Folk Club Nummer 92 am 1.
Juni – Louisiana on my mind
Wenn man einen gesamten Folk-Club-Abend unter das Thema
„Louisiana“ stellt, dann muss es zwangsläufig etwas mit Barry Roshto zu tun
haben, der aus dem US-Bundesstaat am Golf von Mexiko stammt, und so war es
auch. Barry hatte sich den Abend unter diesem Motto zum runden Geburtstag
gewünscht und auch bekommen. Normalerweise lehnt sich so ein Geburtstagskind
zurück und lässt sich bespaßen. Hier aber war es anders herum. Barry hatte
aufgefahren, was das musikalische Zeug hielt und viele seiner Weggenossen
gebeten, mit ihm zusammen das Thema zu zelebrieren. Um es vorweg zu nehmen, das
Ergebnis war, gelinde gesagt, bombastisch. Von wohligen Schauern über den
Rücken bis hin zu Tränen gab es alle Gefühlsregungen, die die Musik uns
beschert.
Aber, wie immer, der Reihe nach. Ohne Schlachtruf von
Zeremonienmeister John Harrison darf
kein Folk-Club-Abend starten, und er tat es auch diesmal nicht. John hatte sich
für seine Warm-up Beiträge unsere famose „Neuerwerbung“ Eva Hennekens zur Seite
geholt. „The House of the Rising Sun“ klang mit Evas genialen
Begleitimprovisationen an der Geige gleich ganz anders, keine Spur von
abgedroschen, nein einfach schön. „St. James Infirmary“ haben wir beim Folk
Club zwar auch schon des Öfteren gehört, aber in der Besetzung mit John
begleitet von Paolo Pacifico an der Mundharmonika und Eva an der Geige ist das Lied schon etwas Besonderes. Zu
guter letzt holte John seine Resonatorgitarre raus und spielte den
Fats-Domino-Klassiker „Walking to New Orleans“, bei dem das Publikum tatkräftig
mitwirken durfte. Barry hatte ein Mitsing-Heft vorbereitet, das keine Wünsche
offen ließ. John wurde dabei von Barrys
Sohn David auf dem Klavier, Eva auf der Geige, Paolo auf der Mundharmonika und Barry auf dem
Schlagzeug begleitet. Zu guter Letzt tauche auch noch eine Brass-Band auf, die
dem Ganzen die nötige Würze verlieh. Der Start war mehr als vielversprechend.
Zu New Orleans gehört natürlich eine Marching Band, die
diesmal unter Leitung eines weiteren Amerikaners, Shawn Spicer, auftrat. Nola
Brass, so der Projektname, bestand unter anderem aus Schülern der Bonner
Musikschule. Shawn unterrichtet dort Saxophon. Shaw, hatte auch zwei seiner
professionellen Kollegen gebeten mitzumachen. Mit viel Schwung und Begeisterung
spielten sie nach ihrem Einstieg mit „I’m Walking“ den Klassiker „Do Watcha
Wanna“. Bei „Oh When the Saints“ durfte das Publikum wieder kräftig mitsingen.
„Little Liza Jane“ war dann eine Gemeinschaftsproduktion mit Brass Band,
mehreren Gesangssolos u.a. von Regina
Haverkamp, Paolo Pacifico und
natürlich mit kräftiger Unterstützung vom Publikum. Mit „Jock-a-Mo“ gab es
einen Riesenspaß, bei dem Barry und Ursel Quint mit Trommelstöcken eine
Percussion-Begleitung spielten und unter anderem Paolo Pacifico die Gesangspartie übernahm. Zum Abschluss dieses
Teils konnte es sich Barry nicht
verkneifen, nur mit Trommelbegleitung das Lied „The Battle of New Orleans“ zu
singen. Das Lied ist ein Spottlied auf die Engländer, die in den Jahren 1812
bis 1815 einen Krieg gegen die USA führten und letztlich im Januar 1815 bei New
Orleans geschlagen wurden.
Etwas für die geistliche - ja geistliche, nicht geistige -
Erbauung brachten danach die beiden Lieder „Will the Circle be Unbroken“ und
„I’ll Fly Away“, die Barry zusammen mit einem kleinen Chor aus
Folk-Club-Getreuen (Folk Club All Stars)
anstimmte. Bei den Liedern geht es um Tod und Trauer und um die Seele, die
ihren Weg ins Jenseits sucht und auf die dort eine bessere Heimat wartet –
erhebend!
Die Besucher des Folk Clubs hatten erstmals Gelegenheit Barrys Bruder Keith zu erleben, der
ebenfalls Musiker ist und wunderbare Lieder komponiert. Für „The Beacon“ hatte
Keith seine Familie, also eigentlich die seines Bruders, zusammen mit Daniel Bongart und Ruth zu einem
kleinen Chor zusammengetrommelt, der seinem Lied eine einzigartige und
ergreifende Stimmung bescherte – Riesenapplaus für Keith und seinen Chor.
