Ja
hamm die alle kein Zuhause...?
so meine spontane Reaktion, als ich sehr zeitig zum
Folkclubabend ankam – der Raum war voll und das, obwohl das Team von Dotty die
Tischanordnung so geschickt gewählt hat, dass mehr Personen Platz finden
konnten. Lag der große Ansturm an der noch vorhandenen Feierlaune nach
Weihnachten und Silvester? Lag es daran, dass nach diesen Tagen das
Kulturangebot der Stadt Bonn noch nicht wieder so richtig in Fahrt gekommen
ist, oder waren etwa alle Heizungen an diesem doch recht kalten Tag
ausgefallen? - Nein, es lag und liegt einfach daran, dass der Folkclub ein Ort
und ein Termin ist, an dem immer wieder hoch qualitatives, aber eben auch
authentisches Lied- und Gedichtgut geboten wird und sich die treue Publikums-
und Künstlergemeinde stetig vergrößert. Aber der Reihe nach:
Am Anfang stand – wie immer – der Begrüßungsruf des
Zeremonienmeisters John Harrison „Laaadies and Gentlemen....“ ein
geliebtes Zeremoniell, welches immer durch gespieltes oder echtes Erschrecken
erwidert wird. Nach der Begrüßung wurde es schnell musikalisch. Mit dem Song „Close
the Coal House Door“ sowie Eva Henneken als Begleitung an der Geige
führte John wie gewohnt in den Abend ein. Thema des FCB 98 war „come and go“,
und das erste Lied nahm dieses Thema auf. Zu Zeiten, als es noch
selbstverständlich war, dass das Abort außerhalb der Wohnung war, musste man
also goen, um seine Notdurft zu verrichten. Da in England meist neben dem
Außenerleichterungsraum ein Kohlenhäuschen stand, war es selbstverständlich den
einen Gang mit dem Gang des Kohlehohlens zu verbinden. Das comen war so mit dem
Holen und Bringen verbunden (vllt. ein neues Thema eines Abends?) – aber der Philosophie an dieser Stelle
genug, denn auch der Folkclub verweilte nicht lange bei solchen Überlegungen,
sondern ging mit dem „Police Dog Blues“ weiter. In diesem Lied wird
berichtet, wie eine Liebschaft denn doch nicht zustande kam, weil die Dame im
Spiel einen Police Dog (Schäferhund) hatte, der so wachsam war, dass keine
näheren Begegnungen zwischen Mann und Frau möglich waren. Mit den “Rabbit
Hills“ beendeten John und Eva den Auftaktgig des Folkclub und beschrieben
den Rückblick eines Mannes auf seine lang vergangene Liebe, als er viele Jahre
später wieder den gemeinsamen Treffpunkt des Paares betritt.
Bereits beim ersten Gig kündigte sich der zweite Gig an,
denn die Bühne war vollgestellt mit großen senkrechten Rahmen, in deren offenen
Mitten Draht- und Darmschnüre verliefen – einer dieser Rahmen war allerdings in
die Horizontale verbracht und durch eine Holzplatte abgedeckt, sodass die
Schnüre nicht zwischen dem Rahmen sondern auf dem Rahmen verliefen. Aufgelöst
bedeutet dieses Rätsel, dass sich beim zweiten Auftritt auf der Bühne ein
Hackbrett (Katrin Hahn), drei
keltische Harfen (Elena Landeck, Iris
Maxstadt und Gabriela Engel), ein Kontrabass (Sandra Wierscher) und eine Geige (erneut Eva Henneken) trafen, die bei zwei Stücken auch durch zwei Stimmen
gesanglich (Eva und Günter Engel) begleitet wurden. Lavender
Blue waren wieder einmal Gast im Folkclub und alle, die dies schon
vorher wussten (mich eingeschlossen), warteten mit kindlicher Erregung auf den
Auftritt. Und, um das vorweg zu nehmen, sie wurden belohnt.
Weit über das Erwartete hinaus
führten die Lavenders das Publikum in eine Welt des Träumens, ja ich möchte
schon fast sagen der Entrückung. Mit einem musikalischen Sonnenuntergang („Der letzte Tanz der Sonne“) griffen
sie den zweiten Teil des Abendthemas zuerst auf (go). Jeder fortschreitende Zentimeter des Verschwindens der Sonne
konnte vom Publikum gespürt werden – ohne Trauer, denn auch die Musik machte
klar, dass es nach einem Sonnenuntergang auch wieder einen Sonnenaufgang geben
würde. Diesen besangen die Lavenders, gemeinsam mit dem Publikum, mit dem
bekannten „Morning has Broken“ (come) - allerdings erst, nachdem die
Gänsehaut des ersten Stückes durch eine Interpretation von „The Rose“ noch gesteigert wurde. Aus dem
instrumentalen Genuss wurde durch die Stimmen von Günter und (ohne seine
Leistung herabwürdigen zu wollen) besonders der grandios zur Musik passenden
Stimme von Eva Engel ein weiterer Schritt zum Gesamtkunstwerk gemacht. Wenn ich
schon so begeistert schreibe, dann ist auch klar: Lavender Blue durften noch nicht von der Bühne. Als Zugabe spielten
sie zum Abschluss ihres Auftritts, wieder rein instrumental, „Ebbe und Flut“ - absolut passend zum Thema des Abends
(come and go), und mit Sandra an der
Ocean-Drum.
