Novemberblues?
Nicht im Folk Club Bonn!
Ewerie Monf we szeim Proßidjur – Laaaadieees and
Gentlemen, Mesdames et Messieurs, a very warm welcome to Folk club number … Im Fall des dem Bericht
zugrundeliegenden Folk Clubs natürlich 140. Und das im November, der
regenreich und wechselhaft für den typischen Gemütszustand des Blues sorgt.
Aber egal mit welchem Gefühl du hineingehst – ich durfte wieder einmal
feststellen, du gehst gelöst und zufrieden wieder hinaus – natürlich erst
Stunden später. Und der Grund hierfür:
John Harrison,
als Master of Ceremony, begrüßt wie immer mit oben zitiertem Ausruf die
zahlreich versammelten Gäste, und weil John für das Genre Blues steht (nicht
Novemberblues) begann er den musikalischen Reigen mit eben einem Blues. Der
„St. Louis Blues“ berichtet, wie die meisten Blues, von der
Niedergeschlagenheit des Sängers, weil (hier könnten Auswahlfelder stehen) die
Sonne am Abend viel zu früh untergeht, die Liebste davongelaufen ist, die
Liebste nicht davongelaufen ist, die Sonne viel zu früh aufgeht – oder einfach
das Leben halt das Leben ist. Will heißen, das wichtige am Blues ist das Gefühl
und nicht der Text – und das Gefühl des Blues wird von John meisterhaft
vermittelt. Mit seinem zweiten Stück „Bring Me Flowers When I’m Living“ von
Champion Jack Dupree beschreibt er die Unsinnigkeit, jemandem der gestorben
ist, Blumen zu bringen – er hätte selbige doch viel besser sehend (also als
Lebender) würdigen können. Als Metapher genutzt, können wir uns alle überlegen,
ob es nicht besser, ist den Wert der Mitmenschen zu deren Lebzeiten zu sehen,
anstelle sie nach ihrem Ableben als etwas Besonderes darzustellen. Denken wir
nur an die Kriegstreiber, die ihre Zukunft (junge Menschen) in den Tod schicken
und sie dann als Helden bezeichnen – wem nutzt das? Aber von der Philosophie
zurück zur Musik. Als Student musste John zur Finanzierung seines Studiums
teilweise schwer arbeiten. Er füllte eine Zeitlang 50 Kilo Säcke mit Gips und
schleppte sie aus der Produktion zum Verkauf. „Gypsum Sack“ berichte hierüber –
und dies, wie von John gewohnt, musikalisch mitreißend.
Hans Ihnen, nicht unbekannt im Folk Club, stieg
als zweiter Act des Abend in das Thema Frühling, Herbst und Waldzither mit
einem aus seinem kürzlichen Kanada Urlaub mitgebrachtem Lied von John Denver
ein. „The Mountain Song“ beschreibt nach seiner Aussage sehr gut den bleibenden
Eindruck, den die Rocky Mountains in seiner Seele hinterlassen haben. Speziell
zum Herbst brachte Hans das Lied „Wake Me Up When September Ends“ mit. Rechnen
wir das Jet Lag durch seinen Flug nach Kanada mit ein, hat es super geklappt,
denn mit seinem Spiel und Gesang bewies er, dass er zu Beginn des November wach
ist. Als letztes Stück hat sich Hans der aktuellen Weltlage zugewandt und mit
dem Pink-Song „Dear Mr. President“ eindringlich alle Präsidenten dieser Welt
aufgefordert aufzuhören, durch Gewalt und Unterdrückung, durch Kriege oder
Drohgebärden viele Gesellschaften kaputt zu machen und letztendlich Hass und
Zorn zu säen, statt der Aufgabe, Frieden und Zusammenleben zu sichern,
nachzukommen. Danke Hans!!!
