Montag, 1. Januar 2018

Detlefs Bericht vom Folk Club Nr. 86 am 1. Dezember 2017


Folk Club Bonn am 1. Dezember 2017 – Märchenhaft

„Märchenhaft“, das leicht abgewandelte Motto der 86. Auflage des Folk Club Bonn hat eigentlich Programmcharakter für die gesamte Existenz des Folk Clubs seit seinem ersten Abend im Februar 2010. Aus einer Idee mit kleinen Anfängen in der Gaststätte Zum Schützenhaus in Graurheindorf ist inzwischen eine sogar international beachtete Institution geworden, die bei jeder Auflage zwischen 70 und 100 Besucher anlockt. Im Gegensatz zu den hochsubventionierten Mammutbetrieben des öffentlichen Kulturbetriebes floriert das Pflänzchen Folk Club Bonn ohne jeglichen Zuschuss, ohne Eintrittsgeld und lediglich getrieben vom Spaß an d’r Freud’. Die Organisatoren stecken Zeit in das Projekt, hin und wieder werden ein paar Euro für das Stimmen des Klaviers locker gemacht (ist wieder dringend nötig!), und die Künstler – Amateure ebenso wie Profis – spielen ohne Gage. Den größten Lohn für die Mühe aller Akteure spendet das enthusiastische Publikum. Die Künstler sind oftmals überwältigt von der konzentrierten Atmosphäre und der ungeteilten Aufmerksamkeit, die die Zuhörer ihrer Musik widmen. Das niederschmetternde Erlebnis jedes Musikers, nur Hintergrundberieselung zu sein, gibt es im Folk Club Bonn nicht. Eines der Geheimnisse dieses Erfolgs ist der komplette Verzicht auf elektronische Verstärkung. Mancher Künstler hatte schon darum gebettelt, wenigstens einen kleinen Verstärker für die Gesangsstimme einsetzen zu dürfen. Nach ihrem gezwungenermaßen unverstärkten Auftritt waren auch die Skeptiker restlos begeistert, denn unverstärkte Musik zwingt das Publikum zur Ruhe. Und so kommt ein für beide – Musiker und Publikum – wunderbares, märchenhaftes, Ergebnis zustande.
Genug der Schwärmerei, hinein ins Vergnügen des Abends, der wie immer mit dem markerschütternden Begrüßungsruf unseres Zeremonienmeisters John Harrison begann. Als kleinen Beitrag zum Motto steuerte John seine witzige, der Phantasie entsprungene Geschichte von Albert McTavish bei, der einen neuen Kühlschrank für sein Haus auf einer gottverlassenen Hebrideninsel beschaffen muss und dabei ganz Unerwartetes „erlebt“. Bei diesem „Lied“ sind Text und Musik getrennt, denn die Geschichte besteht aus einer kleinen Erzählung und die Musik dazu ist – für die Zuhörer überraschend – ein Instrumental. Wer zum Inhalt mehr erfahren will, soll regelmäßig zum Folk Club kommen, denn die kleine Geschichte ist in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu hören und dabei jedes Mal ein kleines bisschen anders.
Weniger märchenhaft, weil real, aber dennoch gespenstisch unwirklich und zudem erschütternd waren die Geschehnisse während des jugoslawischen Bürgerkriegs, unter dessen Eindruck John seinerzeit das Lied „Trouble and Strife“ schrieb, das sich mit den Ungeheuerlichkeiten bei der Belagerung von Sarajewo beschäftigt. Er kommentierte seine Situation so, dass es märchenhaft sei, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren zu sein, ohne selbst Hunger und Krieg und Verfolgung erleben zu müssen, dass ihn aber die Erkenntnis erschreckt und bedrückt habe, dass der Firnis der Zivilisation doch recht dünn ist und jederzeit aufbrechen kann. Anlass für John, das Lied am heutigen Abend zu singen, war die wenige Tage zuvor erfolgte Verurteilung zu lebenslanger Haft des früheren Generals Radtko Mladić durch den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Mladić wurden sowohl die Belagerung von Sarajewo als auch der Massenmord von Srebrenica zur Last gelegt.
Einen Beitrag zur Adventszeit lieferte unser fleißiger Gedichterezitator Gert Müller, der mit seinem herrlich unverfälschten Bonner Platt die Weihnachtsgeschichte in Reimform präsentierte. Das Gedicht stammt von Ferdinand Böhm aus Friesdorf, der die biblischen Geschichten in unnachahmlicher Weise in Verse gesetzt und dabei den Geschichten auch eine leicht abgewandelte, augenzwinkernde Fassung verpasst hat und dies in Bonner Dialekt – köstlich geschrieben und ebenso herrlich präsentiert von Gert.
