Donnerstag, 26. März 2015

Detlefs Bericht vom Folk Club Nr. 56 am 6. März 2015


Folk Club Nr. 56 am 6. März 2015 – „Züge, Schiffe usw.”
Das Reisen und die Ferne und alle damit verbundenen Erlebnis- und Gefühlswelten sind wunderbare Themen für Lieder. So konnte John Harrison bei seinem Eröffnungsauftritt für die 56. Ausgabe des Folk Clubs Bonn auch so richtig in die Vollen greifen. „Over the Hills“ lautete der Titel des Liedes aus dem 18. Jahrhundert, das über die oftmals zum Militärdienst gepressten Soldaten berichtet, die mit Versprechen auf ein besseres Leben als Soldat für den Kriegsdienst in fernen Ländern geködert wurden. Die einfühlsame Melodie im Arrangement von John Tams und der hintersinnig melancholische Text a capella gesungen gingen gleich am Anfang des Abends unter die Haut. Der Refrain wurde vom Publikum – der Saal war wieder wie üblich rammelvoll – gleich mit Inbrunst mitgesungen. John Harrison wäre nicht er selbst, wenn er uns nicht auch eine Kostprobe englischer Lyrik geben würde. William Wordworths Gedicht „I Wandered Lonely as a Cloud“ war ein schöner Einstieg in den herannahenden Frühling. Das Gedicht aus dem Jahr 1804 beschreibt, wie der Dichter bei seinen Wanderungen ein Feld blühender Narzissen sieht und wie dieses Bild ihm immer wieder in einsamen Stunden das Herz mit Freude erfüllt. Welch ein Gegensatz zur Lyrik heutiger Tage, die, so scheint es, überwiegend von düsteren Gedanken und Ausweglosigkeit geprägt ist. Beim dritten Lied wurde John von Paolo Pacifico auf der Mundharmonika und auch gesanglich bei den Refrains unterstützt: „Drivin’ Wheel“ von David Wiffen beschreibt die Not eines Mannes, den auf dem Weg zu seiner Geliebten sein Auto im Stich lässt. Er lässt das Auto stehen und nimmt stattdessen für sein letztes Geld den Nachtzug – das ist wahre Liebe. Dicker Applaus für John und Paolo!
Paolo, diesmal an der Gitarre, durfte danach gleich zusammen mit seiner Freundin Svenja Jesumann an der Geige noch einmal ran. „Shiver me Timbers“ von Tom Waits beschreibt ganz generell die Not, die jemanden befällt, der seine Heimat und seine Familie verlassen muss. Svenja und Paolo wechselten sich wunderschön bei den Gesangspassagen ab, und Svenja steuerte noch ein feines Zwischenspiel auf ihrer Geige bei.
Eine kleine Kostprobe ihrer exzellenten Gitarrenkunst gaben uns Werner Krotz-Vogel und Thomas Monnerjahn bei dem Jazz-Standard „Take the A-Train“ von Billy Strayhorn aus dem Jahre 1939. Der Pianist Strayhorn war die rechte Hand von Duke Ellington, der viele Strayhorn-Kompositionen als seine eigenen ausgab. Das Stück ist ein wahrer Klassiker, und die beiden Gitarristen machten daraus ein echtes Schmuckstück. Abwechselnd spielten sie die Melodiestimme und die Begleitung. Mit wunderbaren Schmuckfiguren, Tempowechseln und kleinen artistischen Kabinettstückchen wurde das Stück zu einem Ohrenschmaus. Das nächste Stück mit dem Titel „Billie’s Bounce“ des legendären Saxophonisten Charly Parker handelte zwar nicht von Verkehrsmitteln. Werner konstruierte hier aber eine gewagte Brücke: Parker musizierte häufig zusammen mit dem nicht minder berühmten Saxophonisten John Coltrane, dessen Spitzname „Trane“ war, das genauso ausgesprochen wird wie der „Train“. Auch bei diesem Jazzstück sprühten die beiden vor Gitarrenakrobatik mit ungeheurem musikalischen Fingerspitzengefühl.
