Folk Club Nr. 99 –
noch immer weht frischer Wind
„Frische Luft“ war das selbst gewählte Motto der 99. Ausgabe
des Folk Clubs am 1. Februar 2019. Nun, im Saal mussten immer wieder mal die
Fenster aufgemacht werden, um einigermaßen erträgliche Luftverhältnisse zu
schaffen. Der Andrang zu den Veranstaltungen ist unverändert groß, und wer
nicht zeitig kommt, findet nur mit Mühe einen Sitzplatz. Dankenswerterweise
widmet der General-Anzeiger dem Folk Club seit kurzem auch wieder seine
Aufmerksamkeit in Form von kleinen Ankündigungen und Notizen. Das trägt
sicherlich auch zu zusätzlichem Publikumsinteresse bei. Kurzum, der Folk Club
ist nach wie vor lebendig und auch beim 100. Treffen am 1. März wird er nicht
am Stock gehen.
John Harrison,
der als Einziger bei allen bisherigen 99 Ausgaben dabei war und stets Beiträge
geliefert hat, eröffnete auch diesmal wieder den Abend begleitet von Eva Henneken an der Geige. „Thousand
And One Protest Song“ lautete der Titel des Eröffnungsliedes, das John vor
langer Zeit geschrieben hatte. Der Titel nimmt ironisch die zu Zeiten des
Vietnamkrieges bereits geschriebenen mindestens tausend Protestlieder auf die
Schippe. Es ist das Tausendunderste. Inhaltlich geht es aber nicht um Ironie,
sondern wie bei den anderen Protestliedern um Anklage von Krieg, Grausamkeit
und Ungerechtigkeit. Die Lieder scheinen nicht viel geholfen zu haben: Die Welt
ist seither nicht besser geworden. Ein weiteres Lied mit traurigem Hintergrund
ist „Angel in Disguise“, das von Johns früh verstorbenen Freund Jonathan Ole Wales
Rogers stammt, das John aber diesmal für Christian Schuster spielte, der Ende 2018 zwar nicht ganz so jung
wie Ole aber doch viel zu früh verstorben war. Christian hatte den Folk Club
zahlreiche Male mit seinen Liedern bereichert und sich in vielen
Gruppenkonstellationen eingebracht – ein wahrer Folk-Club-Edelstein. Wieder
Zurück beim Thema waren John und Eva mit dem alten schottischen Volkslied „Wild
Mountain Thyme“, manche Quellen schreiben es auch dem irischen Volksliederkreis
zu. Die Beiden ergänzen sich mit ihren Instrumenten perfekt. Dem Himmel sei
Dank, dass er Eva nach Bonn gelenkt hat. John beendete den Auftritt dann noch
mit einem eigenen Gedicht über den Fluss Dove, der durch eine bezaubernde
Landschaft fließt und die Grenze der englischen Grafschaften Derbyshire und
Staffordshire bildet. Das Gedicht beschreibt die Tier- und Pflanzenwelt des
Flusslaufs, der durch das mittelenglische Industrierevier fließt, und dessen
Umgebung doch so natürlich und unberührt erscheint.
Auch mit einem Gedicht – das ist seine Spezialität –
erfreute uns Gert Müller,
selbstverständlich in echter Bonner Mundart – Bönnsch Plaat. Wieder einmal
griff er ein biblisches Thema auf. Diesmal war es Jesus‘ Wanderung über die
Wasser des Sees Genezareth. Offenbar hat uns die Bibel verschwiegen, warum
Jesus nicht unterging: Er wusste wo die Steine liegen. Ein köstlicher Spaß aus
der Feder von Gerts altem Freund Ferdinand Böhm – viel Applaus für Gert Müller.
