Olle Kamellen
Bonn liegt im Rheinland – das
Rheinland ist bekannt für seinen Karneval – und wer kennt im Karneval nicht den
Ausruf „Kamelle“? Und da liegt natürlich der Schluss recht nahe, dass eine
„olle Kamelle“ etwas auf der Straße
liegen Gebliebenes ist (sei es nun Bonbon, oder Mensch, welcher anstelle von
Kamellen denn doch den kleinen Schnapsfläschchen zugesprochen hat). Aber weit
gefehlt. Olle Kamellen gibt es nämlich nicht nur im Rheinland, sondern überall
und, wer hätte das gedacht, bezeichnen sie eine Kamille (Heilpflanze), die
durch zu langes liegen ihre Heilkräfte ganz oder teilweise eingebüßt hat.
Nicht so in der Musik, dort sind olle
Kamellen oft gerade die, die durch langes Liegen (hoffentlich meist auf dem
Plattenteller), einen Bekanntheitsgrad erreicht haben, der es Jedem erlaubt
mitzusingen. Da aber jedes Land eigene olle Kamellen hat und ebenso jede Region
in den verschiedenen Ländern, sind olle Kamellen auch immer wieder Quellen, um
Neues kennenzulernen.
Die erste olle Kamelle im Folk Club 73
kannte aber jeder – trotzdem erschrecken sich immer wieder einige, wenn John
Harrison mit seinem dezenten Hinweis „Laaaaadiiiiiieeeeees and
Gentlemen....“ zum Einstellen der persönlichen Gespräche auffordert und auf den
sowohl künstlerischen wie auch gemeinschaftlichen Genuss des Zuhörens und
Mitsingens hinweist. Mit seinem ersten á capella gesungenen Lied „A Begging
He Can Go“ eröffnete er auch den musikalischen Reigen. Es beschreibt das
Leben eines Bettlers, welcher doch eher ein König ist, darf er doch selbst
entscheiden, wann er arbeitet (bettelt) oder wann er ruht. Die olle Kamelle
verbarg sich hier weniger im Lied (zumindest ich kannte es noch nicht), als in
der darin enthaltene Weisheit – sei mit
dem glücklich, was du hast und nicht mit dem unglücklich, was du haben
möchtest. Für das folgende „Wee Midnight Hour“ stieg – inzwischen schon
Gewohnheit – Paolo Pacifico mit auf die Bühne. Resonatorgitarre und
Harp, so soll Blues sein, und wenn dann auch noch mit dem Lied auf Johns wahre
Identität (der englischsprachige Nachtwächterführer der Stadt Bonn) hingewiesen
wird, bedeutet dies Kultur im Hier und Demnächst. Aber vom Thema natürlich
wieder eine olle Kamelle – enttäuschte Liebe, schwere Herzen und das alles zur
kalten, nassen Mitternacht. Auch beim dritten Stück blieben John und Paolo der
instrumentalen Bluesbesetzung treu und interpretierten „Creole Belle“ in
bravouröser Art. Mississippi John Hurt hätte, wie auch andere, die dieses Lied
gespielt haben, seine Freude daran gehabt.
Nach seinem Vortrag rollte John das
Klavier auf die Bühne und kündigte mit Carol Atwel, eine hervorragende
Pianistin mit einer tollen Stimme, an. Schade, dass immer wieder entweder das
Klavier zu laut, oder die Stimme zu leise war. Aber mit ein wenig Konzentration
konnte die Zuhörerschaft einen Genuss erleben
- mit gutem Klavierspiel und einer Stimme, die es intonationssicher
schaffte, auch großen Sprünge in der Melodieführung zu folgen. Mit einem „alten
Lied“ von Joni Mitchell begann ihr musikalischer Reigen. Mit dem Prince Lied „How
Come You Don't Call Me“ setzte sie ihren Vortrag fort und der ein oder andere
aus dem Publikum sang leise mit. Als Abschluss bediente sich Carol aus dem Film
Nashville. Der Oscar preisgekrönte Song „Due“ wurde von ihr sehr schön
interpretiert.
