Folk Club Nr. 64 am 4. Dezember 2015 – Scheiden und Trennung
Ja, Scheiden
und Trennung, das ist ein gutes Thema für einen Folk Club Abend, sind doch die
schmerzlichen Erfahrungen ohnehin die besten und ergiebigsten Initialzündungen
für Musikstücke. Lieder in Moll gehen nun einmal tiefer unter die Haut als die
in zackigen Durtonarten.
Um uns das
Scheiden aus dem alten Jahr zu versüßen, hatte sich ferner erneut Simon
Kempston aus Edinburgh angesagt – mittlerweile schon eine sehr schöne
Tradition.
John
Harrison startete den Abend mit einem Klassiker, den er a capella vortrug:
„Close the Coalhouse Door“ von Alex Glasgow besingt den heftigsten aller
Abschiede, den Tod. In dem Lied geht es um die Gefahren und die vielen
Blutopfer, die mit dem Bergbau verbunden sind. Das Lied erinnert unter anderem
an das Unglück von Aberfan in Wales im Jahre 1966, als eine Abraumhalde eines
Kohlebergwerks durch heftigen Regen ins Rutschen geriet und eine Grundschule
unter sich begrub. 116 Kinder und 28 Erwachsene fanden den Tod.
Hierzulande
wenig bekannt ist eine Begebenheit aus dem englischen Bürgerkrieg im Jahre
1649, die mit dem Lied „The World Turned Upside Down“ von Leon Rosselson. Dabei
ging es um die „Levellers and Diggers“, eine vordemokratische Bewegung in
England, die Land besetzten und in allgemeine Nutzung nahmen. Oliver Cromwell
machte dieser anarchistischen Bewegung 1649 den Garaus.
Noch einmal
um Abschied geht es bei dem Lied „Goodnight Irene“ von Huddy William Ledbetter,
besser bekannt als „Leadbelly“. Das Lied wurde von zahllosen Berühmtheiten
gesungen und gespielt. John befindet sich in sehr guter Gesellschaft.
Etwas
Außergewöhnliches präsentierte uns Gert Müller (extra mit „t“
geschrieben, also nicht der Bomber der Nation und auch nicht unser
Bundesminister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Gert ist
schlicht e bönnsche Jung und Kollege von Steven Perry in der Crew, die die
tolle Rock’n’Rollator Show aufführt. Die Geburtsgeschichte des Herrn mal anders
vorgetragen, nämlich in witziger Reimform („dat schöne Marie un dä Zimmermann
Jupp“) un op Bönnsch Plaat, das begeisterte das Publikum. Bravo Gert, dat häste
super vüürjedrage!
Gerd
Schinkel und GW Spiller holten uns danach gleich wieder in die
Aktualität zurück (die irgendwie ja auch mit dem Gedicht von zuvor zu tun hat).
Das Thema ihres Liedes waren die schrecklichen Ereignisse von Paris. Das Lied
war Musik als Ausdruck machtloser Wut aber auch Musik, die trösten soll.
Emi
und Noah kommen aus dem Dunstkreis von Ursel Quint, die an der
Bonner Musikschule Klavier unterrichtet (und ganz nebenbei zusammen mit unserem
Gefolgsmann Barry Roshto abgefahrene Klangprojekte konzipiert und
aufführt). Zu Noahs Klavierbegleitung ließ Emi ihre tolle Singstimme hören und
präsentierte drei Lieder von Birdy (bzw. Lieder, die durch Birdys
Interpretation bekannt geworden sind): „Shelter“, „People, Help the People“ und
„Skinny Love“. Die Lieder von Birdy scheinen offenbar viel jüngere Sängerinnen
zu inspirieren, denn im Folk Club waren sie nicht zum ersten Mal zu hören. Emis
Interpretation sorgte aber für begeisterten Applaus. Vielleicht hat das Folk
Club Publikum ja einmal wieder das Vergnügen.
Ein alter
Bekannter im Folk Club ist Christian Schuster, der uns schon oft unter
anderem mit rumänischen Liedern begeistert hat. Seine Wahl für sein erstes Lied
an diesen Abend fiel aber auf das Lied „The Thrill is Gone“ von Altmeister B.B.
King. Mit gekonnter Gitarrenbegleitung sang Christian diesen Bluesklassiker
(mit zum Thema des Abends passendem Text). Christians Stimme ist zwar nicht
sehr laut, aber er singt und spielt wunderbar stimmig. Das Publikum dankt ihm
mit dafür mit aufmerksamer Stille – eine wunderbare Atmosphäre! Weitere Lieder
von Christian waren „Home“ von Michael Bublé und „Let her Go“ von Passenger
nicht minder passend zum Thema und ebenso herrlich vorgetragen.
Simon
Kempston aus Edinburgh hält dem Folk Club seit Jahren die Treue und stellt
alljährlich seine neuesten Kompositionen vor. An diesem Tage war gerade in
direkter Autofahrt durch die Nacht aus Sheffield in England angereist. Von den
Strapazen der Reise war ihm allerdings nichts anzumerken. Sein erstes Lied hieß
„Tell Me What True Love Is“ Simon hatte ganz gegen seine Gewohnheit hierfür die
normale Gitarrenstimmung gewählt. Aus seinem neuen Album „The Last Car“
präsentierte er das Lied „The Consequences of a Kiss“, dem er ein instrumental
gespieltes Gitarrenstück, einen „Jam“ vorangehen ließ. „Flotterstone Jam“ heißt
das Stück, nach dem Pub außerhalb von Edinburgh, in dem das Stück entstanden
ist.