Das Publikum forderte eine Zugabe und bekam sie natürlich auch: „Manhã de Carnaval“ ist eine bekannte brasilianische Melodie aus dem mehrfach preisgekrönten Film „Orfeu Negro“ (Der Schwarze Orpheus). Aus dem ohnehin schon einschmeichelnden Lied machten die beiden eine Ohrenweide ohnegleichen – Wann bestreiten Werner und Thomas den einmal einen Abend als „Featured Artists“? Wie dem auch sein, der Applaus glich einer Explosion – Herrlich!
Der gute Stephan Weidt, der mit seiner Frau Ulrike Hund danach mit seinen Eigenkompositionen besinnlichere und nachdenklichere Töne anschlagen wollte, kommentierte seine Situation nach dem vorherigen fulminanten Auftritt so: „Nach dieser schönen Musik zu spielen, ist eine Ehre“. Stephan und Ulrike sind aber Profis genug, um sich nicht einschüchtern zu lassen. Das haben sie auch gar nicht nötig und konnten es mit ihren drei Liedern auch gleich unter Beweis stellen. „Frau Matusek wohnt hier nicht mehr“ ist Stephans poetische Betrachtung einer Hausgemeinschaft, die nach dem plötzlichen Verschwinden der guten Seele der Mitbewohner mit einem Mal aus dem Lot gerät. Stephan hat das melancholische Lied wunderbar instrumentiert. Zusammen mit Ulrikes einfühlsamer Flötenbegleitung, seinem kunstvollen Gitarrenspiel und seiner klaren, prägnanten Stimme ist das Lied ein kleines Juwel. „Mit leichtem Gepäck“ beschreibt etwas geheimnisvoll Verlusterfahrungen. Der Text steht scheinbar im Kontrast zu der fröhlichen Melodie im Dreivierteltakt – aber nur scheinbar, denn er weist auf die befreiende Erfahrung hin, die das „Abschütteln des Staubes“ also des vielen Ballasts, den wir in unserem Leben anhäufen, mit sich bringt.
Ein Beitrag zum Thema des Abends war das dritte Lied, das Ulrike von ihren zahlreichen beruflichen Reisen nach Russland und in die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken mitgebracht hatte: das Lied „Argo“ aus dem Trash-Musical von 1986 „Die lustige Chronik einer gefährlichen Reise (Veselaja chronika opasnogo puteschestvija)“ aus der ehemaligen UdSSR. Ulrike hatte das Lied bezeichnenderweise auf einer Zugfahrt in der Transsibirischen Eisenbahn gehört. Damit waren sowohl Züge als auch Schiffe (die Argonauten fuhren ja mit dem Schiff) abgedeckt. Ulrike sang natürlich auf Russisch und das Publikum durfte den Refrain „la la la lei la lei “ mitsingen, und tat es auch – ein wunderbarer Spaß und dicker Applaus für Ulrike und Stephan.
Für Tom Meier war es der erste Auftritt im Folk Club. Im Gepäck hatte er – neben seiner Gitarre – unter anderem den „San Francisco Bay Blues“. John Harrison ließ es sich nicht nehmen, Tom bei diesem bekannten Blues auf der Mundharmonika zu begleiten. Das Stück, so wurden wir belehrt, stammt nicht von Eric Clapton. Euer Chronist hat mal recherchiert und herausgefunden, das es Jesse Fuller zugeschrieben wird und von ihm erstmals 1954 auf Schallplatte aufgenommen wurde. „500 Miles“ oder „If You Miss the Train I’m On“ hat auch viele Interpreten gefunden, darunter das legendäre Trio Peter, Paul and Mary. Weiter ging es mit Zügen, die offenbar viele Liedermacher inspiriert haben, darunter auch Elizabeth Cotten. Ihr unsterbliches Lied „Freight Train“ interpretierte Tom als wundeschönes Instrumental mit gekonntem Fingerpicking – Applaus und Anerkennung für den herrlichen Beitrag.
