Dienstag, 30. April 2024

Detlefs Bericht vom Folk Club Nr. 145 am 5. April 2024

 Folk Club im April 2024 – Faszination durch Virtuosität

„Eine musikalische Reise durch verschiedene Länder“ lautet das Motto, das sich der Featured Artist des Abends, Simon Wahl gewünscht und das er auch bekommen hatte. Simon, in Bonn geboren und aufgewachsen und jetzt in Wien ansässig (wie damals Ludwig van Beethoven) füllte das selbstgewählte Motto zur Gänze aus. Aber wie immer – erst kamen andere Musiker dran, traditionell zur Eröffnung des Abends unser Häuptling John Harrison.

Den Folk Club im April nutzt John gern für eigene Gedichte mit Lobpreisungen seines geliebten Löwenzahns (auf Englisch „dandelion“, eine Verballhornung des französischen Namens dent de lion), der jetzt überall blühte, dem aber von manch einem Gärtner deutlich geringere Sympathiebekundungen zuteilwerden. Euer Chronist ist einer von denen, die zwar die gelben Blüten lieben, aber jahrein, jahraus gegen die ungeheure Vitalität und Vermehrungsfreude des Monsterkrauts ankämpfen. Johns Gedichte sind jedoch hörens- und lesenswert. John hat von den „Löwenzahn-Psalmen“ eine stattliche Anzahl zur Verfügung. Vorgetragen hat er die Gedichte „Vitamine A And Dandelion“, und „Dan D Lion“. Wenn Ihr in diesem Blog zum Folk Club im Mai 2023 hinunter„blättert“, dann findet Ihr sie dort auch abgedruckt.

Mit einem weiteren Gedicht (sogar in deutsche Sprache!) erinnerte John an die zu dem Zeitpunkt leider schon verblühten Magnolien, die im zeitigen Frühjahr rund vierzehn Tage lang mit ihrer überbordenden Blütenpracht begeistern, aber im übrigen Jahr ein eher unspektakuläres Bild abgeben. Nicht nur die blühenden Magnolien begeistern, sondern auch Johns wunderbares Gedicht, das wir schon mehrfach gehört haben. Das Magnoliengedicht ist hier ebenfalls abgedruckt zu finden, und zwar im Bericht über den Folk Club im Mai 2022.

Gut zum Thema des Abends passend war dann Johns „1001 Protest Song“ über die Ungerechtigkeiten in diversen Ecken der Welt.

Wie in einem richtigen Folk Club gab es auch diesmal wieder spontan erschienene Musiker, sogenannte Walk-ins. Konstanze und Joshua waren vor einiger Zeit auf einer Demonstration auf den Folk Club aufmerksam gemacht worden. Ihr Beitrag war das Lied „Ironic“ von Alanis Morissette, das Konstanze mit ihrer kraftvollen und tragenden Stimme zu Joshuas schöner Gitarrenbegleitung sang. Auch der jodelähnliche Registerwechsel in der Stimme gelang mühelos. Die Beiden sind eine wunderbare Entdeckung für den Folk Club, hoffentlich kommt Ihr bald wieder.

Holger Riedel ist ein treuer Besucher des Folk Clubs und schreibt auch selbst Lieder. Eines davon ist der Schranken-Blues, mit dem Holger seine Verzweiflung über die in Bonn stets geschlossenen Eisenbahnschranken ausdrückt. Bei der Gelegenheit kam auch unser ansonsten nicht allzu häufig benutztes Klavier zum Einsatz. Ja, Holgers Schrankenblues ist wunderbar schräg, und das Publikum hatte seh- und hörbar seinen Spaß.

Jermexicana, die Band, die den Folk Club erst voriges Jahr entdeckt hat, sorgte seither mehrfach für viel Vergnügen beim Publikum. Diesmal kamen sie in leicht geänderter Besetzung. Gitarrist Benedikt Neikes war in Urlaub. Dafür kam Michaela Stief als Gast mit ihrem Akkordeon und Martin Franzen, der sonst das Akkordeon spielt, wechselte zur Gitarre. „Nimm mich mit“ lautete der Titel des ersten Liedes. Passend zum Motto des Abends führte das Lied in das Land der Sehnsucht. Eine Liebeserklärung an Bonn ist das etwas wilde Bonn-Lied mit der Refrainzeile „Du bist meine Heimat, bist meine Stadt“. Das Publikum konnte dank verteilter Textzettel den Refrain kräftig mitsingen. Bei „So ist das Leben“ gab es hingegen mit einer Reggae-Melodie eine kleine Reverenz an die Karibik. Für die Erfüllung des Mottos des Abends bekommt Jermexicana volle Punktzah!

Auch Peter Bachmann zog es in eine bestimmte Gegend. Diesmal war es die italienische Küste. „The Coast Of Amalfi“ lautet der Titel des Liedes von Steve Harley, der rund drei Wochen vor dem Folk Club gestorben war. Peter hatte das Lied aus verschiedenen Optionen deswegen ausgesucht. Er präsentierte das Lied mit gefühlvoller Stimme zu schönem Fingerpicking auf der Gitarre.