Ach ja, und da gab es auch noch die Featured Artists des
Abends. Bei dem Feuerwerk an Musik, das der Folk Club schon mit seinen
Stammkräften, also sozusagen mit Bordmitteln, abbrannte, kamen sich Fil Campbell und ihr Mann Tom McFarland aus
Nordirland nach eigenem Bekunden etwas verloren vor. Euer Chronist stellt aber
fest, dass dieses Gefühl zwar verständlich aber unbegründet war. Die Beiden
waren wirklich eine Klasse für sich. Sie brachten alles mit, was einen
unterhaltsamen Abend garantiert: Lieder mit schönen, gefühlvollen und auch
überraschenden Melodien, Texte zum Nachdenken und auch zum Wohlfühlen, und das
alles gepaart mit perfekter Instrumentenbeherrschung, wunderbarer
Instrumentierung ihrer Lieder (Fil an der Gitarre und Tom mit Schlagwerk) und
nicht zuletzt schönen, tragenden, einfühlsamen und intonationssicheren Stimmen.
Nur Lieder präsentieren ist eines, aber richtig spannend wird es, wenn die
Künstler zu jedem Lied noch eine Geschichte parat haben. Fil und Tom hatte
viele witzige, nachdenkliche und rührende Geschichten zu ihren Liedern und
erzählten sie mit einer so klaren Sprache und perfekter Artikulation, dass das
Verstehen auch für Nicht-Englisch-Muttersprachler kein Problem darstellte.
Leute, ihr müsst bei Fil und Tom in die Lehre gehen. Wer
so spricht, ob Deutsch oder Englisch, der hat die Zuhörer auf seiner Seite.
Nun, jetzt hätte ich beinahe vergessen zu erzählen, welche
Lieder uns vorgespielt wurden. Am Besten Ihr hört sie euch bei Youtube an, oder
noch besser, Ihr kauft eine oder mehrere von Fils und Toms CDs. Die beiden
haben es mehr als verdient. Der Vollständigkeit halber hier ein kleiner
Überblick über die Lieder des Abends: „Sunshine in the Rain“ ist ein kleines
Lied zum Mutmachen in schweren Stunden. Mit „We’ll Get There, When We Get
There“ plädieren die beiden für Geduld im immer dichter werdenden
Straßenverkehr (Ja, unglaublich, den gibt es auch im ansonsten so beschaulichen
Nordirland). Fils und Toms Version von „Blue Bayou“ war eine kleine Reverenz an
das Thema des Abends. „Ready for the Storm“ erzählt die Geschichte des
vergangenen, sehr langen Winters, den die beiden in ihrem Wohnort Rostrevor an
der irischen Ostküste besonders intensiv erlebt haben. „Come Rain, Come Shine“
ist ein kleines, wunderschönes Liebeslied, bei dem klar wird, dass es auch in
der schönsten Liebesbeziehung nicht immer nur Sonnenschein gibt, dass aber auf jeden
Fall nach einem Regenfall auch wieder die Sonne scheint. „Talk About“ ist ein
Lied mit dem Fil ihrer Frustration über Politiker Ausdruck gibt, die den Willen
der Wähler nicht umsetzen. Mal etwas ganz Ungewöhnliches ist das Lied „When
You’re Somebody’s Baby“. Es geht dabei um das fragwürdige Geschäftsgebaren der
Fluglinie Ryanair in Bezug auf das Gepäck der Passagiere. Seitdem Mr. Ryan viel
Geld für Toms Trommeln haben will, fahren sie mit dem Auto auf Tournee. Das als
Blues gestaltete Lied bekam ganz besonders viel Applaus. Ein Plädoyer für die
Gemeinsamkeiten ist das Lied „The Bird Song“. „We may have different feathers
and sing a different song, but when we sing together, the differences are gone“
lautet der Refrain. Das spricht doch für sich selbst. Große Begeisterung beim
Publikum rief Hannes Waders Klassiker „Heute hier, Morgen dort“ hervor. Fil
spricht auch etwas Deutsch und bekam einen Bombenapplaus für ihren kleinen
Ausflug in die deutsche Liedermacherszene. Zum Abschluss ihres Auftritts sangen
die beiden „Until We Meet Again“, ein Lied wie geschaffen für den Schluss eines
Abends. Ja, das war auch der Schluss des Abends, natürlich nicht ganz, denn es
folgte noch der obligatorische Jock Stewart.
