Folk Club Nr. 70 am 3. Juni 2016 – Neuer Auftrittsort und neuer Schwung
Etwas
wehmütig wird vielen Freunden des Folk Club schon zumute gewesen sein. Nach
sechseinhalb Jahren in Graurheindorf und davon fast viereinhalb im Haus
Müllestumpe in Graurheindorf musste der Folk Club umziehen. Er hat vorläufig
ein neues Zuhause in der Sträters Sports Bar, dem Vereinslokal des Bonner
Tennis- und Hockey-Vereins gefunden. Erneut stellen sich die üblichen Fragen,
die wir bereits beim vorigen Umzug formuliert hatten: Wird sich das Publikum
auf den Weg ins fast zehn Kilometer entfernte Dottendorf machen? Wie ist die
Akustik? Wie ist die Versorgung mit Getränken und Essen? Um die Antwort kurz zu
machen: Alles war bestens. Bei der Akustik scheint der Folk Club sogar einen Glücksgriff
getan zu haben. Zum einen fehlen die beim Haus Müllestumpe so irritierenden
Geräusche von der Bar, da der Saal bei Sträters vollkommen abgeschlossen ist.
Zum anderen ist die akustische Beschaffenheit des Saales wie geschaffen für
Musik ohne Verstärker. Die treue Gemeinde hatte sich zudem auf die neue
Örtlichkeit eingelassen, und so waren rund 70 Personen im Saal (aus mindestens 8 verschiedenen Ländern und 5 Kontinenten) schon mal ein
guter Start. Immerhin kommen ja auch viele Besucher aus südlicheren Gefilden.
Für sie liegt Dottendorf nun einmal näher. Zu den Begünstigten gehört auch
unser Master John Harrison, der in Bad Godesberg wohnt – es sei ihm gegönnt!
Nun vom nicht
unwichtigen äußeren Rahmen zum Eigentlichen, der Musik. Wie bei allen der
bisherigen 69 Auflagen des Folk Clubs startete John Harrison auch diesmal den Abend mit seinen Warm up Beiträgen.
Passend zur Jahreszeit und zum thematischen Motto des Abends
(„Schlaflieder/Wiegenlieder“) spielte und sang er seine Version von George
Gershwins unsterblichem Lied „Summertime“ aus dem Musical Porgy and Bess. John
garnierte das wunderbar gesungene Lied mit einem tollen Gitarrensolo. John ließ
danach nicht die Gelegenheit aus, als erster auf dem von Gefolgsmann Gerhard Haug frisch gestimmten Klavier
zu spielen und sich beim Blues „St. James Infirmary“ zu begleiten. Auch dieses
Lied ist ein Wiegenlied aber eines der anderen Art. Es richtet sich an die im
Hospital verstorbene Frau. Dabei darf man sich aber nicht ein Krankenhaus wie
die Bonner Uniklinik oder das Johanniter Krankenhaus vor das geistige Auge rufen.
Die Zustände in der angesprochenen Krankenanstalt waren sicher ungleich
bedrückender. „Come On Into My Kitchen“ ist zwar kein Wiegenlied, hat aber als
reinrassiger Blues etwas Wiegendes. John begleitete sich hier zwischen den Gesangspassagen
ausschließlich mit der Mundharmonika – sehr apart! Als kleine Hommage an Bob
Dylan anlässlich seines 75. Geburtstages steuerte John dann Dylans Lied „Mr.
