Folk Club Bonn am 1. Dezember 2017 – Märchenhaft
„Märchenhaft“, das leicht
abgewandelte Motto der 86. Auflage des Folk Club Bonn hat eigentlich
Programmcharakter für die gesamte Existenz des Folk Clubs seit seinem ersten
Abend im Februar 2010. Aus einer Idee mit kleinen Anfängen in der Gaststätte
Zum Schützenhaus in Graurheindorf ist inzwischen eine sogar international
beachtete Institution geworden, die bei jeder Auflage zwischen 70 und 100
Besucher anlockt. Im Gegensatz zu den hochsubventionierten Mammutbetrieben des
öffentlichen Kulturbetriebes floriert das Pflänzchen Folk Club Bonn ohne
jeglichen Zuschuss, ohne Eintrittsgeld und lediglich getrieben vom Spaß an d’r
Freud’. Die Organisatoren stecken Zeit in das Projekt, hin und wieder werden
ein paar Euro für das Stimmen des Klaviers locker gemacht (ist wieder dringend
nötig!), und die Künstler – Amateure ebenso wie Profis – spielen ohne Gage. Den
größten Lohn für die Mühe aller Akteure spendet das enthusiastische Publikum.
Die Künstler sind oftmals überwältigt von der konzentrierten Atmosphäre und der
ungeteilten Aufmerksamkeit, die die Zuhörer ihrer Musik widmen. Das
niederschmetternde Erlebnis jedes Musikers, nur Hintergrundberieselung zu sein,
gibt es im Folk Club Bonn nicht. Eines der Geheimnisse dieses Erfolgs ist der
komplette Verzicht auf elektronische Verstärkung. Mancher Künstler hatte schon
darum gebettelt, wenigstens einen kleinen Verstärker für die Gesangsstimme
einsetzen zu dürfen. Nach ihrem gezwungenermaßen unverstärkten Auftritt waren
auch die Skeptiker restlos begeistert, denn unverstärkte Musik zwingt das
Publikum zur Ruhe. Und so kommt ein für beide – Musiker und Publikum –
wunderbares, märchenhaftes, Ergebnis zustande.
Genug der Schwärmerei, hinein
ins Vergnügen des Abends, der wie immer mit dem markerschütternden
Begrüßungsruf unseres Zeremonienmeisters John
Harrison begann. Als kleinen Beitrag zum Motto steuerte John seine witzige,
der Phantasie entsprungene Geschichte von Albert McTavish bei, der einen neuen
Kühlschrank für sein Haus auf einer gottverlassenen Hebrideninsel beschaffen
muss und dabei ganz Unerwartetes „erlebt“. Bei diesem „Lied“ sind Text und
Musik getrennt, denn die Geschichte besteht aus einer kleinen Erzählung und die
Musik dazu ist – für die Zuhörer überraschend – ein Instrumental. Wer zum
Inhalt mehr erfahren will, soll regelmäßig zum Folk Club kommen, denn die
kleine Geschichte ist in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu hören und
dabei jedes Mal ein kleines bisschen anders.
Weniger märchenhaft, weil real,
aber dennoch gespenstisch unwirklich und zudem erschütternd waren die
Geschehnisse während des jugoslawischen Bürgerkriegs, unter dessen Eindruck
John seinerzeit das Lied „Trouble and Strife“ schrieb, das sich mit den
Ungeheuerlichkeiten bei der Belagerung von Sarajewo beschäftigt. Er
kommentierte seine Situation so, dass es märchenhaft sei, in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts geboren zu sein, ohne selbst Hunger und Krieg und
Verfolgung erleben zu müssen, dass ihn aber die Erkenntnis erschreckt und
bedrückt habe, dass der Firnis der Zivilisation doch recht dünn ist und
jederzeit aufbrechen kann. Anlass für John, das Lied am heutigen Abend zu
singen, war die wenige Tage zuvor erfolgte Verurteilung zu lebenslanger Haft
des früheren Generals Radtko Mladić
durch den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den
Haag. Mladić wurden sowohl die Belagerung von Sarajewo als auch der Massenmord
von Srebrenica zur Last gelegt.
Einen Beitrag zur Adventszeit
lieferte unser fleißiger Gedichterezitator Gert
Müller, der mit seinem herrlich unverfälschten Bonner Platt die
Weihnachtsgeschichte in Reimform präsentierte. Das Gedicht stammt von Ferdinand
Böhm aus Friesdorf, der die biblischen Geschichten in unnachahmlicher Weise in
Verse gesetzt und dabei den Geschichten auch eine leicht abgewandelte,
augenzwinkernde Fassung verpasst hat und dies in Bonner Dialekt – köstlich
geschrieben und ebenso herrlich präsentiert von Gert.