Aber halt, da ich nicht komplett chronologisch vorgegangen
bin, muss ich euch noch von den Ereignissen zwischen den beiden Sets von Fil
und Tom berichten:
Barry startete nach der Pause mit dem bekannten
Gassenhauer „Jambalaya“ bei dem alle mitsingen durften. Trotz des etwas
zungenbrecherischen Texts gelang das ganz gut. Keith und seine Nichte Emily (Barrys Tochter) sangen danach den Hit
„The Highway“ von Holly Williams. Euer Berichterstatter ist immer wieder
hingerissen von Emilys Stimme. Die Kombination der Stimmen und Gitarren von
Onkel und Nichte war aber noch fesselnder.
Danach beendete Keith das kleine Dreierset zum Thema
„Heimweh“ mit einer Eigenkomposition: „Gonna Take a Little Trip Down the Lazy
Mississippi to See the Preacher of New Orleans“. Das Lied mit dem etwas
sperrigen Titel erzählt eine kleine Geschichte aus der Familienhistorie der
Roshtos mit tragischem Ausgang. Keith wurde von einem äußerst spielfreudigen
Paolo auf der Mundharmonika begleitet.
Mario Dompke
hatte sich drei Lieder mit Bezug zum Thema gesucht. Den Anfang machte er mit
dem Mississippi Blues, den er Instrumental auf eine Resonator Gitarre spielte.
Zusammen mit Regina Haverkamp als
Gesangspartnerin gab es dann das Country-Lied „Louisiana Woman, Mississippi
Man“. Die beiden wurden auf der Geige begleitet von der inzwischen als Geheimwaffe
des Folk Clubs gehandelten Eva Henneken.
Ein munterer Spaß, denn das Publikum konnte den Refrain mitsingen. Zum Lied
„Louisiana Saturday Night“ gab es dann einen kleinen Instrumentenwechsel, denn
Regina übernahm die Resonator Gitarre und Mario schnappte sich seine neu
erworbene Waldzither. Ein Folk-Club-Besucher hatte Mario das Instrument
geschenkt, da es unbenutzt bei ihm herumgelegen hatte – Applaus für Mario,
Regina und Eva für das schöne Set.
Nach diesen Beiträgen kamen echte Kracher zum Thema
Hochwasser, das die Menschen am Mississippi fast noch mehr verfolgt als die
Rheinanlieger: Fast unbemerkt vom Publikum startete Barry mit einem zum „Tag“ verkürzten Lied von Randy Newman „I Think
It’s Gonna Rain“, super gemacht. Beindruckend war danach Lenas Walbröls Stimme zum „Backwater Blues“. Zusammen mit Barrys
Klavierbegleitung und den Mundharmonikas von John Harrison und Paolo Pacifico ein wahres Kleinod. Bessie Smith
hat sicher in ihrem Grab getanzt. Lena durfte danach noch einmal Ihre Stimme
hören lassen bei einem Lied, das zwar keinen Beitrag zum Thema
Mississippi-Hochwasser bot, aber das war einerlei: „Thinking Out Loud“ von Ed
Sheeran in der Interpretation von Lena mit Barry am Klavier und mit zweiter
Gesangsstimme und Paolo an der Mundharmonika ist schon ein wahrer „Hinhörer“ –
toll gemacht und Riesenapplaus. Lena, davon will das Folk-Club-Publikum
bestimmt bald mehr hören.
Das Thema Hochwasser bemüht Randy Newman in seinem Lied
„Louisiana 1927“ in einzigartiger Weise. Barry hatte für das Lied ein
Streichquartett bestehend aus seiner Frau Christiane,
einer von Christianes Schülerinnen, Eva
Hennekens und Ruth Kügler am
Cello gewonnen. Leute, das Stück kam einfach überwältigend rüber. Die vier
Streicherinnen gaben dem Lied eine zum Weinen schöne Stimmung. Barry und Paolo sangen abwechselnd solo und gemeinsam. Das Publikum war
überwältigt und der Applaus dementsprechend.
Ebenfalls ein Hochwasser, aber ein viel späteres, nämlich
die verheerende Überschwemmung New Orleans’ von 2005 durch den Hurrikan Katrina,
behandelt Steve Earle in seinem Lied „This City“, bei dem es um die Liebe der
Bewohner von New Orleans geht, das sie trotz der Zerstörungen nicht verlassen
wollen. Shawn Spicer, der eigentlich
Spezialist auf dem Saxophon ist, spielte und sang dieses Lied mit
Geigenbegleitung von Christiane Roshto
– herzergreifend.
Zum Abschluss des speziellen New Orleans-Teils sang Barry Tom Waits’ Hymne „I Wish I Was in
New Orleans“, begleitet vom Streichquartett – Junge, Junge, das war Gänsehaut
pur.
Nun, ich hoffe, ihr könnt den Abend halbwegs
nachempfinden. Er war großartig. Ein besseres Geburtstagsgeschenk an Barry
hätte es kaum geben können.
Auf Wiedersehen beim Folk Club am 6. Juli zum Thema „A
Capella“.
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