Nach Carol wurde die Gruppe Grateful
Gerbels angekündigt (großartige Beller?) – nur hatte John wahrscheinlich den
kurz vor dem Folk Club stattfindenden Mailverkehr nicht mit bekommen. Nick
Nutall und Friends haben sich nämlich kurzerhand zu „Passionate Penguins“
benannt. Einer der Penguins ist John
Hay, der mir wahrscheinlich beweisen wollte, dass ich in meinem letzten Bericht
nur die halbe Wahrheit gesagt habe, beschrieb ich ihn doch als Gitarristen und
er stellte sich diesmal als Cajon Spieler vor. Die Stücke der Passionate
Penguins forderten von Anfang an zum Mitsingen auf. Mit dem Richard Thompson
Lied „Missunderstood“ wurde der floor spot begonnen und Nick verstand
es, die Stimmung durch seinen kraftvollen und emotional vorgetragenen Gesang
anzuheizen. Mit zwei Fairport
Convention Stücken ging es weiter und so kam die Besetzung mit zwei
Gitarren, Stimmen und Schlagwerk als
Cajon und Tambourin bei dem Lied „Who Knows Where the Time Goes“ gut zur
Geltung. Richtiges Gemeinschaftsgefühl kam aber bei „Percy's Song“ auf -
durften doch alle mindestens bei den wiederkehrenden Zeilen „turn, turn, turn
again“ und „turn, turn to the rain and the wind“ ihrem musikalischen
Bewegungsdrang nachkommen und lauthals (und teilweise auch mehrstimmig)
mitsingen.
Als nächster Act kamen dann schon die
ersten featured artist des Abends auf die Bühne. Die „Bluegrass Guerillas“.
Heißt es zwar Nomen est Omen, bedurfte es bei diesem Namen den doch einer
kleinen Erklärung, die dann jedoch so logisch war, dass ich mich fragte, warum
ich nicht gleich darauf gekommen bin. Mit kurzen, spontanen Auftritten in der
Rheinaue, als Bandproben getrant, begeistern sie hin und wieder jeden der
vorbei kommt. Da diese Konzerte so kurz sind, dass sie auch die
Strassenmusikantengebühren zu umgehen verstehen, erscheinen sie wie eine
Guerilla Taktik und deshalb....... Mit dem Song „Friend of the Devil“
begann das blauschimmernde Gras zu blühen (Der Name Bluegrass entstand aus
einer der ersten Bluegrass Gruppen – Bil Monroe and the Blue Grass Boys – was
nichts anderes bedeutete, als dass Bill Monroe mit einigen Musikern aus dem
Blue-Grass State Kentucky zusammen gespielt hat (vor allem mit Earl Scruggs,
der den unverkennbaren, schnellen drei Finger Style des Bluegrass geprägt hat).
Und der fruchtbare Boden von Kentucky bringt nun einmal das mit blaugrünen
Blättern versehene Wiesen-Rispengras hervor). Noch immer allgemeiner nach
Country als speziell nach Bluegrass klang danach das Johnny Cash Stück „Further
up on the Road“, bevor es dann mit „Take Me on Your Life Boat“ so
richtig abging Nun blieb niemand mehr ruhig und neben dem unwiderstehlichem
Drang mitzusingen wippten auch fast alle Füße im treibenden Takt mit. Um es
vorweg zu nehmen – die Bluegrass Guerillas kamen in der zweiten Folkclubhälfte
wieder auf die Bühne und machten dort weiter, wo sie aufgehört hatten. Ich
hatte sogar den Eindruck, dass der Applaus der ersten Hälfte ihnen weiteren
Antrieb gegeben hatte – denn, dachte ich bei den ersten beiden Stücken noch
„mmh son bisschen mehr drive könnte schon noch dazukommen“, so ging es nun so
richtig ab. Ob reiner Bluegrass, ob eher Oldtime Contry Schnulze, weder die
Guerillas noch das Publikum waren zu halten. Bei „Rolling in My Sweet Baby's
Arms“ (ein Stück von jenem bereits erwähnte Earl Scruggs) wurde nicht nur
mitgesungen, sondern – echt country like – es kamen auch neue Stimmen, terz-
und oktaveversetzt, hinzu. Dann ein Stück mit weiten Instrumentalpassagen „Country
in My Genes“ und zur Beruhigung das
schnulzig angehauchte „If I Needed You“ - die Guerillas hatten ihr
Publikum in der Hand. Trotzdem kam noch eine Steigerung. Das barber shop like
begonnene „Over in The Glory Land“, welches sich dann wieder zu einem
fulminanten Bluegrass auswuchs,
kann getrost als ein Höhepunkt bezeichnet werden. Wen wundert es, dass das
Publikum eine Zugabe verlangte, die dann mit den Worten „noch 'ne Schnulze“
angekündigt und mit dem Song „Sweet Carolina“ wahrgemacht wurde. Ich
kann nur jedem empfehlen, sich auf der E-Mail Liste der Guerilla einzutragen,
um bei Gelegenheit ein Guerilla Konzert am Rhein mit zu erleben.