Frei nach Heinz Erhardts Motto
„Noch’n Gedicht“ enterte nun Peter
Deteren die Bühne und trug ein Potpourri aus Gedichten von Christian
Schubart („Mä(h)rchen“ und „Eismänner“) und Novalis („Wenn nicht mehr Zahlen
und Figuren“) vor, die wunderbar zum Thema des Tages passten. Sein Vortrag
bestand aber mehr aus den Interpretationen der Gedichte als aus den Gedichten
selbst – so sind sie nun einmal, die Lehrer, auch die ehemaligen.
Mit 4Fun betrat nun ein Quartett aus zwei Sängerinnen und zwei Sängern
auf. Mit interessanten Arrangements für gemischten vierstimmigen Chor
präsentierten sie drei schöne, bekannte Lieder, die alle natürlich auch etwas
Märchenhaftes haben. Der Ohrwurm „Only You“ von den Flying Pickets ist
sozusagen ein Standard für Chöre, die Popmusik interpretieren. „The Rose“ haben
wir im Folk Club schon mehrfach gehört aber nicht in dieser Version, sehr schön
gesungen. Als Märchen vom Konsum stellten die „Vier Späße“ (auch eine mögliche
Interpretation des Namens) Janis Joplins legendäres Lied „Mercedes Benz“ vor.
Eine super Idee, das Lied, das auch zu John Harrisons Repertoire gehört, mal in
mehrstimmiger Version vorzutragen – Bravo, Ihr Vier Späße!
Das folgende Trio namens „Bernhard und Gebläse“, bestehend aus Lucia, Mareike und natürlich Bernhard, stellte nun eine für Folk
Club-Verhältnisse völlig außergewöhnliche Formation dar: Oboe (Lucia) und
Fagott (Mareike) hatten wir hier noch nie, lediglich die Gitarre (Bernhard) ist
sozusagen das Brot-und-Butter-Instrument. Ihr Stück, die „Sonatine über
Finnische Volkslieder“ von Herbert Baumann besteht aus drei Sätzen. Offenbar
kommt das Folk-Club-Publikum doch nicht aus dem Bildungsbürgertum wie von
Gitarrist Bernhard bei seiner Einführung in das Stück erwartet. So gab es
zwischen den Sätzen trotz vorheriger Ermahnung artiges Klatschen – na, ja. Die
drei trugen das sehr anspruchsvolle Stück wunderbar munter und einfühlsam vor
und waren vor allem mit den beiden exquisiten Doppelrohrblatt-Instrumenten ein
wahrer Ohrenschmaus. Ein kleiner Blick in die (fast) allwissende Youtube-Kiste
zeigt, dass wir es zudem mit einem Stück zu tun haben, das offenbar noch keine
weite Verbreitung gefunden hat. Es gibt dort nur eine einzige und zudem
unvollständige Präsentation des Stückes. Bernhard und Gebläse, das solltet ihr
mal ändern!
Hatte Gert Müller schon mal mit
Bonner Platt angefangen, so setzte Ingrid
Stachetzki am Klavier begleitet von Barry
Roshto mit ihren Liedern noch eins drauf: Es gibt nicht nur Karnevalslieder
in Rheinischer Mundart, sondern auch wunderbare Lieder zur Weihnacht. Ingrid
und Barry stellten einige davon vor: „Bal brennt et Bäumche“, „Mööd
unger’m Tannebaum“ und „Jeder kann jet
dun“ von den kölschen Musik-Urgesteinen Hans Knipp, Hartmut Priess und Günter
Lückerath besingen Weihnachten nicht klebrig-süß sondern nachdenklich und mit
einer guten Portion rheinischem Humor. Barry begleitete gefühlvoll und
zurückhaltend, so dass Ingrids wunderbar präsente und intonationssichere
Sopranstimme schön zur Geltung kam. Als Abschluss gab es noch mit „Et hätt
alles ne Anfang“ eine kleine Zugabe – Bravo Ingrid und Barry!
Als ob es eine Absprache gegeben
hätte, betrat gleich danach mit Rita
Nattermann die nächste Gesangssolistin die Bühne, diesmal am Klavier
begleitet von Günter Peters.
„Irgendwo auf der Welt“ von den Comedian Harmonists hat natürlich auch etwas
Märchenhaftes ebenso wie Paul Linckes „Es war einmal“ aus der Operette „Im
Reiche des Indra“. Zum Abschluss gönnten die beiden dem Publikum mit „Muss I
denn“ etwas zum Mitsingen – herrlich! Applaus für Rita und Günter.
Wenn Jutta Mensing dem Folk Club einen Besuch abstattet, hat sie meist
wenigstens ein Lied dabei, so auch diesmal. Ohne Umschweife und ohne Begleitung
sang Jutta das wunderbare Lied mit dem Text Heinrich Heines „Die Loreley – Ich
weiß nicht, was soll es bedeuten“. Ein toller Beitrag von Jutta zum Motto des
Abends und eine super Gelegenheit für das Publikum, seine Chorqualität zu
beweisen.
