Folk
Club Nr. 97 im Dezember 2018 – Special Guest aus Schottland und viele Züge
Inzwischen ist es eine liebgewordene Tradition: Im Dezember
bekommet der Folk Club Besuch aus Edinburgh. Simon Kempston, der rastlose schottische Poet an der Gitarre
erweist dem Folk Club die Ehre. Wir dürfen dann ungefähr das erste Publikum sein,
das die Lieder seiner jeweils neuen CD zu hören bekommt, die alljährlich kurz
vor Dezember das Licht der Welt erblickt. Simon, der dem Folk Club schon vor
längerem mit dem Prädikat „Best Folk Club outside Scotland“ adelte, setzte
diesmal noch einen drauf. Unser Folk Club sei einfach der Beste, sagte er, und
das nicht nur außerhalb seiner schottischen Heimat. So viel Lob muss man erst
einmal verdauen. Aber wer sich Simons Gig-Liste einmal anschaut, der weiß, dass
der Mann sich solche Aussagen durchaus leisten kann. Man hat den Eindruck, dass
er in seiner nun schon über zehnjährigen Tournee-Karriere so gut wie alle
kleinen und kleineren Spielstätten in Europa aufgesucht hat.
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Eines der
Geheimnisse des Folk Clubs ist der Verzicht auf jegliche Art von elektrischer
Verstärkung. Die Unmittelbarkeit des Musikerlebnisses verzaubert die Zuhörer,
das reflektiert auf die Musiker, und die wiederum spiegeln den Zauber verstärkt
zu den Zuhörern. Die Resonanz aus der Zuhörerschaft ist offenbar ein Faszinosum
für die Musiker. Anders ist der Zulauf kaum zu erklären, den der Folk Club von
Musikern aller Art hat. Auch im kommenden Jahr machen wieder einige Künstler auch
aus dem Ausland Station bei uns, denen es bei ihrem früheren Besuch hier gut gefallen
hat, darunter sind Daria Kulesh aus England (Folk Club im April), die vorigen
Mai bei uns eine umjubelte Vorstellung gab und Juhana Iivonen aus Finnland
(Folk Club im November), der im Februar 2018 erstmals im Folk Club zu Gast war.
Auch Simon Kempston hat den Folk Club im kommenden Dezember schon wieder fest
im Blick. Macht euch zumindest für diese Abende schon einmal ein Kreuzchen in
die Kalender. Das gilt nur für diejenigen (ganz offensichtlich wenigen), die
nicht ohnehin jeden ersten Freitag im Monat dick mit dem Vermerk „Folk Club“
markiert haben.
Bevor aber euer Chronist in Schwärmerei abgleitet, will er
auch noch ein paar Zeilen über die Ereignisse des Abends loswerden:
Mit einer ganz besonderen Interpretation des Themas des
Abends (zur Erinnerung: „Lieder über Züge“) wartete unser Impresario John Harrison auf, an der Geige
begleitet von Eva Henneken: Ihr
Lied „Over the Hills and far Away“ handelt von ganz besonderen Zügen, Feldzügen
nämlich. Das Lied aus dem Endes des 17. Jahrhunderts über einen Soldaten in den
damaligen britischen Armeen hat bis heute zahlreiche textliche Versionen
bekommen. Von Blues-Altmeister Sam (Lightnin‘) Hopkins stammt das Lied „What’d
I Say“. Den Bezug zu Zügen macht die Aussage des enttäuschten Liebhabers: „I'm
gonna ship you back to Arkansas“. John und Eva ergänzten sich perfekt, und Eva
zeigte ihr Können an der Geige mit einer wilden Improvisation. Bei Curtis
Mayfields Lied „People Get Ready“ bekamen die beiden Gesellschaft von John Hurd
an der Gitarre. Hier fährt der Zug zum Jordan – eine alte Anspielung im Blues und
in vielen Gospels an die Fahrt in Richtung Jenseits. John Hurd und Eva
präsentierten zum Schluss des Sets Ralph McTells trauriges Lied „Terminus“. Die
„Endstation“ ist letztlich auch eine Allegorie für das Jenseits, das Jeden von
uns früher oder später erwartet. McTell ist den meisten von uns sicherlich
durch das unsterbliche Lied „Streets of London“ bekannt.