Nun fällt mir
wieder einmal die Aufgabe zu über mich selbst zu schreiben, doch ist es diesmal
recht einfach, denn, das Themenmotto Waldzither wurde im Gedenken an unseren
langjährigen „Programmdirektor“ und Folk Club Mitbegründer Steve Perry
ausgewählt. Bei seinen Auftritten im Folk Club gefiel es Steve immer wieder,
mit besonderen Instrumenten besondere Lieder vorzutragen – so brachte er auch
die Waldzither dem Folk-Club-Publikum nahe. In Erinnerung an Steve – ein Jahr
nach seinem traurigen Tod, habe ich ein kleines Instrumentalstück für die
Waldzither geschrieben, welches ich mit den MitmusikerInnen der Gruppe Fomiander
vortragen durfte. „Steve’s Polka“ ist eine Polka, die abweichend vom
eigentlichen 2/4 Polkatakt im 4/4 Takt geschrieben ist und zusätzlich im
zweiten Teil mehrmalige Taktwechsel in den 3/4 Takt eingebaut hat (das musste
jetzt einfach mal gesagt werden:-) ).
Mit dem Lied „Das Moor“ (Untertitel: Der Grashalm) baute Fomiander eine
herbstliche Stimmung mit feuchten Nebelschwaden auf. Ein Sprechgesang, der
durch die Zwischenspiele der Querflöte viel Stimmung verbreitet. Mit dem
letzten Stück „Frühling“ (ganz dem Motto entsprechend) verabschiedete sich
Fomiander. Auch diese Lied – auf der Waldzither gespielt – wechselt aus einem
Tarantella ähnlichem 6/8 Stil zum Schluss in einen 4/4 notierten Bauerntanz und
sollte damit die Hoffnung auf den hoffentlich bald wieder kommenden Frühling
wecken.
Und schon waren
sie da, die featured artists des Abends. Bonn Choro spielten quasi zum
ersten Mal im Folk Club, wenngleich die MusikerInnen dort schon mal gespielt
haben. Die Auflösung ist ganz einfach – hießen sie beim letzten Auftritt noch
Bonner Roda, haben sie sich jetzt umbenannt. Der Grund? Nun die Roda ist die
Runde, in der musiziert wird. Und was wird musiziert – die Choro, so wurde
durch die Umbenennung stärker auf die Musik hingewiesen. „Choro ist ein
instrumentaler brasilianischer Musikstil, der wahrscheinlich in den 1870er
Jahren in Rio de Janeiro als Fusion von populärer europäischer Musik (Polka,
Walzer) und der Musik afrikanischer Sklaven entstand.“ (Wikipedia). Da die
Stücke instrumental vorgetragen werden und aus Brasilien stammen, ich des
Portugiesischen aber nicht mächtig bin, erlaube ich mir, nur die Titel zu
nennen und stärker auf den Eindruck, den die Musik bei mir hinterlassen hat,
einzugehen. „Carioquinha“ (kleiner Bewohner von Rio) eröffnete den Reigen und
zeigte gleich, was Rhythmus in der Musik bewirkt. Abwechselnd von zwei Gitarren
gespielt/übernommen lagen auf den Rhythmen die Melodieparts sowohl von Flöte
wie auch Gitarre. In diesem Stück noch ausschließlich von Temperament getragen
(in weiteren kam dann auch Melancholie hinzu), wurde das Publikum mitgerissen.
Kaum war es auf den Stühlen auszuhalten, wollte doch der Körper sich in den
Rhythmen wiegen und die Musik als ganzheitliches Gefühl aufnehmen und sich
nicht nur auf die Ohren verlassen. Vom gleichen Komponisten (Waldir Azevedo),
jedoch stilistisch stärker an ein Gefühl der Sehnsucht und des Fernwehs
angelehnt, beruhigte das Stück „Pedacinhos do Ceu“ (Ein Stückchen vom Himmel)
wieder. Wie schön kann es doch sein, sich einfach in die Musik fallen zu lassen
und in sich hineinzuhorchen. Bonn Choro unterstützte dies mit dem
hervorragenden Spiel. Und schon ging es weiter mit „Chorinho Na Gafiera“ einer
Samba – und natürlich könnt ihr euch denken, dass das Gefühl des
In-Sich-Reinhörens sofort wieder durch wippende Füße, kribbelnde Hüften und
nickende Köpfe ersetzt wurde. Für mich eine besondere Stellung nahm in diesem
Stück der virtuos gespielte Kontrabass ein. Wenn aus diesem mächtigen
Instrument die Schwingungen den Raum erfüllen, spürst du deine Eingeweide – ihr
merkt schon, die Musik, die den Bewegungsdrang erweckt, die Sehnsucht schürt
und das eigene Innenleben bewusst macht, ist einfach allumfassend – und so
erklärt sich auch, dass der Choro (übrigens ähnlich wie der Blues) eigentlich
keine Musikrichtung ist, sondern ein Lebensgefühl. Nun, ob Lebensgefühl hin
oder her, Bonn Choro beendete die erste Folk Club Hälfte mit „Forro Dos Dios
Amigos“, was auch ohne portugiesisch Kenntnisse unschwer als ein Lied über zwei
Freunde zu erkennen ist, aber nicht nur das – auch der Musikstil hat sich im
Titel verewigt, handelt es sich doch hier nicht um einen Choro, sondern um
einen Forro, was einen Paartanz aus dem Norden Brasiliens beschreibt. Seht es
mir nach, dass ich bei solchen Unterscheidungen ein wenig verwirrt bin – für
mich war es einfach klasse, mitreißende und treibende Musik, die mit nur einem
Wort zu beschreiben ist – toll.
