Montag, 28. Januar 2019

Marios Bericht vom Folk Club Nr 98 am 4. Januar 2019

Folk Club Nr. 98 im Januar 2019 – Featured Artist aus Köln, Gerd Schinkel und viel "Kommen und Gehen"


Ja hamm die alle kein Zuhause...?

so meine spontane Reaktion, als ich sehr zeitig zum Folkclubabend ankam – der Raum war voll und das, obwohl das Team von Dotty die Tischanordnung so geschickt gewählt hat, dass mehr Personen Platz finden konnten. Lag der große Ansturm an der noch vorhandenen Feierlaune nach Weihnachten und Silvester? Lag es daran, dass nach diesen Tagen das Kulturangebot der Stadt Bonn noch nicht wieder so richtig in Fahrt gekommen ist, oder waren etwa alle Heizungen an diesem doch recht kalten Tag ausgefallen? - Nein, es lag und liegt einfach daran, dass der Folkclub ein Ort und ein Termin ist, an dem immer wieder hoch qualitatives, aber eben auch authentisches Lied- und Gedichtgut geboten wird und sich die treue Publikums- und Künstlergemeinde stetig vergrößert. Aber der Reihe nach:

Am Anfang stand – wie immer – der Begrüßungsruf des Zeremonienmeisters John Harrison „Laaadies and Gentlemen....“ ein geliebtes Zeremoniell, welches immer durch gespieltes oder echtes Erschrecken erwidert wird. Nach der Begrüßung wurde es schnell musikalisch. Mit dem Song „Close the Coal House Door“ sowie Eva Henneken als Begleitung an der Geige führte John wie gewohnt in den Abend ein. Thema des FCB 98 war „come and go“, und das erste Lied nahm dieses Thema auf. Zu Zeiten, als es noch selbstverständlich war, dass das Abort außerhalb der Wohnung war, musste man also goen, um seine Notdurft zu verrichten. Da in England meist neben dem Außenerleichterungsraum ein Kohlenhäuschen stand, war es selbstverständlich den einen Gang mit dem Gang des Kohlehohlens zu verbinden. Das comen war so mit dem Holen und Bringen verbunden (vllt. ein neues Thema eines Abends?)  – aber der Philosophie an dieser Stelle genug, denn auch der Folkclub verweilte nicht lange bei solchen Überlegungen, sondern ging mit dem „Police Dog Blues“ weiter. In diesem Lied wird berichtet, wie eine Liebschaft denn doch nicht zustande kam, weil die Dame im Spiel einen Police Dog (Schäferhund) hatte, der so wachsam war, dass keine näheren Begegnungen zwischen Mann und Frau möglich waren. Mit den “Rabbit Hills“ beendeten John und Eva den Auftaktgig des Folkclub und beschrieben den Rückblick eines Mannes auf seine lang vergangene Liebe, als er viele Jahre später wieder den gemeinsamen Treffpunkt des Paares betritt.

Bereits beim ersten Gig kündigte sich der zweite Gig an, denn die Bühne war vollgestellt mit großen senkrechten Rahmen, in deren offenen Mitten Draht- und Darmschnüre verliefen – einer dieser Rahmen war allerdings in die Horizontale verbracht und durch eine Holzplatte abgedeckt, sodass die Schnüre nicht zwischen dem Rahmen sondern auf dem Rahmen verliefen. Aufgelöst bedeutet dieses Rätsel, dass sich beim zweiten Auftritt auf der Bühne ein Hackbrett (Katrin Hahn), drei keltische Harfen (Elena Landeck, Iris Maxstadt und Gabriela Engel), ein Kontrabass (Sandra Wierscher) und eine Geige (erneut Eva Henneken) trafen, die bei zwei Stücken auch durch zwei Stimmen gesanglich (Eva und Günter Engel) begleitet wurden. Lavender Blue waren wieder einmal Gast im Folkclub und alle, die dies schon vorher wussten (mich eingeschlossen), warteten mit kindlicher Erregung auf den Auftritt. Und, um das vorweg zu nehmen, sie wurden belohnt.
Weit über das Erwartete hinaus führten die Lavenders das Publikum in eine Welt des Träumens, ja ich möchte schon fast sagen der Entrückung. Mit einem musikalischen Sonnenuntergang („Der letzte Tanz der Sonne“) griffen sie den zweiten Teil des Abendthemas zuerst auf (go). Jeder fortschreitende Zentimeter des Verschwindens der Sonne konnte vom Publikum gespürt werden – ohne Trauer, denn auch die Musik machte klar, dass es nach einem Sonnenuntergang auch wieder einen Sonnenaufgang geben würde. Diesen besangen die Lavenders, gemeinsam mit dem Publikum, mit dem bekannten „Morning has Broken“ (come) - allerdings erst, nachdem die Gänsehaut des ersten Stückes durch eine Interpretation von „The Rose“ noch gesteigert wurde. Aus dem instrumentalen Genuss wurde durch die Stimmen von Günter und (ohne seine Leistung herabwürdigen zu wollen) besonders der grandios zur Musik passenden Stimme von Eva Engel ein weiterer Schritt zum Gesamtkunstwerk gemacht. Wenn ich schon so begeistert schreibe, dann ist auch klar: Lavender Blue durften noch nicht von der Bühne. Als Zugabe spielten sie zum Abschluss ihres Auftritts, wieder rein instrumental, „Ebbe und Flut“ - absolut passend zum Thema des Abends (come and go), und mit Sandra an der Ocean-Drum.

