Mittwoch, 19. Februar 2020

Marios Bericht vom Jubiläums-Folk-Club (10 Jahre) am 7.2.2020


Erst mal tief Luft holen – ein Anschlag auf die Gelassenheit

Normalerweise fahre ich zum Folkclub immer mit dem Gefühl, einen schönen Abend mit einem gemischten Programm unterschiedlicher Stilrichtungen und unterschiedlicher Künstlerqualitäten zu erleben. Einen Abend also, an dem sich Spannung und Erholung, Konzentration und Zurücklehnen sowie tiefer Genuss und „jeder braucht seinen Platz, um sich auszuprobieren“ abwechseln.

Anders ist dies an den Jubiläumsabenden. Schon beim 50ten und beim 100ten Folkclub erlebten wir eine geballte Ladung aus Qualität, Emotionen und Engagement, einen Dauerbeschuss an „wir gehören zusammen und machen tolle Musik“. Kaum zu glauben aber wahr, das 10 jährige Jubiläum des Folkclubs Bonn schaffte es, dies alles zu toppen. Es gab keine Sekunde zum Luftholen, selbst die Umbau- bzw. Wechselpausen waren gefüllt mit einer greifbaren Spannung. Der Saal vibrierte geradezu vor Erwartung und da dieser sehr gefüllt war – ich schätze es waren mindestens 130 Personen anwesend – versetzten diese Vibrationen jeden Einzelnen in Schwingungen, die an jeder möglichen Stelle in begeistertes Mitmachen, Mitsingen und Applaudieren mündeten.

Aber der Reihe nach. Wie immer eröffnete John Harrison den Reigen mit seinem Ruf „Laaaddddiiiiees and Gentlemeeeen...“, doch griff er danach nicht sofort zu seiner Gitarre, sondern brachte ein Poem zum Abend. „It Couldn‘t Be Done“ erzählt die Geschichte des Unglaubens vor 10 Jahren (und auch immer wieder dazwischen), dass es wirklich gelingen könne, eine Veranstaltung ohne jede Verstärkung, ohne Beschränkung des musikalischen Genres und trotzdem immer ausgebucht und mit regionalen, nationalen und internationalen Künstlern besetzt, zu schaffen – und über diese lange Zeit zu halten. Nicht genug, dass es geschafft wurde – der Folkclub Bonn hat sich inzwischen bei vielen Künstlern und Künstlerinnen als „der Ort wo Musik lebt“ etabliert – ein Ort wo Musik und nicht das Drumherum wichtig ist, nicht eine gute Anlage, die alles sich toll anhören lässt, nicht eine gute Bühne mit Lightshow, die den eigenen Charakter überdeckt, sondern ein Ort an dem Musik gemacht wird, ehrlich und unversteckt, ein Ort, an dem eine Konzentration herrscht, die nicht nur eine fallende Stecknadel hören lässt, sondern die diese Stecknadel erst gar nicht zum Fallen bringt.

Ihr merkt, meine Gefühle zum Folkclub sind durch die vergangene Veranstaltung noch so intensiv, dass ich schon wieder abschweife. Zurück zur Veranstaltung. Natürlich griff John nach dem Gedicht zur Gitarre und begeisterte uns, begleitet von Eva Henneken, mit den Liedern „Old Paint“ und „The Folker“

Vorher aber war die Bühne noch einem besonderen Gast reserviert – Frau Susanne König, ihres Zeichens Kulturamtsleiterin der Stadt Bonn, überbrachte einen offiziellen Gruß und wurde nach eigenen Aussagen schon durch die Masse an Publikum, das sofort gespürte Gefühl „hier ist ein Familientreffen“ und dem Wechsel an Fröhlichkeit und Konzentration überwältigt. Ja, oft ist es gut nicht nur etwas zu wissen, sondern es zu erleben. Wir hoffen alle, dass das Versprechen, den Folkclub in Zukunft auch ohne offiziellen Anlass zu besuchen, wahr gemacht wird.

Nach John und Eva offenbarte sich ein weiteres Highlight des Abends. Es war geplant (und hat geklappt), dass der Abend mit mindestens 10 Geigen begleitet würde. Die erste war ja schon durch Eva dargebracht. Die zweite erklang nun durch den jüngsten Künstler des Folkclubs.

Tim, Evas Sohn, brachte uns mit dem sehr sauber gespieltem Lied „Nach dem Winterschlaf“ ein erstes Frühlingsgefühl (obwohl bei dem momentanen Wetter der Frühling ja direkt nach dem Sommer gekommen zu sein scheint). Tim bekam für diese Leistung eine Ehrenmitgliedschaft im Folkclub, manifestiert in einer Urkunde, die auch zu lebenslangem freien Eintritt berechtigt :-).