Auch, wenn
Zwischendurch andere Künstler auftraten, erlaube ich mir die zweite Hälfte des
Auftritts von Bonn Choro hier direkt mitzubehandeln. In der zweiten Hälfte
wurde die Roda, also die Runde der Musizierenden, um zwei weitere Mitglieder
erweitert – hinzukamen ein Schlagwerker und eine Akkordeonspielerin. Und so
wurden alle Elemente des Choro weiter unterstützt. Die treibenden Kräfte der
Rhythmen erhielten gezieltes Percussion und die Melancholie teils wehmütige,
teils fröhliche Akkordeonklänge. Ich möchte nicht mehr auf jedes einzelne Stück
eingehen – um einen echten Eindruck bzw. eine echte Erinnerung zu bekommen,
muss die Musik sowieso gehört und gefühlt werden. Deshalb ein wenig abgekürzt:
Die Stücke der zweiten Hälfte entblätterten wieder die gesamte Bandbreite des
Genres und begeisterten das Publikum „Bebe“, „Amoroso“, „Benzinho“, und „Santa
Morenho“. Dann kam ein weiteres Instrument dazu – zufällig hatten alle
Anwesenden dieses Instrument parat – es ist die Stimme. Mit „Mas Que Nada“
wurde das Publikum in das Geschehen aktiv eingebunden – noch einmal gesagt: Es
war toll. Natürlich könnt ihr euch denken, dass Bonn Choro nicht ohne Zugabe
die Bühne verlassen durfte. Diese wurde als demokratischer Beschluss unter
Einbeziehung des „Unternehmensberaters John Harrison“ mit der Wiederholung des
ersten Stücks der zweiten Hälfte gegeben. Noch einmal durften wir den virtuos
gespielten Kontrabass sowohl gezupft wie auch gestrichen hören.
Nun aber erst
einen Schritt zurück. Eröffnet wurde die zweite Folk Club Hälfte durch Gerd
Schinkel und Tomke Winterboer. Bekannt als Liedermacher, der jedes aktuelle
Thema aufgreift, hat Gerd Schinkel diesmal aus seinem schier unerschöpflichen
Fundus Lieder zu einem Thema (welche Frauen waren/ sind in seinem Leben, aus
welchen Gründen wichtig) ausgewählt und zu einem abendfüllenden Programm
zusammengestellt. Einen Auszug hiervon präsentierte er uns mit Tomke als
Sängerin. Mit „Kann nur besser werden“ beschreibt er die Situation einer
alleinerziehenden Mutter, die sich durch das Leben beißt und in dem Bewusstsein
lebt, wenn es gerade schlecht läuft, kann es halt nur besser werden“. Im
zweiten Lied werden Fragen einer ungewollt schwanger gewordenen Frau behandelt
– sicher kann sich jeder vorstellen, dass diese Situation eine stärke
Gefühlsaufwallung hervorruft und – nicht nur am Anfang – immer wieder neue und
alte Fragen des Warum, des Wie und des Wohin aufwirft. Das Lied ist eine
Übertragung eines italienischen Liedes (Una Ragazza) von Eduardo Benato. Weiter ging es mit einem doch völlig anderem
Thema, wenngleich möglicherweise ähnliche Fragen dem beschriebenen Handeln
zugrunde lagen. „Susanne steigt aus“ ist ein Lied über eine Journalistin, die
in der Blüte ihrer Karriere das Gefühl hat, dass es noch etwas anderes in ihrem
Leben als die Arbeit geben muss und sie sich eine Auszeit vom beruflichen Leben
gönnt. Mit dem Stück „Geschmiedete Wahrheit“ beendeten Gerd und Tomke ihren
