Der
Osten trifft den Westen
Zuerst sollte das Motto des
Folk-Club-Abends lediglich „Der Osten“ heißen. Aber mit einer Künstlerin mit
Wurzeln im fernen Osten Russlands und der anderen von der Westküste Kanadas bot
es sich natürlich an, das Treffen von Ost und West als Thema zu wählen. Um es
vorweg zu nehmen: Das Treffen war mehr als inspirierend. Lindsay May aus Kanada
trumpfte mit melodiösen Liedern meist im Country-Stil auf. Daria Kulesh, die Russin mit inguschetischer
Herkunft, die in England lebt, interpretierte Lieder mit historischem oder
märchenhaftem Inhalt, davon viele mit Bezug zu ihrer Heimat. Beiden gemein
waren ihre herrlichen voluminösen und ausdrucksstarken Stimmen.
Aber mal wieder der Reihe nach:
Wie üblich eröffnete John Harrison den Abend und diesmal mit
einem Gedicht des griechischen Philosophen Platon über die Musik. John trug das
Gedicht nicht auf Altgriechisch sondern auf Englisch vor, so dass die meisten
von uns eine Chance hatten, die schönen Worte Platons zu verstehen. Hier die
Wiedergabe der ersten beiden Sätze auf Deutsch: "Die Musik ist ein moralisches Gesetz. Sie schenkt
unseren Herzen eine Seele, verleiht den Gedanken Flügel, lässt die Phantasie
erblühen“. Wie wahr!
Zusammen mit Christoph Thiebes an der Mundharmonika präsentierte uns John dann
den schönen Blues „Alberta“ von Leadbelly. Darin geht es aber nicht um die
Provinz Kanadas (fast doppelt so groß wie Deutschland und hat nur gut 4 Mio.
Einwohner) sondern um eine gleichnamige Dame, mit der es irgendwelche Probleme
gibt. Was wäre ein Auftritt Johns ohne ein weiteres Gedicht: passend zur
Jahreszeit pries er den Magnolienbaum, der im Frühjahr für kurze Zeit mit
seiner überreichen Blütenpracht die Menschen begeistert und danach für den Rest
des Jahres in die Unscheinbarkeit zurücktritt. Von Altmeister
Robert Johnson ist der Blues „Last Fair Deal Gone Down”. Was mit dem Lied mit dem kryptischen
Text angesprochen werden soll, ist offenbar auch den Fachleuten nicht klar. Es
geht wie so oft im Blues vermutlich um Niederlagen im Zusammenhang mit Liebe
oder Beziehungen allgemein, Glücksspiel, Alkohol und gesellschaftlichem Status.
Aber der Titel hat nach Johns Aussage doch eine Bewandtnis im Zusammenhang mit
dem Abend. John teilte mit, dass er vom EU-Ratspräsidenten Donald Tusk eine
Mail erhalten habe. Darin empfehle im Herr Tusk das Lied, da er gehört habe,
dass auch eine Dame namens May anwesend sei. Blöd nur, dass der Ratspräsident angenommen
hatte, dass es sich um die britische Premierministerin Theresa May handele –
netter verspäteter Aprilscherz von John. Nun, wir durften dennoch das
melancholische Lied hören, dem John und Christoph den passenden Rahmen gaben.
Euer Chronist ist zudem ganz froh, dass nicht Theresa sondern Lindsay als
Musikerin anwesend war. Als letztes Lied präsentierten die beiden dann einen
weiteren Robert-Johnson-Blues: „From Four Until Late“ aus dem Jahr 1937 bemüht
ebenfalls das Unvollkommene und die Niederlage und natürlich das
spannungsreiche Verhältnis von Männern und Frauen. Christoph glänzte mit einem
wunderbaren Mundharmonika-Solo und John überzeugte an seiner Resonator-Gitarre
mit professionellem Fingerpicking.
Gerald
Matuschek ist
vielleicht nicht vielen Folk Club Besuchern im Gedächtnis. Er ist schon bei uns
aufgetreten und zwar im November 2014. Geralds Spezialität ist offenbar das
Ausgraben von weniger bekannten Liedern. Vom früh verstorbenen Liedermacher
Gerhard Rüdiger Gundermann, der in der DDR lebte, stammt das Lied „Immer wieder
wächst das Gras“. Der wehmütige, eindringliche Text, der in zwei kurzen
Strophen und einem Refrain die Tragik wiederspiegelt, die oftmals der
jugendlichen Aufbruchstimmung blüht, zusammen mit der traurigen Melodie mit
schönen Tonartwechseln, lässt Schauer über den Rücken laufen. Gerald
interpretierte das Lied eines beinahe vergessenen Künstlers mit großem
Einfühlungsvermögen, und gekonnter Gitarrenbegleitung. Als seinen zweiten
Beitrag zum Thema Osten spendierte Gerald uns ein Lied in polnischer Sprache –
auch etwas nicht Alltägliches im Folk Club. „Jeszcze Sen“ (Dieser Traum) lautet
der Titel des Lieds von Czesław Niemen, nach Geralds Aussage noch eine Ecke
trauriger als das vorherige Lied. Nun, es geht schließlich um eine verflossene
Liebe – viel Applaus für Gerald.
Auch gut zum Thema des Abends passte Lothar Prüntes Beitrag: „Wind of
Change“ von den Scorpions ist sicherlich ein ikonisches Lied für den Aufbruch
am Ende der Zeit des Kalten Krieges. Lothars eindringliche, wunderbar tragende
und klare Tenorstimme ist einfach eine Klasse für sich. Nur bei den
Pfeifeinlagen musste er sich vom Publikum helfen lassen. Das tat es aber gern.
Das Lied wurde zu einer herrlichen Kooperationsveranstaltung von Künstler und
Publikum – einfach klasse.
Zur Auflockerung als kleine Einlage mit
Gymnastikeffekt steuerte eine Abordnung der „Grufties“, der Kerntruppe der Rock n‘ Rollator-Show, die Lieder „Es
geht mir gut“ und „Jede Zelle meines Körpers ist glücklich“ bei – ein
Riesenspaß für Grufties und Publikum, das dabei mal so richtig die
Verspannungen in Schulter und Rückenmuskulatur lockern konnte.
Robert
Hrubes aus den USA
repräsentierte eindeutig den Westen. Am frisch gestimmten Klavier des Folk
Clubs begleitete er sich bei „Let it Be“ von den Beatles und „“The House oft he
Rising Sun“ (bekannt geworden in der Interpretation der Animals). John Harrison
und Hansjörg Schall (hatte nach der
Pause einen Auftritt mit seinem Chor Funny Thursday) unterstützten ihn nach
Kräften, aber eigentlich gab es einen Folk-Club-Chor, so dass sich Robert ganz
auf sein hervorragendes Klavierspiel konzentrieren konnte. Nicht ganz so
bekannt beim Publikum war das Lied von Sam Cooke „Bring it on Home to Me“. Die
drei Protagonisten meisterten den R&B-Song mit Bravour – viel Applaus für
Robert, John und Hansjörg.
Lange hatte sie auf ihren Auftritt
warten müssen, aber jetzt konnte sie ihrer großartigen Stimme freien Lauf
lassen. Es ist immer wieder ein Mysterium, dass solche fantastischen Musiker
wie Lindsay May aus Kanada auch im
kleinen, bescheidenen Bonner Folk Club vorbeischauen und dort „nur aus Spaß an
d’r Freud“ eine tolle Show bieten. Wir sind außerordentlich dankbar dafür, und
das Publikum revanchiert sich mit ungeteilter Aufmerksamkeit und Hingabe.
„Nashville“ lautete der Titel von Lindsays Lied zum Einstieg. Es geht um
Hoffnung und Träume davon ein großer Musiker zu werden – eben in Nashville, der
Heimat der Country-Musik, Erfolg zu haben. Beim schwungvollen Lied „Driving“
über lange Autofahrten musste Mandoline „Harry“ als Begleitinstrument ran. „Face
Full of Sun“ beschreibt die Situation am Tag nach einem Schneesturm, wenn die
Sonne auf den frisch gefallenen Schnee scheint, den man aus der warmen Stube
betrachten kann, während man auf einen lieben Menschen wartet, der zu Besuch
kommt. Manche Lieder haben einen Hintergedanken, wie „Lie to You“, andere
machen neugierig wie „Spinning 45s“ über ihre Erfahrungen damit, alte Singles
zu hören. Lindsays bisherige Lieder enthielten meist viel Schwung und Energie.
