Folk Club Nummer 81 im Juni 2017 – Am Wasser gebaut
Die Themen, die das
Organisationsteam des Folk Clubs jedem Abend auf den Weg gibt, sind mehr als
Inspiration denn als Befehl gedacht. „Seen und Meere“ ist aber auch ein Thema,
das in vielfältiger Weise in Liedern aufgegriffen wird. Es gab also genug
Material für unsere Barden.
Eine echte Herausforderung für
das Organisationsteam war aber, dass gleich zwei angekündigte „Featured
Artists“ u.a. krankheitsbedingt abgesagt hatten und nun mit „Bordmitteln“ ein abendfüllendes
Programm zusammengestellt werden musste. Euer Chronist kann euch versichern, es
ist mehr als gelungen. Es erfüllt uns zudem mit großer Freude (und auch etwas
mit Stolz), dass der Folk Club inzwischen so viele musikalische Mitstreiter mit
wunderbaren Qualitäten hat und zudem meist einige Interessenten in der
Warteschleife lauern, dass ein solcher Ausfall abgefedert werden kann und
trotzdem ein schöner Abend gespickt mit musikalischen Edelsteinen zustande
kommt.
Nun, los ging’s wie immer mit John Harrisons Urschrei und
anschließend einem zünftigen Blues, der auch richtig gut zum Thema passte. Zu
Jesse Fulles „San Francisco Bay Blues“ setzte John diesmal auch ein Kazoo ein,
mit dem er ein formidables Solo hinlegte. Dem schrecklichen Attentat im Stadion
von Manchester am 22. Mai 2017, bei dem so viele ahnungslose Jugendliche
umgekommen waren, widmete er ein leidenschaftliches Gedicht gegen Fanatismus,
der über Leichen geht, um seine fragwürdigen Ziele zu erreichen. Nicht minder
düster war sein selbst verfasstes Lied „Flan“ über seinen Jugendfreund, der mit
15 Jahren erhängt aufgefunden worden war, und dessen Todesumstände nie
aufgeklärt wurden. Der Junge war zu schnell erwachsen geworden und hatte
eventuell auch Feinde. Es wird immer ein Geheimnis bleiben. Ziemlich
doppeldeutig ist der Text des Blues „Candyman“ von Reverend Gary Davis. Mit der
Bezeichnung kann ein Drogendealer gemeint sein, und der Sänger wünscht, ihn zu
finden, weil er einen Trip braucht.
Paolo Pacifico, die musikalische Allzweckwaffe des Folk Club, hatte
diesmal seinen Freund Charley Deanesi mitgebracht.
Die Beiden treten zusammen als Duo „Dos
Equis“ auf. Gleich bei den ersten Tönen war der Saal gefangen von der
professionellen Musik in bester Blues-Tradition. „Long Way Home“ ist eine
Eigenkomposition der beiden und gibt Paolo und Charley Gelegenheit, ihre famose
Beherrschung von Instrumenten und Stimmen zu zeigen. Eine kleine Anleihe bei
Folkgrößen darf nicht fehlen, und so präsentieren Dos Equis ihre Version von
„Big Yellow Taxi“ von Joni Mitchell. Zwei weitere Bluesstücke aus eigener Feder
(„That’s the Very Last Time“ und „Rainy Day Cross the Blues“) rundeten das
kleine Programm ab – Großer Applaus vom Publikum. Die Beiden mussten nach ihrem
Auftritt rasch weiter, um in der Godesberger Musikkneipe ELPIs CoWiCo
aufzutreten. Vielen Dank an Dos Equis für ihren Einsatz und Dank auch an Lothar
Prünte alias ELPI, den Wirt des CoWiCo, dass er den beiden einen Auftritt im
Folk Club ermöglicht hatte. Lothar hatte auf seiner Website mitgeteilt, dass er
die Zeit bis zum Erscheinen von Paolo und Charley mit eigener Musik überbrücken
wolle.
Passend zum Thema des Abends
hatte unser Bönnsch Plaat-Spezialist Gert
Müller die Geschichte aus dem Neuen Testament gewählt, in der beschrieben
wird, wie Jesus über das Wasser des Sees Genezareth wandelt und sich die Jünger
fürchten. Bei der nicht ganz ernst gemeinte Gedichtversion der biblischen
Geschichte seines Freundes Ferdinand Böhm konnte Gert wunderbar zeigen, dass er
noch ein echter Muttersprachler ist. Die Geschichte in Böhms Version geht etwas
anders aus, als wir sie aus drei Evangelien (Matthäus, Markus und Johannes)
kennen. Gert bekam zum Applaus für seine herrliche Gedichtrezitation noch einen
Extrabeifall für seinen achtzigsten Geburtstag, den er just an dem Tage begehen
durfte.