Uwe Gillert, der
im Folk Club auch kein Unbekannter ist, hatte sich eine Band bestehend aus Michael Maßer (Kontrabass und Gesang),
seinem Sohn Maximilian (Gitarre und
Gesang) und Jakob Sodoge (Gesang)
mitgebracht. Geheimwaffe Eva Henneken
ergänzte die Vier mit Improvisationen auf ihrer Geige. Dass Uwe ein kreativer
Musiker ist, bewies er mit seinen eigenen Liedern, die er uns mit seiner Truppe
vorstellte: Bei „Reif für die Insel“ gab es Gelegenheit zum Mitsingen für das
Publikum, Eva glänzte mit variantenreichen Improvisationen auf der Geige, und
auch die Gitarristen hatten Gelegenheit zu kleinen aber feinen Soli. „Sei Feuer
und Flamme“ entstammt aus der Feder von Jakob Sodoge. Hier durfte er seine
kräftige Bassstimme als Solist hören lassen. Das folgende Lied über eine blinde
Frau war wieder Uwes Werk. „Sie sieht gut aus, doch sie weiß nicht, wie schön
sie ist“ lautet die traurige Refrainzeile. Mit dem letzten Lied ließ uns Uwe
mit seiner Band an den Betrachtungen über eine ehemalige „Beziehungskiste“
teilhaben. Viel Applaus und große Anerkennung für das schöne Set aus eigenen
Kompositionen der Musiker, die auch keine „Angst“ davor haben, Lieder in ihren
Muttersprache zu schreiben und zu singen.
„Tangoyim“, das
sind Stefanie Hölzle (Geige, Klarinette
und Gesang) und Daniel Marsch
(Akkordeon und Gesang) aus Hückeswagen. Die beiden haben bereits eine kleine
Folk Club Karriere hinter sich. Heute sollten fast ausschließlich Lieder aus
der jiddischen Welt vorgestellt werden, die überwiegend auch auf ihrer jüngsten
CD zu hören sind. Euer Chronist hat sie sich gekauft und versichert euch:
Hörenswert! Die beiden werden sich über Bestellungen über ihre Homepage (https://www.tangoyim.de/musik.php)
sicherlich freuen. Bestellt fleißig, dann kommen die beiden auch wieder!
Nun, nach dem kleinen Werbeblock auch ein paar Worte zur
Musik: Es ist ganz einfach und kurz gesagt: Wunderbar lebendig, kurzweilig, mit
großem Einfühlungsvermögen vorgetragen und musikalisch perfekt dargeboten. Geht
es noch besser? Wohl kaum. Die beiden sind wahre Edelsteine auf ihrem Gebiet.
Mit einem Instrumental wärmten sie das Publikum auf. Stefanie stellte dann
einen alten russischen Schlager auf Jiddisch vor: „Shwartse Katz“ handelt von
einem bedauernswerten Wesen, das nirgendwo geduldet wird, weil es Unglück
bringt. Bei „Tashlich“ geht es darum, die Sünden weg zu werfen. Das geschieht
traditionell zu einem Hochzeitsfest. Stefanie glänzte mit ihrer Klarinette. Ein
ukrainisches Trinklied plädiert dafür, sich ein Schnäpschen einzuschenken und
nicht das Heute zu versauen. „Es ist nicht mehr gestern, es ist noch nicht
morgen, es ist nur ein kleines bisschen heute, lasst uns das nicht mit Sorgen
zerstören“ lautet die philosophische Zeile. Es gibt einen Refrain, den das
Publikum begeistert mitsingt. Das instrumentale Lied „Kale bazetsu“ ist eine
jiddische Hochzeitsmusik. „Lomir zikh iberbetn“ beschwört, dass man sich doch
nach einem Streit wieder vertragen möge. „Mazl“, ja das ist ein Liedtitel, den
man gleich zu verstehen glaubt: Glück gehabt! Aber nein, es geht darum, dass
andere anscheinend immer Glück haben, das Glück aber an der eigenen Tür
vorbeigeht. Das Lied „Geven a tsayt“ ist den meisten mit dem englischen
Liedtext „Those Were the Days“ in der Interpretation von Mary Hopkins von 1968 bekannt.
Das Lied ist aber ein viel älterer russischer Schlager aus dem Anfang des 20.
Jahrhunderts mit dem Titel „Dorogoi dlinnoju“ (Entlang der langen Straße).