Dass sie auch anders kann, zeigte sie mit dem zart gesungenen und sparsam
begleiteten Lied „Landslide“ von Fleetwood Mac über das Älterwerden und die
Veränderungen, die den Menschen im Laufe ihres Lebens bevorstehen. Natürlich
konnte sie nicht ohne Zugabe von der Bühne gehen. „The Star in the Sky“ ist ein
Loblied darauf, dass, auch wenn du viel unterwegs bist, jemand daheim auf dich
wartet. Mit „Roller Coaster“ beendete sie ihren Auftritt. Das Lied beschreibt
die Aufs und Abs im Leben, wie eine Achterbahn halt - Riesenapplaus für Lindsay
vom Publikum und Gratulation vom Chronisten für einen Auftritt mit vielen
Gänsehautmomenten.
Völlig andere Musik gab es vom zweiten
Featured Artist des Abends, Daria Kulesh.
Daria hatte bereits einen umjubelten Auftritt im Folk Club im Mai vorigen
Jahres. Daria erzählt zwar wie Lindsay mit ihren Liedern Geschichten. Diese
haben aber meist einen historischen Hintergrund oder beziehen sich auf Sagen
und Mythologie Russlands. Dies trifft auch auf das Lied „Vasilisa“ zu, das die
Geschichte eines alten russischen Märchens erzählt, eine andere Version vom
Märchen Aschenputtel. Darias Musik ist dominiert von ihrer ausdrucksstarken
Stimme mit schönen Höhen und feinem Vibrato. Als Instrument verwendet sie bei
vielen Liedern eine Schrutibox, ein kleines Borduninstrument, das wie ein
kleiner Kasten aussieht und mit Blasebalg und Stimmzungen Begleittöne erzeugt.
Dadurch kommen Gesang und der Text der Lieder wunderbar zur Geltung. Bei „Dorogi
Dlimoju“ kam aber die Gitarre zum Einsatz. Das Lied, dessen Titel übersetzt
„Entlang der langen Straße“ lautet, stammt aus der Zeit um den ersten Weltkrieg
und war in Russland ein beliebter Schlager. Das Lied wurde in unserer Gegend
durch die Version bekannt, die Ende der 1960er Jahre von Mary Hopkins gesungen
wurde: „Those Were the Days“. Daria bescherte uns das Lied mit dem Refrain in
mehreren Sprachen. „The Witch“ beschreibt die Geschichte der in England 1712
als Hexe zum Tode verurteilten Jane Wenham. Jane Wenham wurde aber von Königin
Anne begnadigt und starb viele Jahre später eines natürlichen Todes. Das Lied,
bei dem Daria sich nur mit einer Bodhran, einer keltischen Trommel begleitet,
hat einen eindringlichen kurzen Refrain „A witch, a witch“, den das Publikum
ausrufen darf. „The Beauty and the Pilot“ ist eine traurige Geschichte mit
einem Bezug zur Historie ihrer Familie in Inguschetien, einer autonomen
Republik im Südosten Russlands. Stalin verbannte 1944 alle Inguschen wegen
vermeintlicher Illoyalität aus ihrer Heimat, und sogar als Kriegshelden
dekorierten Soldaten wie dem gefallenen Mann der Großmutter wurden ihre
Auszeichnungen aberkannt. Zudem wurde die Großmutter von der Familie verstoßen,
da sie einen Inguschen geheiratet hatte. Wieder begleitet mit der Schrutibox
präsentierte Daria ein Lied, das einen Bezug zur russischen Version des
Weihnachtsmannes hat. „Are You Cold, Are You Cold, Yet My Maiden Fair” lautet
der Refrain des zarten und Liedes, das unter die Haut geht. William Topaz McGonagall
war ein schottischer Dichter, der wenig Anerkennung fand und dem nachgesagt
wurde, der schlechteste Dichter zu sein, der je die englische Sprache
traktierte. Aber er ließ nicht locker und dichtete und dichtete. Ähnliches
schaffte Florence Foster Jenkins, allerdings mit scheußlichem Gesang. Aber auch
sie ließ sich nicht davon abhalten, vor Publikum zu singen. Da sie reich war,
konnte sie sich eine Zuhörerschaft zusammenstellen. Einmal schaffte sie es die
Carnegie Hall zu füllen. Die Menschen wollten offenbar die verrückte
Millionärin singen hören. Aber am Tag danach starb sie an einem Herzinfarkt –
angeblich weil sie sich über die vernichtenden Kritiken aufgeregt hatte. Daria
fühlt sich solchen Künstlern verbunden, die trotz Niederlagen Courage zeigen und
einfach weitermachen und hat ihnen ein Lied gewidmet. „Shame for Glory“ setzt
diesen Unglücklichen ein zartes und bezauberndes musikalisches Denkmal – der
Favorit eures Chronisten. Lob für Darias Solidarität, aber seid versichert,
Daria wird das Schicksal dieser bedauernswerten Existenzen nicht zu teilen
brauchen.
