Erst
mal tief Luft holen – ein Anschlag auf die Gelassenheit
Normalerweise
fahre ich zum Folkclub immer mit dem Gefühl, einen schönen Abend mit einem
gemischten Programm unterschiedlicher Stilrichtungen und unterschiedlicher Künstlerqualitäten
zu erleben. Einen Abend also, an dem sich Spannung und Erholung, Konzentration
und Zurücklehnen sowie tiefer Genuss und „jeder braucht seinen Platz, um sich
auszuprobieren“ abwechseln.
Anders ist dies
an den Jubiläumsabenden. Schon beim 50ten und beim 100ten Folkclub erlebten wir
eine geballte Ladung aus Qualität, Emotionen und Engagement, einen
Dauerbeschuss an „wir gehören zusammen und machen tolle Musik“. Kaum zu glauben
aber wahr, das 10 jährige Jubiläum des Folkclubs Bonn schaffte es, dies alles
zu toppen. Es gab keine Sekunde zum Luftholen, selbst die Umbau- bzw.
Wechselpausen waren gefüllt mit einer greifbaren Spannung. Der Saal vibrierte
geradezu vor Erwartung und da dieser sehr gefüllt war – ich schätze es waren
mindestens 130 Personen anwesend – versetzten diese Vibrationen jeden Einzelnen
in Schwingungen, die an jeder möglichen Stelle in begeistertes Mitmachen,
Mitsingen und Applaudieren mündeten.
Aber der Reihe
nach. Wie immer eröffnete John Harrison den Reigen mit seinem Ruf „Laaaddddiiiiees
and Gentlemeeeen...“, doch griff er danach nicht sofort zu seiner Gitarre,
sondern brachte ein Poem zum Abend. „It
Couldn‘t Be Done“ erzählt die Geschichte des Unglaubens vor 10 Jahren (und
auch immer wieder dazwischen), dass es wirklich gelingen könne, eine
Veranstaltung ohne jede Verstärkung, ohne Beschränkung des musikalischen Genres
und trotzdem immer ausgebucht und mit regionalen, nationalen und
internationalen Künstlern besetzt, zu schaffen – und über diese lange Zeit zu
halten. Nicht genug, dass es geschafft wurde – der Folkclub Bonn hat sich
inzwischen bei vielen Künstlern und Künstlerinnen als „der Ort wo Musik lebt“
etabliert – ein Ort wo Musik und nicht das Drumherum wichtig ist, nicht eine
gute Anlage, die alles sich toll anhören lässt, nicht eine gute Bühne mit
Lightshow, die den eigenen Charakter überdeckt, sondern ein Ort an dem Musik
gemacht wird, ehrlich und unversteckt, ein Ort, an dem eine Konzentration
herrscht, die nicht nur eine fallende Stecknadel hören lässt, sondern die diese
Stecknadel erst gar nicht zum Fallen bringt.
Ihr merkt,
meine Gefühle zum Folkclub sind durch die vergangene Veranstaltung noch so
intensiv, dass ich schon wieder abschweife. Zurück zur Veranstaltung. Natürlich
griff John nach dem Gedicht zur Gitarre und begeisterte uns, begleitet von Eva
Henneken, mit den Liedern „Old Paint“ und „The Folker“.
Vorher aber war die Bühne noch einem besonderen Gast reserviert – Frau
Susanne König, ihres Zeichens Kulturamtsleiterin der Stadt Bonn,
überbrachte einen offiziellen Gruß und wurde nach eigenen Aussagen schon durch
die Masse an Publikum, das sofort gespürte Gefühl „hier ist ein
Familientreffen“ und dem Wechsel an Fröhlichkeit und Konzentration überwältigt.
Ja, oft ist es gut nicht nur etwas zu wissen, sondern es zu erleben. Wir hoffen
alle, dass das Versprechen, den Folkclub in Zukunft auch ohne offiziellen
Anlass zu besuchen, wahr gemacht wird.
Nach John und
Eva offenbarte sich ein weiteres Highlight des Abends. Es war geplant (und hat
geklappt), dass der Abend mit mindestens 10 Geigen begleitet würde. Die erste
war ja schon durch Eva dargebracht. Die zweite erklang nun durch den jüngsten
Künstler des Folkclubs.
Tim, Evas Sohn, brachte uns mit dem sehr
sauber gespieltem Lied „Nach dem Winterschlaf“ ein erstes Frühlingsgefühl
(obwohl bei dem momentanen Wetter der Frühling ja direkt nach dem Sommer
gekommen zu sein scheint). Tim bekam für diese Leistung eine
Ehrenmitgliedschaft im Folkclub, manifestiert in einer Urkunde, die auch zu
lebenslangem freien Eintritt berechtigt :-).
