Donnerstag, 5. Juli 2018

Detlefs Bericht vom Folk Club Nr. 92 am 1. Juni 2018


Folk Club Nummer 92 am 1. Juni – Louisiana on my mind
Wenn man einen gesamten Folk-Club-Abend unter das Thema „Louisiana“ stellt, dann muss es zwangsläufig etwas mit Barry Roshto zu tun haben, der aus dem US-Bundesstaat am Golf von Mexiko stammt, und so war es auch. Barry hatte sich den Abend unter diesem Motto zum runden Geburtstag gewünscht und auch bekommen. Normalerweise lehnt sich so ein Geburtstagskind zurück und lässt sich bespaßen. Hier aber war es anders herum. Barry hatte aufgefahren, was das musikalische Zeug hielt und viele seiner Weggenossen gebeten, mit ihm zusammen das Thema zu zelebrieren. Um es vorweg zu nehmen, das Ergebnis war, gelinde gesagt, bombastisch. Von wohligen Schauern über den Rücken bis hin zu Tränen gab es alle Gefühlsregungen, die die Musik uns beschert.

Aber, wie immer, der Reihe nach. Ohne Schlachtruf von Zeremonienmeister John Harrison darf kein Folk-Club-Abend starten, und er tat es auch diesmal nicht. John hatte sich für seine Warm-up Beiträge unsere famose „Neuerwerbung“ Eva Hennekens  zur Seite geholt. „The House of the Rising Sun“ klang mit Evas genialen Begleitimprovisationen an der Geige gleich ganz anders, keine Spur von abgedroschen, nein einfach schön. „St. James Infirmary“ haben wir beim Folk Club zwar auch schon des Öfteren gehört, aber in der Besetzung mit John begleitet von  Paolo Pacifico an der Mundharmonika und Eva an der Geige  ist das Lied schon etwas Besonderes. Zu guter letzt holte John seine Resonatorgitarre raus und spielte den Fats-Domino-Klassiker „Walking to New Orleans“, bei dem das Publikum tatkräftig mitwirken durfte. Barry hatte ein Mitsing-Heft vorbereitet, das keine Wünsche offen ließ. John wurde dabei von Barrys Sohn David auf dem Klavier, Eva auf der Geige, Paolo   auf der Mundharmonika und Barry auf dem Schlagzeug begleitet. Zu guter Letzt tauche auch noch eine Brass-Band auf, die dem Ganzen die nötige Würze verlieh. Der Start war mehr als vielversprechend.

Zu New Orleans gehört natürlich eine Marching Band, die diesmal unter Leitung eines weiteren Amerikaners, Shawn Spicer, auftrat. Nola Brass, so der Projektname, bestand unter anderem aus Schülern der Bonner Musikschule. Shawn unterrichtet dort Saxophon. Shaw, hatte auch zwei seiner professionellen Kollegen gebeten mitzumachen. Mit viel Schwung und Begeisterung spielten sie nach ihrem Einstieg mit „I’m Walking“ den Klassiker „Do Watcha Wanna“. Bei „Oh When the Saints“ durfte das Publikum wieder kräftig mitsingen. „Little Liza Jane“ war dann eine Gemeinschaftsproduktion mit Brass Band, mehreren Gesangssolos u.a. von Regina Haverkamp, Paolo Pacifico und natürlich mit kräftiger Unterstützung vom Publikum. Mit „Jock-a-Mo“ gab es einen Riesenspaß, bei dem Barry und Ursel Quint mit Trommelstöcken eine Percussion-Begleitung spielten und unter anderem Paolo Pacifico die Gesangspartie übernahm. Zum Abschluss dieses Teils konnte es sich Barry nicht verkneifen, nur mit Trommelbegleitung das Lied „The Battle of New Orleans“ zu singen. Das Lied ist ein Spottlied auf die Engländer, die in den Jahren 1812 bis 1815 einen Krieg gegen die USA führten und letztlich im Januar 1815 bei New Orleans geschlagen wurden. 

Etwas für die geistliche - ja geistliche, nicht geistige - Erbauung brachten danach die beiden Lieder „Will the Circle be Unbroken“ und „I’ll Fly Away“, die Barry zusammen mit einem kleinen Chor aus Folk-Club-Getreuen (Folk Club All Stars) anstimmte. Bei den Liedern geht es um Tod und Trauer und um die Seele, die ihren Weg ins Jenseits sucht und auf die dort eine bessere Heimat wartet – erhebend!

Die Besucher des Folk Clubs hatten erstmals Gelegenheit Barrys Bruder Keith zu erleben, der ebenfalls Musiker ist und wunderbare Lieder komponiert. Für „The Beacon“ hatte Keith seine Familie, also eigentlich die seines Bruders, zusammen mit Daniel Bongart und Ruth zu einem kleinen Chor zusammengetrommelt, der seinem Lied eine einzigartige und ergreifende Stimmung bescherte – Riesenapplaus für Keith und seinen Chor.