Weniger mit Zügen sondern mehr mit dem bevorstehenden
Weihnachtsfest hatte Gert Müllers
Gedichtvortrag über die biblische Weihnachtsgeschichte zu tun, aber natürlich umgedichtet
op Bönnsch Plaat. Nun, heute wären Maria und Josef vielleicht mit der S-Bahn
von Nazareth nach Bethlehem gefahren (ist ja eigentlich nicht weit – in
Luftlinie weniger als von Bonn nach Köln). Aber vielleicht hätten sie sich gar
nicht auf den Weg zu machen brauchen, da die römische Regierung für die Volkszählung
auch die Online-Teilnahme ermöglicht hätte. Alles dies gab es vor 2000 Jahren
noch nicht, und so kam es zu der folgenschweren Begebenheit in Bethlehem – in
Bonner Dialekt von einem echten „Eingeborenen“ vorgetragen ein köstlicher
Ohrenschmaus.
Holger
Riedel wurde von meinem schreibenden Mitstreiter Mario Dompke
einst als „musikalisch mutiger Felsen in der Brandung von Tönen“
charakterisiert. Das ist eine wirklich großartige Beschreibung. Holger hat aber
auch eine feine Beobachtungsgabe, und aus der Kombination beider Eigenschaften
ist das herrliche „Schrankenlied“ über die Warterei an den Eisenbahnschranken
in der Bonner Südstadt entstanden. Ich bin sicher, Holger zielt speziell auf
die üble Schranke an der Lessingstraße, die tagsüber länger geschlossen als
geöffnet ist. Holger wurde bei seinem musikalischen Kabarettstück begleitet von
Uta Schäfer auf dem Waschbrett, John Harrison an der Mundharmonika, Thomas Neuhalfen am Kontrabass und Mario Dompke am Banjo.
Mal eben so hereingeschneit kamen Tatjana Schwarz und Ralf
Haupts alias „2Sunny“, die als „Walk ins“ zwei schöne Lieder zum Thema
beisteuerten. Ikonenstatus hat das Lied „Freight Train“ von Elizabeth Cotten.
Das kleine, aber bezaubernde Stück über vorbeifahrende Güterzüge hat, wie
bereits vorher kommentierte Lieder, den Tod und die Fahrt ins Jenseits zum
Thema – das ist schon bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Cotten erst ungefähr
11 Jahre alt gewesen sein soll, als sie das Lied um 1900 schrieb. In der Interpretation
mit Ralfs gekonnter Gitarrenbegleitung und Tatjanas berückender Altstimme ein
besonderes Erlebnis. „Long Train Running“ von den Doobie Brothers war der
zweite Beitrag der beiden gar nicht zu Sonnigen, die viel Applaus für ihre
Vorstellung bekamen.
Chris
Biederwolf macht sich immer mal wieder aus „der Gegend von Hannover“
(genauere Angaben über seine Herkunft gönnt er uns nicht) auf den Weg zum Folk Club.
„Wagon Wheel“, basiert auf einem Lied, das Musiker in den 1960er Jahren von Bob
Dylan geklaut haben (netter Euphemismus „Bootleg“) und passt natürlich
hervorragend zum Thema des Abends. Chris hatte aber auch eine eigene Kreation
im Banjo-Mandolinen-und-Mundharmonikakoffer. Zusammen mit GW Spiller präsentierte er ein Lied über die erste deutsche
Eisenbahn, die 1835 von Nürnberg nach Fürth fuhr. Die offizielle Eröffnung fand
– und das ist der eigentliche Clou – auf den Tag genau (7. Dezember) vor
183 Jahren statt. Eigentlich war die Bahn schon zahlreiche Male vorher gefahren.
Das waren aber Probeläufe, hauptsächlich um die Bremsen zu testen. Damals hatte
man keinerlei Problem damit, bei den Probefahrten auch zahlende Passagiere
mitfahren zu lassen. Die Eröffnung fand hingegen mit geladenen Gästen statt.
Bravo Chris, für das feine Lied mit lehrreichem Hintergrund.
Als „Sparkling Lights“ präsentierte sich eine vierköpfige
Truppe bestehend aus Karin Schüler
(Gesang), Gerald Löhrer (Gesang und
Gitarre) und Thomas Neuhalfen
(Kontrabass), die durch den Gitarrenvirtuosen Werner Krotz-Vogel (diesmal aber mit einer schönen Balalaika)
unterstützt wurden. Sie hielten sich zwar nicht an das Thema des Abends,
entschädigten aber mit ihren wunderbaren Bossa Nova-Liedern. „Agua de Beber“
des Brasilianers Carlos Jobim schien für Karins Gesangsstimme wie gemacht.