Auf Simons Frage
nach der hässlichsten Stadt Deutschlands nannte das Publikum viele Orte,
Cottbus war allerdings nicht dabei. Vielleicht war von den Zuhörern noch nie
jemand in dieser Stadt gewesen. Offenbar hatte Simon hier die Kulmination
hässlicher deutscher Städte lokalisiert. Somit nannte er seine Heimatstadt
Dundee das Cottbus von Schottland. In Dundee war aber nicht der Krieg und
hässliche Nachkriegsarchitektur sondern ein chaotisch verlaufendes
Stadtentwicklungsprojekt ohne Kriegseinfluss schuld an einer nun verkorksten
Stadt. „A City Beautiful“ ist Simons satirisch, wehmütiger musikalischer
Beitrag zu dieser Entwicklung. Mit einer sphärisch schwebenden Melodie
begleitet Simon seine Ballade über den gescheiterten Stadtentwicklungsplan.
„Hot Lady in
My Bedroom, I Need a Whisky“ – welcher Mann wünschte sich das nicht – ist der
Titel eines zarten Instrumentalstückes, dessen Melodie Simon mit dem Ringfinger
spielt und mit der übrigen Hand kunstvoll begleitet – berückend! „Down From the
Dock“ besingt das Schicksal zweier Krimineller aus Edinburg, die wegen der
Feigheit des Einen letztendlich gefasst werden.
Ebenfalls
eine Geschichte über das Scheitern erzählt das Lied „She Saw it Coming“ über
einen berühmten französischen Rugbyspieler, der sich nicht mit dem Leben in
Berühmtheit einrichten konnte und letztendlich unter Alkoholeinfluss seine Frau
erschoss. „You And I Must Remember Them“, ebenfalls aus dem jüngsten Album,
erzählt über die Trauer der Hinterbliebenen der Opfer einer Explosion auf einer
Ölbohrinsel. Die Stimmung wird wunderbar durch die immer wiederkehrenden
Tonartwechsel wiedergegeben. Weitere Stücke waren „Underdog Soldier“ und
„Ladies Lookout“. Zum Schluss seines Auftritts wartete Simon noch mit zwei
wunderbar gespielten und gesungenen Coversongs auf: „I Can’t Turn Back the
Years“ von Phil Collins und „Caledonia“ von Dougie McLean – Riesenapplaus für
eine beeindruckende und bewegende Darbietung.
Simons
wortgewaltige Lyrik kombiniert mit genialen Kompositionen, virtuosem
Gitarrenspiel und grandioser Stimmbeherrschung machen ihn zu einem wirklich
großen Musiker dieser Tage. Wir können uns glücklich schätzen, ihn mittlerweile
zum Freundeskreis zu zählen.
Zwischen
Simons zwei Auftritten gab es aber noch Weiteres zu hören: Nach der Pause
heizten John Harrison, Mario Dompke, Steve Perry und Barry
Roshto der Gemeinde mit dem Klassiker „Good King Wenzeslas“ ein, bei dem
Steve grandios einen Dudelsack imitierte – herrlich.
Jutta
Mensing steuerte a capella ein stimmungsvolles Lied in Plattdeutscher Sprache aus
Ihrer norddeutschen Heimat bei. "Ik wullt wi weern noch klein, Jehann" besingt die Sehnsucht nach einer scheinbar heilen Welt der Kindheit.
Karin
Schüler und Thomas Neuhalfen interpretierten Katie Meluas trauriges
Lied „It’s Only Pain“ mit viel Bravour.
Als „Mikado“
präsentierten sich Thomas Bandholz, Steve Perry, Barbara Kloep
und GW Spiller und machten mit ihren Liedern dem Thema des Abends alle
Ehre: „One More Cup of Coffee“ von Bob Dylan – wie könnte die Situation des
Scheidens nach einer Nacht mit einer schönen Frau, die jedoch nicht liebt,
stimmungsvoller besungen werden. „Bye, Bye Love“ von den Everly Brothers hätte
an diesem Abend nicht fehlen dürfen, und zu Lou Reeds „Good Night Ladies“
passte GW Spillers Tuba mit ihrem sonoren Bassklang wunderbar.
Mit einigen
Liedern, die zum Thema des Abends und zur aktuellen Völkerwanderung passt,
gingen Mario Dompke und Uta Schäfer auf die Bühne. „Ein stolzes
Schiff“ ist der Titel eines Liedes, dessen Text Heinrich Schacht Mitte des 19.
Jahrhunderts im Blick auf die Auswanderer schrieb, die wegen wirtschaftlicher
Not oder auch politischen Drucks in die Neue Welt emigrierten. Die Melodie
stammt von Erich Schmeckenbecher, einem Mitglied der Gruppe Zupfgeigenhansel.
Mario hat das Lied auf die aktuelle Situation der Flüchtlingsströme umgetextet.
Nicht umgetextet, aber noch immer aktuell ist das bittere Lied mit den Worten
von Theodor Kramer aus dem Jahr 1938 „Andre, die das Land sosehr nicht
liebten“. Das Lied mit der Melodie von Zupfgeigenhansel beschreibt die
seelische Not dessen, der um der eigenen Sicherheit willen besser ins Ausland
ginge, es aber kaum fertig bringt, seine Wurzeln zu kappen. Der Auftritt der
beiden endete mit Marios Kampflied aus eigener Feder „Schließt euch alle
zusammen“, bei dem die Gemeinde fleißig mitsang.
Der Abend
durfte natürlich nicht zuende gehen ohne das gemeinsam gesungene „Jock
Stewart“.
Die letzte
Ausgabe des Folk Club Bonn im Jahr 2015 war wieder eine runde Sache mit vielen
Glanzlichtern und einer gehörigen Menge an Glückshormonen. Es macht Appetit auf
mehr im Neuen Jahr 2016. Auf Wiedersehen am 1. Januar!
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