Ach ja, und da gab es auch noch die Featured Artists des Abends. Bei dem Feuerwerk an Musik, das der Folk Club schon mit seinen Stammkräften, also sozusagen mit Bordmitteln, abbrannte, kamen sich Fil Campbell und ihr Mann Tom McFarland aus Nordirland nach eigenem Bekunden etwas verloren vor. Euer Chronist stellt aber fest, dass dieses Gefühl zwar verständlich aber unbegründet war. Die Beiden waren wirklich eine Klasse für sich. Sie brachten alles mit, was einen unterhaltsamen Abend garantiert: Lieder mit schönen, gefühlvollen und auch überraschenden Melodien, Texte zum Nachdenken und auch zum Wohlfühlen, und das alles gepaart mit perfekter Instrumentenbeherrschung, wunderbarer Instrumentierung ihrer Lieder (Fil an der Gitarre und Tom mit Schlagwerk) und nicht zuletzt schönen, tragenden, einfühlsamen und intonationssicheren Stimmen. Nur Lieder präsentieren ist eines, aber richtig spannend wird es, wenn die Künstler zu jedem Lied noch eine Geschichte parat haben. Fil und Tom hatte viele witzige, nachdenkliche und rührende Geschichten zu ihren Liedern und erzählten sie mit einer so klaren Sprache und perfekter Artikulation, dass das Verstehen auch für Nicht-Englisch-Muttersprachler kein Problem darstellte. 

Leute, ihr müsst bei Fil und Tom in die Lehre gehen. Wer so spricht, ob Deutsch oder Englisch, der hat die Zuhörer auf seiner Seite. 

Nun, jetzt hätte ich beinahe vergessen zu erzählen, welche Lieder uns vorgespielt wurden. Am Besten Ihr hört sie euch bei Youtube an, oder noch besser, Ihr kauft eine oder mehrere von Fils und Toms CDs. Die beiden haben es mehr als verdient. Der Vollständigkeit halber hier ein kleiner Überblick über die Lieder des Abends: „Sunshine in the Rain“ ist ein kleines Lied zum Mutmachen in schweren Stunden. Mit „We’ll Get There, When We Get There“ plädieren die beiden für Geduld im immer dichter werdenden Straßenverkehr (Ja, unglaublich, den gibt es auch im ansonsten so beschaulichen Nordirland). Fils und Toms Version von „Blue Bayou“ war eine kleine Reverenz an das Thema des Abends. „Ready for the Storm“ erzählt die Geschichte des vergangenen, sehr langen Winters, den die beiden in ihrem Wohnort Rostrevor an der irischen Ostküste besonders intensiv erlebt haben. „Come Rain, Come Shine“ ist ein kleines, wunderschönes Liebeslied, bei dem klar wird, dass es auch in der schönsten Liebesbeziehung nicht immer nur Sonnenschein gibt, dass aber auf jeden Fall nach einem Regenfall auch wieder die Sonne scheint. „Talk About“ ist ein Lied mit dem Fil ihrer Frustration über Politiker Ausdruck gibt, die den Willen der Wähler nicht umsetzen. Mal etwas ganz Ungewöhnliches ist das Lied „When You’re Somebody’s Baby“. Es geht dabei um das fragwürdige Geschäftsgebaren der Fluglinie Ryanair in Bezug auf das Gepäck der Passagiere. Seitdem Mr. Ryan viel Geld für Toms Trommeln haben will, fahren sie mit dem Auto auf Tournee. Das als Blues gestaltete Lied bekam ganz besonders viel Applaus. Ein Plädoyer für die Gemeinsamkeiten ist das Lied „The Bird Song“. „We may have different feathers and sing a different song, but when we sing together, the differences are gone“ lautet der Refrain. Das spricht doch für sich selbst. Große Begeisterung beim Publikum rief Hannes Waders Klassiker „Heute hier, Morgen dort“ hervor. Fil spricht auch etwas Deutsch und bekam einen Bombenapplaus für ihren kleinen Ausflug in die deutsche Liedermacherszene. Zum Abschluss ihres Auftritts sangen die beiden „Until We Meet Again“, ein Lied wie geschaffen für den Schluss eines Abends. Ja, das war auch der Schluss des Abends, natürlich nicht ganz, denn es folgte noch der obligatorische Jock Stewart. 

Aber halt, da ich nicht komplett chronologisch vorgegangen bin, muss ich euch noch von den Ereignissen zwischen den beiden Sets von Fil und Tom berichten:

Barry startete nach der Pause mit dem bekannten Gassenhauer „Jambalaya“ bei dem alle mitsingen durften. Trotz des etwas zungenbrecherischen Texts gelang das ganz gut. Keith und seine Nichte Emily (Barrys Tochter) sangen danach den Hit „The Highway“ von Holly Williams. Euer Berichterstatter ist immer wieder hingerissen von Emilys Stimme. Die Kombination der Stimmen und Gitarren von Onkel und Nichte war aber noch fesselnder.
Danach beendete Keith das kleine Dreierset zum Thema „Heimweh“ mit einer Eigenkomposition: „Gonna Take a Little Trip Down the Lazy Mississippi to See the Preacher of New Orleans“. Das Lied mit dem etwas sperrigen Titel erzählt eine kleine Geschichte aus der Familienhistorie der Roshtos mit tragischem Ausgang. Keith wurde von einem äußerst spielfreudigen Paolo auf der Mundharmonika begleitet.

Mario Dompke hatte sich drei Lieder mit Bezug zum Thema gesucht. Den Anfang machte er mit dem Mississippi Blues, den er Instrumental auf eine Resonator Gitarre spielte. Zusammen mit Regina Haverkamp als Gesangspartnerin gab es dann das Country-Lied „Louisiana Woman, Mississippi Man“. Die beiden wurden auf der Geige begleitet von der inzwischen als Geheimwaffe des Folk Clubs gehandelten Eva Henneken. Ein munterer Spaß, denn das Publikum konnte den Refrain mitsingen. Zum Lied „Louisiana Saturday Night“ gab es dann einen kleinen Instrumentenwechsel, denn Regina übernahm die Resonator Gitarre und Mario schnappte sich seine neu erworbene Waldzither. Ein Folk-Club-Besucher hatte Mario das Instrument geschenkt, da es unbenutzt bei ihm herumgelegen hatte – Applaus für Mario, Regina und Eva für das schöne Set.

Nach diesen Beiträgen kamen echte Kracher zum Thema Hochwasser, das die Menschen am Mississippi fast noch mehr verfolgt als die Rheinanlieger: Fast unbemerkt vom Publikum startete Barry mit einem zum „Tag“ verkürzten Lied von Randy Newman „I Think It’s Gonna Rain“, super gemacht. Beindruckend war danach Lenas Walbröls Stimme zum „Backwater Blues“. Zusammen mit Barrys Klavierbegleitung und den Mundharmonikas von John Harrison und Paolo Pacifico ein wahres Kleinod. Bessie Smith hat sicher in ihrem Grab getanzt. Lena durfte danach noch einmal Ihre Stimme hören lassen bei einem Lied, das zwar keinen Beitrag zum Thema Mississippi-Hochwasser bot, aber das war einerlei: „Thinking Out Loud“ von Ed Sheeran in der Interpretation von Lena mit Barry am Klavier und mit zweiter Gesangsstimme und Paolo an der Mundharmonika ist schon ein wahrer „Hinhörer“ – toll gemacht und Riesenapplaus. Lena, davon will das Folk-Club-Publikum bestimmt bald mehr hören.

Das Thema Hochwasser bemüht Randy Newman in seinem Lied „Louisiana 1927“ in einzigartiger Weise. Barry hatte für das Lied ein Streichquartett bestehend aus seiner Frau Christiane, einer von Christianes Schülerinnen, Eva Hennekens und Ruth Kügler am Cello gewonnen. Leute, das Stück kam einfach überwältigend rüber. Die vier Streicherinnen gaben dem Lied eine zum Weinen schöne Stimmung. Barry und Paolo sangen abwechselnd solo und gemeinsam. Das Publikum war überwältigt und der Applaus dementsprechend.

Ebenfalls ein Hochwasser, aber ein viel späteres, nämlich die verheerende Überschwemmung New Orleans’ von 2005 durch den Hurrikan Katrina, behandelt Steve Earle in seinem Lied „This City“, bei dem es um die Liebe der Bewohner von New Orleans geht, das sie trotz der Zerstörungen nicht verlassen wollen. Shawn Spicer, der eigentlich Spezialist auf dem Saxophon ist, spielte und sang dieses Lied mit Geigenbegleitung von Christiane Roshto – herzergreifend. 

Zum Abschluss des speziellen New Orleans-Teils sang Barry Tom Waits’ Hymne „I Wish I Was in New Orleans“, begleitet vom Streichquartett – Junge, Junge, das war Gänsehaut pur. 

Nun, ich hoffe, ihr könnt den Abend halbwegs nachempfinden. Er war großartig. Ein besseres Geburtstagsgeschenk an Barry hätte es kaum geben können.
Auf Wiedersehen beim Folk Club am 6. Juli zum Thema „A Capella“.


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