Ebenfalls alte Bekannte im Folk Club sind Ulrike Hund (Querflöte) und Stephan Weidt (Gesang und Gitarre) alias „Zwei von Zwei“. Stephan, der auch gelegentlich im Folk Club solo auftritt, schreibt viele Lieder selbst. Den Anfang machten sie aber mit einem Instrumental aus Armenien. Ulrike spielte dabei den Part auf ihrer Querflöte, der eigentlich mit dem armenischen Instrument Duduk gespielt werden sollte. Aus dem jiddischen Kulturbereich stammt das Lied „Donna, Donna“, das viele in den Versionen von Donovan und Joan Baez kennen. Auch hier kam die Instrumentalversion von Gitarre und Querflöte zum Einsatz. Das Lied hat eine dunkle Geschichte, da es in der Originalversion „Dos Kelble“, also „Das Kälbchen“ heißt. Es wurde 1940 komponiert und spielt auf die Hilflosigkeit der Menschen an, die in die Vernichtungslager geschafft wurden. Aus Stephans Feder stammt das Lied „Nichts, was dir blieb“. Der Mensch hat nichts in die Welt gebracht und nimmt nichts mit, wenn er geht. Daran erinnert Stephans poetischer Text, den er zu einer wunderbaren Melodie sang, ein wahrer Edelstein! Den Abschluss bildete wieder ein Instrumental, diesmal aus dem Frankreich der Renaissance. „Tourdion“ lautet der Titel, eigentlich ein allgemeiner Begriff für einen schnellen Tanz, der am Anfang des 16. Jahrhunderts populär war. Viele, die in Chören singen, kennen die hier mit Tourdion benannte Melodie als schwungvolles Trinklied („Qand je bois du vin clairet, ami tout tourne, tourne, tourne, tourne“). Stephan zeigte hier, dass er neben seiner Gitarre auch die Kunst des Pfeifens beherrscht.

Simon Wahl, der Featured Artist des Abends, hatte ein durchkomponiertes Reiseprogramm auf Lager, das er, wie könnte es anders sein, in seiner Bonner Heimat mit dem Stück „Am Rhein“ beginnen ließ. Er habe es noch als Schüler geschrieben, verriet er. Die Virtuosität des Stückes deutet an, dass er schon damals ein Könner gewesen sein muss. Kunstvoll eingeflochtene Flageolett-Passagen und die Melodie im Diskant gespielt sind sicherlich nichts für Anfänger. Den Wechsel nach Paris bescherte uns dann Simons Arrangement des Stückes „Minor Swing“ von Django Reinhart. Viele Besucher hatten noch die Version vom März im Ohr, präsentiert von Thomas Monnerjahn und Eric Linfoot. Simon brachte es fertig, das rasante Stück ganz allein wie eine One-Man-Band mit Schlagzeug und Bass zu spielen – grandios! Weiter ging’s nach England mit dem Beatles-Lied „All You Need Is Love“ in einem unglaublichen Arrangement. Den Abschluss des ersten Sets bildete Simons Version des Stückes „Chan Chan“ von Compay Segundo, das durch den großartigen Film „Buena Vista Social Club“ weltweit bekannt wurde. Simon lieh sich dafür John Hays Flamenco-Gitarre aus, da seine eigene etwas leise war. Simon erzählte, dass er keine vorgefertigte Gitarrenversion der Melodie habe finden können und deshalb selbst ein Arrangement verfasst habe. Ja, ich will der Buena-Vista-Truppe nicht wehtun, aber Simons Version ist fast noch eindrücklicher als das Original. Leute, langsam gehen mir die Worte für weitere Superlative aus. Deswegen belasse ich es im Folgenden bei weniger bombastischen Ausdrücken. Denkt euch das Großartige und Virtuose einfach hinzu. Wer nicht da war, ist selbst schuld, kann aber am 9. Juni das Versäumte bei einem Besuch in der Trinitatis-Kirche in Bonn-Endenich nachholen. Simon tritt dann dort auf. Meine Empfehlung: Termin merken und nix wie hin!

Im zweiten Teil des Abends beglückte er das Publikum mit acht weiteren Stücken plus Zugabe. Die Titel lauteten: „Reise mit der Bahn“ (mit eingebautem Zugsignal-Pfiff), Tagträume (komponiert für seine Gitarrenschüler), „Take It Easy“ (komponiert, um den Stress bei Bahnreisen abzubauen), „Jahrmarkt“ (eine Reise zum Alten Wiener Prater im Ragtime-Stil mit Wechselbass), „The Wellerman“ (vermischt mit Elementen aus „Drunken Sailor“), „Der Tanz“ (erneut mit Flamenco-Gitarre mit spanischen Techniken und Harmonien und Wechsel zwischen 3/4 und 6/8-Takt), „Keep Going“ (im Stil der Red Hot Chilli Peppers). Das letzte Lied sollte eigentlich das österreichische Schlaflied „Es wird scho glei dumpa“ sein, mit dem Simon allabendlich seinen Sohn in den Schlaf spielen muss. Aber das Publikum verfiel nicht in Schlaf, sondern forderte lautstark eine Zugabe. „Auf geht’s“ lautete deren Titel.