Die Begründerin
eines Folkclub-Formates (einer Annette), nämlich Annette, war zum
Jubiläum auch erschienen und spielte das gleiche Lied, welches dem Format
zugrunde lag, noch einmal. „Das Loch in der Banane“ war vor fast 10
Jahren das Lied, das zwischen das Programm geschoben wurde. Seitdem heißt ein
dazwischen geschobenes Lied, ein Act, der nur ein Lied umfasst, eine Annette.
Weiter ging es
mit Geschenken - Regine Perry-Mertens überbrachte mit einigen
Gleichgesinnten dem Folkclub eine Jubiläumstorte und zeigte damit auf, dass
Folkies des Folkclubs nicht nur Musikgenießer sind, sondern sich halt zu einer
Familie entwickelt haben. Als Teil der Folkclub-Allstars blieb sie dann
gleich auf der Bühne und half dem Lied „People Are Crazy“,
welches der Allstars-Leiter Barry Roshto getreu dem Folkclub-Motto
„folk is great, beer is good and people are crazy“ arrangiert hat, mit dem
gesamten Chor zum Erfolg.
Auch Lothar Prünte alias ELPI erklomm wieder die Bühne und brachte
in der unverkennbaren Art mit seiner besonderen Stimme das Lied vom „Simple
Man“. Ich hoffe es wird mir von allen verziehen, wenn ich nicht jedes Mal
in Lobeshymnen ausbreche, aber ich habe ja schon eingangs gesagt und im Titel
des Berichts geschrieben, es war insgesamt einfach eine geballte Ladung an
Qualität und Professionalität, die unterschiedlich ausgeprägt immer den
Charakter des Folkclub unterstützte.
„Ich brauche
eigentlich immer drei Stücke bis ich drin bin. Hier habe ich nur zwei – das
wird schwer“, so kündigte sich Cynthia Nickschas mit ihrer Band an. Mag
sein, dass es schwer war, es hat auf alle Fälle geklappt. In meinen Ohren war
sie vom ersten Ton an drin und voll da., was sich auch darin äußerte, dass sie
nicht nur die Lieder „Reise ins Blau“ und „Write It Down“ brachte,
sondern trotz der knappen Zeit erst von der Bühne gelassen wurde, nachdem sie
noch eins mit „Egoschwein“ draufpackte.
Dann kamen
wieder Geigen. Die Four Fiddlers als Featured Artists spielten nicht nur
super professionelle Geigen, sondern heizten dem Publikum mit ihren Lieder so
sehr ein, dass der Druck, der wie beschrieben ohnehin schon hoch war, weiter
stieg. Aber hier zeigt sich der Unterschied zwischen technischen und
menschlichen Systemen. Der Kessel (FCB) ist nicht geplatzt, sondern steigerte sich
einfach immer weiter zu einem der schönsten Abende, sie ich bisher mit Musik
erlebt habe. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht die einzelnen Lieder
aufzählen (kauft euch die CD der Four Fiddles, dort sind die meisten drauf und
es lohnt sich), nur so viel: Es muss nicht immer irisch sein, um stillsitzen zu
vermeiden. Mit Polka, schwedischer Folklore, österreichischen Jodlern und
amerikanisch, mexikanischem Country schafften es die Four Fiddlers vor und nach
der Pause, dass kein Bein ruhig blieb, kein Finger sich dem Taktklopfen
entziehen konnte und keine Stimme im Raum an den passsenden Passagen
verstummte.
Nun, ganz
unüblich, wurde vor der Pause das Patronatslied „Jock Stewart“
angestimmt. Diesmal versammelten sich nicht alle KünstlerInnen des Abends auf
der Bühne, sondern 10 Geigen, die das Lied begleiteten. Geigen sind laut, 10
Geigen sind lauter, aber die Begeisterung des Publikums beim Mitsingen schaffte
es auch, diese 10 Geigen zu überstimmen – ein erhabenes Erlebnis war es
allemal.
Nach der Pause ging
es erst mal hektisch weiter. Viele Künstler, aber knappe Zeit bedingen
Lösungen, die beim Jubliäums Folkclub so aussahen, dass ein Teil der
KünstlerInnen sich bereit erklärt hatten, eine Vignette von max. zwei Minuten
zu spielen – um es vorweg zu nehmen – hat nicht ganz geklappt, aber die
Zeitbeschränkung schaffte es trotzdem, dass alle die wollteN auf die Bühne
kamen.
Steve und
Regine hatten ein Lied
von Ian Tysoen mit einem neuen Text versehen. „Ten Year Ago“, 10 Jahre
Folkclub und keiner hat es geglaubt.