Ebenfalls von Carlos Jobim (vollständig hieß er ja Antônio Carlos Brasileiro de
Almeida Jobim) stammt das Lied „Desafinado“, das anders als sein Titel
ankündigt, keineswegs leicht verstimmt war. Bei „Corcovado“ (der Bucklige) hatten
die Vier das Publikum endgültig in ihren Bann geschlagen – es war
mucksmäuschenstill. Auch das Lied „Vou te Contar“ (auch bekannt unter dem Titel
„Wave“) gehört zu den zahlreichen Bossa Nova-Standards aus der Feder Jobims,
die sicherlich jeder schon einmal gehört hat, deren Titel aber längst nicht
jedem geläufig sind. Karin präsentierte die Lieder auf Englisch und nicht auf
Portugiesisch, aber das verzeihen wir ihr gern – Riesenapplaus für das
Quartett.
Es ist das Los der besonderen Gäste des Abends im Folk
Club, dass sie als letzte vor der Pause drankommen und meist viele andere
Akteure vor ihnen ihre Lieder spielen dürfen. Aber ein Profi wie Simon Kempston kennt das bereits und
hat offenbar nichts dagegen einzuwenden.
Wenn er die Bühne betritt, spürt jeder, dass es etwas
Besonderes zu erleben gibt. Wir haben seine Entwicklung hier über die Jahre
verfolgen können und sind beeindruckt. Dieses Jahr präsentierte er fast
ausschließlich seine Lieder von der neuen CD „Broken Before“, die einen tiefen
Einblick in sein Seelenleben erlauben. Wie der Titel der CD andeutet, handeln
die meisten Lieder des neuen Albums von Beschwernissen des Lebens, unerfüllter
und unerwiderter Liebe und darüber, wie Menschen damit fertig werden oder auch
manchmal daran zugrunde gehen. Lieder Grau in Grau meint ihr? Mitnichten! Mit
feinfühliger Poesie, zarten Melodien, vorgetragen mit perfekt beherrschter
Gitarrenbegleitung (in DADGAD-Stimmung) und klarer und volltönender Stimme umkleidet
Simon seine Geschichten, die unsereiner sicherlich mehrmals hören oder auch
lesen muss, um sie in sich aufzunehmen. Wer hierzulande versteht schon
beispielsweise folgende Zeilen beim ersten Mal (englische Muttersprachler mögen
diesen Part bitte gnädig überspringen):
„I can be relentless, a temper furious. Boredom can cause
me to stray. But if can battle bedlam, stave off loss, perhaps we’ll find our
way“.
Dies ist der Schluss des Liedes „Run With You, Darling“,
mit dem Simon sein Set eröffnete. Damit wird Zuversicht für eine gemeinsame
Zukunft mit der Liebsten ausgedrückt. Die Sache hat aber auch ihre Tücken.
„Your Breaking Heart“ ist das Bekenntnis zu einer gescheiterten Liebesbeziehung
und eine Klage über die Unfähigkeit, sie ohne Blessuren zu beenden. Und auch
„Love Her Still“ besingt eine vergangene Liebe, die noch nicht ganz erloschen
aber unerreichbar geworden ist.
„Mit
„Broken Before“ setzt Simon ein musikalisches Denkmal für einen Boxer, den er
in Glasgow getroffen hat. Natürlich, wie könnte es auch anders sein, ist der
Boxer kein Siegertyp, sondern einer, der viel Male Niederlagen einstecken
musste. „He Remembers You“ greift wieder das Thema von ungleich verteilter
Hingabe in einer Liebesbeziehung auf. Die Leichtigkeit der Melodie steht dabei
aber in krassem Gegensatz zum beschriebenen Thema. Dass das Lied „I Would Not
Take This Chance Again“ die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl als Hintergrund
hat, muss man auch erst gesagt bekommen. Das Lied entstand bei einer Reise in
die Ukraine und illustriert die zerrissenen Gefühle eines Menschen, der in der
Gegend des Unglücks lebt. Auch die zwiespältige Situation in der rheinischen
Tagebauregion hat Simon zu einem Lied inspiriert: „Time Now to Go“ lautet der
Titel. Auch in diesem Fall ist es ein Betroffener, der aus der Gegend
fortziehen muss, dem Simon mit seinem Lied eine Stimme verleiht. „Mohammad’s
Story“ skizziert die gefahrvolle und von rasenden Ängsten begleitete Flucht aus
dem Kriegsgebiet und die totale Erschöpfung bei der fast nicht mehr für möglich
gehaltenen Ankunft im sicheren Land. „Who Took Ivan’s Soul?“ greift das alte
Thema von einem Menschen auf, der für den Erfolg seine Seele an den Teufel
verkauft. Trotz seiner Siege wird der Pariser Schachmeister nicht glücklich.
Für aufgehelltere Stimmung sorgte Simon mit den
Instrumentalstücken „The Winter Chimes of Romainmôtier“ (Eindrücke eines
Konzertauftritts in dem Schweizer Kloster im Kanton Waad) und „Onwards She
Travels“ (ein Stück aus Simons Instrumental-CD von 2017). Insgesamt also keine
leichte Kost, aber außerordentlich hörenswert und besonders genussvoll in der
Live-Präsentation von Simon Kempston. Simon hat sich bereits für den 6.