Die Begründerin eines Folkclub-Formates (einer Annette), nämlich Annette, war zum Jubiläum auch erschienen und spielte das gleiche Lied, welches dem Format zugrunde lag, noch einmal. „Das Loch in der Banane“ war vor fast 10 Jahren das Lied, das zwischen das Programm geschoben wurde. Seitdem heißt ein dazwischen geschobenes Lied, ein Act, der nur ein Lied umfasst, eine Annette.

Weiter ging es mit Geschenken - Regine Perry-Mertens überbrachte mit einigen Gleichgesinnten dem Folkclub eine Jubiläumstorte und zeigte damit auf, dass Folkies des Folkclubs nicht nur Musikgenießer sind, sondern sich halt zu einer Familie entwickelt haben. Als Teil der Folkclub-Allstars blieb sie dann gleich auf der Bühne und half dem Lied People Are Crazy, welches der Allstars-Leiter Barry Roshto getreu dem Folkclub-Motto „folk is great, beer is good and people are crazy“ arrangiert hat, mit dem gesamten Chor zum Erfolg.

Auch Lothar Prünte alias ELPI erklomm wieder die Bühne und brachte in der unverkennbaren Art mit seiner besonderen Stimme das Lied vom „Simple Man“. Ich hoffe es wird mir von allen verziehen, wenn ich nicht jedes Mal in Lobeshymnen ausbreche, aber ich habe ja schon eingangs gesagt und im Titel des Berichts geschrieben, es war insgesamt einfach eine geballte Ladung an Qualität und Professionalität, die unterschiedlich ausgeprägt immer den Charakter des Folkclub unterstützte.

„Ich brauche eigentlich immer drei Stücke bis ich drin bin. Hier habe ich nur zwei – das wird schwer“, so kündigte sich Cynthia Nickschas mit ihrer Band an. Mag sein, dass es schwer war, es hat auf alle Fälle geklappt. In meinen Ohren war sie vom ersten Ton an drin und voll da., was sich auch darin äußerte, dass sie nicht nur die Lieder „Reise ins Blau“ und „Write It Down“ brachte, sondern trotz der knappen Zeit erst von der Bühne gelassen wurde, nachdem sie noch eins mit „Egoschwein“ draufpackte.

Dann kamen wieder Geigen. Die Four Fiddlers als Featured Artists spielten nicht nur super professionelle Geigen, sondern heizten dem Publikum mit ihren Lieder so sehr ein, dass der Druck, der wie beschrieben ohnehin schon hoch war, weiter stieg. Aber hier zeigt sich der Unterschied zwischen technischen und menschlichen Systemen. Der Kessel (FCB) ist nicht geplatzt, sondern steigerte sich einfach immer weiter zu einem der schönsten Abende, sie ich bisher mit Musik erlebt habe. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht die einzelnen Lieder aufzählen (kauft euch die CD der Four Fiddles, dort sind die meisten drauf und es lohnt sich), nur so viel: Es muss nicht immer irisch sein, um stillsitzen zu vermeiden. Mit Polka, schwedischer Folklore, österreichischen Jodlern und amerikanisch, mexikanischem Country schafften es die Four Fiddlers vor und nach der Pause, dass kein Bein ruhig blieb, kein Finger sich dem Taktklopfen entziehen konnte und keine Stimme im Raum an den passsenden Passagen verstummte.

Nun, ganz unüblich, wurde vor der Pause das Patronatslied „Jock Stewart“ angestimmt. Diesmal versammelten sich nicht alle KünstlerInnen des Abends auf der Bühne, sondern 10 Geigen, die das Lied begleiteten. Geigen sind laut, 10 Geigen sind lauter, aber die Begeisterung des Publikums beim Mitsingen schaffte es auch, diese 10 Geigen zu überstimmen – ein erhabenes Erlebnis war es allemal.

Nach der Pause ging es erst mal hektisch weiter. Viele Künstler, aber knappe Zeit bedingen Lösungen, die beim Jubliäums Folkclub so aussahen, dass ein Teil der KünstlerInnen sich bereit erklärt hatten, eine Vignette von max. zwei Minuten zu spielen – um es vorweg zu nehmen – hat nicht ganz geklappt, aber die Zeitbeschränkung schaffte es trotzdem, dass alle die wollteN auf die Bühne kamen.

Steve und Regine hatten ein Lied von Ian Tysoen mit einem neuen Text versehen. „Ten Year Ago“, 10 Jahre Folkclub und keiner hat es geglaubt.