Dass Alter kein Grund für das
Stillsitzen ist bewies auch unser unermüdlicher Günter Peters, der einen kleinen Impro-Chor zusammengestellt hatte. Zu Günters Begeleitung am
Klavier brachte der Chor Günters Verse zu Beethovens Chormusik zur Ode an die
Freude zu Gehör – herrlich!
Der Chor ging, Günter blieb und
hinzu gesellte sich Bob Marabito,
der gern aus dem Fundus der amerikanischen Jazzstandards schöpft. „Can’t Give
You Anything But Love“ von Jimmy McHugh und Dorothy Fields ist so ein
Klassiker, bei dem Günter und Bob so richtig ihren Spaß hatten – das Publikum
natürlich auch.
Melanie und Matthew waren
zwei neue Gesichter im Folk Club und sogleich eine echte Entdeckung. Begleitet
mit Ukulele (Melanie) und Gitarre (Matthew) sangen und spielten sie Jack
Johnsons Lied „Only the Ocean in You“ – passend zum Thema. Melanies bezaubernde
Stimme wurde wunderbar von Matthew begleitet, und Matthew stieg gefühlvoll bei
den zweistimmigen Passagen ein. Schade, dass es nur ein Stück von den beiden zu
hören gab. Vielleicht gibt es ja von Melanie und Matthew bei zukünftigen Folk
Club-Abenden noch weitere Kostproben.
Einen kleinen Beitrag aus ihrer
norddeutschen Heimat steuerte Jutta
Mensing mit dem deftigen Lied vom „Saalhund“ bei. Damit war nicht der süße
Hund gemeint, der der Musik des Abends still und andächtig lauschte (siehe
Sabines Bilder). Es ging um die Seehunde, die den Nordseefischern den Fang
streitig machten und daher bekämpft wurden. „Hal mi den Saalhund ut´n Stranne
to Lanne! He hett mi all de Fisch upfräten, hett mi´t ganze Nett terräten. Hal
mi den Saalhund ut´n Stranne to Lanne!“ lautet die erste Strophe. Ja, mit
heutiger politischer Korrektheit hatten die alten Fischer noch nix am Hut. Wenn
der „Saalhund“ datt ganze Nett terräten hett, dann war er dran.
Gedichte waren an diesem Abend
sehr stark vertreten. Peter Deteren,
auch ein Mitglied der Goove & Grufties-Truppe, die mit großem Erfolg seit
Jahren die Rock ’n’ Rollator Show aufführt, trug sein Gedicht über die
Liebesträume eines Klosterschülers vor – wunderbar!
Zurück zur Musik brachte uns Mario Dompke mit seinem Bärenlied. Das
hatte zwar vordergründig nichts mit Seen und Meeren zu tun, aber da die Bären
gern fischen, gibt es dennoch eine Verbindung zum Thema. Außerdem leben die
beschriebenen Bären in Kanada, und um dahin zu kommen, muss man über den Ozean,
so Mario augenzwinkernd. Nun das Lied beschreibt die Widersprüchlichkeiten,
denn die bösen Bären, die die Mülltonnen leeren, müssen weg, aber gleichzeitig
müssen Hunde her. Mit dem Lied „Wenn ich denn gestorben bin“ stellt Mario
witzige und nachdenkliche Überlegungen über den Weg ins Jenseits an: „Freunde
hört, der Tod ist nahe, denn kurz ist nur das Leben“ – phantasievoll und
musikalisch wunderbar umgesetzt. Damit das Publikum auch merkt, dass es nicht
zum Vergnügen da ist, steuerte Mario das Lied „Sam Stone“ von Jon Prine bei,
das eindrücklich und bedrückend das Schicksal von Vietnam-Kriegsveteranen
schildert. Die Männer waren vielfach traumatisiert, konnten sich nach ihrer
Rückkehr nicht mehr im Alltag zurechtfinden und waren oftmals drogenabhängig.