Ein kleines Schmankerl als Aufwärmer nach der Pause steuerten Barry Roshto am Klavier und Claudia Huismann mit „You Call Out My Name“ von Carol King bei. Schön, wie die beiden so fast beiläufig das Lied zweistimmig sangen und damit den zweiten Teil des Abends einleiteten.
Shea aus dem nordirischen Belfast hatte das Lied „Soldier“ des irischen Liedermachers Damien Rice und eine Komposition der Schwedischen Gruppe First Aid Kit mit dem Titel „Lion’s Roar“ für uns und fast überflüssig zu sagen, dass hier so nebenbei wieder ein echter Edelstein auf der Folk Club-Bühne zu hören war. Mit einer Stimme und Singweise, die leicht an den frühen Bob Dylan erinnerte und mit professioneller Gitarrenbeherrschung gab er den beiden Liedern eine wunderbare Stimmung.
Ebenfalls mit zwei Liedern traten Matthew Robb (John kündigte ihn als „Yorkshire Matthew“ an) und Hermann Josef Wolf (alias Fliege) auf. Nach Matthews etwas knapper Ankündigung handelte das erste Lied von Zügen und das zweite von Schiffen. Im Schiffe-Lied ging es um Sklaventransporte. Matthew hatte das Lied inspiriert von der Fernsehserie „Roots“ geschrieben. Leider waren die Texte nicht allzu gut zu verstehen, aber die wunderbare Instrumentalisierung und der Gesang entschädigten für das kleine Manko. Beide Musiker harmonieren prächtig und transportieren ihre Musikbegeisterung unmittelbar ins Publikum.
Daniel Bongart ist Sänger in der Bonner Rockband „Winterfeld“. Heute spielte er für uns „Daniel“ von Elton John. „Daniel is tonight travelling on the plane“ lautet eine Zeile des Textes, womit der Bezug zum Thema des Abends klar wird. Mit seiner schönen, kräftigen Stimme sang er dann das selbst komponierte Lied „Old Man“, das von seinem Onkel handelt. Sehr ambitioniert war sein Vortrag von „Heyday“ von Mic Christopher. Trotz seiner leichten Erkältung meisterte er das schwierig zu singende Lied mit Bravour – Dicker Applaus für Daniel.
Auch der im Folk Club gut bekannte Peter Philips war indirekt ein Opfer der Erkältungswelle, die ihn als einzigen von seinem Trio übrig gelassen hatte. Aber ein wahrer Held gibt nicht auf. Statt seiner Trio-Mitstreiter spannte er das Publikum ein, das ihn bei den Stücken „Sitting on the Dock of the Bay“ von Otis Redding und „Jamaica Farewell“ (weltberühmt durch die Interpretation von Harry Belafonte) tatkräftig unterstützte.
Unser besonderer Gast des Abends hieß Paul O’Brien, und es würde mich wundern, wenn mehr als eine Handvoll Folk Club-Besucher von ihm schon vor den Ankündigungen für den Abend gehört gehabt hätten. Nach seinen Liedern fragte sich aber mancher, warum Paul nicht bekannter ist. Das ist nun einmal das Geheimnis des modernen Medien-Musikbetriebs. Paul lebt in Kanada, hat irische Eltern, ist geboren und aufgewachsen in Großbritannien und ist gerade auf einer Tournee durch Europa. Sein Leben in verschiedenen englischsprachigen Ländern mit sehr unterschiedlichen Akzenten ist vielleicht das Geheimnis seiner außergewöhnlich klaren und akzentuierten Aussprache, die es auch den weniger geübten Zuhörern leicht machte, seine Geschichten und Liedtexte zu verstehen. Und Paul hatte etwas zu erzählen!