Wandering Souls, das sind Gerrit Witterhold und Lorena Manz aus Köln. Im Folkclub schon einmal als Walk-in aufgetreten sind sie dort von vielen bestürmt worden, wieder zu kommen und einen kompletten Floorspot zu spielen. Mit ihren Eigenkompositionen „A place to Stay“, „Another Hint“ und „Dreamer“ zeigten sie, dass der Wunsch des Publikums, Wandering Souls wieder zu hören, sehr berechtigt war, so berechtigt, dass die Beiden natürlich nicht von der Bühne gelassen wurden, ohne ihr Walk In vom 96. Folkclub - „Keep On Going“ noch einmal als Zugabe zu spielen. Einen Wermutstropfen hatte der Auftritt für mich – vielleicht lag es an meiner schlechten Sitzposition zur Bühne, aber ich habe die Zwei schlecht verstanden. Zuschauern die direkt vor den Beiden saßen, ging dies nicht so, ganz im Gegenteil – von dort habe ich Aussagen wie „das zarte und feine Zusammenspiel aus Gitarre und Gesang ging direkt unter die Haut“ gehört.

Schnell geht immer wieder die Zeit im Folkclub vorbei und so war auch schon der erste Teil des Gigs von den Featured Artists des Abends angesagt. Das Gerd Schinkel Trio (Gerd Schinkel, Chris Biederwolf und GW Spiller) brachte einen Jahresrückblick 2018 mit auf die Bühne. Wir alle kennen Gerd als jemanden, der jeden Missstand schnell aufgreift und musikalisch als Protestnote kleidet. So schafft es Gerd, dass nicht nur die große Ereignisse, die durch Funk und Fernsehen gehen, sondern auch die kleinen Dinge einem breiteren Publikum bekannt gemacht werden und zu Aktionen des zivilen Ungehorsam führen. Eine Tradition, ja ich möchte fast schon sagen, eine Verpflichtung, die politisch motivierte Liedermacher haben. In dieser Tradition griff Gerd die Themen der innerparteilichen Querelen in der CDU mit „Muttis Abschied“, der Zweizüngigkeit bei der Nutzung und dem gleichzeitigen Imstichlassen der Kurden in Syrien mit „Der Kurdenfluch“, der doch sehr wirtschaftlich gefärbten und nicht den ökologischen Notwendigkeiten begründeten Genehmigung von Glyphosat in der landwirtschaftlichen Anwendung mit dem fast gleichnamigen Titel „Glypho-Saat“ und dem Streit über religiöse Symbole mit „Kruzifix“ auf. Dass die Art der Darstellung nicht jedem im Publikum gleichermaßen passfähig erschien, machten Zwischenrufe mit der Bitte um weniger Einseitigkeit bei der Darstellung deutlich. Nun, wenn Lieder zu einer Diskussion anregen und Zwischenrufe zeigen, dass dies gelungen ist, dann ist die Absicht des Liedermachers schon fast erreicht. Allerdings bin auch ich nach langem Überlegungen zu dem Schluss gekommen, dass Gerd mit der inhaltlichen Form der Darstellung möglicherweise zu sehr in der Protestbewegung der 70er Jahre stecken geblieben ist. Ich finde es richtig und wichtig, dass in Liedern keine Tabus gelten, ich finde es richtig und wichtig, dass Lieder parteiisch sind. Ich bin mir aber sicher, dass die kollektive Beschuldigung ganzer Gruppen (wie z. B. der Polizei) der Sache nicht hilft oder nur kleine Gruppen, die sowieso schon „katholisch“ sind anspricht.  Ich schätze Gerd als einen Liedermacher, der alle Themen aufgreift und hierbei nicht einseitig agiert. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die dann sehr einseitige Darstellung in den Liedern selbst der Sache dient. 

Aber ungeachtet dieses, nun doch wieder in philosophische Betrachtungen abgewanderten, Ausfluges, mache ich einen Riesenschritt und berichte, dass das Gerd Schinkel Trio in der zweiten Hälfte des Abends natürlich wieder kam und weitere Probleme der Gesellschaft mit dem Songs „Ecken und Kanten“, die unsäglichen durch politische Sprachrohre verharmlosten Geschehnisse der Ausländerverfolgung in „Chemnitz“ und dem thematisch passenden Lied „Auslaufmodell“ als Protest gegen die politische Aufsicht des Innenministers über das Bundesamt für Migration und Flüchtlingspolitik (BAMF) ansprach. Sehr fetzig und eher als Durchhaltesong denn als Diskussionsanregung zu verstehen, kam das Lied „Hambi bleibt“ rüber. Wie wir alle wissen, haben im Hambacher Forst die verschiedentlichen Protestaktionen tatsächlich dazu geführt, dass zumindest ein Aufschub für die Natur über Gerichte erreicht wurde.

Aber nun auch zurück zu den weiteren Darbietungen des Abends. Mit einem Walk In begann die zweite Hälfte. Moritz aus Unkel kam, sah und siegte. Nicht nur seine mitgebrachte Interpretation von „Folsom Prison Blues“ begeisterte das Publikum, nein, er wurde auch zu einer Zugabe genötigt, die er gerne mit „Blame It On Me“ gab. Ich bin überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, bis aus dem Walk In ein Floorspot wird.

Von der Musik zurück zur Poesie (gibt es da tatsächlich eine Unterscheidung, oder ist die Poesie nur eine auf ein niedriges Wechsellevel der Töne zurück geschraubte Melodie?) - der im Folkclub gut bekannte Peter Deteren zeichnete mit einem Gedicht sein Bild von „Generale“ in Armeen.

Ebenso ein guter Bekannter ist Wolfgang Schriefer. Mit seiner Interpretation des auch gut bekannte Liedes „Aloha He“ kam er nicht nur auf die Bühne, sondern schaffte es, den gesamten Raum zur Bühne zu machen. Es wurde nicht nur mitgesungen, sondern im Publikum entstand schon fast eine entsprechende Theaterdarstellung der Inhalte – mit den richtigen Liedern und den richtigen Leuten kommt auch die richtige Stimmung :-).

Eine weitere „Annette“ (Folkclub-Ausdruck für die  Darbietung nur eines einzelnen Stückes) wurde durch Gerald Matuschek mit dem Stück „Vorsicht am Zug“ geboten. Wie groß doch der Unterschied zwischen dem heimischen Sofa und der Bühne ist, merkt wohl jeder Künstler bei fast jedem Auftritt neu. Gerald hat nach kurzer erster Unsicherheit diesen Unterschied bravourös gemeistert.

Nun aber wieder Floorspots. Auch nicht zum ersten Mal, aber mit immer neuer 
Begeisterung kam die a capella-Gruppe Taubenhaucher auf die Bühne. Drei Personen, die gerne noch eine vierte (eine Sopranistin) hinzugewinnen würden, um den Stimmumfang der Lieder zu vervollständigen und jeder vorhandenen Stimme ihre eigene Komfortzone zu gewähren. Mit den Stücken „In der Bar zum Krokodil“, „You Are The New Day“ und „Come Again“ zeigten sie einen eindrucksvollen Ausschnitt von ihrem Können. Sicher sehen wir die KollegInnen – dann hoffentlich zu Viert – bald wieder.

Die Familie Haag zeigt, dass das Wichtigste am Musizieren der Spaß ist. Werden die eigenen Emotionen rüber gebracht, ist die technische Perfektion nicht mehr so wichtig. Mit einem grundsoliden Können und eben sehr viel Spaß demonstrierten sie uns ihre Spezialität des Singens in rheinischer Mundart mit den Liedern „Wir kommen aus dem Morgenland“, „De Stammboom“ und „Dat du min Leevsten büst“. Lieder, die bei vielen bekannt, sofort mitgesungen wurden. Die Haags wurden spontan auf der Gitarre begleitet von Gerhard Lemm, der zufällig als Zuhörer anwesend war und - man kann ja nie wissen - seine Gitarre dabei hatte. Gerd ist mit den Haags befreundet und musste als echter Bonner sofort mitspielen - das ist echter Folkclub.

Den zweiten Teil der Featured Artists habe ich ja schon behandelt – bliebe mir also nur noch zu sagen, dass für den Patron des Folkclubs natürlich noch Zeit war und mit dem gemeinsam gesungenen (oder war's gegrölt?) „Jock Stewart“ der Abend beendet wurde. Aber wir alle wissen: Nach dem Folkclub ist vor dem Folkclub, deshalb:

Out of the bedroom – kommt zum 99. Folkclub am 4. Februar in Dotty's Sports Bar

Mario


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