Ein
Lied mit Gesang war „Le beau rosier“ (Der schöne Rosenstrauch). „Le journal de
Midrao“, ein flottes Tanzlied, stammt sogar aus der Bretagne und handelt von
der bretonischen Natur. In der letzten Zeile gib es den Rat, nicht alles
aufzuessen, bevor der Winter kommt – sehr guter Ratschlag. Die Drei sind mit
ihrer keltischen Musik ein echter Edelstein im Folk Club Kaleidoskop – Chapeau!
Der Engländer
Chris Knighton arbeitet in Bonn als Klavierlehrer. „I’m Going on a
Journey“ ist der Titel seiner Eigenkomposition. Er sang das Lied, das von der
Reise des Lebens handelt, natürlich zur Klavierbegleitung.
Zum Schluss
des Abends verzauberte uns Simon Wahl erneut mit seinen Gitarrenstücken.
„Auf geht’s“ ist eine von Simons Eigenkompositionen, die wir an diesem Ort
schon einmal hören durften, die sich aber immer wieder überraschend, frisch und
neu zeigt. Aus Simons klassischem Repertoire ist das wunderbar zarte und
transparente Stück „Koyumbaba“ des italienischen Komponisten Carlo Dominiconi.
Das Publikum und insbesondere die Gitarristengemeinde saß andächtig und
mucksmäuschenstill da, und alle saugten Simons Virtuosität auf – grandios. John
hatte bei der Einleitung zu Simons Auftritt nicht zu viel versprochen. In
seiner Bachelor-Arbeit zum Abschluss seines Gitarrenstudiums im
österreichischen Linz hatte sich Simon mit verschiedenen Gitarren-Techniken
beschäftigt. Den Bum-Chick-Stil von Chet Atkins demonstrierte er am Beispiel
von „Windy and Warm“. Tommy Emmanuels Komposition „Luttrell“ ist eine Reverenz
an Atkins’ Geburtsstadt in Tennessee – wenn man ein Nest mit etwa 1.000
Einwohnern Stadt nennen darf. Tommy Emmanuels Kompositionen sind schon eine
Herausforderung für jeden Gitarristen, aber Simon spielte das Stück in erhöhtem
Tempo. Natürlich bekam das Publikum auch eine Zugabe. „A Language Called Music“
ist eine von Simons Eigenkompositionen mit zahlreichen Percussionselementen und
verwobener Melodieführung. Es blieb nicht bei der einen Zugabe. Eminems Rap
„Hip Hop“ interpretierte Simon unter anderem mit einer irren Mischung aus
Perkussionsgeräuschen, die mit der rechten Hand erzeugt wurden bei
Melodieführung mit der linken, der Greifhand – ein furioses Gitarrenfeuerwerk
zum Abschluss. Der Dank war ein Riesenapplaus zum Abschied.
Der Abend
ging natürlich nicht ohne den traditionellen Rausschmeißer „Jock Stewart“ zu
Ende.
Auf
Wiedersehen im Folk Club am 1. Mai mit den beiden Kanadiern Bill Perry, dem
Bruder unseres Cheforganisators Steve Perry und Don Alder, einem weiteren
begnadeten Fingerstyle Gitarristen.
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