Auftritt. Das Lied erzählt von einer Künstlerin, die ohne heute
selbstverständliche zivilisatorische Mittel wie Internet und Handy sich in der
Schmiedekunst verwirklicht und eben in ihren Kunstwerken ihre Wahrheit
beschreibt. Aus meiner Sicht haben Gerd
und Tomke genau das erreicht, was sie beabsichtigt hatten – nämlich den Appetit
für das gesamte Programm zu wecken. Bliebe an dieser Stelle noch von mir zu
bemerken, dass ich nicht sicher bin, ob ich den letzten Titel richtig wieder
gegeben habe – aber der Inhalt sollte stimmen – und, und hier gebe ich meine
ganz persönliche Meinung wieder, ich glaube, dass die Stimme von Tomke auf die
Lieder einen sehr positiven Effekt haben. Für mich wirken die Lieder viel
gefälliger, ohne dass ihnen die inhaltliche Schärfe genommen wird. Mir hat es
sehr gut gefallen.
Hat Gerd
Schinkel eine Übertragung aus dem Italienischen präsentiert, kam nun das
Original – ok, es war nicht Eduardo Beneto, aber Fabio Guglielmino – ein
Künstler, der sobald er die Bühne betritt, viel Feuer und Temperament
ausstrahlt. Fabio komponiert und textet seine Lieder selbst und nutzt dazu
viele Gelegenheiten und Anlässe. Sein erstes Lied „Il Treno Per Berlino“
beschreibt auch für Nichtitaliener unschwer zu erkennen eine Zugfahrt nach
Berlin. Fabio kommt in diesem und seinen anderen Lieder gut poppig rüber und es
macht Laune ihm zuzuhören. Was mich besonders berührt hat ist, dass Fabio,
obwohl er seine Gitarre hauptsächlich als geschlagenes Rhythmusinstrument
nutzt, diese sehr temperiert zu handhaben weiß. Er schafft es sowohl leise Töne
wie auch laute Passagen des Gesangs perfekt mit entsprechender Begleitung zu
untermalen. Als zweiten Song brachte Fabio dem Publikum das Lied „Una Parola
Che non C’e“ dar ein Lied, welches er in seiner Zeit in Hamburg geschrieben hat
– er saß dazu an der Alster, wobei der Ausblick auf das Wasser sicher zur
Schönheit des Liedes beigetragen hat. „Cantami una Canzone“ ist ein Lied, dass
Fabio seiner Liebe und Lebensgefährten gewidmet hat. Dieser saß im Publikum und
hörte, wie alle anderen, begeistert zu. Fabio überführte das Lied direkt in
sein letztes Stück des Abends „Che Importanza Ha“, womit er nicht nur viel
Applaus erntete, sondern auch der „Lüge“ gestraft wurde – denn es war dann doch
nicht sein letztes Lied. Er musst noch eine Zugabe geben, die er uns gerne mit
„He Bora Bora si“ gewährte und das Publikum so auch gleich zum Mitmachen
animierte.
Nachdem nun
fast alles berichtet ist, wartet der geneigte Leser wie immer auf den Schluss –
oder war es etwa zu spät geworden? Nein, natürlich nicht. Alle MusikerInnen
bestiegen noch einmal die Bühne, um gemeinsam mit dem Publikum dem Patron des
Folk Clubs zu huldigen und den Abend mit „Jock Stewart“ zu beenden.
Nun rufe ich
euch ein von Herzen kommendes „Ciao“ zu - und ihr wisst – nach dem Folk Club
ist vor dem Folk Club und im Dezember wie immer mit dem special guest Simon
Kempston.
Out of the bedroom
Euer Mario