Ebenfalls in anderer Interpretation bekannt ist das Lied „Dos Kelbl“. Als
Donna, Donna“ wurde es durch Joan Baez und Donovan weltbekannt. „Dona“ oder
auch „Dana“ ist das Kälbchen, das zur Schlachtbank geführt wird. Das Lied
entstand 1940 als Bestandteil des Musicals „Esterke“. Mit einem Lied von Josef
Degenhardt „Die alten Lieder“ beendeten die beiden ihren umjubelten Auftritt.
Steffi und Daniel, kommt bitte bald wieder zum Folk Club und bringt reichlich
CDs mit!
Nun, das war es noch nicht gewesen! John Harrison und John Hurd
betätigten sich als a capella-Duo mit dem Lied „Manchester Rambler“. Hier waren
wir wieder beim Thema „frische Luft“. Das Lied handelt von einem Massenprotest
von Einwohnern von Manchester, die gegen das Verbot der Jagdpächter im Peak
District protestierten, die offene Landschaft zu betreten. Dem damaligen
Massenprotest verdanken die Wanderer im Vereinigten Königreich das Recht, sich
frei in der Landschaft zu bewegen. Wenn eine kleine Anmerkung seitens eures
Chronisten erlaubt ist: Die Wirklichkeit der Durchquerungsmöglichkeiten auf
Wegen in Feldern und Wäldern im Vereinigten Königreich hinkt aber gegen die
Möglichkeiten für Wanderer in vielen anderen Ländern Europas meilenweit zurück.
Natürlich hatte das Lied auch einen schwungvollen Refrain, den das Publikum
begeistert mitsang.
Als Solist stellte sich Sam
Robb das erste Mal im Folk Club vor. Der Sohn von Matthew Robb, der hier
schon mehrere Male aufgetreten war, überraschte mit ungewöhnlichen Liedern. Mit
seiner wunderbar kräftigen Stimme, die an Bob Dylan erinnert, und gekonnter
Gitarrenbegleitung mit schönem Fingerpicking sang er drei Lieder voller
Melancholie. „Smokestack Lightning“ ist ein Lied vom Altmeister Howling Wolf. Ob das Lied „Make it Rain“ von Ed Sheeran die
anwesenden Eltern aufhorchen lassen muss, wissen wir nicht, aber die
erschütternden Anfangszeilen lauten:
“When the sins of my father
Weigh down in my soul
And the pain of my mother
Will not let me go
Well I know there can come fire from
the sky
To refine the purest of kings
And even though
I know this fire brings me pain
Even so
And just
the same”
Mit Tom Waits’ Lied “Cold, Cold Ground” beendete Sam seinen
Auftritt, für den er viel Applaus bekam.
Just 4 heißt das
Quartett (zwei Frauen und zwei Männer unter Leitung von Thomas Meier), das
bereits im Juni 2015 im Folk Club sein Können unter Beweis gestellt hatte. Lieder
der Beach Boys sind immer für einen a capella-Auftritt gut: Die Wahl von Just 4
fiel auf „Get Around“, das sie mit Bravour vortrugen. „Take me Home“ von den
Pentatonix – ein wunderbares Lied, bei denen Gesangsgruppen glänzen können.
Auch immer wieder gern gehört wird das Eurhythmics-Lied „Sweet Dreams“ – klasse
gesungen und super vokale Rhythmus-Elemente! Frenetischer Beifall und
Zugabe-Forderungen. Wen wundert’s, dass die Vier eine Zugabe auch im Gepäck
hatten: „Constant Bloom“ von Moon Safari, ließ die wohligen Schauer über den
Rücken rauschen und die Gänsehaut auf den Armen wachsen – berückend!
Mit diesen wunderbaren Beiträgen ging wieder ein für
Publikum und Musiker gleichermaßen herrlicher Abend zu Ende, aber natürlich
nicht ohne dass alle noch den alten Rausschmeißer Jock Stewart besungen hätten.
Auf Wiedersehen zum 100. Folk Club am 1. März 2019!
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