Frei nach Heinz Erhardts Motto „Noch’n Gedicht“ enterte nun Peter Deteren die Bühne und trug ein Potpourri aus Gedichten von Christian Schubart („Mä(h)rchen“ und „Eismänner“) und Novalis („Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren“) vor, die wunderbar zum Thema des Tages passten. Sein Vortrag bestand aber mehr aus den Interpretationen der Gedichte als aus den Gedichten selbst – so sind sie nun einmal, die Lehrer, auch die ehemaligen.
Mit 4Fun betrat nun ein Quartett aus zwei Sängerinnen und zwei Sängern auf. Mit interessanten Arrangements für gemischten vierstimmigen Chor präsentierten sie drei schöne, bekannte Lieder, die alle natürlich auch etwas Märchenhaftes haben. Der Ohrwurm „Only You“ von den Flying Pickets ist sozusagen ein Standard für Chöre, die Popmusik interpretieren. „The Rose“ haben wir im Folk Club schon mehrfach gehört aber nicht in dieser Version, sehr schön gesungen. Als Märchen vom Konsum stellten die „Vier Späße“ (auch eine mögliche Interpretation des Namens) Janis Joplins legendäres Lied „Mercedes Benz“ vor. Eine super Idee, das Lied, das auch zu John Harrisons Repertoire gehört, mal in mehrstimmiger Version vorzutragen – Bravo, Ihr Vier Späße!
Das folgende Trio namens „Bernhard und Gebläse“, bestehend aus Lucia, Mareike und natürlich Bernhard, stellte nun eine für Folk Club-Verhältnisse völlig außergewöhnliche Formation dar: Oboe (Lucia) und Fagott (Mareike) hatten wir hier noch nie, lediglich die Gitarre (Bernhard) ist sozusagen das Brot-und-Butter-Instrument. Ihr Stück, die „Sonatine über Finnische Volkslieder“ von Herbert Baumann besteht aus drei Sätzen. Offenbar kommt das Folk-Club-Publikum doch nicht aus dem Bildungsbürgertum wie von Gitarrist Bernhard bei seiner Einführung in das Stück erwartet. So gab es zwischen den Sätzen trotz vorheriger Ermahnung artiges Klatschen – na, ja. Die drei trugen das sehr anspruchsvolle Stück wunderbar munter und einfühlsam vor und waren vor allem mit den beiden exquisiten Doppelrohrblatt-Instrumenten ein wahrer Ohrenschmaus. Ein kleiner Blick in die (fast) allwissende Youtube-Kiste zeigt, dass wir es zudem mit einem Stück zu tun haben, das offenbar noch keine weite Verbreitung gefunden hat. Es gibt dort nur eine einzige und zudem unvollständige Präsentation des Stückes. Bernhard und Gebläse, das solltet ihr mal ändern!
Hatte Gert Müller schon mal mit Bonner Platt angefangen, so setzte Ingrid Stachetzki am Klavier begleitet von Barry Roshto mit ihren Liedern noch eins drauf: Es gibt nicht nur Karnevalslieder in Rheinischer Mundart, sondern auch wunderbare Lieder zur Weihnacht. Ingrid und Barry stellten einige davon vor: „Bal brennt et Bäumche“, „Mööd unger’m  Tannebaum“ und „Jeder kann jet dun“ von den kölschen Musik-Urgesteinen Hans Knipp, Hartmut Priess und Günter Lückerath besingen Weihnachten nicht klebrig-süß sondern nachdenklich und mit einer guten Portion rheinischem Humor. Barry begleitete gefühlvoll und zurückhaltend, so dass Ingrids wunderbar präsente und intonationssichere Sopranstimme schön zur Geltung kam. Als Abschluss gab es noch mit „Et hätt alles ne Anfang“ eine kleine Zugabe – Bravo Ingrid und Barry!
Als ob es eine Absprache gegeben hätte, betrat gleich danach mit Rita Nattermann die nächste Gesangssolistin die Bühne, diesmal am Klavier begleitet von Günter Peters. „Irgendwo auf der Welt“ von den Comedian Harmonists hat natürlich auch etwas Märchenhaftes ebenso wie Paul Linckes „Es war einmal“ aus der Operette „Im Reiche des Indra“. Zum Abschluss gönnten die beiden dem Publikum mit „Muss I denn“ etwas zum Mitsingen – herrlich! Applaus für Rita und Günter.
Wenn Jutta Mensing dem Folk Club einen Besuch abstattet, hat sie meist wenigstens ein Lied dabei, so auch diesmal. Ohne Umschweife und ohne Begleitung sang Jutta das wunderbare Lied mit dem Text Heinrich Heines „Die Loreley – Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“. Ein toller Beitrag von Jutta zum Motto des Abends und eine super Gelegenheit für das Publikum, seine Chorqualität zu beweisen.