Mario wählte einen Text in deutscher Sprache, denn John Hurd, der später
auftrat, hatte sich zufällig dasselbe Lied ausgesucht. So bekam das Publikum
das Lied zweimal in unterschiedlicher Sprachfassung zu hören – großer Applaus
für Mario.
Steve Perry und John
Harrison wandten sich nach der Pause noch einmal dem Thema „Manchester“ zu.
In dem von beiden abwechselnd vorgetragenen Gedicht ging es um das
Selbstverständnis der so stolzen Stadt, die viel geleistet und viel zu bieten
hat und deren Bewohner sich nicht unterkriegen lassen wollen und sollen – eine
wunderbare Hommage an eine weltoffene und standhafte Stadt. Das Gedicht trägt
den Titel „This is the Place“ und stammt von dem aus Manchester stammenden
Dichter Tony Walsh alias Longfella. Das Gedicht hatte Walsh bereits 2013
verfasst und nun bei einer vielbeachteten Gedenkfeier am 23. Mai 2017 auf dem
Albert-Platz in Manchester passend zu den schrecklichen Ereignissen am Vortage vorgetragen.
Eher aus der Kategorie „heitere
Muse“ waren die Beiträge von Regine
Perry-Mertens und Steve Perry.
Mit „Ein Schiff wird kommen“, das in
Deutschland in der Interpretation von Lale Andersen in Riesenhit war (nur
nannte man es damals nicht so) trafen sie das Thema auf die Zwölf, und das
Publikum hatte eine wunderbare Gelegenheit zum Mitsingen. Natürlich kamen auch
zwei von Steves geliebten Country-Songs an die Reihe: Ian Tysons „50 Years Ago“
ist ein echter Klassiker. Auch hier bekam das Publikum Gelegenheit, Regine und
Steve beim Refrain zu unterstützen:
„And the sighing of the pines
Up here near the timberline
Makes me wish I'd done things different
Oh, but wishing don't make it so
Oh the time has passed so quick
The years all run together now
Did I hold Juanita yesterday“
Up here near the timberline
Makes me wish I'd done things different
Oh, but wishing don't make it so
Oh the time has passed so quick
The years all run together now
Did I hold Juanita yesterday“
Die Beiden setzten mit „Navajo
Rug“, ebenfalls von Tyson, noch einen drauf. Kitsch pur, aber herrlich.
John Hurd, der
Berichterstatter-Kollege vom englischsprachigen Musikportal 3SongsBonn wagt
sich nicht allzu oft selbst auf die Bühne, hatte aber diesmal sogar drei Lieder
mitgebracht. „Still in Love With You“ von Phil Lynott (Thin Lizzy) ist schon
ein dicker Brocken, aber John meisterte das anspruchsvolle Stück mit
wunderbarer Stimmbeherrschung und klarer, akzentuierter Gitarrenbegleitung. Auf
Bongos begleitet von seinem Arbeitskollegen Juan Isaza, wagte er sich an einen weiteren Klassiker: „Tower of
Song“ von Leonhard Cohen kam herrlich sonor rüber, nur bei der Zeile „I was
born with a golden voice“ musste euer Chronist doch etwas schmunzeln, immerhin,
auch der Sänger selbst konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Zu guter
Letzt kam nochmals das traurige Lied „Sam Stone“ zur Aufführung. John Hurd
holte sich dabei die zusätzliche Unterstützung von John Harrison (Mundharmonika) und Mario Dompke (Banjo). Die Vier (John Hu, Juan, John Ha und Mario)
gaben dem Lied den vollen instrumentalen Begleit-Sound, so dass es einen ganz
anderen Charakter bekam als zuvor allein von Mario gespielt und gesungen –
dickes Lob und viel Applaus für John Hurd und natürlich auch die Begleit-Crew.
Ein inzwischen treuer
Gefolgsmann des Folk Club ist Hermann-Josef
Wolf alias „Fliege“ aus Köln.
Fliege merkt man an, dass die Musik sein Leben bestimmt, und dass seine
Intensität die Zuhörer mitreißt. Rein instrumental war Flieges bretonischer
Tanz, den er mit seiner Ziehharmonika spielte. Viel Freude bereitete er mit
„Ruby Tuesday“, in der Version von Melanie, das er als sein Lieblingslied
bezeichnete. Das Publikum stimmte ein, und zusammen ergab es einen wunderbare
Band. Herzlichen Dank an Fliege für seinen Beitrag zu diesem Abend.
