Dienstag, 28. Februar 2023

Detlefs Bericht vom Folk Club am 3. Februar 2023

David Lübke im Folk Club am 3. Februar 2023

Langsam aber sicher kommt der Folk Club wieder sein gewohntes Gesicht mit einem vollen Saal und featured Artists, die mit glänzenden Augen ihre Tourneen fortsetzen, nachdem sie im Folk Club aufgetreten waren. Diesmal war es David Lübke aus Hannover, der in bester Liedermachermanier (das ist doch das deutsche Äquivalent zu Singer-Songwriter, oder irre ich mich?) das Publikum begeisterte.

Aber die traditionelle Choreografie des Folk Clubs begann wie immer mit John Harrison, der zum Einstieg und passend zum Thema des Abends – Freundschaft – Lieder über Begebenheiten aus seiner Schulzeit präsentierte. „Lady Jane“ beschreibt Johns Erlebnisse mit seiner ersten Freundin, die rund 15 Kilometer entfernt von ihm wohnte. John musste die Strecke für Besuche mit dem Fahrrad zurücklegen. Wir können froh sein, dass John dieses Abenteuer überlebt hat. Denn wer die engen und kurvigen englischen Landstraßen kennt, die nachts stockduster waren, mag sich nicht ausmalen, was mit einem liebestrunkenen 16jährigen Radfahrer auf einem vermutlich miserabel beleuchteten Fahrrad hätte geschehen können. Christoph Thiebes, die schnelle Eingreiftruppe an der Mundharmonika, begleitete John wunderbar aus dem Stehgreif. Weil es ins Thema passte, spielte John sein Lied „Flan“ über seinen tragisch ums Leben gekommenen Jugendfreund Kieran Flannery einmal mehr. Getreu seinem Motto „Ein Gedicht muss sein“ präsentierte John das Gedicht „Grief (Trauer)“ von Elizabeth Barrett Browning, das in der traditionellen Form eines Sonetts die wahre Trauer beschreibt, die sich in Stile und nicht in expressiver Emotion äußere. Das Gedicht hatte die Autorin vermutlich im Zusammenhang mit dem Tod durch Ertrinken des geliebten Bruders verfasst. Leider ist es für nicht-Muttersprachler nicht einfach zu erfassen. Für alle, die sich am Original versuchen wollen, hier nachfolgend der Text des Gedichts:

I tell you, hopeless grief is passionless;
That only men incredulous of despair,
Half-taught in anguish, through the midnight air
Beat upward to God’s throne in loud access
Of shrieking and reproach. Full desertness,
In souls as countries, lieth silent-bare
Under the blanching, vertical eye-glare
Of the absolute heavens. Deep-hearted man, express
Grief for thy dead in silence like to death—
Most like a monumental statue set
In everlasting watch and moveless woe
Till itself crumble to the dust beneath.
Touch it; the marble eyelids are not wet:
If it could weep, it could arise and go
.

Von einem anderen Jugendfreund, Jonathan Ole Wales Rogers stammt das Lied „Geoffrey“ über einen weiteren Schulkameraden der wegen seines Glasauges (aber vielleicht auch nicht nur deswegen?) Schwierigkeiten bei den Mädchen hatte. Trotz seiner Behinderung sei der Besungene immer lustig gewesen. Ob er auch fröhlich war, wird uns niemand mehr verraten. Auch bei diesem Lied spielte Christoph gekonnt den Mundharmonikapart. Vom selben Autor, der auch viel zu jung gestorben ist, stammt das Lied „Angel In Disguise“, der damit den für ihn unverständlichen Wandel seiner Freundin nach den Sommerferien beschrieb – Liebesleid an allen Fronten!

Zum Thema „Freundschaft“ startete Mario Dompke seinen Beitrag mit einem Lied in plattdeutscher Sprache über eine Frau aus dem hohen Norden, die ihn während seiner Studienzeit mit ihrem Plattdeutsch aus der Fassung gebracht und offenbar auch fasziniert hat: „Hey mien Deern“ lautet der Titel. „Augenblick der Liebe“ beschreibt den Wunsch nach den Momenten, in denen sich die Liebe in ihren unschuldigen und reinen Facetten präsentiert – anrührend und gefühlvoll! Eine besondere Form der Freundschaft, nämlich die zu sich selbst, beschreibt Mario im Lied „Blick in den Spiegel“. Dabei geht es nicht um Narzissmus, sondern um die Reflektion der eigenen Person. Danke, Mario für den schön verpackten Stoff zum Nachdenken!

Nun, wir befinden uns in der „Fünften Jahreszeit“, jawohl! Und Trööt un Flitsch alias Erhard Schwartz und Hansjörg Schall sorgten gekonnt dafür, dass Karneval im Folk Club nicht unter den Tisch fällt – wär‘ ja noch schöner, Weihnachten wird ja auch nicht ausgeblendet! Für nicht-Rheinländer: Trööt bedeutet ganz allgemein Blechblasinstrument. Erhard spielt alles aus der Familie der besonders Dicken – er hatte aber nur eine seiner Dicken mitgebracht. Eine Flitsch ist schlicht eine Mandoline.