Holger mit Band brachte noch einmal den
Schrankenblues (oder, worauf Holger Wert legt, das Lied „Und wir warten“)
zum Besten. Ihr alle kennt die Schranke, die zwischen B9 und dem Folkclub
stundenlang den Weg zum Ziel versperrt.
Larissa Laë verzauberte uns mal wieder mit ihrer
eigenen Sprache und dem in selbiger dargebrachten Lied.
Jutta
Mensing und Begleitung
zauberte das alte Lied „Vullmachts Öllste“ aus dem Repertoire-Hut. Und
Martha verwirrte ihre Geigensaiten mit dem
Song „Drowsie Maggie“.
Den Abschluss
des Kurzreigens machte Volker Lindner (vielen eher als Teil der
Folkscheuchen bekannt) mit „Iron Man“ - schließlich ist Hardrock auch
Folk.
Eva Salgado, langjährige Begleiterin des FCB zeigte
uns mit einer „Maturka“, der „Maneo de Mataika“ und der „Muenda
del Peciedo“, dass es auch in anderen Ländern und Kulturen als den uns
meist Gegenwärtigen (hier galizisch) eine unerschöpfliche Vielzahl von
musikalischen Schönheiten gibt.
Dennis
Ledermann, sozusagen
ein Folkclub-Kind, hat er hier doch seinen ersten Auftritt gehabt, seinen Mut
zur musikalischen Karriere geschöpft und selbst seine Freundin kennengelernt
(alles seine eigenen Aussagen) überraschte uns mit einem Lied, dass er seiner
Freundin gewidmet hat. Der Inhalt des Liedes war so sehr auf die 10 Jahre
Folkclub gemünzt, dass der Eindruck entstand, der Folkclub sei seine Freundin
(was in gewisser Weise sicherlich stimmt, aber selbige aus Fleisch und Blut war
auch anwesend).
Wie
überraschungsaufnahmefähig ist der Mensch? Der Jubiläumsfolkclub war auch hier
ein empirischer Selbstversuch. Makeda, langjährige Nachbarin von John
Harrison, hat es endlich geschafft der Einladung von John zu folgen. Weder John
noch sie selbst wussten, als sie noch Nachbarn waren, dass Makeda so wunderbar
singen und Lieder schreiben kann. Uns bewies sie es mit dem Lied, dass sie im
vergangenem Jahr für den Eurovision Song Contest geschrieben hat (sie ist damit
Zweite in der deutschen Endauswahl geworden – mit nur vier Punkten Abstand zum
Gewinnertitel, wäre Sie Erste geworden, hätte Deutschland sicher besser
abgeschnitten :-) ) und um noch einen oben drauf zu setzen, verließ sie sich
auf die Erzählung, dass im Folkclub Bonn das Publikum sich vollständig auf
seine KünstlerInnen konzentrieren kann und sang den Song „The Day I Loved
You Most“ à capella. Ich hoffe sie wird beim FCB zum Thema à capella wieder
dabei sein.
Astatine in unterschiedlichen Besetzungen schon
mehrfach im Folkclub, stellte auch beim Jubiläumsabend wie immer einen
besonderen Leckerbissen dar. Nur von Thomas Neuhalfen am Bass begleitet
sang Ana Maria die Jazz Stücke „Whisper Not“ und „Caravan“. Wie
jeder weiß ist Astatine ein radioaktives chemisches Element – und ja, sie
brachte uns zum Strahlen.
Wer durfte
natürlich an dem Abend nicht fehlen? Die ihrem Namen getreu immer gut gelaunten
2Sunny. Bei ihrer Interpretation des Hildegard-Knef-Liedes „Ich
möchte am Montag mal Sonntag haben“ begeisterten sie nicht nur das Publikum,
sondern bezogen es intensiv mit ein. Mit
dem Lied „So We Dance“ wandten sie sich ein wenig von ihrem ureigenen
Stil ab und beschworen die Freiheit zu tanzen und aus dem Alltagstrott auszubrechen.
Die
abschließende Darbietung des zweiten Teils vom Features Artist Auftritt der Four
Fiddlers habe ich schon weiter oben berichtet. Bliebe also nur noch zu
sagen, dass selbstverständlich der Patron sich nicht mit dem vor der Pause
gesungenen Lied zufrieden gab und alle noch einmal „Jock Stewart“
schmetterten. Auch wenn ich immer noch an diesen wunderschönen Abend denke, so
darf ich doch darauf hinweisen, dass nach dem Folkclub vor dem Folkclub ist. Sehen
wir uns wieder am 6. März 2020.
Out of the Bedroom, come and sing along
Mario
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