Als letzte Gruppe erschienen Junodori alias Judith Nordbrock und Sergii
Chernenko. Ja, was soll man sagen, eurem Berichterstatter blieb schlicht
die Spucke weg. Tolle, von Judith selbstgeschriebene und komponierte jazzige
Lieder, Judiths virtuoses Klavierspiel (auf unserem leider nicht perfekt
gestimmten Klavier, seufz!), Judiths volle, geschmeidige und groovige
Jazzstimme und dazu ein Sergii, dem man das Tenorsaxophon offenbar in die Wiege
gelegt hatte. Die Beiden spielten perfekt aufeinander abgestimmt, Sergii fügte
sich mit seinem Instrument organisch in Judiths Gesang und brilliert dann in
seinen Solopassagen mit atemberaubenden Tonfolgen und beeindruckender Technik.
Ja, und die Stücke? „Du machst mich krank!“ von Judith kommt ganz langsam daher
und beschreibt dann ganz eindringlich, dass die Frau sich fürchterlich ärgert,
wenn ihr Geliebter nicht auf ihre Anrufe antwortet – hat das nicht schon
mancher erlebt? „My Man’s an Undertaker“ ist nicht aus eigener Feder sondern
von Leroy Kirkland. Bekannt ist die Version mit der legendären Dinah
Washington, doch Judith kann es mit ihr stimmlich locker aufnehmen. Beim
wunderbar melancholischen Stück aus eigener Produktion „Up to You“ begleitete
Sergii mit der Querflöte, die er ebenso perfekt beherrscht wie das Saxophon –
ein Genuss. „I Won’t Wait“ stammt ebenfalls von Judith. Auch hier brilliert
Sergii und entlockt seinem Saxophon schlagzeugartige Perkussions-Elemente –
genial. Der Applaus kam entsprechend mit Donnerhall, und die Beiden wurden
nicht ohne eine Zugabe entlassen. „No Mistakes on the Dancefloor“ war dann die
Belohnung für die Bettelei des Publikums – erneut ein Kracher. Ein Besuch der
Konzerte von Junodori kann man wirklich empfehlen. Leider sind sie in der
nächsten Zeit eher weiter weg tätig. Hier in der Gegend weist ihr
Auftrittskalender erst im Oktober wieder Konzerte in Leverkusen auf. Vielleicht
haben die beiden ja einmal wieder Lust auf ein kleines Gastspiel im Folk Club.
Nun, gut abgefüllt mit den
obligatorischen Glückshormonen konnte sich das Publikum wieder auf den Heimweg
machen, aber nicht ohne zuvor noch den traditionellen Rausschmeißer, den ollen
Schotten Jock Stewart, besungen zu haben.
Auf Wiedersehen bei der 82.
Ausgabe des Folk Club Bonn am 7. Juli
2017, diesmal ausnahmsweise im Club
Galicia de Bonn e.V., Südstraße 124, Bonn-Bad Godesberg (Friesdorf). Euer
Organisationsteam empfiehlt all denen, die einen Sitzplatz ergattern wollen,
sehr zeitig zu kommen. Der Club Galicia macht bereits um 17.00 Uhr auf. Meist
ist es kurz danach rappelvoll, denn die Küche des Clubs ist ausgesprochen
beliebt.
Das Thema des Folk Club-Abends
im Juli lautet „Kreis- und Additionslieder“.
Für alle, die sich fragen, was
damit gemeint sei, folgende Erklärung: Bei Kreisliedern kehrt der Text am Ende
wieder zum Anfang zurück. Ein bekanntes Lied dieser Art ist „Ein Loch ist im
Eimer“.
Additionslieder zeichnen sich
dadurch aus, dass jede Strophe das Vorige wiederholt und um ein weiteres
Element ergänzt wird. Ein schönes Beispiel hierfür ist das italienische Lied
„Come si pianta la bella polenta“, mit dem die Entstehung der beliebten Polenta
aus dem Mais beschrieben wird, der gesät wird, der wächst, der geerntet,
geschrotet, gekocht und gegessen wird und der zuletzt auch noch gut schmeckt.
Die letzte Strophe ist naturgemäß meist ein wenig lang. Kinder lieben solche
Lieder, aber vielleicht auch Erwachsene. Spaß kennt kein Alter.
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