Tambourine Man“ bei, das vor allem in der Interpretation der Gruppe The Byrds
(ja, richtig mit „y“ anstatt mit „i“) bekannt geworden ist. Generationen haben
sich an der Interpretation des Textes abgearbeitet. Vielfach wird behauptet,
der Text sei eine Beschreibung eines LSD-Trips, und die Passage „Take me on a
trip upon your magic swirling ship ....“ deutet auf dergleichen hin. Am besten
man fragt den Meister selbst, was er sich bei dem Lied gedacht hat, noch ist es
möglich. Wesentlich rustikaler geht es zu beim Lied „On Ilkla Moor Baht’ At“,
einem vielfach umgedichteten und umgedeuteten Lied in der Mundart von Yorkshire,
das als Hymne dieser nordenglischen Gegend gilt. Die Version, die John Harrison und Steve Perry vortrugen ist ein witziges Lied, das letztlich das
ultimative Recycling jedes Lebewesens, in diesem Falle sogar des Menschen,
besingt. Die Moral lautet: Am Ende futtern wir mit Genuss die Enten, die sich
an den Würmern gelabt hatten, die den Wanderer in seinem Grabe aufgeknabbert
hatten, welcher durch seine Unvernunft, ohne Hut ins windige Moor zu gehen, zu
Tode gekommen war.
Nach solcher
Art deftigen Erkenntnisgewinns versorgte uns Janero del Rosario mit Liedern von der anderen Seite unseres
Erdballs, aus seiner Heimat, dem fernen Inselreich der Philippinen. Janero
erläuterte, dass dort die Wiegenlieder weniger dazu gedacht seien, die Kinder
in den Schlaf zu singen, als vielmehr sie zu unterhalten – Das ist ein Leben!
Die Kinder liegen dort, so Janero, auch eher in Hängematten und nicht in
Wiegen. „Ugoy ng Duyan“ könnte durchaus als Wiegenlied durchgehen. Das Lied ist
eine zarte Erinnerung an die Kindheit auf dem Arm der Mutter. Die drei weiteren
hübschen Lieder, die Janero a capella
vortrug, waren populäre Lieder, die auch bei Kindern beliebt sind, so z.B. das
Scherzlied „Leron, Leron Sinta“. Darin werden die Abenteuer eines Paares beim
Pflücken von Papayas und Tamarinde geschildert. „Manag Biday“ ist ein
unschuldiges Liebeslied und „Atin Cu Pung Singsing“ handelt von den Kummer
wegen eines verlorenen Rings, der von den Eltern geerbt wurde. Interessant an
den Liedern ist, dass die Melodien ganz und gar europäisch klingen.
Nach dieser
kleinen Einführung in das philippinische Volksliedgut präsentierten Steve Perry und seine frisch angetraute
Frau Regine Mertens zwei echte
Wiegenlieder: „All Through the Night“ gab es sogar neben der Englischen auch in
der walisischen Originalversion und das obendrein wunderbar zweistimmig
gesungen. Auf Walisisch lautet der Titel „Ar Hyd Y Nos“. Das Lied „All Night,
All Day Angels Watching Over Me“ war nach Regines Erinnerung das erste Lied,
das sie in englischer Sprache gehört hatte.
Eine kleine
Hommage an die Beatles, und zwar mit etwas weniger bekannten Liedern,
veranstalteten Karin Schüler und Gerald Löhrer unterstützt von Thomas Neuhalfen. „I, Me, Mine“ ist
eines der von George Harrison komponierten Lieder. „I Will“ ist eine
unglaublich zarte Liebeserklärung, die die drei berückend schön überbrachten.
„Till There Was You“, ist zwar durch die Beatles bekannt geworden, aber
komponiert wurde das hübsche Liebeslied von Robert Meredith Wilson für das
Musical „Music Man“. Die Version der Beatles ist aber alles andere als eine
bloße „Coverversion“.
Anke und Jörg
Bohnsack steuerten zwar kein Wiegenlied bei, aber eines, das mitten ins
Herz geht: „Min Jehann“ natürlich in plattdeutscher Sprache. Der Verfasser der
Zeilen, Klaus Groth, der große niederdeutsche Dichter, hatte sie im 19.
