Protest
ebenso – naja, zumindest den Teil der Menschen, die gemeinsam protestieren.
Wenn das Protestieren zu dem Ergebnis führt, dass die Protestanten überzeugen
können, doch mal etwas vorwärts Gerichtetes, anstatt des Bisherigen auszuprobieren,
also etwas Neues (Unbekanntes) zu machen, dann hat der „Pro Test“ seine Wirkung
erzielt und vereint vielleicht auch Alle (pro bedeutet nämlich als lateinisches
Präfix „vorwärts, vor-, hervor, anstatt, für“). Und vom guten alten Test wissen
wir alle, dass er für den Sinnbegriff „ausprobieren, versuchen, etwas Neues (Unbekanntes)
machen“ steht.
So
fing der 72. Folk Club denn auch für mich direkt mit einem Protest (im Sinne
der Definition oben) an, denn ich dachte, dass der Folk Club sich diesmal den
Raum mit dem Ausklang eines Kaffeeausfluges teilen würde (so nach dem Motto,
lasst uns mal was Neues ausprobieren :-) ), sah ich doch bei meinem Eintreffen
einen ganzen Tisch besetzt mit feierlich gekleideten Damen (zumindest für meine
Verhältnisse feierlich, denn alle hatten eine weiße Bluse an :-) ). Aber nein,
wie ich sehr bald erfuhr, war die Kleidung einfach die Dokumentation der
Zughörigkeit zu einem Chor – aber davon später mehr.
Eröffnet
wurde auch dieser Folk Club wie immer mit dem Signalruf: Laadiieees and
Gentlemen.......
Zeremonienmaster
John Harrison himself bat so wieder lautstark um Ruhe, um diese sofort
zu nutzen, das Motto des Tages in einem ironisch angehauchten Protestlied gegen
Protestlieder darzustellen. „Ring Around a Rosy Rag“ ist ein Lied von
Arlo Guthrie, der nun wahrlich in einer protestschwangeren Umgebung groß
geworden ist – sowohl in seiner Familie wie auch in der damals gegen
Vietnamkrieg eingestellten Hippiebewegung. Mit dem selbstgeschriebenen „1001ten
Protestsong“ zeigte John wieder einmal, dass er den Blues in sich nicht nur
für Interpretationen nutzt, sondern auch, um Neues zu schaffen. Ebenso wie in
seinem dritten Stück „Trouble and Strife“, in dem sich der Protest gegen
das immer wiederkehrende Thema Krieg ausdrückt – diesmal gegen den
Jugoslawienkrieg. Sind bei vielen Protestliedern zum Zeitpunkt ihrer
Interpretation die Anlässe schon vorbei, so zeigt sich doch, dass der Inhalt
universell ist und nur an immer neuen Beispielen aufgezeigt wird. Wann werden
wir als Menschen endlich lernen, dass Stolz, Machtgier und Unterdrückung keine
Mittel für ein Zusammenleben sind. Zum Auftritt von John sollte nicht unerwähnt
bleiben – wenngleich auch inzwischen fast selbstverständlich - dass der Protest
von John gegen das Alleinespielen (lasst uns doch mal was Neues ausprobieren)
sich zwischenzeitlich in die neue Gesellschaftsordnung des Duos John
Harrison & Paolo Pacifico gefügt hat. Aber, im Gegensatz zur Ehe sind
in der Musik wechselnde Partnerschaften nicht nur akzeptiert, sondern
erwünscht, reichern sie doch die musikalische Landschaft an und geben neuen
Schwung für Proteste (lasst uns doch mal was Neues ausprobieren) – ein Schelm,
wer jetzt weitere Vergleiche zur Ehe zieht.
In
diesem Sinne blieb Paolo auf der Bühne, und John wurde durch Steve Perry
„ausgewechselt“, um das alte italienische Protestlied „C'era un regazzo“
von Mauro Lusini and Franco Migliacci vorzutragen. Auch dieses Lied ist, wie so
viele, ein Protest gegen den Vietnamkrieg. Paolo blieb nach dem Lied bei der
Urform des Protestes, in dem er etwas Neues vorschlug zu probieren, um gegen
die Folgen von Naturgewalten anzukämpfen. Bei dem schrecklichen Erdbeben vor
ein paar Wochen sind in Italien viele Menschen ums Leben gekommen und 40 Dörfer
fast völlig verschwunden. Hierunter auch Amatrice. Amatrice ist in Italien
bekannt für eine besondere Leckerei – der Pasta Amatrice; ein Nudelgericht mit
einer besonders schmackhaften Soße. Paolo bietet nun an, ebendiese Soße für
Partys, Familienfeiern oder auch Betriebsfeiern zu kochen und die für diese
Dienstleistung gegebenen Spenden nach Amatrice weiter zu leiten. Ich bin
sicher, dass das Essen dann auch mit dem einen oder anderen Mundharmonika Klang
untermalt wird, was die Spendenbereitschaft noch erhöhen sollte. Eine klasse
Idee.