Holger mit Band brachte noch einmal den Schrankenblues (oder, worauf Holger Wert legt, das Lied „Und wir warten“) zum Besten. Ihr alle kennt die Schranke, die zwischen B9 und dem Folkclub stundenlang den Weg zum Ziel versperrt.

Larissa Laë verzauberte uns mal wieder mit ihrer eigenen Sprache und dem in selbiger dargebrachten Lied.

Jutta Mensing und Begleitung zauberte das alte Lied „Vullmachts Öllste“ aus dem Repertoire-Hut. Und

Martha verwirrte ihre Geigensaiten mit dem Song „Drowsie Maggie“.

Den Abschluss des Kurzreigens machte Volker Lindner (vielen eher als Teil der Folkscheuchen bekannt) mit „Iron Man“ - schließlich ist Hardrock auch Folk.

Eva Salgado, langjährige Begleiterin des FCB zeigte uns mit einer „Maturka“, der „Maneo de Mataika“ und der „Muenda del Peciedo“, dass es auch in anderen Ländern und Kulturen als den uns meist Gegenwärtigen (hier galizisch) eine unerschöpfliche Vielzahl von musikalischen Schönheiten gibt.

Dennis Ledermann, sozusagen ein Folkclub-Kind, hat er hier doch seinen ersten Auftritt gehabt, seinen Mut zur musikalischen Karriere geschöpft und selbst seine Freundin kennengelernt (alles seine eigenen Aussagen) überraschte uns mit einem Lied, dass er seiner Freundin gewidmet hat. Der Inhalt des Liedes war so sehr auf die 10 Jahre Folkclub gemünzt, dass der Eindruck entstand, der Folkclub sei seine Freundin (was in gewisser Weise sicherlich stimmt, aber selbige aus Fleisch und Blut war auch anwesend).

Wie überraschungsaufnahmefähig ist der Mensch? Der Jubiläumsfolkclub war auch hier ein empirischer Selbstversuch. Makeda, langjährige Nachbarin von John Harrison, hat es endlich geschafft der Einladung von John zu folgen. Weder John noch sie selbst wussten, als sie noch Nachbarn waren, dass Makeda so wunderbar singen und Lieder schreiben kann. Uns bewies sie es mit dem Lied, dass sie im vergangenem Jahr für den Eurovision Song Contest geschrieben hat (sie ist damit Zweite in der deutschen Endauswahl geworden – mit nur vier Punkten Abstand zum Gewinnertitel, wäre Sie Erste geworden, hätte Deutschland sicher besser abgeschnitten :-) ) und um noch einen oben drauf zu setzen, verließ sie sich auf die Erzählung, dass im Folkclub Bonn das Publikum sich vollständig auf seine KünstlerInnen konzentrieren kann und sang den Song „The Day I Loved You Most“ à capella. Ich hoffe sie wird beim FCB zum Thema à capella wieder dabei sein.

Astatine in unterschiedlichen Besetzungen schon mehrfach im Folkclub, stellte auch beim Jubiläumsabend wie immer einen besonderen Leckerbissen dar. Nur von Thomas Neuhalfen am Bass begleitet sang Ana Maria die Jazz Stücke „Whisper Not“ und „Caravan“. Wie jeder weiß ist Astatine ein radioaktives chemisches Element – und ja, sie brachte uns zum Strahlen.

Wer durfte natürlich an dem Abend nicht fehlen? Die ihrem Namen getreu immer gut gelaunten 2Sunny. Bei ihrer Interpretation des Hildegard-Knef-Liedes „Ich möchte am Montag mal Sonntag haben“ begeisterten sie nicht nur das Publikum, sondern bezogen es intensiv mit ein.  Mit dem Lied „So We Dance“ wandten sie sich ein wenig von ihrem ureigenen Stil ab und beschworen die Freiheit zu tanzen und aus dem Alltagstrott auszubrechen.

Die abschließende Darbietung des zweiten Teils vom Features Artist Auftritt der Four Fiddlers habe ich schon weiter oben berichtet. Bliebe also nur noch zu sagen, dass selbstverständlich der Patron sich nicht mit dem vor der Pause gesungenen Lied zufrieden gab und alle noch einmal „Jock Stewart“ schmetterten. Auch wenn ich immer noch an diesen wunderschönen Abend denke, so darf ich doch darauf hinweisen, dass nach dem Folkclub vor dem Folkclub ist. Sehen wir uns wieder am 6. März 2020.
Out of the Bedroom, come and sing along
Mario

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen