Folk Club Bonn im November
2021 – endlich wieder an alter Stelle
Folk Club wieder im Saal bei Dotty’s vermittelt fast das Gefühl, es sei
alles wieder beim Alten. Aber das Gefühl trügt, der Saal ist nicht einmal zur
Hälfte gefüllt. Immerhin, ein Anfang ist gemacht und die Hoffnung … Oje, zu dem
etwas verspäteten Zeitpunkt, zu dem euer Hofberichterstatter dies schreibt,
sieht die Konzertwelt schon wieder wesentlich düsterer aus.
Aber mit welcher Nummer müssen wir die Ausgabe vom 5. November 2021
versehen? John Harrison, der unermüdliche Verfechter der Kontinuität, gibt ihr
die Nummer 119 und schließt dabei auch die, nun ja, nicht ganz rassereinen
Veranstaltungen ein, die seit dem letzten „richtigen“ Folk Club im März 2020
stattgefunden haben. Wenn der Meister das so bestimmt, wollen wir nicht meckern.
Der Abend war aber aller Ehren wert. Dabei muss man im Hinterkopf haben,
dass an eine ordentliche Planung von Auftritten nicht zu denken war, da im
Vorfeld niemand überblicken konnte, was im November möglich oder nicht möglich
sein würde. Eine Veranstaltung im Freien, wie noch im Oktober, konnte
jedenfalls nicht ins Auge gefasst werden.
Wie üblich eröffnete John Harrison den Abend, aber nicht allein –
Allzweckwaffe und Virtuosin an der Geige Eva Henneken und er starteten
mit einem schwungvollen Instrumental, einem (oder heißt es einer?) Celtic Air.
Wegen der Corona-Problematik sollte der Abend ohnehin im Zeichen von
Instrumentalstücken stehen. Davon wichen die beiden aber beim folgenden Stück
ab, das vom tragischen Tod von Johns damals fünfzehn Jahre alten Freund Flan
handelte. Eva konnte ihre Virtuosität beim folgenden Ragtime von Blind Blake ausleben,
bevor John euren Chronisten auf die Bühne zerrte, damit er die Geschichte von
Albert McTavish und seinem Kühlschrank – Ihr wisst schon, die Sache geht übel
aus, der Mann bringt das falsche Gerät nach Hause und wird dafür von seiner
Frau, einem Riesenweib, schlicht und ergreifend im Meer ersäuft – dem Publikum
vorstellt. Die Aufgabe war, die Geschichte etwas weniger ausufernd als von John
üblicherweise erzählt, aber dennoch vollständig und anschaulich darzustellen.
Im Ergebnis hat euer Chronist vermutlich kaum Zeit eingespart. Die erzählte
Geschichte ist nur das – für die Stammgäste gut bekannte – Intro zu einem
nachfolgenden Instrumental, das als Duo noch mehr Feuer hat als allein auf der
Gitarre gespielt.
Auch Mario Dompke hatte einige Instrumentalstücke im Gepäck, zwei
davon komponiert von Jens Komnick. Zu „Ann Kathrins Walzer“ gab Mario noch eine
kuriose Geschichte zum Besten: Der Komponist und Gitarrenvirtuose hatte in
einer Konzertpause in einem Ostfriesenkrimi eine Passage gelesen, in der sich
die Kommissarin namens Ann Kathrin beim Warten im Auto eine CD von Jens Komnick
angehört habe. Besagter Jens Komnick war darüber so erfreut, dass er gleich ein
Stück zu Ehren der Krimi-Kommissarin komponierte, das Mario mit Bravour präsentierte.
Nicht minder virtuos geriet die Vorstellung der Instrumentalversion von „Gabriellas
Sång“ (ja, so schreibt sich das auf Schwedisch!) aus dem Film „Wie im Himmel“.
Die bezaubernde Bearbeitung für Gitarre stammt auch von Jens Komnick. Ebenso
wie die beiden vorigen Stücke spielte Mario noch eine „kleine irische
Fingerübung“ (Old Dan Tucker) auf der Gitarre mit DADGAD-Stimmung. Für den „Katz
Rag“ von Stefan Grossmann griff er zum „normal“ gestimmten (EADGHE – was ist
schon normal?) Instrument – ein wahrer Hörgenuss.
Hans Ihnen blieb beim gesungenen Lied und stellte uns
ein Lied vor, das zur allgemeinen Befindlichkeit passte: „One Horse Town“, ein
Lied über die Stimmung in einem na, ja, verschnarchten Kaff, in dem es wenig
bis kaum Perspektive für irgendetwas gibt. Mit schöner Gitarrenbegleitung und
seiner ausdruckvollen Stimme gab Hans dem Lied den passenden Rahmen. Nach „St.
Francisco Bay Blues“ von Jesse Fuller hätten wir gern noch mehr von Hans‘ Musik
gehört, aber leider hatte er nur die beiden Lieder dabei – Lieber Hans, es gibt
hoffentlich noch weitere Folk-Club-Abende.
Harfe und Geige bilden einen durchaus aparten Duoklang und das ganz
besonders, wenn zwei wirkliche Könner wie Uwe Jendricke und Eva
Henneken am Werke sind. Ihre Stücke werden insbesondere bei Tanzabenden
gespielt, die als Bal Folk bezeichnet werden und eher im westeuropäischen Raum
angesiedelt sind. Den Beginn machten sie mit dem gemütlichen schwedischen Stück
„Claras og Fredriks Bröllops Vals“, also dem Hochzeitswalzer für Clara und
Fredrik. Schon schwungvoller kam danach ein Schottisch oder Rheinländer
bezeichneter Tanz mit dem Titel „Le Canal en Octobre“ daher. „Roter Himmel,
blaue Wolken“ war der Titel einer bezaubernden Gavotte von Christoph Pampuch. Aus
der Bretagne stammt das Lied „Tri Martolod“, ein Lied über eigentlich drei
Seeleute, aber es geht auch um einen der drei, der sich beim Proviantkauf auf
dem Markt in ein Marktmädchen verliebt. Eva singt das Lied in bretonischer
Sprache im Wechsel mit Strophen, zu der sie die Melodie auf der Geige spielt –
zusammen mit Uwes virtuosem Harfenspiel ist das Lied umwerfend schön.
Passend zur Jahreszeit hatte John Hurd Tom Waits‘ Lied „Last Leaf
On The Tree” mitgebracht und mit viel Gefühl gesungen und gespielt. Aus seiner
eigenen Feder stammt das kleine Lied „Easter Shunshine“, das John für seine
Mutter vor vielen Jahren geschrieben hatte. Anders als der Titel vermuten
lässt, geht es auch hier um eher traurige Gedanken. Aber bekanntlich sind
gerade die traurigen Lieder die schönsten – danke John!
Als kleines Andenken an unseren vor über drei Jahren verstorbenen Freund
Dieter Faring, der im Folk Club als begnadeter Gedichterezitator auftrat, trug John
Harrison das schöne Gedicht von Rainer Maria Rilke „Herbsttag“ vor, das ich
hier gern einmal wiedergeben möchte:
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
John hatte aber auch ein eigenes Gedicht zum Thema Herbst im Gepäck, das
die graue Jahreszeit doch mit einem Schuss Farbe und Vertrauen in die Zukunft
beschreibt:
Autumn Colours
Crisp golden coins
Tingle in the till
Swathes of auburn
Burn yonder hill
Bare scorched earth
No body
No wonder
No worth
Dust and ashes
Re-impregnate
Juvenile God’s
Earth
Nach so viel Erdenschwere und auch traurigen Gedanken kamen die beiden
nächsten Musiker mit ihren Gitarren gerade recht. Thomas Monnerjahn traf
vor etlichen Jahren als Begleitmusiker in Ana Maria Leistikows Band Astatine
auf den Folk Club – er ist dem Folk Club treu geblieben und begeistert immer
wieder mit seiner Virtuosität. John Harrison hatte ihn zwei Tage zuvor
angerufen und gebeten, im Folk Club aufztreten – und Thomas hatte zugesagt. Das
nennt man Selbstvertrauen! Diesmal griff er in die eher klassische Kiste:
Rodrigo Rieras „Praeludio Criollo“ ist allerdings nicht etwas für so nebenbei –
aber Thomas hat es sozusagen im Repertoire – fantastisch. Auch Bachs Präludium
in d moll rief Begeisterung hervor. Warum Thomas es nach eigenem Bekunden möglichst
vermeidet, in der Öffentlichkeit Bach zu spielen, begreifen wir nach diesem
Vortrag nicht. Zum Abschluss seines Soloauftritts gönnte uns Thomas noch ein
weiteres kleines Bachsches Präludium – ein Genuss. Was bekommen wir denn zu
hören, wenn Thomas sich, wie angekündigt besser vorbereitet?
Als kleine Steigerung gesellte sich zum einen Virtuosen mit Werner Krotz-Vogel der nächste. Kleine Anmerkung: Die beiden
haben sich im Folk Club kennengelernt und bilden nun ein geniales Gespann. Jetzt
ging’s ab in die Jazz- und Lateinamerikaecke: „Bossa Dorado“, der
Gypsy-Swing-Standard von Dorado Schmitt war genau das richtige für die Beiden,
denen es offenbar vom Start weg einerlei war, wer nun die „Begleitung“ und wer
das „Solo“ spielen sollte, sie wechselten sich einfach ab – und wie. Es war ein
Feuerwerk der Spielfreude. „Black Orpheus“ von Luiz Bonfá and Antonio Maria aus
dem gleichnamigen Film braucht in der Interpretation der beiden keinen
Vergleich mit namhaften Künstlern zu scheuen. Wer heute nicht gekommen war,
hatte etwas verpasst! Leider endete auch diese Session.
Werner versöhnte uns danach aber mit einem Soloauftritt und stellte uns
das Stück „Become One“ von seiner neuen CD „Soul Kiss“ vor. Da er keine
elektronische Unterstützung benutzen durfte, mit der er ansonsten die zweite
Gitarre eingespielt hätte, packte er mal eben zwei Gitarren in sein Solospiel –
so einfach ist das für einen Profi. Wir fragen uns: Wenn das so geht, und es
geht fantastisch, was soll das ganze Gerummel mit der Elektronik dann? Die
Zuhörer waren gebannt und genossen Werners wunderbare Komposition in der
Unmittelbarkeit des rein akustischen Spiels. Einer ging noch zum Schluss: „Hot
Chocolate“, ein Ragtime von Malvin Franklin und Arthur Lange von 1908 in einer
Version für Gitarre, die ebenfalls auf Werners CD „Soul Kiss“ zu hören ist –
Leute, die müsst ihr kaufen. Nun ja, ein bisschen Werbung für unsere Barden müssen
wir schon machen.
Damit war der Abend natürlich nicht ganz zu Ende, denn dem ollen Schotten
Jock Stewart musste noch – nicht ganz Corona-konform – mittels Gemeindegesang
gehuldigt werden.
Wir hoffen auf ein Wiedersehen am 3. Dezember mit unserem treuen
Gefolgsmann Simon Kempston aus Edinburgh.