Hatte
ich schon von Macht und Unterdrückung gesprochen – natürlich, aber wie gewohnt
spricht Gerd Schinkel nicht nur
darüber, sondern kleidet seinen Protest direkt in Lieder. Gesungenes kommt eben
besser an, weil Gesang Inhalte besonders gut vermitteln kann. Durch die
geschaffene Wohlfühlatmosphäre wird auch die Bereitschaft zur Aufnahme von
Botschaften vergrößert. Der getürkte Putsch (so der Titel seines Liedes)
braucht wohl nicht erläutert werden – jeder hat ihn mit Schrecken verfolgt
(insbesondere, was unmittelbar nach dem Putsch passierte). Und auch, wenn das
Zusammenzählen von 1 + 1 möglicherweise 2,5 oder auch nur 1,56 ergibt, so
spricht die Kombination der sichtbaren Fakten bei dem Putsch in der Türkei doch
eine eindeutige Sprache. Wusstet ihr, dass die Türkei das einzige Land auf der
Welt ist, in dem Militärputschs zur Wiedergewinnung einer tief verwurzelten Demokratie
dienten. Wenn diesmal der Erfolg ausblieb, so spricht das eher dafür, dass der
Putsch halt getürkt war. Bliebe zu dem Vortrag noch zu erwähnen, dass Gerd
Schinkel wieder einmal durch das gekonnte Bassspiel von GeWe Spiller
unterstützt wurde.
Nun
aber zu den bereits erwähnten weißen Blusen. La Bella Musica, ein Chor,
der eine lange Tradition hat (gegründet 1954), aus Bad Honnef kommt und als
Verein eigentlich Frauenchor Bröl e.V. heißt, hat bei einer Anfrage des Folk Clubs
gerne zugestimmt, auch dort einmal zu singen.
„So fünf Chormitglieder werden wir schon für den Termin zusammenbringen“
war eine vorsichtige Aussage, die dann aber mit 25 anwesenden Damen mehr als
übertroffen wurde. Was Chorgesang anbetrifft, bin ich ein lebender Beweis, wie
die Bereitschaft zur Annahme von Protest (lass uns doch mal was Neues
ausprobieren) eine Einstellung verändern kann. Ich war nie ein großer Freund
von Chören, was mir aber in den letzten Jahren an Chorgesang, -zusammenhalt und
-möglichkeiten vorgeführt wurde, hat mich überzeugt. So auch wieder beim 72. Folk
Club Bonn, wo der Chor sich mit einem sehr weit bekannten Protestlied (Die
Gedanken sind frei) vorstellte, um dann diesen Vorgeschmack an
Vielseitigkeit, Intonationssicherheit und
Spaß an der Sache mit den Stücken „Über sieben Brücken musst du
gehen“, „Aquarius“, „Let the Sunshine“ und „Hymne to Freedom“ zu
verfeinern. Isch sach nur: Daumen hoch (wobei meine Meinung da völlig
unerheblich ist, haben die Damen doch schon viele Preise gewonnen und sind mit
dem Titel Konzertchor
im Chorverband NRW beim Leistungssingen am 22. Oktober 2011 in
Unna gekürt worden). Dass Chöre allein schon durch die Anzahl ihrer Mitglieder
besonderen Rahmenbedingungen unterworfen sind, zeigte sich dann kurz nach dem
fulminanten Auftritt in der Organisation der notwendigen Flüssigkeits- und
Nahrungszufuhr nach getaner Arbeit. Wenn 25 Personen mehr oder weniger
gleichzeitig bedient werden, entsteht halt „ein wenig“ Unruhe.
Ein
alter Bekannte, wenngleich durch seinen Umzug nach Leipzig selten gesehen,
bestieg mit Richard Limbert die Bühne. Ich habe mit Richard eine
Zeitlang das openmic in der Bonner Mausefalle organisiert und weiß
deshalb recht gut über seinen Weg Bescheid, und der ist erstaunlich. Richard
ist nicht nur musikalisch ein sich stetig entwickelnder Mensch, sondern er
möchte auch musikgeschichtlich alles wissen. So erzählte er mit seinem
Kurzprogramm beim Folk Club selbst eine Geschichte über die Musik und
dokumentierte im ersten Stück (Folk is Coming), dass selbst in einer
Stadt wie Leipzig, wo die Musikszene eher beim elektrisch unterstützten Rock
tobt, der Folk weiter Einzug hält. Richard erzählte aber auch, dass Legenden oft auch werbewirksam
genutztes Schubladendenken ist. Selbst
hat er sich durch viele Gespräche in New York davon überzeugt, als er die
Bedeutung von „The Village“ für die gesamte Folkszene untersuchte. Die
Ergebnisse vermischt mit der Legende und in ein Lied gegossen trug er uns allen
vor. Zum Abschluss seines Besuchgigs brachte er die Eigenkomposition „Rolling
all My Dice“, was die Unwägsamkeit des Würfelergebnisses auf das Leben
übertrug.
Nun
kam Matthew Robb – hager and no glamour repräsentiert er den Inbegriff
des musikalischen Straßenprotestes. Jeder der ihn sieht, verbindet sofort die
Szenen der vielen Roadmovies in Bild und gelesenen Vorstellungen mit seinen
Auftritten. Und genauso ist seine Musik. Unverschnörkelt, ehrlich und echt. Es
bedarf keines in Perlmutt eingefassten Instrumentes und keiner Bühnenshow, um
Ehrlichkeit, „Weisheit“ und Protest rüberzubringen. Authentisch wie Folk sein
sollte, kam Matthew mit Band daher. Leider habe ich im allgemeinen Trubel den
Titel des ersten Liedes nicht verstanden und bei Matthews Slang gelang es mir
mit meinem Schulenglisch auch nicht während des Gesangs, diesen zu erahnen.
Aber bei Matthew reicht es auch schon aus, sich auf die Musik zu konzentrieren,
um ein Wohlgefühl zu erreichen. Mit den Titeln „Dead Man Has no Dreams“
und „Slaves“ unterstrich er weiter die Ehrlichkeit seiner Musik. Um es
vorweg zunehmen, in der zweiten Hälfte des Folk Club kam Matthew mit Band noch
einmal und brachte die songs „Past Time Book“, „I Don't Know Where it Began“,
„The River“ und „Don't Lie to Me“. Und auch hier zeigte sich die
Ehrlichkeit seiner Musik. Folk ist etwas, was gemeinsam gemacht wird, was
verbindet. Matthew unterstrich dies,
indem er die beiden Ledermann Brüder und Lena Walbröl kurzerhand
mit einbezog – aber zuviel will ich nicht vorwegnehmen, also lest weiter und
lasst euch überraschen.
Bevor
es also zu der musikalischen Verbrüderung und Verschwesterung kam, eröffnet Barry
Roshto als Begleitung der mit einer erstaunlichen Stimme ausgestatteten Lena
Walbröl den second set. Barry begleitete Lena am Klavier bei dem Stück „I'm
Falling Fast“, um dann zur Seite zu rücken und mit Lena gemeinsam Klavier
zu spielen und sie auch zweitstimmlich immer wieder in Refrainzeilen der Lieder
„Gib mir nur ein Wort“ und „The Rose“ zu unterstützen. Das
Publikum war hingerissen, was sich nicht zuletzt in einem tosenden Applaus,
welcher unbedingt eine Zugabe forderte, ausdrückte. Diese zeigte das Folk keine
Musikform, sondern eine unsterbliche Lebensform darstellt, denn Folk ist das,
was das Volk singt – und wenn es eine Interpretation von Justin Biebers „Love
Yourself“ ist.
Das
360 Grad Panorama der Lebensform Folk zeigte sich auch in dem nächsten Künstler
John Hay. Uns allen bekannt als Sänger und Begleitgitarrist, stellte er
sich heute solo und als Flamencogitarrist vor. Flamenco ist, genauso wie Tango,
Blues und andere Musikformen, in sich bereits der Ausdruck von Protest. Eine
Form, Lebensinhalte und Lebensarten in Musik und Tanz auszudrücken, ohne mit
Worten bei Obrigkeiten Anstoß zu erwecken. Flamenco ist aber auch eine der
schwierigsten Formen, die Gitarren zu spielen, und deshalb ziehe ich mit
Ehrfurcht meinen Hut vor John Hay. Mit
den Stücken Soléa und Bulera brachte John uns Stimmung, Kunst und
Können nah.