Was macht Musik so interessant – selbst
innerhalb nur eines Liedes. Es sind die Breaks, die unerwartetes bringen und
Spannungen immer wieder neu aufbauen. So auch beim Folk Club. Mit Tom
Kannmacher kam ein Break der es in sich hatte. Aus treibendem Country
wurden ruhige professionell vorgetragene Balladen aus deutscher Geschichte.
Volkslieder in reinster Kultur zu einem alten Instrument, welches als Kreuzung
der deutschen Laute mit Harfe und weiteren Instrumenten vorgestellt wurde,
erinnerten uns alle an Zeiten, in denen noch kein TV den Abend verkurzweilte
und die Menschen noch gezwungen waren
sich gegenseitig Geschichten zu erzählen und/ oder bei gemeinsamen Liedern zu
träumen. Mit dem Auswanderungslied „Nun ist die Zeit und Stunde da“ aus
der Eifel griff Tom ein brandaktuelles Thema auf. Nur, dass heute aus unserer
Sicht die Auswanderung eine Einwanderung anderer zu uns ist. Aber gleich
bleibt, dass die Vorstellung vom besseren Leben oft anders als die Realität
ist. Mit dem Stück „Ich steh' auf hohem Berge“ kehrte er sich wieder
dem ebenso emotionalen wie auch am
meisten in der Musik genutztem Thema, der Liebe, zu. Wie
martialisch so manches Liebeswerben zuging beschreibt in diesem Lied die Zeile
„und schickst du die Nonne nicht heraus, so brenne ich das Kloster ab, dann
kommen alle raus“ (na ja, ist nicht genau der Text, aber sinngemäß schon). „Es
hat ein Frost gedrücket“ ist ein Wanderlied, dass, wie Tom erläuterte,
voller Symbole der deutschen Liedkunst steckt. Die Eiche, der kühle Brunnen
oder der singende Vogel, alles Metaphern für Bedeutungen, die einerseits Liebe
andererseits Gemeinschaft oder Ehre beschreiben. Das Lied hat in seiner
Überlieferung keine Melodie, weshalb Tom eine Moritat hernahm, auf die der Text
passte. Mit der gesungenen Geschichte „Es reiste eine Jungfrau“ beendete
Tom die erste Hälfte des Folk Cclubs und entließ das Publikum für eine Pause an
die frische Luft. Auch hier springe ich in die zweite Hälfte. Tom kam nach den
Bluegrass Guerillas auch ein zweites Mal auf die Bühne und gab offenherzig zu,
dass er es nun wohl schwer hätte, mit seiner eher ruhigen Musik das kochende
Publikum wieder einzufangen. Jedoch wäre Tom nicht Tom und ein langjähriger
Profi, wenn er das nicht schaffen würde. Außerdem ist der Folk Club Bonn nun
mal der Folk Club Bonn und deshalb möchte ich es nicht versäumen, an dieser
Stelle dem Publikum ein wiederholtes Lob auszusprechen – ihr seid wirklich ein
wertvolles, dankbares und diszipliniertes Publikum, das nicht nur unterhalten
werden will, sondern echtes Interesse zeigt.
Angefangen hat Tom seinen zweiten Teil
mit der „Ballade vom Wassermann“, die es in vielen Versionen über ganz
Deutschland verteilt gibt. Doch immer ist es das gleiche Thema, nämlich, wie ein
Wassermann eine Sterbliche freit und die Liebesgeschichte in der Tragödie des
Ertrinkens der Maid endet. Ähnlich fatal der Inhalt des nächsten Liedes in dem
der „König und Marquise“ zusammentreffen und dem König die wunderschöne
Frau des Marquises gefällt, dieser, da nur Marquise, dem König selbige zur
Verfügung stellt. Na ja, ob das das richtige Frauen- oder Obrigkeitsbild ist? „Ich
will mich umschauen nach Tint und Papier“ beschrieb als nächstes Lied den
nicht sehr diplomatisch gestalteten Abschied eines Mannes von seinem Schatz.
Einfach einen Abschied aufs Papier geschrieben und an die Tür geheftet, ist ja
nun nicht die feine Art,
sich zu trennen. Ob das wohl der Marquise gewesen ist, der nun seine eigene
Frau verschmähte? Ebenfalls vom Abschied – aber nur vorübergehend - berichtet die Ballade „Schönster Schatz
auf dieser Erde“, beschrieben auch als „Abschied mit Versicherung der
Treue“. Ja, damit wollte Tom von der Bühne gehen, jedoch wie sehr er Profi ist
und es verstand das Publikum nach Bluegrass wieder zurück zu gewinnen, zeigte
der vehemente Wunsch nach einer Zugabe. Diese gab Tom auch mit einem seiner
Lieblingslieder „Das Mädchen, das ich liebe“. Wenn ein Abend von soviel
Liebe erzählt, dann fragt man sich schon manchmal, warum die
Welt oft nur grausam ist. Versinken wir also immer wieder in die Umarmung von
Musik und versuchen wenigsten eine kurze Zeit allem Kummer zu entfliehen.