Witzig, dass ausgerechnet zwei Zugereiste (Erhard aus Sachsen und Hansjörg aus Schwaben) hier im Folk Club die Fahne des Rheinischen Frohsinns hochhalten. Das diesjährige Bonner Karnevalsmotto mussten die beiden dem Publikum auch erst einmal einimpfen: „Ob mit Pappnas‘ oder Höötche, mer sitze all in einem Böötche“ verpackten die beiden in einen gelungenen Refrain, der vorn und hinten an den Karnevalsklassiker „Heidewitzka, Herr Kapitän“ angepappt wurde – eine tolle Idee. Übrigens hat das Karnevalslied von Karl Berbuer aus dem Jahre 1936 eine krasse staatsmännische Karriere hingelegt: Das Lied diente den amerikanischen Gastgebern bei einem Besuch Konrad Adenauers im Jahr 1953 als Ersatz für das noch nicht als Hymne der Bundesrepublik etablierte Deutschlandlied. Tja, Karneval beim Staatsbesuch, das ist doch mal etwas. Ob Adenauer den Text vom „Müllemmer Böötche (Mülheimer Schiffchen, ein Textbestandteil des Liedes)“ damals mitgeschmettert hat, ist nicht überliefert, aber das Publikum im Saal wusste Bescheid und sang begeistert mit. Auch eigene Kreationen steuerten Trööt un Flitsch bei: „Dunn mer noch eine (Gib mir noch etwas zu trinken)“. Wie für Karnevalslieder üblich gab es auch hier einen netten und einfachen Refrain, den alle mitsingen konnten. Ebenfalls aus eigener Feder stammte die geniale Vertonung der elf Artikel des Rheinischen Grundgesetzes, eine wahre Hymne für das Rheinland. Wieder für nicht-Rheinländer: Die ersten drei Artikel lauten: Et es, wie et es, Et kütt, wie et kütt, Et hätt noch emmer joot jejange“. Weitere Artikel bitte bei Wikipedia anschauen oder gelegentlich bei der Ankunft an Terminal 2 des Konrad-Adenauer-Flughafens an den Glaswänden vor dem Zugang zur Gepäckausgabe studieren und auswendig lernen (wird im nächsten Folk Club abgefragt!).

Als kleine Konzession an den internationalen Geschmack gab’s dann noch Carol Kings unsterbliches Lied „You’ve Got a Friend“ – super passend zum Thema des Abends. Großer Applaus für die beiden Frohsinnsbotschafter.

Vermutlich hatte auch der „Featured Artist“ des Abends aus dem protestantischen Norden Deutschlands am bisherigen Programm seinen Spaß gehabt, denn David Lübke ging gut gelaunt ans Werk und brachte gleich mit dem ersten Lied das Publikum in, wie auch immer geartete Wallung. „Der verlorene Sohn“ ist das Hohelied auf die elterliche Liebe, aber eigentlich ein Lied auf die Liebe zu anderen Menschen schlechthin. „Von der Liebe“ lautet ja auch der Titel von Davids aktueller CD – es hätte kaum passender sein können für das Motto des Abends. „Du bist immer willkommen zu Haus“ ist die zentrale Botschaft des Liedes mit der einprägsamen Melodie, die David zu seinem unnachahmlichen Gitarrenspiel sang – zum Weinen schön!

Schön auch, dass David nicht nur seine fast allesamt selbst geschriebenen Lieder in seiner Muttersprache verfasst, sondern seine Ansagen und die Lieder mit lauter, gut artikulierter und verständlicher Sprache vorträgt – kein unverständliches Genuschel wie bei vielen anderen Künstlern.

„Weit, weit weg“ erzählt von Davids Reisen mit der Gitarre auf dem Rücken durch die nähere und fernere Umgebung seiner ursprünglichen Heimat Lemgo in Ostwestfalen. Bei dem Lied begleitete er sich mit dem Banjo, das er wie die Gitarre mit atemberaubender Schnelligkeit und Sicherheit bediente. „Wann merkt Ihr, dass Ihr Brüder seid“ beschwört ganz allgemein den Frieden und hat natürlich einen sehr aktuellen Bezug. Mit „Wie weit zum Horizont“ thematisiert David wieder den Wunsch, über den eigenen Schatten zu springen, und das zu einer Melodie, die sich tief ins Herz bohrt. Aus der Feder des österreichischen Dichters Theodor Kramer (1897-1958) stammt das Gedicht „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“, mit dem der Dichter die Schmerzen der erzwungenen Emigration beschreibt. Nach dem Kriege fast vergessen, wurde das Gedicht zusammen mit anderen Gedichten Kramers in den Vertonungen von Zupfgeigenhansel wiederentdeckt und stellt mittlerweile einen Klassiker für deutschsprachige Liedermacher und Folkmusiker dar – berührend!

Als weiteres Lied zum Thema „Unterwegs“, das für Davids Leben eine zentrale Rolle spielt, steht „Für die Liebe, für die Freiheit, für das Leben“. Ein zartes Liebesbekenntnis an eine ferne Geliebte ist das Lied „Wo und wann?“. Mittlerweile hing das Publikum fasziniert und fast atemlos an Davids Lippen und natürlich auch an den berückenden Klängen aus seiner Gitarre. Euer Hofberichterstatter gehört dazu. Jetzt wieder zum Banjo sang David „Wenn ich wüsste, was der Morgen bringt“, ein philosophisches, humorvolles und schwungvolles Lied über den Wunsch des Menschen, ein wenig in die Zukunft zu blicken. Langsam steigerte sich der Jubel und Applaus ins Frenetische. Beim Lied „Mein Apfelbaum im Garten“ durfte Mario Dompke dem Star des Abends assistieren. Mit zwei Gitarren klingt das an sich schon bezaubernde Lied noch schöner. Mit dem nächsten Lied machte David erneut eine kleine Anleihe bei den Granden der deutschen Folkmusik: „Heute hier, morgen dort“, wer kennt das Lied von Hannes Wader nicht? Das Publikum sang inbrünstig mit und tobte zum Schluss.

Das sollte eigentlich der Abschluss von Davids Auftritt sein, aber ihr könnt euch natürlich vorstellen, dass er ohne Zugabe nicht von der Bühne gelassen wurde. Mit dem Lied „Wo der Mond die Erde küsst“ hinterließ David  einen tiefen Einblick in sein Denken und Fühlen und einen noch tieferen Eindruck bei den Zuhörern und der Beobachtung eures Chronisten zufolge besonders bei den ‑innen. Jedenfalls war der Applaus überwältigend – Standing Ovations!. Wir sind sicher, dass wir von David noch Etliches hören werden, vielleicht auch noch einmal im Folk Club – alles Gute für deine Tour, David!

Nun, nach diesem fulminanten Höhepunkt war der Abend eigentlich zu Ende gewesen, aber der Bericht hat Davids Lieder vor der Pause und am Ende des Abends in einem Rutsch behandelt. Zwischendrin gab es noch andere Musiker zu hören, die nicht unerwähnt bleiben dürfen.

John Hay präsentiert im Folk Club gern Instrumentalstücke auf der Gitarre. Steve Hacketts „Horizons“, ein Stück in Anlehnung an Kompositionen von Bach ist schon eine echte Herausforderung für einen Solisten. John Hay meisterte das schwierige Stück mit Bravour. Super, John, bitte mehr davon!

Thomas Meier war schon mehrmals im Folk Club zu hören, zuletzt im Februar 2019 mit dem Quartett Just 4 im Februar 2019. Diesmal kam er allein und hatte drei Lieder im Gepäck: „Fix You“ von Coldplay beschreibt, wie man wieder aufgebaut wird, wenn man einfach verzweifelt ist. In „Chasing Cars“ von Snow Patrol sucht der Sänger nach einem Weg, seine Liebe zu bekennen. Ein echter Klassiker ist „Wish You Were Here“ von Pink Floyd. Wunderbare Lieder zum Thema des Abends. Danke Thomas und großer Applaus vom Publikum.

Mit JerMexiCana enterten sechs Herren mit Gitarren, Ukulele, Akkordeon, Mundharmonika, Schlagzeug und natürlich Gesang die Bühne. Die Namen aller Musiker könnt ihr unter den Bildern lesen. „All Of It“, eine Komposition des Bandmitglieds Dany Henry Carpintero, beschreibt eine Liebesgeschichte mit einer irischen Frau, die aber am Ende irgendwie doch nur geträumt war. „Y asi verás – un nuevo tiempo“ (Nun wirst du es sehen – eine neue Zeit), ist der Titel des Liedes über eine Beziehung am Wendepunkt im Zeichen von Liebe und Hoffnung. Text und Musik sind von Miguel Garcia González, einem weiteren Mitglied der Gruppe. „Der Hafen“ basiert auf einem Gedicht („Für Einen“) der Dichterin Mascha Kaléko, die als Jüdin durch Emigration in die USA dem Nationalsozialismus entkam. Die Musik dazu komponierte Walid Chaar. Es handelt vom Gleichgewicht zwischen der Nähe und den manchmal so notwendigen Freiräumen in einer Freundschaft. „The Snows, They Melt The Soonest“, ein Lied, dass wir schon des Öfteren von John Harrison gehört hatten, gab es diesmal mehrstimmig. Das englische Volkslied beschreibt einen Mann, der Frauen gleichzeitig begehrt und doch verachtet – traurig und tragisch. Danke an die Sechs für ihre schönen Beiträge zum Thema des Abends.

Ja, irgendwann ist auch der schönste Folk-Club-Abend zu Ende, aber natürlich nicht, ohne eine musikalische Huldigung an den Patron der Veranstaltung, Jock Stewart, a man, you don’t meet every day.

Auf Wiedersehen am Freitag, den 3. März u.a. mit der Gruppe Tangoyim aus Hückeswagen.

 

 

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