Dezember 2019 angemeldet. Wie schon eingangs gesagt, macht euch auch hierfür
schon einmal ein dickes Kreuz in den Kalender. Der Nikolaus kann warten.
Nun, euer Chronist hat die Abfolge der Ereignisse etwas
verfälscht. Zwischen Simons zwei Auftritten gab es noch ein paar andere, sehr
hörenswerte Sets. Nach der Pause eröffnete Barry
Roshto mit dem alten Frank Sinatra-Lied „In the Wee Small Hours of the
Morning“ die Bühne – wunderbar vorgetragen und auf dem Klavier begleitet. Barry
widmete das Lied einem Musiker, der schon oft im Folk Club aufgetreten ist, der
aber zurzeit schwer erkrankt ist und den Berichten zufolge mit dem Tode ringt.
Aus der Kategorie „leichtere Kost“ präsentierte Wolfgang Schriefer das schöne Lied
„Homeward Bound“ von Simon und Garfunkel. Leicht umgedichtet in „Why Don’t We
Do it in the Train“ und damit an das Thema des Abends angepasst hatte Wolfgang
das Lied von dem berühmten „Weißen Doppelalbum“ der Beatles. „My Body is a
Cage“ von Peter Gabriel ist ein Stück, dessen Text man nach Wolfgangs Aussage
anders interpretieren kann je nachdem ob man alt oder jung ist. Wolfgang schlug
den Bogen zur Eisenbahn mit der Aussage „Gefangen sein im Zug“. Ganz gleich, ob
man der Verbindung folgen mag, ein Lied, das den Zuhörer gefangen nimmt, ist es
allemal und gekonnt vorgetragen zudem – Viel Applaus für Wolfgang!
Volker
Lindner und Jan Hoffmann
alias „Die Folkscheuchen“ hatten Ihr
Repertoire nach passenden Stücken durchforstet und waren fündig geworden: Von
„Locomotive Breath“ von Jethro Tull haben die beiden eine schwungvolle Version
für Gitarre (Jan) und Geige (Volker) auf Lager, die so richtig schön rockt.
Komplett aus eigener Feder ist das witzige Lied über den Zug nach Flensburg.
Die Reisenden haben nur ein Ziel: den Gerstensaft aus der Flasche mit dem
„Plopp“.
Aus der Wohlfühlecke bedienten sich Steve Perry, Regine
Perry-Mertens und Mario Dompke
mit dem Lied „Lightning Express“. Das gefühlvolle Lied, das die Everly Brothers
bekannt gemacht hatten, besingt einen Jungen, der ohne Fahrschein mit dem Zug zu
seiner sterbenden Mutter fährt und den Zugschaffner bekniet, ihn nicht aus dem
Zug zu werfen – herzerweichend! Das sollte mal einer bei der Deutschen Bahn
versuchen! Immerhin, auch der amerikanische Schaffner musste erst dadurch
besänftigt werden, dass die anderen Fahrgäste für den Fahrschein
zusammenlegten, Das ist noch uramerikanischer Gemeinschaftssinn. Ein eher
fiktionaler Zug ist der „Wabash Cannonball“, dem Ende des 19. Jahrhunderts ein
Lied gewidmet wurde. Um den Zug ranken sich den Berichten zufolge mindestens so
viele Legenden, wie es Textversionen von dem Lied gibt. Wie dem auch sei, es ist
ein schönes Country-Lied, das von den Dreien mit Inbrunst und Können
vorgetragen wurde. Zu guter Letzt stellte das Trio ein witziges Lied vor, das
von den Wise Guys stammt: „Deutsche Bahn“ mit der Refrainzeile „Sssenk ju for
trewweling wiss Deutsche Bahn!“ ist eine Persiflage auf die Unzuverlässigkeit und
die zahlreichen Zumutungen der DB – zum Piepen!
Immerhin, ist die Bahn auch unkalkulierbar geworden, auf
den FC (nicht den aus Kölle, sondern den aus Bonn) kann man sich verlassen: Am
4. Januar 2019 hält er wieder pünktlich um 19.00 Uhr an Gleis 1 in Dottys Dottendorfer
Bahnhof. Im Sonderwagen fährt diesmal Gerd
Schinkel mit seinem Trio ein und
hat im Gepäckwaggon einen musikalischen Jahresrückblick verstaut. In der ersten
Klasse reisen aber zahlreiche weitere illustre Gäste an. Lasst euch
überraschen.