Garniert mit lustigen Geschichten aus seinem Leben und Anekdoten über Iren und Kanadier sang er seine überwiegend selbst komponierten Lieder. „Sonny’s Dream“ handelt von der Insel Neufundland im Osten Kanadas und ihren etwas eigenwilligen Bewohnern, die sich nach Pauls Aussage eigentlich gar nicht als Teil Kanadas empfinden (endlich habe ich mal gehört, wie man „Newfoundland“ richtig ausspricht). Seine herrliche Baritonstimme mit einem zarten Vibrato verzauberte die Zuhörer augenblicklich. Jedes seiner Lieder erzählte eine Geschichte meist mit einem sehr persönlichen Bezug. Die Melodien scheinen zwar einfach, aber fesseln dennoch. Sparsame aber gekonnte Fingerpicking-Gitarrenbegleitung unterstützt die gesungenen Geschichten auf’s Köstlichste. In „American Car“ erzählt Paul die Geschichte von einem Jungen in Europa, der glaubt Amerikanische Autos könnten fliegen – zum Weinen schön. „Madrona Tree“ handelt von einem Baum mit mythischer Bedeutung für die amerikanischen Ureinwohner, die Bäume dieser Art nicht als Feuerholz nutzen. „Listen to Your Heart“ besingt die Talente, die in uns schlummern. Es ist ein „Echolied“, und das Publikum sang die Echos begeistert mit. In „The Quietest Voice“ geht es darum, dass oftmals die leisen Stimmen viel zu sagen haben. Paul hatte das Lied für seine Frau geschrieben, deren Mutter sehr früh an Multipler Sklerose verstorben war.
Paul kann nicht nur hervorragend singen und Gitarre spielen, sondern beherrscht auch die irische Trommel Bodhran hervorragend. „I Still Haven’t Found What I’m Looking For“ von U2 von Paul a capella gesungen und nur mit Bodhran-Begleitung war ein wahres Gänsehaut-Stück. Dazu trug auch der vielstimmige und vor allem mehrstimmige Publikumschor bei, der wiederum Paul begeisterte. „I Call You My Friend“ schrieb Paul für seinen Vater und handelt von dessen Freundschaft mit seinem bestem Freund Jerry, aber eigentlich geht es ganz allgemein um Freundschaft, die auch durch lange Trennung nicht endet. Auch hierbei gab es einen vorzüglichen Refrain zum Mitsingen für das Publikum: „We share the stories, we live the glories, and that’s why I call you my friend“ sorgte für Gänsehaut bei allen im Saal.
Mein Favorit aber ist das Lied von der kleinen Elli Ross, die zur Gitarrenstunde kam, aber keine Lust auf Gitarrenunterricht hatte. Stattdessen bat sie Paul, ein Lied über sich und ihre beste Freundin Charlotte zu schreiben, was er auch tat. Das Lied über die beiden Mädchen und über ihre kleinen und großen Träume ist einfach köstlich und geht direkt ins Herz. Das sollte das letzte Lied sein, aber das tobende Publikum ließ Paul natürlich nicht ohne Zugabe gehen. „You Can Light the Way“ ist ein Lied, das er anlässlich der Geburt seiner kleinen Nichte geschrieben hatte, das aber auch ein wunderschönes und zu Herzen gehendes Abschiedslied war – Paul, vielen Dank für deinen inspirierenden Auftritt, der den Glückshormonpegel bei den Folk Club-Besuchern in ungeahnte Höhen getrieben hat. Wir wünschen dir viel Erfolg auf deiner Tournee.
Mit unserem alten Rausschmeißer „Jock Stewart“ ging der Abend standesgemäß zuende.
Wie freuen uns auf den nächsten Folk Club, diesmal ausnahmsweise nicht am ersten Freitag im April, der auf den Karfreitag fällt, sondern eine Woche früher am 27. März 2015. Wir erwarten als besonderen Gast den Bonner Gitarristen Simon Wahl, der derzeit im österreichischen Linz studiert und bereits im Juli 2013 im Folk Club begeistert hat.

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