Was
kommt nach erstem Erfolg? Nah klar, wenn es gut läuft, zweiter Erfolg. Ist
dieser zweite Erfolg dadurch gekrönt, dass aus einem Erfolgsträger zwei
Erfolgsträger werden, sind wir bei den Ledermann Brüdern. Dennis
und Marvin haben sich dauerhaft zusammengetan und sich deshalb auch mit
einem merkbaren Namen geschmückt: Bromo (warum auch immer – nach eigenen
Angaben hört es sich gut an, hat aber keine tiefere Bedeutung). Angefangen
haben sie mit dem Lied „Liar, Liar“ (Lügen ist oft auch nur ein Ausdruck
hilflosen? Protestes), um dann in das Protestlied gegen Rechts der „Ärzte“ „Schrei
nach Liebe“ überzuleiten. Bromo äußert Protest höflich, denn als erstes
entschuldigten sie sich für den Ausdruck „Arschloch“ im Text (Interessant, war
es doch lange eine definierte Unterscheidung zwischen Liedermachern und
Liedermachings, dass die Ersten den Zeigefinger (nicht den Mittelfinger) in
ihren Liedern hochhielten und die Zweiten als Ausdruck der Abgrenzung und des
Lebensspaßes Fäkalsprache in ihren Texten haben mussten. Aber Bromo sind eben
ernstzunehmende Musiker und weder Liedermacher noch Liedermachings :-) ). Aber
zurück zum angesagten Protestlied. Der Schrei nach Liebe prangert an, versucht
aber auch Erklärungen für das Abgleiten in rechtsradikale Szenen zu finden. Ob
dies angesichts der momentanen Entwicklung von Ausländerfeindlichkeit und AfD
noch angemessen ist, wage ich nicht zu entscheiden – richtig ist es jedoch
immer, solche Themen öffentlich anzusprechen. Bromo kann aber auch selber!! Das
Lied „Hunting Daemon“ ist aus eigenen Feder und zeigt, dass noch
unwahrscheinlich viel von den Brüdern erwartet werden kann – und dies drückte
sich in dem zweiten Ruf nach Zugabe an diesem Abend aus. Schnell wurde beratschlagt und ein „zufällig“ im Repertoire
befindliches Stück wurde ausgewählt – tatsächlich völlig ungeplant wurde
gefragt, ob Lena dieses Lied auch drauf hat, worauf hin sich eine der
wichtigsten Wirkungen von Musik einstellte – ungeplante aber intensive
Gemeinsamkeit - Lena kam und aus dem Duett wurde ein Trio (erst eins, dann
zwei, dann Name und jetzt.......). „I See Fire“ wurde zu einer
eindrucksvollen Präsentation von Können, Wollen, Spaß und Spontaneität. Freuen
wir uns auf noch viele Auftritte von Bromo und/ oder Bromo featured projects.
Jeder
Folk Club geht irgendwann seinem Ende zu. Doch das Ende des 72. Folk Clubs brachte
nochmals eine Steigerung. Bereits angesprochen, nahmen Matthew Robb und Band
den Folk Club auch in ihrem zweiten Auftrittsteil mit on the road und zeigten
wie nüchterne Sachlichkeit auch mit Spaß und stetem Klamauk verbunden werden
kann – Fliege spielt in der Band mit. Aber sie zeigten noch mehr, denn
was Dennis und Marvin angefangen haben, wurde von Matthew weiter getrieben und
so kamen bei dem Song „The River“ nicht nur das Publikum allgemein zum
Mitsingeinsatz, sondern die um Lena vergrößerten Bromos erweiterten die Matthew
Robb and Friends Band.
Tja,
jeder, der den Folk Club kennt und/ oder ihn seit Jahren begleitet, weiß was
nun kommt: „Jock Stewart“ Patron des Clubs begleitete alle – Musiker wie
Zuhörer – in den Heimweg. Jedes Ende ist aber auch ein Neuanfang und deshalb
hoffe ich euch alle und noch viele mehr am 7. Oktober wieder im Sträters zu
sehen. Um dies mit einem Wahlspruch des openmics zu sagen „Out of the bedroom –
come to Folk Club“
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