Jahrhundert für seinen verstorbenen Bruder geschrieben. Der Text ist voller
Trauer und Wehmut und dabei voller poetischer Schönheit. Dem von Ernst Licht
wunderbar einfach und doch kunstvoll vertonten Gedicht wurde unlängst sogar
eine ganz besondere Ehre zuteil: Es wurde anlässlich der Trauerfeier für
Altbundeskanzler Helmut Schmidt in der St. Michaeliskirche in Hamburg von
Jochen Wiegand in unnachahmlicher Weise gespielt und gesungen. Helmut Schmidt
hatte es sich ausdrücklich für seine Trauerfeier gewünscht. Das müsst ihr euch
auf Youtube anhören. Ganz gegen ihre Gewohnheit spielten Anke und Jörg diesmal
auch Lieder in englischer Sprache: „Norwegian Wood“ von den Beatles ist ein
böses Lied über einen enttäuschten Liebhaber, der die Möbel der Frau anzündet,
die ihm die kalte Schulter gezeigt hat: „So, I lit a fire, isn’t it good,
Norwegian wood?“ lautet die letzte Zeile. Dass Anke ihrem Jörg offenbar nicht
die kalte Schulter gezeigt hat, dokumentierten die beiden mit dem Lied „You Are
Always on My Mind“, einem Lied, das durch die Interpretation von Elvis Presley
berühmt wurde. Die Originalversion wurde von Brenda Lee gesungen. Jörg
behauptet, damit seit 40 Jahren jeden Abend Anke mit diesem Lied in den Schlaf
zu singen, also doch ein Wiegenlied – wunderbar!
Echte
Westernstimmung kam mit Ulf Below
alias Hardin auf, der in sich
komplettem Westernoutfit präsentierte – Willy Nelson wäre neidisch! Aber nicht
nur die Kleidung auch seine Musik war Country pur. „Call of the Wild“ von Chris
LeDoux ist ein Lied über das Leben in der Wildnis, und es kommt sogar ein Bezug
zu unserem Thema in der Zeile vor: „The north wind moans her lonesome lullaby“.
Ulf zeigte seine ganze Kunst auf seiner zwölfsaitigen Gitarre im lyrischen Lied
„The Weary Kind“ aus dem Film Crazy Heart. „Peaceful Waters“ ist ein Lied aus
Kanada und „Buffalo Grass“, ebenfalls von Chris LeDoux, ist nach Ulfs
Erläuterungen ein Lied über das echte harte Cowboyleben. Tolle Lieder und super
gesungen und gespielt von Hardin – eine echte Entdeckung für den Folk Club.
Dafür gab es großen Applaus.
Ein
Glanzlicht und ein heimlicher Favorit eures Hofberichterstatters sind die
Beiträge von Bernd Wallau mit seinen
„Nachtigallen“ Monica Baron-Kroker
und Sabine Hochstädter. Diesmal hatten sie nicht ganz einfache Kost zum Thema
des heutigen Tages mitgebracht. Schuberts bezauberndes Wiegenlied (Deutsch 498)
hatte Bernd für zwei Singstimmen umgewandelt, und Monica und Sabine gaben dem
Lied zu Bernds einfühlsamer Klavierbegleitung eine wunderbare Gestalt. Das Lied
„Abendglocken“ trugen die drei a capella vor. Bernd konnte dabei seine
herrliche Bassstimme zur Geltung bringen. Durchaus auch als Wiegenlied geeignet
ist das gefühlvolle Lied „Over the Rainbow“ aus dem Film „The Wizard of Oz“.
Auch für dieses Lied hatte Bernd eine wunderbare zweistimmige Version
geschrieben. Toller Applaus für Monica, Sabine und Bernd.