Wandering
Souls, das sind Gerrit
Witterhold und Lorena Manz aus Köln. Im Folkclub schon einmal als Walk-in
aufgetreten sind sie dort von vielen bestürmt worden, wieder zu kommen und
einen kompletten Floorspot zu spielen. Mit ihren Eigenkompositionen „A place
to Stay“, „Another Hint“ und „Dreamer“ zeigten sie, dass der
Wunsch des Publikums, Wandering Souls wieder zu hören, sehr berechtigt war, so
berechtigt, dass die Beiden natürlich nicht von der Bühne gelassen wurden, ohne
ihr Walk In vom 96. Folkclub - „Keep On Going“ noch einmal als Zugabe zu
spielen. Einen Wermutstropfen hatte der Auftritt für mich – vielleicht lag es
an meiner schlechten Sitzposition zur Bühne, aber ich habe die Zwei schlecht
verstanden. Zuschauern die direkt vor den Beiden saßen, ging dies nicht so, ganz
im Gegenteil – von dort habe ich Aussagen wie „das zarte und feine
Zusammenspiel aus Gitarre und Gesang ging direkt unter die Haut“ gehört.
Schnell geht immer wieder die Zeit im Folkclub vorbei und
so war auch schon der erste Teil des Gigs von den Featured Artists des Abends
angesagt. Das Gerd Schinkel Trio (Gerd
Schinkel, Chris Biederwolf und GW Spiller) brachte einen Jahresrückblick
2018 mit auf die Bühne. Wir alle kennen Gerd als jemanden, der jeden Missstand
schnell aufgreift und musikalisch als Protestnote kleidet. So schafft es Gerd,
dass nicht nur die große Ereignisse, die durch Funk und Fernsehen gehen,
sondern auch die kleinen Dinge einem breiteren Publikum bekannt gemacht werden
und zu Aktionen des zivilen Ungehorsam führen. Eine Tradition, ja ich möchte
fast schon sagen, eine Verpflichtung, die politisch motivierte Liedermacher
haben. In dieser Tradition griff Gerd die Themen der innerparteilichen Querelen
in der CDU mit „Muttis Abschied“, der Zweizüngigkeit bei der Nutzung und
dem gleichzeitigen Imstichlassen der Kurden in Syrien mit „Der Kurdenfluch“,
der doch sehr wirtschaftlich gefärbten und nicht den ökologischen
Notwendigkeiten begründeten Genehmigung von Glyphosat in der
landwirtschaftlichen Anwendung mit dem fast gleichnamigen Titel „Glypho-Saat“
und dem Streit über religiöse Symbole mit „Kruzifix“ auf. Dass die Art
der Darstellung nicht jedem im Publikum gleichermaßen passfähig erschien,
machten Zwischenrufe mit der Bitte um weniger Einseitigkeit bei der Darstellung
deutlich. Nun, wenn Lieder zu einer Diskussion anregen und Zwischenrufe zeigen,
dass dies gelungen ist, dann ist die Absicht des Liedermachers schon fast
erreicht. Allerdings bin auch ich nach langem Überlegungen zu dem Schluss
gekommen, dass Gerd mit der inhaltlichen Form der Darstellung möglicherweise zu
sehr in der Protestbewegung der 70er Jahre stecken geblieben ist. Ich finde es
richtig und wichtig, dass in Liedern keine Tabus gelten, ich finde es richtig
und wichtig, dass Lieder parteiisch sind. Ich bin mir aber sicher, dass die
kollektive Beschuldigung ganzer Gruppen (wie z. B. der Polizei) der Sache nicht
hilft oder nur kleine Gruppen, die sowieso schon „katholisch“ sind
anspricht. Ich schätze Gerd als einen
Liedermacher, der alle Themen aufgreift und hierbei nicht einseitig agiert. Ich
bin mir allerdings nicht sicher, ob die dann sehr einseitige Darstellung in den
Liedern selbst der Sache dient.