Nun aber ein
Sprung zurück in den tatsächlichen Ablauf des FCB Abends. Gefühlt kaum begonnen
war die Pause schnell vorbei und Jutta Mensing stimmte in gewohnter
Animationsabsicht einen gemeinsamen Kanon an „Hejo, spann den Wagen an“
ist zwar ein Erntelied, aber viele kennen es doch besser als Protestlied der
AKW Bewegung. Daniel Bongart übernahm das nun wieder auf Singen
eingestellte Publikum und spielte, begleitet von seiner Mandoline, den Glen
Hansard Song „Lowly Deserter“. Die treibende Mandoline fand ich ganz
toll, stellte sie doch als Begleitinstrument alleine gespielt mal etwas ganz
anderes als das bekannte Gitarrenspiel als Begleitung dar. Mit einem eigenen
Lied „Where Are You“ bewies Daniel, dass er nicht nur covern kann,
sondern selbst ein guter Komponist und Texter ist. Bei seinem eigenen Lied kam
dann doch wieder die gute alte Klampfe zu Ehren. Der Text zu dem Lied ist erst
kürzlich fertig gestellt worden, weshalb umso mehr zu bewundern war, dass das
Lied sehr professionell vorgetragen wurde. Einen Höhepunkt für den Folk Club –
wenngleich einem eher traurigem, allerdings mit gutem Hintergrund – bot das
letzte Lied von Daniel – denn hierfür holte er sich unseren Kameramann (und
kontinuierlichen Musiker) Janero del Rosario zu sich. Beide
interpretierten dann Bob Dylans „Forever Young“, bei dem das Publikum
lautstark mitsang. Ach ja, Janero war vorläufig zum letzten Mal beim Folk Club,
da er beruflich nach Darmstadt geht – wir wünschen ihm alles Gute und viel
Glück – wissen wir doch auch, dass er am ersten Freitag des Monats sicher oft
den Abstecher nach Bonn machen wird.
Als letzter
Berichtspunkt kommt wieder einmal Sebastian Landwehr zu Ehren. Sebastian
kündigte selbst an, dass seine „ollen Kamellen“ noch gar nicht so oll sein
können. Spielt er doch fast ausschließlich eigene Lieder und die können halt
höchsten 28 Jahre alt sein. Also begann er mit seinem ersten
selbstgeschriebenem Lied „Die Wogen“, in dem er den Verlust von Idealen
bzw. die Traurigkeit über nicht realisierte Ziele besingt – aber Sebastian hat
ja glücklicherweise noch viel Zeit in seinem Leben, um neue Ziele zu setzen und
zu verwirklichen (hoffentlich gehören dazu weitere so tolle Lieder). Der Folk
Club, ich habe es schon oft gesagt, ist auch ein Ort der Gemeinsamkeit und
immer wieder finden sich neue musikalische Freundschaften zusammen. So holte
Sebastian schnell die Freunde der Gruppe „Zwei von Zwei“ mit auf die
Bühne (Ulrike Maria Hund und Stephan Weidt) und spielte mit den beiden
seine Song „Ganz bei dir“, welcher auch wieder die Liebe beschreibt,
nämlich die Aussicht, dass er nach noch einigen Erledigungen in seinem Leben
bald ganz bei ihr sein wird. Sehr schön, wie hier die zwei Gitarren sich
Melodieführung und Rhythmus teilten und der Gesang durch die Querflöte
unterstrichen wurde. Mit seinem letzten Lied
„Die kleine Feder“ griff Sebastian noch einmal in seine eigene
Vergangenheit. Es ist ein Lied, das er ursprünglich für seine Irish Band
geschrieben hat. Natürlich forderte dieses Lied wieder zum Mitsingen auf und
das ganz einfach – nur ein Vokal mit Melodie musste gesummt oder gesungen
werden. So wurde es auch ein richtiger Spaß für alle Zuhörenden.
Tja, nachdem
ich die folgenden featured artists bereits oben beschrieben habe, bleibt nur
noch zu sagen, dass der Patron des Folk Clubs diesmal á capella den Ausklang
des Clubs einläutete. Jock Stewart ist und bleibt das Wahrzeichen des
Folk Clubs Bonn und macht Appetit auf den nächsten Club – also, wir sehen uns
wieder am 04. November 2016 im Sträters.
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