Stichwort Chor: Eine zweite
Formation mit der zweideutigen 4 im Namen betrat die Bühne. Die vier Damen des
Quartetts note-4-note (ja, alles
kleingeschrieben!) widmen sich der Barbershop-Musik, einem Musikstil, der
Gänsehaut verursacht und den euer Chronist gern viel häufiger im Folk Club
hören würde. Miriam, Claudia, Regine und
Monika hatten zwar keine Lieder mit Bezug zu Märchen auf Lager,
präsentierten sich dafür aber mit märchenhaften Utensilien (Frosch und
Prinzessin). Aber, um es vorweg zu nehmen, der Deko bedurfte es nicht, es
reichte ihre märchenhafte Musik. Los ging’s mit „Sing-Sing“ von Serena Ryder im
Arrangement von Joey Minshall. Mit diesem ganz schön komplizierten Stück gut
warmgesungen kam das Lied „Birth of the Blues“ von B.G. De Sylvia und Lew Brown
mit der Musik von Ray Henderson im Arrangement von Carolyn Schmidt an die
Reihe“. Euer Hofberichterstatter war hin und weg. Wunderbare Stimmen, die sich
so herrlich ergänzten, dass der prickelnde und berückende Close-Harmony-Sound
unvermittelt den Gänsehaut-Effekt erzeugte. „Love Will Keep us Together“ von Neil Sedaka und Howard Greenfield im
Arrgangement von Renee Craig war von ähnlichem Kaliber. Natürlich mussten die
Vier mit einer Zugabe ran. Sie kam mit „An Irish Blessing“ in einer eurem
Berichterstatter unbekannten, aber umso märchenhafteren Version im Arrangement
von Don Gray. Mädels, ihr habt ja nach eigenem Bekunden bislang nur ein kleines
Repertoire. Das müsst ihr dringend vergrößern und dann mit den neuen
Edelsteinen wieder im Folk Club auftreten – Riesenapplaus für die vier
kleingeschriebenen Noten!
Nun, mittlerweile hat es für den
Dezember Folk Club schon Tradition, dass uns unser Freund Simon Kempston aus Edinburgh als „Special Guest“ beehrt. Simon
platziert seine sonstigen Tourneeauftritte stets so, dass eine Lücke für den
Dezember-Folk Club in Bonn bleibt. Nach eigenem Bekunden ist dieser Auftritt
für ihn der Höhepunkt des Jahres. Nun, wir fühlen uns sehr geehrt und können sagen,
dass wir dies auch von unserer Seite so sehen. Neben einigen bekannteren
Liedern präsentierte Simon auch neue Stücke von seiner druckfrischen CD
„Onwards She Travels“. Die CD enthält ausschließlich instrumentale Stücke, die
mit ihrer musikalischen Transparenz und Simons brillanter Gitarrentechnik
bezaubern. Ein herrliches Weihnachtsgeschenk, und viele Zuhörer nutzten die
Gelegenheit, sich mit CDs für sich und/oder ihre Lieben einzudecken.
Obwohl, wie bereits erwähnt,
Simon viele seiner Stücke hier nicht zu ersten Mal gespielt hatte, lohnt es
sich doch immer wieder, sie aufs Neue zu hören. Die Interpretation wird
zunehmend reifer, brillanter und fesselnder. Besonders berührt war euer
Chronist von den Liedern „You and I Must Remember Them“ und „Sweet Release“.
Auch die Reaktion des Publikums spricht Bände: es ist so still – Ihr wisst
schon, die Stecknadel. Als Abschluss seines Konzerts gab es noch etwas für die
Seele mit dem einzigen Stück, das nicht aus Simons eigener Feder stammte:
„Caledonia“ von Doughie MacLean aus dem Jahre 1977 – herzerwärmend. Das
Publikum dankte Simon für die wunderbare Musik mit einem überwältigenden
Applaus.
Für alle, die Wert auf
Vollständigkeit legen, hier die Liste der Stücke, die uns Simon spielte und
sang: Down From the Docks, You and I Must Remember Them, Man of Peace, Sweet
Release, If I Took You Back, Caledonian Blues, Belfast Night, Caledonia und die
Instrumentalstücke Onwards She Travels, Till Death Do Us Part und The Dance of
Realisation. Wir hoffen, dass Simon auch im kommenden Jahr wieder den Folk Club
in seinen Bann schlagen wird.
Ja, und dann ging es wie immer
erst heim, nachdem der Saal zuvor der guten Jock Stewart ordentlich hatte
hochleben lassen – „A Man You Don’t Meet Every Day“.
Auf Wiedersehen im neuen Jahr 2018
beim Folk Club Nr. 87 im Januar mit der Kölner
Band Schank, die LebeArt Köln mit
der Zeile charakterisiert:
Wie keine andere hochdeutsche
Band verkörpert SCHANK gerade das Kölner Lebensgefühl: Sympathisch krawallig,
mitunter tiefgründig, dabei aber immer mit leichtem Augenzwinkern.“ Wir dürfen
uns freuen.
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