Schon lange
nicht mehr im Folk Club gehört wurden Ellen
Jeikner und Ralf Wackers, die
sich der irischen Musik verschrieben haben. Ellen und Ralf treten zusammen mit
zwei weiteren Musikern (Uwe Beyer und Marie-Luise Hartmann) auch in der Band
„Currach“ auf. Sie starteten ihr Set mit einem zweistimmigen irischen Lied, das
Ralf auf seiner Irish Bouzouki begleitete. In Gälischer Sprache ertönte danach
ein Lied über den Osteraufstand der Iren im Jahr 1916, also vor 100 Jahren. Den
Titel des Liedes konnte selbst Ralf nicht aussprechen. Dafür begleitete er
Ellen gekonnt auf seinem Akkordeon. Unterstützt von Ulf Below gab es zum Abschluss das Lied „Life Saver“ der finnischen
Band „Sunrise Avenue“ – super zusammen gespielt!
Der Knüller
des Abends aber waren Serena Finatti
und Andrea Varnier aus Norditalien.
Es ist schwer zu beschreiben: Die beiden kommen auf die Bühne, Serena setzt sich
ans Klavier, spielt ein paar Akkorde, Andrea beginnt seine Gitarrenbegleitung
und dann ertönt eine riesige Stimme einer äußerst kleinen Person, die das
Publikum verstummen lässt und sofort begeistert. Mit selbst geschriebenen
poetischen Liedern in italienischer Sprache mit ihrer musikgleichen
Sprachmelodik ziehen die beiden alle Zuhörer in ihren Bann. Serena singt und
agiert auf der Bühne mit einer ungeheuer fesselnden Gestik und Andrea bezaubert
mit seiner brillanten und transparenten Gitarrenbegleitung – einfach wunderbar!
„La ballerina azzurra“ (Die blaue Tänzerin), „Tutto e luce“ (Alles ist Licht)
lauten die ersten Titel. Auch ein Lied in der Sprache ihrer Heimatprovinz
Friaul, Furlanisch, steuern sie bei. „Fasin un cjant“ lautet der Titel des
Liebesliedes. „Non scendo“ (Ich gebe nicht auf) ist ein zartes Lied, das mit
dem Bild auf der Leine trocknender Wäsche arbeitet. Von einem großen Bazar im
mittelasiatischen Usbekistan handelt ein weiteres Lied. Auch eine kleine
Anleihe bei anderen Künstlern ist in Serenas Repertoire: „True Colors Shining“
von Phil Collins, das durch Cindy Lauper bekannt wurde. Ein weiteres Lied in
furlanischer Sprache handelt von politischer Courage. Übersetzt heißt der Titel
„Heiliges Geld“, man kann sich seinen Teil über den Inhalt denken. Andrea
steigt in das Lied mit einem furiosen Intro mit kunstvollen Flageolett-Figuren
ein – grandios! Natürlich geht es bei diesem Konzert nicht ohne Zugabe zuende.
„Una conchiglia“ (eine Seemuschel) lautet der Titel des zarten Liedes, das die Muschel
als ein Auge des Meeres (un occhio di mare) beschreibt.
Bombastischer
Applaus verabschiedet die beiden, denen es offenbar im Folk Club auch recht gut
gefallen hat. Auf Serenas Homepage ist über den Folk Club Abend u.a. zu lesen
(holt euer Urlaubsitalienisch aus der Schublade!): „Incredibile atmosfera:
attentissimi, calorosi, partecipi, cantiamo insieme, si lasciano dirigere, ci
sono dei momenti veramente magici dove la mia musica è chiaramente non più
ma... comincio a capire sempre meglio cosa desidero... il percorso è lungo, ci
vuole tempo per crescere e per farlo bene ancora di più.“ Das nenne ich ein
tolles Kompliment an den Folk Club, aber wir haben das Kompliment an die beiden
doppelt zurück zu geben. Die „wahrhaft magischen Momente“ haben ihren Ursprung
bei den fantastischen Künstlern.
Der erste
Abend im neuen Domizil ging natürlich nicht ohne unseren alten Rausschmeißer
„Jock Stewart“ zuende, den alle kräftig anstimmten.
Auf
Wiedersehen am 1. Juli 2016, diesmal mit Gerd Schinkel und seinen Kanuten
als besondere Gäste. Das Thema des Abends lautet: freche Lieder und
Küchenlieder.
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