Stichwort Chor: Eine zweite Formation mit der zweideutigen 4 im Namen betrat die Bühne. Die vier Damen des Quartetts note-4-note (ja, alles kleingeschrieben!) widmen sich der Barbershop-Musik, einem Musikstil, der Gänsehaut verursacht und den euer Chronist gern viel häufiger im Folk Club hören würde. Miriam, Claudia, Regine und Monika hatten zwar keine Lieder mit Bezug zu Märchen auf Lager, präsentierten sich dafür aber mit märchenhaften Utensilien (Frosch und Prinzessin). Aber, um es vorweg zu nehmen, der Deko bedurfte es nicht, es reichte ihre märchenhafte Musik. Los ging’s mit „Sing-Sing“ von Serena Ryder im Arrangement von Joey Minshall. Mit diesem ganz schön komplizierten Stück gut warmgesungen kam das Lied „Birth of the Blues“ von B.G. De Sylvia und Lew Brown mit der Musik von Ray Henderson im Arrangement von Carolyn Schmidt an die Reihe“. Euer Hofberichterstatter war hin und weg. Wunderbare Stimmen, die sich so herrlich ergänzten, dass der prickelnde und berückende Close-Harmony-Sound unvermittelt den Gänsehaut-Effekt erzeugte. „Love Will Keep us Together“ von Neil Sedaka und Howard Greenfield im Arrgangement von Renee Craig war von ähnlichem Kaliber. Natürlich mussten die Vier mit einer Zugabe ran. Sie kam mit „An Irish Blessing“ in einer eurem Berichterstatter unbekannten, aber umso märchenhafteren Version im Arrangement von Don Gray. Mädels, ihr habt ja nach eigenem Bekunden bislang nur ein kleines Repertoire. Das müsst ihr dringend vergrößern und dann mit den neuen Edelsteinen wieder im Folk Club auftreten – Riesenapplaus für die vier kleingeschriebenen Noten!
Nun, mittlerweile hat es für den Dezember Folk Club schon Tradition, dass uns unser Freund Simon Kempston aus Edinburgh als „Special Guest“ beehrt. Simon platziert seine sonstigen Tourneeauftritte stets so, dass eine Lücke für den Dezember-Folk Club in Bonn bleibt. Nach eigenem Bekunden ist dieser Auftritt für ihn der Höhepunkt des Jahres. Nun, wir fühlen uns sehr geehrt und können sagen, dass wir dies auch von unserer Seite so sehen. Neben einigen bekannteren Liedern präsentierte Simon auch neue Stücke von seiner druckfrischen CD „Onwards She Travels“. Die CD enthält ausschließlich instrumentale Stücke, die mit ihrer musikalischen Transparenz und Simons brillanter Gitarrentechnik bezaubern. Ein herrliches Weihnachtsgeschenk, und viele Zuhörer nutzten die Gelegenheit, sich mit CDs für sich und/oder ihre Lieben einzudecken.
Obwohl, wie bereits erwähnt, Simon viele seiner Stücke hier nicht zu ersten Mal gespielt hatte, lohnt es sich doch immer wieder, sie aufs Neue zu hören. Die Interpretation wird zunehmend reifer, brillanter und fesselnder. Besonders berührt war euer Chronist von den Liedern „You and I Must Remember Them“ und „Sweet Release“. Auch die Reaktion des Publikums spricht Bände: es ist so still – Ihr wisst schon, die Stecknadel. Als Abschluss seines Konzerts gab es noch etwas für die Seele mit dem einzigen Stück, das nicht aus Simons eigener Feder stammte: „Caledonia“ von Doughie MacLean aus dem Jahre 1977 – herzerwärmend. Das Publikum dankte Simon für die wunderbare Musik mit einem überwältigenden Applaus.
Für alle, die Wert auf Vollständigkeit legen, hier die Liste der Stücke, die uns Simon spielte und sang: Down From the Docks, You and I Must Remember Them, Man of Peace, Sweet Release, If I Took You Back, Caledonian Blues, Belfast Night, Caledonia und die Instrumentalstücke Onwards She Travels, Till Death Do Us Part und The Dance of Realisation. Wir hoffen, dass Simon auch im kommenden Jahr wieder den Folk Club in seinen Bann schlagen wird.
Ja, und dann ging es wie immer erst heim, nachdem der Saal zuvor der guten Jock Stewart ordentlich hatte hochleben lassen – „A Man You Don’t Meet Every Day“.
Auf Wiedersehen im neuen Jahr 2018 beim Folk Club Nr. 87 im Januar mit der Kölner Band Schank, die LebeArt Köln mit der Zeile charakterisiert:
Wie keine andere hochdeutsche Band verkörpert SCHANK gerade das Kölner Lebensgefühl: Sympathisch krawallig, mitunter tiefgründig, dabei aber immer mit leichtem Augenzwinkern.“ Wir dürfen uns freuen.

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