Uff, jetzt muss ich wieder die Kurve kriegen, um noch Worte für den Bericht über die Stücke zu finden, die zwischen Pause und Simons zweitem Set gespielt und gesungen wurden.

Den Beginn nach der Pause machten Robert Hrubes, der meisterhaft das Klavier bediente, John Harrison mit Gesang und Gitarre und Christoph Thiebes an der Mundharmonika. Der Blues „Stormy Monday“ klingt in dieser Kombination großartig. Bei „House Of The Rising Sun“ gab es verständlicherweise vielstimmige Chorunterstützung aus dem Publikum – ein großer Spaß für alle.

Es ist immer wieder eine Ehre, Tom Kannmacher, den Altmeister für deutsche und irische Folkmusik, zu Gast zu haben. Diesmal präsentierte er uns anders als beim letzten Mal keine gesungenen Lieder, sondern ausschließlich Instrumentalstücke auf seinen Uilleann Pipes, einem Instrument, das auf der Technik des Dudelsacks basiert. Anders als der traditionelle Dudelsack wird der „Wind“ mit dem Ellbogen erzeugt, und das Instrument ermöglicht eine mehrstimmige Spielweise. „Nur Gentlemen Pipers konnten sich solch ein Instrument leisten“, erläuterte Tom. Es ist teuer, kompliziert zu spielen und dementsprechend selten zu finden. Wer mehr über das Instrument erfahren möchte, dem sei die folgende Seite auf Toms Internetpräsenz empfohlen: https://www.kannmachmusik.de/deutsch/die-musik/irish-uilleann-pipes/.

Tom ist einer der wenigen Musiker hierzulande, die die Uilleann Pipes beherrschen. Das Instrument stammt zwar aus Irland, Tom hatte aber nach eigenem Bekunden ausschließlich Melodien aus England mitgebracht. Den Beginn machte er mit einer Gavotte, die zwar ein höfischer Tanz war, aber gemäß Toms Versicherung in der damaligen Zeit durchaus als Volksmusik gewertet wurde. „A Goblet Of Wine“ und „Push About The Jug“ sind zwei Trinklieder. „Mrs Lundi’s Minuet” ist tatsächlich ein Menuett im gemessenen 3/4-Takt. Hier muss Euer Chronist aber in die Kannmachersche Autorität hineingrätschen. Das Stück ist nicht aus England, sondern aus Schottland. Ohne meine Intervention bekäme ich womöglich Ärger mit unserem langjährigen und regelmäßigen Dezember-Gast Simon Kempston aus Edinburgh. Den Abschluss von Toms wunderbarem Set bildete das Stück „The Hen’s March (Through The Midden)“ das Tom als Kombination sowohl der irischen als auch einer englischen Fassung spielte. Insofern stimmte die Stückauswahl nicht ganz mit Toms Ankündigung („alles aus England“) überein, aber das tut eigentlich nichts zur Sache. Toms Auftritt war wie immer ein Genuss und zudem auch unter dem Aspekt der Weiterbildung eine echte Bereicherung für das Publikum – großartig!

John Hays Flamenco-Gitarre wurde hier schon an früherer Stelle erwähnt. Jetzt durfte sie auch mit ihrem Eigentümer auftreten. „In der Straßenbahn“ lautet Johns selbst geschriebenes Lied, das über Menschen berichtet, die man zufällig, z.B. in der Straßenbahn, trifft. Es geht darum, dass die Menschen in der Bahn oftmals eher mürrisch und abwesend dreinschauen. Was verbirgt sich wohl hinter den Gesichtern, die den Blick nicht erwidern, fragt John in seinem Lied – eine schöne Idee für ein Lied und fein umgesetzt.

Ja, und dann sollte als Nächstes eigentlich Simon Wahl zum zweiten Set kommen, der aber noch einen Moment auf sich warten ließ. Für solche Gelegenheiten hat John Harrison als Lückenfüller immer etwas im Gepäck, das er aus dem Stehgreif präsentieren kann: Mit „The Beggars Song“ gab er den Bettlern einen Ritterschlag, denn dem Text zufolge „Of All The Trades In This Country The Begging Is The Best“. Betteln ist sozusagen ein Gewerbe, und John zufolge sogar das beste, da es äußerst flexibel und mit wenig Kosten und Aufwand betrieben werden kann. Ja, so kann man sich sein bitteres Los auch schön singen.

Was nach Johns a capella gesungenem Lied kam, habt ihr bereits weiter oben erfahren. Am Ende des Abends durfte natürlich wie immer der Rausschmeißer „Jock Stewart“ nicht fehlen, der von der gesamten Gemeinde inbrünstig besungen wurde.

Am Freitag, den 3. Mai trifft sich der Folk Club erneut, diesmal als Singers‘ Night, also ohne Featured Artist, aber mit zahlreichen interessanten Künstlern aus der Region. Das Thema des Abends lautet „Vögel, neugierig und/oder ungewöhnlich“. Lasst euch wie immer überraschen.

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