Aber ungeachtet dieses, nun doch wieder in philosophische
Betrachtungen abgewanderten, Ausfluges, mache ich einen Riesenschritt und
berichte, dass das Gerd Schinkel Trio in der zweiten Hälfte des Abends
natürlich wieder kam und weitere Probleme der Gesellschaft mit dem Songs „Ecken
und Kanten“, die unsäglichen durch politische Sprachrohre verharmlosten
Geschehnisse der Ausländerverfolgung in „Chemnitz“ und dem thematisch
passenden Lied „Auslaufmodell“ als Protest gegen die politische Aufsicht
des Innenministers über das Bundesamt für Migration und Flüchtlingspolitik
(BAMF) ansprach. Sehr fetzig und eher als Durchhaltesong denn als
Diskussionsanregung zu verstehen, kam das Lied „Hambi bleibt“ rüber. Wie
wir alle wissen, haben im Hambacher Forst die verschiedentlichen Protestaktionen
tatsächlich dazu geführt, dass zumindest ein Aufschub für die Natur über
Gerichte erreicht wurde.
Aber nun auch zurück zu den weiteren Darbietungen des
Abends. Mit einem Walk In begann die zweite Hälfte. Moritz aus Unkel
kam, sah und siegte. Nicht nur seine mitgebrachte Interpretation von „Folsom
Prison Blues“ begeisterte das Publikum, nein, er wurde auch zu einer Zugabe
genötigt, die er gerne mit „Blame It On Me“ gab. Ich bin überzeugt, dass
es nicht lange dauern wird, bis aus dem Walk In ein Floorspot wird.
Von der Musik zurück zur Poesie (gibt es da tatsächlich
eine Unterscheidung, oder ist die Poesie nur eine auf ein niedriges
Wechsellevel der Töne zurück geschraubte Melodie?) - der im Folkclub gut
bekannte Peter Deteren zeichnete mit einem Gedicht sein Bild von „Generale“
in Armeen.
Ebenso ein guter Bekannter ist Wolfgang Schriefer.
Mit seiner Interpretation des auch gut bekannte Liedes „Aloha He“ kam er
nicht nur auf die Bühne, sondern schaffte es, den gesamten Raum zur Bühne zu
machen. Es wurde nicht nur mitgesungen, sondern im Publikum entstand schon fast
eine entsprechende Theaterdarstellung der Inhalte – mit den richtigen Liedern
und den richtigen Leuten kommt auch die richtige Stimmung :-).
Eine weitere „Annette“ (Folkclub-Ausdruck für die Darbietung nur eines einzelnen Stückes) wurde
durch Gerald Matuschek mit dem Stück „Vorsicht am Zug“ geboten.
Wie groß doch der Unterschied zwischen dem heimischen Sofa und der Bühne ist,
merkt wohl jeder Künstler bei fast jedem Auftritt neu. Gerald hat nach kurzer
erster Unsicherheit diesen Unterschied bravourös gemeistert.
Nun aber wieder Floorspots. Auch nicht zum ersten Mal, aber
mit immer neuer
Begeisterung kam die a capella-Gruppe Taubenhaucher auf die
Bühne. Drei Personen, die gerne noch eine vierte (eine Sopranistin)
hinzugewinnen würden, um den Stimmumfang der Lieder zu vervollständigen und
jeder vorhandenen Stimme ihre eigene Komfortzone zu gewähren. Mit den Stücken „In der Bar zum Krokodil“, „You
Are The New Day“ und „Come Again“ zeigten sie einen eindrucksvollen
Ausschnitt von ihrem Können. Sicher sehen wir die KollegInnen – dann
hoffentlich zu Viert – bald wieder.
Die Familie Haag zeigt, dass das Wichtigste am
Musizieren der Spaß ist. Werden die eigenen Emotionen rüber gebracht, ist die
technische Perfektion nicht mehr so wichtig. Mit einem grundsoliden Können und
eben sehr viel Spaß demonstrierten sie uns ihre Spezialität des Singens in rheinischer
Mundart mit den Liedern „Wir kommen aus dem Morgenland“, „De
Stammboom“ und „Dat du min Leevsten büst“. Lieder, die bei vielen
bekannt, sofort mitgesungen wurden. Die Haags wurden spontan auf der Gitarre begleitet von Gerhard Lemm, der zufällig als Zuhörer anwesend war und - man kann ja nie wissen - seine Gitarre dabei hatte. Gerd ist mit den Haags befreundet und musste als echter Bonner sofort mitspielen - das ist echter Folkclub.
Den zweiten Teil der Featured Artists habe ich ja schon
behandelt – bliebe mir also nur noch zu sagen, dass für den Patron des
Folkclubs natürlich noch Zeit war und mit dem gemeinsam gesungenen (oder war's
gegrölt?) „Jock Stewart“ der Abend beendet wurde. Aber wir alle wissen: Nach
dem Folkclub ist vor dem Folkclub, deshalb:
Out of the bedroom – kommt zum 99. Folkclub am 4. Februar
in Dotty's Sports Bar
Mario
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