Eine Ode an Liebe und Brüderlichkeit ist
das Lied „The Quiet Joys of Brotherhood, das als einziges nicht aus Darias
Feder stammt. Es wurde geschrieben von Richard Fariña und von ihm zur irischen
Volksweise des Liedes „My Lagan Love“ gesungen. Mit „Heart’s Delight“, auch begleitet
mit der Schruti Box, beendete sie ihr beeindruckendes Programm – Großer Applaus
vom Publikum und auch vom Chronisten ein Glückwunsch für die schönen Lieder und
die beeindruckende Interpretation.
Nun, wir haben die Reihenfolge nicht
eingehalten, denn zwischendrin gab es noch andere schöne Beiträge:
Peter
Deteren, der Hobbypoet,
stellte ein schönes Gedicht über die gegenseitige Toleranz und Zuwendung vor.
„Glaube, Hoffnung, Liebe, schützen uns, nicht Abwehrtriebe“ ist die
schlussendliche Aussage seiner Zeilen.
Wolfgang
Schriefer erfreute das
Publikum mit Barry McGuires Klassiker „Eve of Destruction“.
Hansjörg
Schall, der bereits am
Anfang des Abends unterstützend eingesprungen war, hatte seinen Chor „Funny Thursday“ (der Chor trifft sich
offenbar zu seinen Proben immer donnerstags) mitgebracht. Die Truppe stellte
mit großem Enthusiasmus zunächst ein japanisches Lied über die Kirschblüte,
passend zu den Ereignissen in der Bonner Nordstadt, vor. Lieder in japanischer
Sprache gibt’s im Folk Club auch nicht alle Tage, dafür dickes Lob an Hansjörg!
„Sakura“ lautete der Titel des Liedes zur Melodie in östlicher Harmonik. Etwas
westlicher ging’s dann mit „Have You Ever Seen the Rain“ von Creedence
Clearwater Revival in dreistimmiger Version – herrlich! Etwas zum Mitsingen
fürs Publikum war dann „Auld Lang Syne“, das beliebte Lied für den
Jahreswechsel im englischsprachigen Raum.
Gerald
Löhrer hatte ein Quartett zusammengetrommelt und
startete mit dem Beatles-Lied „Oh Darling“, wunderbar gesungen und mit feiner
Gitarrenbegleitung. „Born to Run“ von Bruce Springsteen klingt von den Vieren nicht
ganz so wild wie von Springsteen, kann sich aber hören lassen. „Creep“ von
Radiohead scheint ganz wie gemacht für die Besetzung. Exzellent gesungen und
gespielt. Das Lied kriecht, wie der Titel andeutet, direkt unter die Haut –
Bravo ihr Vier.
Nun, das war’s für diesmal, aber nicht ohne,
dass zum Abschluss des wunderbaren Abends der alte Jock Stewart von der
gesamten Gemeinde besungen wurde.
Auf Wiedersehen am 3. Mai mit Attila Vural aus Zürich und David Fisher aus Birmingham.
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